Rechtsextreme Hetzkampagne in Polen gegen Agnieszka Hollands neuen Film „Grüne Grenze“

Am vergangenen Donnerstag kam der neue Film von Agnieszka Holland Zielona Granica (Grüne Grenze) in die polnischen Kinos. Der Trailer ist hier zu sehen. Bereits am ersten Wochenende sollen über 137.000 Menschen den Film gesehen haben. Im Vorfeld des Films hat der polnische Staat und die rechtsextreme Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) eine Staatskampagne gegen die weltbekannte Regisseurin losgetreten, die offen antisemitische Untertöne hat und sowohl ihrem faschistoiden Charakter wie ihrem Ausmaß nach in der jüngeren europäischen Geschichte beispiellos ist.

Zielona Granica [Photo by Venice Film Festival]

Zielona Granica inszeniert auf aufwühlende Weise die grausame Realität an der EU-Außengrenze zu Belarus. 2021 wollten mehrere Tausend Flüchtlinge, insbesondere aus dem Irak und Afghanistan, über Belarus in die EU gelangen. Die Vertreter aller EU- und Nato-Staaten erklärten das damals zu einem „hybriden Angriff auf die Demokratie“. Polen und das benachbarte Litauen reagierten mit der Verhängung des Ausnahmezustands, dem Aufmarsch tausender Soldaten und der Errichtung einer drei Kilometer breiten Sperrzone, in der demokratische Grundrechte inklusive Pressefreiheit außer Kraft gesetzt sind. Nach einem provisorischen Stacheldrahtzaun, der auch im Film nachgestellt wurde, ist 2022 der Bau eines fünf Meter hohen Grenzzaun abgeschlossen worden.

Die WSWS schrieb zu den damaligen Ereignissen: „Die EU und die Nato instrumentalisieren das Schicksal einiger Tausend hilfloser Flüchtlinge, die sie an der belarussischen Grenze zu Polen und Litauen eingekesselt haben, um Weißrussland und Russland mit Krieg zu drohen, Truppen zu mobilisieren, elementare Menschenrechte außer Kraft zu setzen und einen rechten, faschistischen Mob aufzuhetzen.“

Diese Einschätzung hat sich mehr als bestätigt. Der lang provozierte Ukrainekrieg, der mit der reaktionären Invasion Russlands im Februar 2022 begann, wird von der Nato immer weiter eskaliert, und die Politik der Festung Europa nimmt mehr und mehr die Form eines regelrechten „Kriegs gegen die Mehrheit der Menschheit“ an.

Die rechtsextreme Regierungskampagne gegen Agnieszka Holland

Die staatlich organisierte Hetzkampagne gegen Agnieszka Holland und ihren Film können nur vor diesem politischen Hintergrund verstanden werden. Sie ist unmittelbarer Bestandteil der gezielten Stärkung rechtsextremer Kräfte angesichts des imperialistischen Krieges gegen Russland und des sich verschärfenden Klassenkampfs in Europa.

Bereits anlässlich seiner Weltpremiere bei den 80. Filmfestspielen von Venedig Anfang September, wo er einen Sonderpreis der Jury erhielt, begann die Kampagne. Bis zur Premiere in polnischen Kinos schlossen sich Mitglieder des gesamten polnischen politischen Establishments den Verleumdungen und Angriffen an.

Den Anfang machte der rechtsextreme Justizminister Zbigniew Ziobro, der Zielona Granica mit den Propagandafilmen der Nationalsozialisten verglich. Ziobro, mit seiner Partei Solidarna Polska Juniorpartner in der rechtsextremen PiS-Regierung, schrieb am 4. September auf seinem Twitter- bzw. X-Account: „Während des Dritten Reichs produzierten die Deutschen Propagandafilme, in denen Polen als Banditen und Mörder dargestellt wurden. Heute haben sie dafür Agnieszka Holland.“

Stanisław Żaryn, Staatssekretär unter anderem für digitale Sicherheit bei Premierminister Mateusz Morawiecki, listete auf seinem X-Account weißrussische Medienberichte über den Film und kommentierte: „Weißrussische Propaganda freut sich über A. Holland.“

Holland forderte von Minister Ziobro binnen sieben Tagen eine öffentliche Entschuldigung, doch dieser wiederholte seinen Angriff. In den folgenden Tagen wurde eine unvergleichliche mediale Hetzkampagne entfacht, an der sich auch die drei ranghöchsten Personen des Staates beteiligten.

Regierungschef Mateusz Morawiecki erklärte: „Alle, die sich nicht von diesem Film distanzieren, besudeln die polnische Uniform und schänden den guten Namen der Polen.“

Staatspräsident Andrzej Duda sagte wörtlich: „Angesicht der Tatsache, dass Frau Holland polnische Offiziere zeigt, die ihre Arbeit für die polnische Gesellschaft, für unser aller Sicherheit, für Polen auf diese Weise tun, überrascht es mich nicht, dass die Grenzschutzbeamten, die diesen Film gesehen haben, den gleichen Slogan benutzt haben, den wir aus der Zeit der Nazi-Besatzung kennen, als in unseren Kinos Nazi-Propagandafilme gezeigt wurden: ‚Im Kino sitzen nur Schweine.‘“

Und der Chef der PiS-Partei und stellvertretende Regierungschef, Jarosław Kaczyński, erklärte: „Das ist eine Verspottung. Eine beschämende, ekelhafte Verspottung in einem Stil, den ich hier nicht allzu ausführlich charakterisieren möchte. (…) Der für viele Menschen aus diesem Umfeld typische Hass auf die Heimat muss mit aller Härte verurteilt werden. Besonders in der Situation, in der sich Polen heute befindet.“

Einen Tag vor dem Kinostart verkündete Błażej Poboży im Namen des Innenministeriums, vor dem Film müsse in allen polnischen Kinos ein Spot ausgestrahlt werden, „der den Verlauf und den Kontext der hybriden Operation des Lukaschenko-Regimes gegen Polen ehrlich darstellt“. Als Begründung diente auch hier die angebliche „äußerst unfaire, unerlaubte und schädliche Weise”, in der im Film „Grenzschutzbeamte” gezeigt würden. Laut Medienberichten will sich die Kinokette Helios weigern, diesen Regierungsspot zu zeigen. Es ist noch unklar, ob das Ministerium dies unter Androhung von Strafgeldern durchsetzen will.

Dass die Angriffe nicht bei Agnieszka Holland halt machen, zeigten spätestens die Äußerungen des ultrarechten Bildungsministers Przemysław Czarnek. Er bezeichnete den Film als genauso „asozial“ und „menschenfeindlich“ wie Hitlers „Mein Kampf“ und erklärte, die „Beleidigung“ der polnischen Armee und von Grenzschutzbeamten in dem Film sei „in diesem Sinne einfach Hochverrat“.

Anschließend wetterte er gegen Lehrer, die ihren Schülern den Film zeigen wollten, was er als „Versuch der Ideologisierung junger Menschen“ bezeichnete. Er verwies auf einen Fall im Gymnasium von Kędzierzyn-Koźle, wo eine beteiligte Lehrerin zugleich für die oppositionelle Bürgerplattform kandidierte. Nach einer Kampagne von PiS-Anhängern sagte die Schule den geplanten Kinobesuch ab.

Sein Staatssekretär im Bildungsministerium, der Professor an der Jagiellonen-Universität Włodzimierz Bernack, wetterte in rechtsextremer Manier, eine „sogenannte intellektuelle Elite“ arbeite daran, eine „Pädagogik der Schande wiederherzustellen“.

Dieser Ausdruck ist Teil einer staatlichen Kampagne, die Bildungsminister Czarnek aggressiv vorantreibt. Mit dem Begriff „Pädagogik der Schande“ ist schlicht jede ernsthafte Auseinandersetzung mit Antisemitismus oder Rechtsextremismus in Polen gemeint, insbesondere auch mit den autoritären und faschistischen Tendenzen der Regimes von Józef Piłsudski und Edward Rydz-Śmigły, die Polen vor dem Zweiten Weltkrieg regierten.

Der Umstand, dass Agnieszka Holland Tochter des jüdischen Kommunisten Henryk Holland ist, der erst in der polnischen Armee, dann in der Roten Armee und dann erneut in der polnischen Armee gegen den Faschismus kämpfte, während andere Familienmitglieder im Holocaust umkamen, verleiht der ganzen Kampagne eine besonders abstoßende Dimension. Die Unterstellung von „Vaterlandsverrat“ und Aktivität im Auftrag des „Feindes” knüpft an antisemitische Vorbilder an, die jüdische Menschen als „Fremdkörper” denunzierten, die „Verrat” begehen.

Ein beabsichtigtes Ergebnis der staatlichen Hetzkampagne ist die Anstachelung eines faschistischen Mobs, der in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #MuremZaPolskimMundurem (Für die polnische Uniform) wütet. Er beschimpft Holland unter anderem als „Kommunistenschwein“ und organisiert Kundgebungen vor Kinos.

Die Rolle der Oppositionspartei PO und der EU

Die Angriffe kommen nicht nur von der rechtsextremen polnischen Regierungspartei. Tomasz Siemoniak, bis 2015 Verteidigungsminister unter Donald Tusk (Bürgerplattform, PO), verspottete den Film in einem Fernsehinterview und verglich dessen Wahrheitsgehalt mit Star Wars.

Tusk selbst hetzte im aktuellen Wahlkampf mehrfach gegen „unkontrollierte Migration“ und griff die PiS-Regierung von rechts an. Zur jüngsten Korruptionsaffäre über gekaufte Visavergaben verbreite die Opposition ein rassistisches Propagandavideo, in dem behauptet wird, es finde eine ungehinderte Masseneinwanderung von Hunderttausenden, vor allem Muslimen aus Afrika und Asien statt. Die PiS bezeichnete die PO als Schmuggler-Mafia.

Zur Kampagne gegen Holland schwieg Tusk tagelang. Schließlich erklärte er auf einer Pressekonferenz in Kalisz ausweichend, man könne nicht über einen Film urteilen, den man nicht gesehen habe. Er sprach zwar von einer „ekelhaften Kampagne“, vermied es jedoch, Holland explizit in Schutz zu nehmen. Stattdessen erklärte er: „Wenn jemand Grenzschutzbeamte beleidigt, dann ist es die PiS.“ Sie habe „fast 300.000 Menschen reingelassen“.

Während Soldaten und Grenzschützer Menschen systematisch mit illegalen Pushbacks aus dem Land schaffen, in Kälte und Nässe sterben lassen oder in Lagern misshandeln, schwafelt der Führer der angeblich „demokratischen Opposition“ von ihrem „schwierigen Dienst“: „Sie riskieren ihre Gesundheit, oft auch ihren Ruf, wenn sie eine Frau mit einem Kind nicht hereinlassen, nur weil sie das Außenministerium nicht bezahlt haben.“ Der Regierung warf Tusk vor: „Sie haben über Jahre hinweg Soldaten und Grenzschutzbeamten ins Gesicht gespuckt, sie getäuscht und Leid ausgesetzt.“

Mit anderen Worten: Tusk greift die PiS in der Flüchtlingspolitik von rechts an und lehnt jede Verteidigung Hollands und demokratischer Rechte ab.

Auch in Europa hat sich kein einziger Politiker hinter Holland gestellt. Auch dies ist kein Zufall. Die rechtsextreme Flüchtlingspolitik der PiS und die damit verbundene Stärkung faschistischer Kräfte ist auch die Politik der EU. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen arbeitet dabei eng mit der faschistischen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zusammen, einer unverhohlenen Bewunderin des faschistischen Diktators Benito Mussolini.

Verteidigt Agnieszka Holland!

Die Angriffe auf Agnieszka Holland sind Teil des hysterischen und reaktionären Wahlkampfs für die Parlamentswahlen vom 15. Oktober. Sie schaffen einen fruchtbaren Boden für die offen faschistische Konfederacja, der Kommentatoren schon jetzt die Rolle des Königsmachers nach der Wahl zuschreiben. Es handelt sich aber auch um eine grundlegendere, internationale Entwicklung.

Agnieszka Holland auf der Berlinale 2017 [Photo by Martin Kraft / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0]

Die PiS arbeitet seit ihrer Regierungsübernahme im Jahr 2015 systematisch an der Stärkung faschistischer Ideologien und Kräfte. Seit 2018 ist historische Forschung zum polnischen Antisemitismus während des Holocaust in Polen gesetzlich verboten. Polnische Historiker, die sich auf jüdische Geschichte und den polnischen Antisemitismus spezialisieren, werden regelmäßig Opfer von Hetzkampagnen in der Presse und im Internet und zunehmend auch von tätlichen Angriffen.

Erst im Mai diesen Jahres stürmte Grzegorz Braun, Vorsitzender der faschistischen Konfederacja, im Deutschen Historischen Institut in Warschau auf das Podium, um den Vortrag des Historikers Jan Grabowski, eines der renommiertesten Experten zum polnischen Antisemitismus, zu unterbrechen. Braun, der ungehindert in der ersten Reihe Platz nahm, sprang gleich zu Beginn des Vortrags auf und zerschlug Mikrofon und Lautsprecher unter den Rufen „Genug davon“ und „Raus aus Polen“, bevor er vom Sicherheitsdienst abgeführt wurde. Grabowski ist Professor für Geschichte an der University of Ottawa und Mitglied der Royal Society of Canada.

In Interview erklärte Grabowski: „Dieses Mikrofon hätte genauso gut auf meinem Kopf zerschmettert werden können. Ich fühlte mich wie im Polen der 1930er Jahre.“ Während der Vorfall in internationalen akademischen Kreisen Entsetzen auslöste und viele Kollegen und auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem den Angriff verurteilten, gab es in der polnischen Politik keinen nennenswerten Protest.

Mit der staatlichen Kampagne gegen Holland erreicht das Schüren eines rechtsextremen, pogromartigen Klimas in Polen und Europa eine neue Stufe. Sie findet unter Bedingungen statt, unter denen das kanadische Parlament einem Nazi-Kollaborateur aus der Ukraine applaudiert, deutsche Professoren wie Jörg Baberowski mit staatlicher Unterstützung Hitler rehabilitieren, Faschisten in mehreren europäischen Regierungen sitzen und in Deutschland große Teile des Programms der neo-faschistischen Alternative für Deutschland von den Regierungsparteien übernommen und verwirklicht werden.

Die gezielte Stärkung rechtsextremer Kräfte und die Kampagne gegen Holland richten sich nicht nur gegen diese und andere kritische Intellektuelle, sondern vor allem gegen Arbeiter und Jugendliche, die sich gegen Krieg, Faschismus, Militarismus und soziale Ungleichheit stellen. So wie die deutsche und französische nutzt auch die polnische herrschende Klasse den Krieg in der Ukraine als Vorwand für eine massive Aufrüstung. Sie arbeitet daran, Polens Armee zur größten Landstreitmacht Europas aufzurüsten. Trotz vehementer Konflikte zwischen der PiS und der PO über die Außenpolitik vor allem gegenüber Deutschland, sind sich alle Fraktionen der herrschenden Klasse im Kriegskurs gegen Russland einig.

Dies ist der Grund, warum das Schüren von Rassismus Hand in Hand mit der Schaffung eines repressiven Klimas geht, das jeden zum Verstummen bringen soll, der in irgendeiner Art der „nationalen Sache“ und der Armee schadet. Wenn bereits ein Film „Hochverrat“ ist, dann ist es unschwer vorstellbar, dass dies auch für Streiks und Demonstrationen gegen die Kürzungs- oder Kriegspolitik gilt.

Besonders bemerkenswert an der Kampagne der PiS gegen Holland ist die offene Denunziation von Lehrern. Im Jahr 2019 gab es einen landesweiten Lehrerstreik, der die Regierung ins Wanken brachte. Nach dem Ausverkauf ihres Kampfes durch die Gewerkschaftsbürokratie sind die Zustände im Bildungswesen weiterhin katastrophal und viele Lehrer stehen der rechtsextremen Regierungspolitik kritisch gegenüber.

Die herrschende Klasse in Polen und Europa ist sich bewusst, dass Hollands Empathie für Flüchtlinge und die Opposition gegen die rechte Regierungspolitik breiteren Stimmungen in der Arbeiterklasse und unter jungen Menschen einen künstlerischen Ausdruck gibt. Arbeiter, Intellektuelle, Künstler und junge Menschen in Polen und ganz Europa müssen Holland gegen die rechtsextreme Staatskampagne in Polen verteidigen und diesen Kampf mit einem Kampf gegen Krieg, Faschismus und Diktatur und deren gemeinsame Ursache, das kapitalistische System, verbinden.

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