Die jüngsten Debatten haben gezeigt, dass die Pläne der Nato-Staaten, direkt in den Krieg gegen Russland einzugreifen, weit fortgeschritten sind. Nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron die mögliche Entsendung von Nato-Soldaten in die Ukraine ins Spiel gebracht hatte, entbrannte ein regelrechter Wettbewerb, sich mit kriegerischen Erklärungen zu überbieten.
Mit dabei war auch die neue polnische Regierung von Donald Tusk. Anlässlich des 25. Jahrestags des Nato-Beitritts veranstaltete der Sejm, das polnische Parlament, eine Podiumsdiskussion, an dem der Außen- und der Verteidigungsminister teilnahmen. Außenminister Radosław Sikorski bestätigte dort, dass bereits seit geraumer Zeit Nato-Soldaten in der Ukraine im Einsatz sind. Er bekräftigte die Initiative von Macron: „Nato Truppen in der Ukraine sind nicht undenkbar.“
Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz hatte bereits Anfang Februar im Interview mit Super Express erklärt, dass man sich angesichts der jüngsten ukrainischen Niederlagen auf einen Krieg vorbereiten müsse. Auf Nachfrage hatte er bekräftigt, das sei „nicht einfach so daher gesagt“. Sein Ministerium habe bereits konkrete Vorbereitungsschritte unternommen.
Regierungschef Tusk hatte letzte Woche beim Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP) in Bukarest erklärt: „Die Zeiten der glückseligen Ruhe sind vorbei. Die Nachkriegsepoche ist vorbei. Wir leben in neuen Zeiten, in einer Vorkriegsepoche. ... Heute müssen wir deutlich sagen, dass wir vor einer einfachen Wahl stehen: Entweder wir nehmen den Kampf an, … oder wir werden fallen.“
Dafür sei es notwendig, an das „wirtschaftliche, finanzielle, demografische und moralische Potenzial Europas“ zu glauben, ergänzte der ehemalige EU-Ratspräsident.
Während die Politiker vom Krieg sprachen, wurde er zeitgleich geübt. Mit „Dragon 24“ fand in Polen der wichtigste Teil des Nato-Großmanövers „Steadfast Defender“ statt. 20.000 Soldaten aus neun Nato-Staaten – darunter Deutschland, Polen, Frankreich, die USA und Großbritannien – nehmen an dem Manöver rund 70 Kilometer südlich von Danzig und 170 Kilometer entfernt von der russischen Enklave Kaliningrad teil.
Unter anderem übte das deutsch-britische Pionierbrückenbataillon 130 die Überquerung der an dieser Stelle 320 Meter breiten Weichsel mit der M3-Schwimmbrücke. Wie Nato-Militärs erklärten, fließen in die Übungen auch jüngste Erfahrungen aus dem Ukrainekrieg mit ein. Dort verläuft die Front immer wieder entlang breiter Flüsse, die ohne technisches Gerät nicht zu überqueren sind.
Auch Polens Präsident Duda besuchte das Manöver und berief anschließend eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats ein, um eine „neue nationale Sicherheitsstrategie vorzubereiten“, bevor man zu Gesprächen nach Washington reise. An der Sitzung nahmen die Präsidenten des Sejms und des Senats, der Regierungschef, der Außen-, Verteidigungs-, Innen- und Geheimdienst-Minister sowie Vertreter aller Parlamentsfraktionen teil.
Duda erklärte, die Versammlung solle der Welt ein „Signal senden“, dass „wir uns in Fragen der Sicherheit unseres Landes einig sind“. Auch Tusk betonte, ungeachtet aller anderen Unstimmigkeiten werde man in Fragen der Sicherheit gemeinsam handeln. Bereits 2022, als Tusk noch Oppositionsführer war, hatten alle Parteien geschlossen für das „Gesetz zur Verteidigung des Vaterlandes“ gestimmt, eine gewaltige Militarisierung und Aufrüstung Polens.
Doch seit dem Regierungsantritt Tusks ist die polnische Innenpolitik von erbitterten Machtkämpfen und Krisen geprägt. Präsident Duda spielt dabei eine führende Rolle. Nominell steht er zwar über den Parteien, de facto ist er aber der Präsident der nach acht Jahren abgewählten, ultrarechten PiS-Partei. Mit Vetos gegen Gesetze und den Haushalt der Regierung und einer Amnestie für verurteilte Ex-Minister treibt er Polen an den Rand einer Verfassungskrise.
Gleichzeitig verschärfen sich die sozialen Konflikte, in deren Mittelpunkt derzeit Bauern und LKW-Fahrer stehen. Immer wieder blockieren Bauern die Grenzübergänge zur Ukraine, um zu verhindern, dass importiertes Getreide die Preise drückt und sie wirtschaftlich ruiniert. Das Ausmaß der Wut und Verzweiflung der polnischen Bauern äußert sich darin, dass sie ukrainisches Getreide aus LKWs oder Güterwagons auskippen. Für Menschen, die wissen, wie viel Arbeit, Mühe und vor allem Zeit im Anbau von Getreide steckt, keine unbedachte belanglose Geste.
Die Regierung Tusk hofft zwar immer noch auf einen Kompromiss mit der EU über die Einfuhrbedingungen aus der Ukraine, hat jedoch auch ein hartes Vorgehen der Polizei gegen die Proteste angekündigt. Besonders hysterisch reagierten die Herrschenden auf die Aktion eines Bauern im schlesischen Gorzyczki, der, ausgestattet mit Sowjetflagge, an den russischen Präsidenten Putin appellierte: „Schaffe Ordnung in der Ukraine und Brüssel, und bei unseren Regierenden.“
In Polen, wo eine reaktionäre Mischung aus Antikommunismus und Russophobie Staatsideologie ist, ist das schlimmer als Blasphemie.
Am Dienstag trafen dann die Spitzen des polnischen Staates anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Nato-Beitritts in Washington ein. Neben neuen Rüstungskäufen, unter anderem von 96 Apache-Kampfhubschraubern, und der Konkretisierung des polnisch-amerikanischen Atomabkommens für das neue Kernkraftwerk Lubiatowo-Kopalino wurden dabei mit Sicherheit auch die Pläne für die Entsendung von Nato-Truppen erörtert.
Bei einem Treffen von Duda und Tusk mit US-Präsident Joe Biden, US-Außenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin im Weißen Haus warb Duda auch dafür, sämtliche Nato-Mitglieder zu verpflichten, zukünftig drei statt der angestrebten zwei Prozent ihrer Wirtschafsleistung (BIP) in die Aufrüstung zu stecken.
Polen selbst hat seine Militärausgaben innerhalb von zwei Jahren von zwei auf vier Prozent des BIP verdoppelt und unter anderem Tausende Panzer und Panzerhaubitzen aus Südkorea bestellt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Wer gehofft hat, der Aufrüstungswahnsinn werde mit der neuen Regierung von Tusk beendet oder verlangsamt, sieht sich getäuscht. Polen rüstet im Eiltempo auf. So kündigte Verteidigungsminister Kosiniak-Kamysz Anfang März bei einem Treffen mit seinem schwedischen Kollegen in Danzig den Kauf von 6000 Carl-Gustaf-M4-Panzerabwehrwaffen vom schwedischen Saab Konzern für umgerechnet 1,1 Milliarden Euro an. Laut dem stellvertretenden Minister Paweł Bejda will Polen in diesem Jahr mehr als 150 neue Verträge über „den Erwerb einer breiten Palette militärischer Ausrüstung unterzeichnen“.
Die exorbitanten Rüstungskäufe werden die politische Krise in Polen unweigerlich verschärfen. Bereits vor einem Jahr fragte die britische Financial Times: „Who will pay the bill?“ – Wer wird die Rüstungsausgaben bezahlen? Die Abermilliarden, die Polen in Krieg und Aufrüstung steckt, werden aus der polnischen Arbeiterklasse herausgepresst, die jetzt schon unter Inflation und Preissteigerungen leidet. Die Bauernproteste sind nur die Spitze des Eisbergs.
Auch die Lage der Lehrer und des Krankenhauspersonals, die während der PiS-Ära massenhaft protestierten, hat sich nicht verbessert, sondern eher verschlimmert. Anderslautende Versprechen der Tusk-Regierung sind nichts wert.
Die Regierung hat obendrein angekündigt, dass sie die Maßnahmen der Vorgängerregierung zur sozialen Abfederung der Inflation, wie die Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und die Energiepreisbremse, nicht verlängern wird. Angesichts der sich vertiefenden Krise der Weltwirtschaft kann Polen auch nicht auf steigende Einnahmen durch ein starkes Wirtschaftswachstum hoffen. Die von der EU-Kommission freigegebenen Milliarden aus dem Wiederaufbau-Fonds verschaffen der Regierung Tusk höchstens eine kurze Verschnaufpause.
Die Zusammenarbeit von Tusk-Regierung und PiS bei Krieg und Aufrüstung zeigt, dass die polnische Arbeiterklasse unabhängig von der Regierungskonstellation vor den schwersten sozialen Angriffen seit der Einführung des Kapitalismus steht. Die Streitigkeiten zwischen Regierungs- und Oppositionslager drehen sich vor allem um die Frage, mit welcher Strategie sich diese Angriffe verwirklichen lassen.
Die PiS drängt auf die Errichtung eines autoritären Regimes, das Regierungslager auf wirtschaftliche Liberalisierung und Sozialabbau. Doch dieser Gegensatz ist relativ. Beide beharren darauf, dass es beim Krieg gegen Russland kein Zögern und Zaudern gibt. Oder wie Tusk in Washington freudig erklärte: „Der Westen als Ganzes macht mobil.“
Was für den Konflikt zwischen Biden und Trump in den USA gilt, gilt in ähnlicher Weise auch für die Streitigkeiten innerhalb der polnischen Bourgeoisie: „Ihre Ziele ergänzen einander. Die faschistische Diktatur bereitet den Boden für den Krieg und der brutale Angriff auf die Lebensbedingungen der Arbeiter, der für den Krieg notwendig ist, erzeugt die Notwendigkeit für die faschistische Diktatur,“ wie der Präsidentschaftskandidat der Socialist Equality Party, Joseph Kishore, erklärte,
Polnische Arbeiter und Jugendliche dürfen sich keine Illusionen darüber machen, dass sie es sind, die die Rechnung für die Eskalation von Krieg und Militarismus bezahlen müssen – durch Lohn- und Sozialabbau, als Kanonenfutter für die Nato und als zivile Opfer einer Ausdehnung und atomaren Eskalation des Kriegs.
Die sozialen Kämpfe von Bauern, LKW-Fahrern, Lehrern, Ärzten oder Pflegern richten sich gegen dasselbe Übel, die aufbrechende kapitalistische Barbarei. Sie können nur unter einem gemeinsamen sozialistischen Programm und als Teil einer internationalen Antikriegsbewegung zum Erfolg geführt werden.