Die polnische Regierung von Donald Tusk will härter gegen Flüchtlinge vorgehen, sowohl gegen ukrainische Flüchtlinge, die einen Sonderstatus genießen, als auch gegen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, die über die Grenze zu Belarus kommen.
Bereits Anfang des Jahres hatten 101 Organisationen und 550 Intellektuelle, Künstler, Anwälte und Aktivisten an die Regierung appelliert, die illegalen Pushbacks nach Belarus zu beenden. Darunter sind Amnesty International Polen, die Stiftung Auschwitz-Birkenau, die Helsinki Foundation for Human Rights und Flüchtlingshelfer wie Grupa Granica.
Zu den Einzelunterstützern zählen Persönlichkeiten wie Wanda Traczyk-Stawska und Anna Przedpełska-Trzeciakowska, die 1944 am Warschauer Aufstand gegen die Nazis teilgenommen hatten, sowie preisgekrönte Künstler wie die Schauspielerin Maja Komorowska und die Regisseurin Agnieszka Holland.
Gegen Holland hatte die von der PiS geführte Vorgängerregierung eine beispiellose Hetzkampagne organisiert, weil sie in ihrem Film Zielona Granica (Grüne Grenze) die verheerenden Zustände an der Grenze anprangerte. Der ehemalige EU-Ratspräsident Tusk hatte die Wahl im vergangenen Oktober nicht zuletzt gewonnen, weil er sich als demokratische Alternative zur autoritären PiS darstellte.
Die Verschärfung der Flüchtlingspolitik zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Der Angriff auf wehrlose Flüchtlinge dient Regierungen auf der ganzen Welt dazu, chauvinistische Stimmungen zu schüren, rechte Kräfte zu stärken und die demokratischen und sozialen Rechte der gesamten Arbeiterklasse anzugreifen. Tusk bildet hier keine Ausnahme. Er beweist einmal mehr, dass sich Kriegspolitik – die er genau so aggressiv wie die PiS verfolgt – nicht mit Demokratie verträgt.
Ausbau der Festung Europa
Als 2021 vermehrt Flüchtlinge über die EU-Außengrenze von Belarus nach Polen strömten, entfachten die herrschenden Kreise von Warschau bis nach Brüssel eine hysterische Hetzkampagne. Sie behaupteten, es handle sich um einen von Belarus und Russland geführten „hybriden Krieg“ gegen die EU und rechtfertigten so die Entrechtung und Entmenschlichung der Asylsuchenden. Tusk hatte das damals schon aus der Opposition heraus unterstützt und setzt diese Propaganda nun nahtlos fort.
Im Appell an die polnische Regierung heißt es dazu:
Wir Europäer wissen, wozu es führt, wenn wir zulassen, dass Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen, ethnischen oder religiösen Gruppe ihrer Würde und ihrer Grundrechte beraubt werden. Kein Mensch darf wie eine „Waffe“ behandelt werden.
Der Appell verweist verbittert auf das Wahlkampfversprechen Tusks, die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen:
Die Pushbacks müssen sofort eingestellt werden. Wenn das zeitlich hinausgezögert wird, dulden die polnischen Behörden damit die Menschenrechtsverletzungen. Die uns versprochene Rechtmäßigkeit haben wir uns anders vorgestellt.
Doch die Regierung will die Menschenrechtsverletzungen nicht einstellen, sondern ausweiten. Innenminister Marcin Kierwiński hatte bereits damals eine „hundertprozentige Undurchlässigkeit“ der Grenzen gefordert. Im Februar kündigte er gemeinsam mit Tusk eine „Modernisierung“ der Grenzschutzanlagen an.
Bereits jetzt kann sich der 5,5 Meter hohe und 186 Kilometer lange Stahlzaun, der mit Kameras, Drohen und Patrouillen gesichert ist, mit nichts Vergleichbarem in Europa messen – zumindest seit dem Abbau des „Eisernen Vorhangs“ zwischen West und Ost. Obendrein zerstören die militärischen Sperranlagen das Naturschutzgebiet der Białowieża Wälder. Der letzte Urwald Europas ist UNESCO-Weltnaturerbe.
5000 Grenzschützer unterstützt von 10.000 Soldaten, die unter der PiS-Regierung an die Grenze verlegt wurden, sorgten laut Angaben von NGOs wie Grupa Granica und Pro Asyl allein zwischen Mai und August 2023 für 3346 Pushbacks. Seit Beginn des Jahres 2024 gibt der Grenzschutz offiziell 2300 versuchte Grenzübertritte und 1771 Pushbacks an.
Mindestens 60 Tote wurden seit 2021 bestätigt, weitere 300 Menschen gelten als „verschwunden“. Die Dunkelziffer dürfte dramatisch höher sein. Viele verletzten sich schwer beim Versuch, den Zaun zu überwinden. Die Sperrzone entlang der Grenze ist außerdem für Menschenrechtsverstöße in Haftanstalten und für Angriffe auf Journalisten und freiwillige Helfer berüchtigt.
Im November schossen polnische Grenzbeamte einem 22-jährigen Mann aus Syrien, der den Zaun überwunden hatte, in den Rücken. Er überlebte nach einer Operation im Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, es handle sich um einen „unglücklichen Unfall“, der Soldat sei „gestolpert“. Solche Aussagen machen auch deutlich, dass das Versprechen der Tusk-Regierung, die Rechtsverstöße an der Grenze unter der Vorgängerregierung juristisch aufzuarbeiten, absolut wertlos sind.
Vor wenigen Wochen wurde eine Frau mit einem Neugeborenen von den polnischen Grenzschützern aufgegriffen. Wie Grupa Granica berichtet, war die hochschwangere Frau zuvor schon zweimal von den Beamten zurückgewiesen worden. Sie hatte ihr Kind dann unter lebensgefährlichen Bedingungen im Niemandsland zur Welt gebracht.
Anfang April erklärte Tusk auf einer Pressekonferenz, dass er als polnischer Regierungschef verpflichtet sei, für die wirksame Verteidigung der polnischen Grenze zu sorgen. Er sei der Meinung, dass „selbst strenge Methoden zum Schutz vor illegaler Migration mehr oder weniger human sein können“.
Der „humane“ Plan der Regierung sieht vor, die Grenze so hermetisch abzuriegeln, dass kein einziger Flüchtling mehr den Grenzzaun überwinden kann. Wenn niemand hineinkommt, muss es auch keine illegalen Pushbacks geben, so die abstoßende und zynische Logik der Tusk-Regierung.
Tusk sagte, er wisse, „dass einige Leute davon enttäuscht sind“, er habe aber seine Haltung nie versteckt. Tatsächlich hat Tusk die Maßnahmen der PiS-Regierung von Anfang an unterstützt und im Wahlkampf rassistisch gegen Migranten gehetzt.
Tusk hat auch den neuen EU-Migrationspakt (GEAS), der die Inhaftierung von Flüchtlingen in KZ-ähnlichen Abschiebelagern vorsieht und das Asylrecht faktisch abschafft, angegriffen, weil er einen Schlüssel zur Verteilung von Flüchtlingen enthält. „Wir werden Polen gegen den Umverteilungsmechanismus schützen,“ erklärte er.
Tusk wird von einem Parteienbündnis unterstützt, das von der extrem rechten Polnischen Volkspartei (PSL) über die Grünen bis zur sozialdemokratischen SLD und zur pseudolinken Razem reicht. Letztere agiert besonders verlogen. Sie verkündete nach den Koalitionsverhandlungen, dass sie der neuen Regierung nicht beitreten, sie aber unterstützen werde. Offensichtlich war ihr klar, dass es einem politischen Selbstmord gleichkäme, wenn sie die extrem rechte Agenda von Tusk offen mittragen würde.
Ukrainische Flüchtlinge
Auch ukrainische Flüchtlinge, die noch einen Sonderstatus genießen, werden mehr und mehr zum Ziel der Angriffe. Polnische Regierungsvertreter brüsten sich bis heute gern damit, dass über drei Millionen Ukrainer vor dem Krieg in das benachbarte Polen flohen. Tatsächlich war es vor allem die Zivilbevölkerung, die den Flüchtenden in Eigeninitiative half und sich um sie kümmerte. Die Regierung dagegen kürzte schon nach wenige Monaten die Sozialleistungen, um die teils traumatisierten Flüchtlinge zur Arbeit zu zwingen. Viele sind daher weitergezogen oder Pendeln regelmäßig hin und her.
Verteidigungsminister Kosiniak-Kamysz (PSL) diffamierte vor eine Woche Ukrainer als Drückeberger, die geflohen sind, weil sie nicht in den Krieg ziehen wollen. „Ich denke, dass viele unserer Landsleute empört waren und sind, wenn sie junge ukrainische Männer in Hotels und Cafés sehen und wenn sie hören, wie viel Mühe es kostet, der Ukraine zu helfen,“ erklärte er bei Polast News.
Kosiniak-Kamysz versprach der ukrainischen Regierung, sie bei der Rückführung wehrfähiger Männer zu unterstützen. Die rechtsextreme Selenskyj-Regierung versucht, mit dem neuen Mobilisierungsgesetz und der Aussetzung konsularischer Dienste mehr Männer zu rekrutieren, um sie als Kanonenfutter an die Front zu schicken.
„Wir als Polen haben der ukrainischen Seite seit langem vorgeschlagen, dass wir helfen können, diejenigen zu identifizieren, die militärisch verpflichtet sind und in die Ukraine gehen sollten. Dies ist eine staatsbürgerliche Pflicht,“ erklärte der polnische Verteidigungsminister. Die Pressestelle des Ministeriums ergänzte, die „Unterstützung bei der Rückkehr/Rückführung ukrainischer Staatsbürger im wehrfähigen Alter“ erfordere „bilaterale Vereinbarungen“. Polen sei „zu solchen Gesprächen bereit“.
Den ersten Schritt hat die Regierung bereits unternommen. Sie hat zwar den subsidiären Schutz für alle, die nach Kriegsbeginn nach Polen kamen, bis zum 31. Juni 2024 verlängert, nicht jedoch für Ukrainer, die bereits vorher in Polen waren. Auch die Frist macht hellhörig. Der Europäische Rat hat nämlich beschlossen, den Schutz bis zum 4. März 2025 zu erweitern. Angeblich will die polnische Regierung die Frist nach dem Juni um ein weiteres Jahr verlängern.
Da allein diese kurze Verlängerung die Staatskasse fast 2 Milliarden Zloty (450 Mio. Euro) kosten wird, arbeitete die Regierung daran, die Zuschüsse für Unterkunft und Verpflegung (40 Zloty / 9,3 Euro pro Tag) abzuschaffen. Sie waren bereits im Juni 2022 eingeschränkt worden und galten nur noch für Senioren, Behinderte und Frauen mit Kindern. Nun sollen auch sie nichts mehr bekommen.
Von den etwas mehr als eine Million Ukrainern, die ab 2022 nach Polen kamen, sind rund 90 Prozent Frauen, Kinder und ältere Menschen. Doch mindestens eine weitere Million Ukrainer lebten und arbeiteten bereits vorher regulär in Polen. Unter ihnen wächst nun die Befürchtung, auch an die Front geschickt zu werden.
Die Angriffe der Tusk-Regierung auf Flüchtlinge gehen Hand in Hand mit eigenen Kriegsvorbereitungen. Alle Parteien unterstützen ein wahnwitziges Aufrüstungsprogramm, und Außenminister Radosław Sikorski hat mehrfach die Bereitschaft erklärt, eigene Truppen in die Ukraine zu entsenden. Zugleich kultiviert die Regierungen mit ihrer Hetze gegen Migranten den braunen Bodensatz der Gesellschaft, den sie braucht, um die Opposition von links im eigenen Land zu unterdrücken. Der Kampf für demokratische Rechte ist daher untrennbar mit dem Kampf gegen Krieg verbunden.