Hetzkampagne gegen Flüchtlinge aus Belarus

Deutsche und europäische Politiker reagieren auf den Zustrom einiger tausend Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien, Jemen und anderen Kriegsgebieten, die über Belarus in den Schengen-Raum kommen, mit einer hysterischen Hetzkampagne.

Die völkerrechtswidrige Misshandlung der Flüchtlinge geht einher mit Pressezensur, dem Bau meterhoher Grenzmauern, heftigen Drohungen gegen Belarus und Russland und dem Aufbau eines Polizeistaats innerhalb Europas. Das Ausmaß und die Intensität der Kampagne erinnern an den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der die Hetze gegen Flüchtlinge und den Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze nutzte, um faschistische Kräfte gegen die Arbeiterklasse zu mobilisieren.

Seit Belarus im Sommer die Visafreiheit für mehrere Staaten des Mittleren Ostens und Afrikas aufhob, sind von dort vermehrt Flüchtlinge nach Minsk geflogen, um dann auf dem Landweg in die baltischen Staaten oder nach Polen und von dort nach Deutschland zu reisen.

Ihre Zahl hält ist überschaubar. So sind nach Angaben der Bundespolizei seit Jahresbeginn knapp 7000 Flüchtlinge über diesen Weg nach Deutschland gekommen. Das ist nur ein kleiner Bruchteil der 890.000 Schutzsuchenden, die auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung im Jahr 2015 registriert wurden. Die Zahl stieg zwar im Oktober deutlich an, hat sich aber inzwischen auf etwa 120 am Tag stabilisiert.

Trotzdem hört sich die Propaganda aus Warschau, Berlin und Brüssel an, als handle es sich nicht um traumatisierte Schutzbedürftige, die dringend Hilfe benötigen, sondern um eine Horde Barbaren, die Europa überfallen.

Die polnische Regierung reagiert mit erbarmungsloser Brutalität. Sie hat 6000 Soldaten an der Grenze stationiert, die Flüchtlinge jagen, misshandeln und nach Belarus zurückschicken, ohne dass sie einen Asylantrag stellen können, obwohl solche Pushbacks nach internationalem Recht streng verboten sind.

Die zurückgewiesenen Flüchtlinge, darunter Familien und schwangere Frauen, vegetieren in dem morastigen Waldgebiet bei Feuchtigkeit und eisiger Kälte ohne Nahrung, Unterkunft, sauberes Wasser und medizinische Hilfe dahin. Mindestens sieben Todesopfer sind mittlerweile dokumentiert.

Um die Flucht weiter zu erschweren, baut Polen entlang der über 400 Kilometer langen Grenze eine 2,5 Meter hohe Stacheldrahtanlage, deren Kosten auf 350 Millionen Euro veranschlagt wurden.

Auch Litauen hat an der Grenze zu Belarus mit dem Bau eines 508 Kilometer langen Zauns begonnen, der im Endstadium vier Meter hoch und spiralförmig mit Stacheldraht bewehrt sein soll. Die Kosten werden auf 152 Millionen Euro geschätzt. Lettland will bis 2024 einen Zaun errichten.

Um ihre Verbrechen vor der Öffentlichkeit zu verbergen, hat die polnische Regierung entlang der Grenze den Ausnahmezustand verhängt. Journalisten und Flüchtlingshelfern ist es strikt verboten, sich der Grenze zu nähern und über die menschliche Katastrophe zu berichten.

Trotz der Zensur und der Hetze der Regierung gibt es in der polnischen Bevölkerung viel Unterstützung und Solidarität mit den Flüchtlingen. Am vergangenen Samstag demonstrierten im grenznahen Michalowo vor allem Mütter mit Sprechchören wie „Schande“ und „Niemand ist illegal“ gegen ihre Misshandlung. „Wir können nicht tatenlos zusehen, wenn Kinder wochenlang in kalten, nassen, dunklen Wäldern auf polnischem Territorium ausharren“, erklärten die Organisatoren auf Facebook.

Unterstützung erhielt die polnische Regierung für ihre verbrecherische Politik dagegen aus Deutschland. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) unterstützt den Bau einer Mauer an der Grenze zu Belarus. „Es ist legitim, dass wir die Außengrenze so schützen, dass unerkannte Grenzübertritte an der grünen Grenze verhindert werden“, sagte er der Bild am Sonntag.

Auch die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze, die normalerweise offen ist, will Seehofer verschärfen. Er habe bereits acht Hundertschaften der Polizei entsendet, um „den Grenzraum und die grüne Grenze zu Polen engmaschig zu kontrollieren“, sagte er der BamS.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verteidigt ebenfalls den Mauerbau: „Wir brauchen Zäune, und wir brauchen vermutlich auch Mauern“, sagte er nach einem Gespräch mit EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. Es gehe jetzt darum, „dass die Europäische Union ihre Wehrhaftigkeit beweist“. Nachdem die CDU die Mauer, die das DDR-Rgime bauen ließ, jahrzehntelang für ihre propagandistischen Zwecke ausgeschlachtet hat, löste dies selbst in den eigenen Reihen Irritationen aus.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) nutzte das Schicksal der Flüchtlinge für heftige Angriffe auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, dem er öffentlich vorwarf, er sei der „Chef eines staatlichen Schleuser-Rings“ und nutze „Flüchtlinge als Instrument“, um „Druck auf europäische Staaten auszuüben“. Maas setzte sich dafür ein, dass die EU Sanktionen gegen Fluggesellschaften verhängt, die Flüchtlinge nach Belarus transportieren.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) ging noch weiter. Er beschuldigte die russische Regierung, hinter der Flüchtlingsbewegung zu stehen. „Ich gehe davon aus, dass die ganze Sache nicht alleine in Minsk, sondern gemeinsam mit dem Kreml ausgetüftelt wurde,“ sagte er der FAZ. „Es ist eine Strategie, die man als neuen Teil einer hybriden Kriegsführung bezeichnen kann, die Moskau betreibt mit dem Ziel, die Europäische Union zu destabilisieren.“

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck, voraussichtlich Vizekanzler der nächsten Bundesregierung, sprach ebenfalls von „hybrider Kriegsführung“. Er beschuldigte Lukaschenko, er setze Menschen dafür ein. Dieser „Erpressung“ dürfe die EU nicht nachgeben, sagt Habeck der FAZ.

Ähnlich äußerten sich viele Medienkommentare. Die Neue Zürcher Zeitung, die ihre Präsenz in Deutschland massiv verstärkt hat, schwärmte in AfD-Manier von der „Festung Europa“. Solange es anders nicht gelinge, die Zuwanderung zu steuern, sei „eine Festung immer noch besser als die Alternative: islamistische Subkulturen, wachsende Gewaltkriminalität perspektivloser Ausländer…“

Die FAZ rief zur Unterstützung der „betroffenen Staaten an der europäischen Ostflanke“ bei der Sicherung ihrer Grenze auf: „Ein Grenzzaun kann nicht nur trennen, sondern auch schützen.“

Das Wochenmagazin Cicero veröffentlichte einen Beitrag des ehemaligen Bundeswehrgenerals und langjährigen Merkel-Beraters Erich Vad, der die Unterstützung des brutalen polnischen Grenzregimes mit der Forderung nach einer massiven äußeren und inneren Aufrüstung verbindet.

In einer kaum verhüllten Kriegsdrohung gegen Belarus vergleicht Vad das Land mit Libyen. „Wir haben erfahren, dass es nicht ausreicht, Diktatoren aus menschenrechtlichen Gründen zu verjagen – wie im Falle Libyens –, aber gleichzeitig davor zurückzuscheuen, auch mit militärischen Mitteln den Aufbau einer neuen Ordnung und die Eindämmung einer Massenmigration von dort zu gewährleisten.“

„Jetzt ist es Belarus, morgen sind es wieder der Balkan und die nordafrikanischen Länder,“ fährt Vad fort. „Wir müssen neu lernen und verstehen, dass die nordafrikanische Küstenlinie und auch der Nahe und Mittlere Osten wichtige Regionen unserer eigenen Sicherheit sind und dürfen ihre außen- und sicherheitspolitische Entwicklung nicht einfach laufen lassen.“ Nach dem „massiven Abbau der US-Präsenz in Europa“ dürften „die Europäer kein strategisches Vakuum entstehen lassen“.

Zum „Schutz des Schengen-Raums“ will Vad eine Europäische Grenzschutztruppe aufbauen, „die zu Lande, zu Wasser und in der Luft zum Einsatz kommt“. Als Vorbild nennt er die französische Gendarmerie und die italienischen Carabinieri – beide sind paramilitärische Polizeieinheiten, die für ihr brutales Vorgehen gegen Arbeiter und Oppositionelle berüchtigt sind.

Vads Beitrag macht deutlich, was der wirkliche Zweck der Hetzkampagne gegen die Flüchtlinge ist: Sie dient dazu, reaktionäre Stimmungen zu schüren und rechte Kräfte zu mobilisieren, um die wachsende Opposition gegen soziale Ungleichheit, Massenentlassungen, Durchseuchungspolitik zu unterdrücken und künftige Kriege vorzubereiten. Die grausamen und illegalen Methoden, mit denen die Festung Europa – auch im Mittelmeer – gegen Flüchtlinge abgeschottet wird, zeigt, zu welcher Brutalität die herrschende Klasse dabei fähig ist. Die Parteien der derzeitigen Regierung und der zukünftigen Ampel-Koalition stimmen in diesen Fragen überein.

Die Verteidigung der Flüchtlinge ist nicht nur ein elementares humanitäres Gebot, sie ist auch notwendig, um die demokratischen Rechte der gesamten arbeitenden Bevölkerung zu verteidigen und die Rückkehr von Militarismus und Faschismus zu bekämpfen.

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