IG Metall vereinbart dritte Reallohnsenkung in Folge

Die IG Metall und der Arbeitgeberverband Südmetall haben in der Nacht zum Freitag zum dritten Mal in Folge eine Reallohnsenkung für die Metall- und Elektroindustrie vereinbart. Wenn der neue Tarifvertrag am 30. September 2024 ausläuft, werden sich die knapp vier Millionen Beschäftigten der Branche für ihren Lohn ein Viertel weniger kaufen können als im April 2018, als die IG Metall zum letzten Mal eine tabellenwirksame Tariferhöhung aushandelte.

Warnstreik bei Mercedes-Benz in Sindelfingen am 17. November 2022 [Photo by www.graffiti-foto.de]

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann lobte den Abschluss in Baden-Württemberg und empfahl seine Übernahme in allen anderen Tarifgebieten. Die Betroffenen werden nicht gefragt, obwohl 900.000 von ihnen in den vergangenen zweieinhalb Wochen mit Warnstreiks ihre Kampfbereitschaft zum Ausdruck gebracht haben. Nach den Regeln der IG Metall muss der Vorstand die Mitglieder nur dann über das Tarifergebnis abstimmen lassen, wenn sie sich vorher in einer Urabstimmung für Streik entschieden haben – was die IG Metall gezielt vermied.

Der Tarifabschluss hat eine Laufzeit von 24 Monaten. In dieser Zeit steigen die Entgelte um insgesamt 8,5 Prozent. Außerdem wird eine steuerfreie Inflationsprämie von 3000 Euro in zwei Tranchen ausbezahlt. Beides erfolgt aber derart spät, dass die Inflation die Erhöhungen längst aufgefressen hat, wenn sie in Kraft treten.

So wird die erste Tariferhöhung um 5,2 Prozent erst am 1. Juni 2023 wirksam, obwohl der alte Tarifvertrag bereits Ende September 2022 auslief. Die IG Metall hat also einer Nullrunde von acht Monaten zugestimmt. Die zweite Tariferhöhung von 3,3 Prozent tritt im Mai 2024, fünf Monate vor Ablauf des Vertrags, in Kraft.

Auch die Inflationsprämien von jeweils 1500 Euro werden erst im Februar des kommenden und übernächsten Jahres ausbezahlt. Aus „wirtschaftlichen Gründen“ kann die Auszahlung zudem um bis zu sechs Monate nach hinten verschoben werden.

Der Tarifabschluss räumt Unternehmen, deren Nettoumsatzrendite unter 2,3 Prozent liegt, noch weitere Möglichkeiten ein, die Löhne an anderer Stelle zu kürzen. So können sie das tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG) verschieben, kürzen oder streichen. Das Zusatzgeld wurde 2018 anstelle einer tabellenwirksamen Lohnerhöhung vereinbart. Es beträgt etwa ein Drittel eines Monatsgehalts und kann wahlweise in Freizeit umgewandelt werden.

Es ist offensichtlich, dass der Tarifabschluss die Preissteigerungen nicht ansatzweise ausgleicht. Die offizielle Inflationsrate lag im Oktober bei 10,4 Prozent, wobei Heiz- und Energiekosten sowie die Preise für Lebensmittel und Benzin, die Arbeiterhaushalte besonders stark belasten, überdurchschnittlich stiegen. Laut Statistischem Bundesamt lagen die Preise für Nahrungsmittel im September 20 Prozent und die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise 40 Prozent höher als vor einem Jahr.

Allein um den Kaufkraftverlust der letzten viereinhalb Jahre auszugleichen, in denen die Tabellenlöhne nicht mehr angehoben wurden, wäre eine Tariferhöhung von 15 Prozent nötig gewesen. Entwickelt sich die Inflation in den nächsten zwei Jahren in ähnlichem Tempo wie jetzt, kommen weitere 20 Prozent hinzu – zusammen also rund 35 Prozent. Zieht man die vereinbarten 8,5 Prozent ab, bleibt eine Lücke von mehr als 25 Prozent.

Die IG Metall hat diese Reallohnsenkung vereinbart, obwohl die großen Konzerne der Branche im Geld schwimmen. „Die großen deutschen Unternehmen haben dieses Jahr trotz Inflation, Krieg, Energiekrise und allgemeinen Lieferschwierigkeiten bisher glänzende Geschäfte gemacht,“ berichtet die Frankfurter Allgemeine.

Laut Berechnung der Wirtschaftsprüfer von EY steigerten die 40 im Aktienindex Dax notierten Konzerne ihren Umsatz im dritten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahresquartal um 23 Prozent, ihren Gewinn sogar um 28 Prozent. Unternehmen der Metallbranche taten sich dabei besonders hervor. Mercedes-Benz meldete einen Quartalsgewinn von 5,2 Milliarden, Siemens von 3,9 Milliarden Euro. Im ganzen Geschäftsjahr, das Ende September ablief, verdiente Siemens im industriellen Kerngeschäft erstmals mehr als 10 Milliarden Euro.

Die Steigerung der Profite geht Hand in Hand mit der globalen Neuaufstellung ganzer Branchen, insbesondere der Autoindustrie, die auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen wird. Bei den Zulieferern der Autoindustrie findet derzeit ein regelrechtes Arbeitsplatzmassaker statt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem keine neuen Entlassungen oder Betriebsstillegungen bekannt werden. Oft berichten nur lokale Medien darüber.

Doch auch die großen Hersteller sind davon nicht ausgenommen. Hildegard Wortmann, Vorstandsmitglied von Audi, hatte bereits vor zwei Jahren erklärt, die Chance, dass es Audi in zehn Jahren noch gebe, liege bei 50 Prozent. Jetzt hat sie diese Warnung in einem Podcast der Wirtschaftswoche wiederholt.

Bei VW will der neue Vorstandschef Oliver Blume den Bau der neuen Mega-Factory in Wolfsburg kippen und den Start des E-Modells Trinity um Jahre hinausschieben. „Hier bleibt kein Stein auf dem anderen,“ zitiert das Manager Magazin einen Mitarbeiter des VW-Chefs.

Die IG Metall ist beim Angriff auf die Löhne und auf die Arbeitsplätze die wichtigste Stütze der Unternehmen. Sie vertritt nicht die Interessen der Arbeiter, sondern die der Konzerne und ihrer Aktionäre. Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt deshalb für den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees ein, die diese Aufgabe in die Hand nehmen und sich betriebsübergreifend und international vernetzen.

Unter Arbeitern ist die Opposition gegen den Ausverkauf der IG-Metall groß. Als Reporter der WSWS am Freitag mit Metallarbeitern in Stuttgart und Berlin sprachen, stimmte kein einziger dem Ergebnis zu. Vielmehr reagierten alle mit Wut.

Wir rufen die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie auf: Akzeptiert den Tarifabschluss nicht! Verlangt eine Urabstimmung, in der die Arbeiter selbst darüber entscheiden! Entzieht den Gewerkschaftsbürokraten das Verhandlungsmandat und bereitet wirkliche Kampfmaßnahmen vor!

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat die Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ins Leben gerufen, um den Aktionskomitees eine Orientierung zu geben und sie international zu koordinieren.

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