Am Donnerstag fand das zweite Treffen der Konzertierten Aktion statt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lud erneut die sogenannten „Sozialpartner“ aus Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden ins Kanzleramt. Das erste, etwas umfassendere Treffen hatte Anfang Juli stattgefunden.
Damals hatte Kanzler Scholz von einem „gesellschaftlichen Tisch der Verantwortung“ gesprochen, der die Aufgabe habe, „reale Einkommensverluste zu verhindern, beziehungsweise abzumildern“. Seitdem ist das volle Ausmaß der Inflationswelle sichtbar geworden, die auf Arbeiterhaushalte zurollt. Explodierende Energie- und Lebensmittelpreise bringen selbst Gutverdienende in Not.
Doch die Ampel-Koalition ist entschlossen, die Konfrontation mit Russland fortzusetzen und die Last des Kriegs sowie die horrenden Kosten der militärischen Aufrüstung auf die Bevölkerung abzuwälzen. Das zeigt ihr sogenanntes „Entlastungspaket“. Während die großen Konzerne trotz Milliardengewinnen immer neue Finanzhilfen erhalten, sind Arbeiter, Rentner und Studierende mit drastischen Einkommensverlusten konfrontiert.
Anfang der Woche haben die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie begonnen, zu der auch die Rüstungsindustrie zählt. Die IG Metall fordert 8 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, was angesichts der erwarteten zweistelligen Inflationsrate eine Senkung der Realeinkommen bedeutet.
Das Verhandlungsergebnis gilt für 3,8 Millionen Beschäftigte und gilt als Richtschnur für andere Bereiche. Mitte Oktober folgen die Tarifverhandlungen für die 580.000 Beschäftigten der chemisch-pharmazeutischen Industrie und Ende des Jahres laufen die Tarifverträge für 2,7 Millionen Beschäftigte des Bundes und der Kommunen, für den Einzelhandel, das KfZ-Gewerbe und das Bauhauptgewerbe aus.
Diese Tarifauseinandersetzungen müssen zum Ausgangspunkt für eine Offensive gegen den Krieg und seine sozialen Folgen gemacht werden. Um die Inflation und frühere Reallohnsenkungen auszugleichen, müssen hohe zweistellige Lohnzuwächse erkämpft werden. Doch genau das soll die Konzertierte Aktion verhindern.
Die zweite Runde diente dazu, sicherzustellen, dass die Gewerkschaften in den anstehenden Tarifverhandlungen unter keinen Umständen einen Inflationsausgleich und eine Erhöhung der Realeinkommen zulassen. Die enge Zusammenarbeit von Regierung, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, die demagogisch als „Sozialpartnerschaft“ und „gegenseitige Unterstützung im Interesse Aller“ verkleistert wird, ist in Wahrheit eine Verschwörung gegen die Arbeiterklasse.
Die Gewerkschaften spielen die Schlüsselrolle dabei, zu verhindern, dass es zu Widerstand kommt. Regierung und Unternehmer setzen darauf, dass sie ihren aufgeblähten Funktionärsapparat einsetzen, um den umfangreichsten Lohn- und Sozialabbau seit den 1930er Jahren zu erzwingen. Alleine die IG Metall verfügt in den Betrieben über 50.000 Betriebsräte und 80.000 Vertrauensleute. Etwa 1.700 IG-Metall-Vertreter sitzen in Aufsichtsräten von Unternehmen, wo sie fürstlich entlohnt werden und eng mit dem Management zusammenarbeiten.
Nach der Sitzung der Konzertierten Aktion traten Kanzler Scholz, Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi vor die Presse und gaben kurze, nahezu wortgleiche Statements ab.
Der Kanzler begann damit, dass ihm die Sorgen vieler Menschen „wegen der stark steigenden Preise“ sehr wohl bekannt seien. Er wisse, dass viele „die Inflation beim Einkaufen im Supermarkt, an der Tankstelle, bei der Heizkostenabrechnung“ spüren. Er pries die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung und wiederholte sein lächerliches „You’ll never walk alone“.
Dann kam Scholz zur Sache. Er warnte vor überhöhten Lohnforderungen und betonte, dass auch viele Betriebe durch die hohen Energiepreise in Existenznot kämen. Er habe „den Tarifpartnern das Angebot unterbreitet, zusätzliche Zahlungen bis zu 3000 Euro von Steuern und Abgaben zu befreien“.
Mit diesem Angebot versucht Scholz den Weg für eine weitere Nullrunde zu ebnen, nachdem die IG Metall für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie seit 2018 nur eine einzige tarifliche Zusatzzahlung vereinbart hat. Derartige Pauschalzahlungen mindern zwar kurzfristig den unmittelbaren finanziellen Druck, führen aber zu einer massiven Reallohnsenkung, weil sie langfristig das Lohnniveau nicht erhöhen.
DGB-Chefin Fahimi dankte dem Kanzler und der Bundesregierung für ihre „bisherigen großen Anstrengungen“, die alle „auch sehr in der Breite dokumentiert“ seien. Sie warnte aber, dass jetzt ein „hohes Tempo bei der Ergebnisumsetzung und dem Finden der Lösungen“ notwendig sei. „Die Dynamik der Probleme und Herausforderungen überholt uns quasi von Woche zu Woche“, sagte sie.
„Wir, die Gewerkschaften, sind der Auffassung, dass wir in diesem Jahr weitere kurzfristige Maßnahmen mit Blick auf die Kaufkraftstabilisierung brauchen“, betonte sie und unterstützte ausdrücklich „das Angebot der Bundesregierung, zusätzliche Zahlungen von bis zu 3000 Euro steuerfrei zu ermöglichen“.
Dann forderte sie „Hilfen und Schutzschirme für die Wirtschaft“, um eine Pleitenwelle mit katastrophalen Folgen zu vermeiden.
Fahimi verkörpert jenen abgehobenen Gewerkschaftsapparat, der sich völlig ins Regierungs- und Unternehmerlager integriert hat und sich als Ordnungskraft gegenüber den Arbeitern versteht. Bevor sie an die Spitze des DGB gewählt wurde, war sie Generalsekretärin der SPD und Staatssekretärin im Arbeitsministerium. Ihr Lebenspartner ist Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der Chemiegewerkschaft IG BCE.
Arbeitgeberpräsident Dulger dankte für „ein gutes Gespräch mit dem Bundeskanzler“. Die Gespräche seien „von der Einigkeit getragen, dass wir in der jetzigen Situation nur gemeinsam handeln können“.
Die „Bereitschaft der Bundesregierung, Einmalzahlungen der Arbeitgeber an ihre Beschäftigten frei von Steuern und Abgaben zu stellen“, sei ausdrücklich zu begrüßen. Es müsse aber auch betont werden, dass „nicht alle Unternehmen diese Einmalzahlungen leisten können“. Er fügte hinzu: „Die Bundesregierung hat bereits vieles auf den Weg gebracht. Wir freuen uns über die Zusage des Bundeskanzlers, dass es hier kurzfristig noch mehr und noch konkretere Lösungen geben wird.“
Worauf seine Zusammenarbeit mit Regierung und Gewerkschaften abzielt, hatte der Arbeitgeberpräsident schon Anfang Juli deutlich gemacht. Er hatte offen mit der Unterdrückung von Arbeitskämpfen gedroht. Die Warnstreiks von Hafenarbeitern hätten ihm „sehr missfallen“, erklärte er vor Journalisten in Berlin, und forderte einen „nationalen Notstand“, der auch Streikrecht breche – also eine Art Kriegsrecht gegen Streikende.
„Die fetten Jahre sind jetzt erst mal vorbei“, begründete er seinen Vorstoß. Deutschland sei viele Jahre durch eine „Wohlstands- und Wohlfühloase“ getaumelt, damit sei nun Schluss.
Die Konzertierte Aktion, die Scholz wieder belebt hat, geht auf ein Vorbild aus dem Jahr 1967 zurück. Damals hatte SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller auf die erste Rezession in der Bundesrepublik, in der 500.000 Arbeiter ihre Stelle verloren, mit der Einberufung einer Konzertierten Aktion reagiert, die sich auf niedrige Lohnabschlüsse verständigte. In den folgenden beiden Jahren sanken die durchschnittlichen Reallöhne um jeweils 1,6 und 1 Prozent.
Die Arbeiter ließen sich das nicht gefallen. Im September 1969 erkämpften bundesweite wilde Streiks, über die die Gewerkschaften die Kontrolle verloren, massive Lohnerhöhungen. Die Gewerkschaften sahen sich gezwungen, selbst höhere Forderungen aufzustellen, um die Kontrolle wieder zurückzugewinnen.
Heute sind sie dazu nicht mehr in der Lage. Sie sind vollständig zum Büttel der Konzerne degeneriert. Während sie weiterhin über einen mächtigen Apparat verfügen, um die Arbeiter einzuschüchtern, hat ihr Einfluss stark abgenommen. Die Mitgliederzahl aller DGB-Gewerkschaften ist von 11,8 Millionen im Jahr der Wiedervereinigung auf 5,73 Millionen geschrumpft. Laut einer jüngeren Untersuchung sind nur noch 26 Prozent der Betriebe und 51 Prozent der Beschäftigten in Deutschland an einen Flächen- oder Haustarifvertrag gebunden.
Löhne, soziale Errungenschaften und Arbeitsplätze können nur in einer Rebellion gegen die Gewerkschaften und ihre Politik der „Sozialpartnerschaft“ verteidigt werden. Arbeiter müssen die Tarifverhandlungen nutzen, um dem Gewerkschaftsapparat die Kontrolle zu entreißen. Dazu müssen Aktionskomitees aufgebaut werden, die von den Arbeitern demokratisch kontrolliert werden.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat die Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ins Leben gerufen, um diesen Aktionskomitees eine Orientierung zu geben und sie international zu koordinieren.