Am Mittwoch, den 2. Juni, protestieren mehrere hundert Lufthansa-Beschäftigte der Flugzeugwartung (Line Maintenance) gegen geplante Schließungen und Teilschließungen. Die Lufthansa Technik GmbH, eine 100-prozentige Lufthansa-Tochter, will die Standorte Bremen, Düsseldorf, Hannover und Leipzig schließen, während in Hamburg und Frankfurt der Abbau in Raten erfolgt. 780 von 1350 Arbeitsplätzen sind unmittelbar bedroht. In Frankfurt nahmen etwa 180 und in Hamburg 230 Beschäftigte an den Kundgebungen gegen die Kahlschlagpläne der Kranich-Airline teil.
Die Entlassungen an den Lufthansa-Technik-Standorten sind Teil der riesigen Umbaupläne, die der Lufthansakonzern jetzt unter dem Vorwand der Corona-Pandemie umsetzt. Sie lagen schon lange in der Schublade von Vorstandschef Carsten Spohr. Dies bestätigte ein Lufthansa-Sprecher mit der Bemerkung: „Die Luftfahrtkrise macht es natürlich notwendig, Veränderungen anzugehen, deren Notwendigkeit sich auch schon vor der Krise abzeichnete.“ Obwohl Lufthansa im letzten Jahr neun Milliarden Euro aus dem Corona-Notpaket der Bundesregierung kassierte, vernichtet der Weltkonzern bis zu 60.000 Arbeitsplätze.
Seit vielen Monaten betont die World Socialist Web Site, dass die Pandemie nicht einfach das Resultat einer Naturkatastrophe ist. Die explosive Ausbreitung des Virus ist das direkte Ergebnis der kapitalistischen „Profite vor Leben“-Politik, die darauf abzielt, Arbeiter auch unter unsicheren Bedingungen in die Betriebe zu schicken und ihre Kinder in den Schulen und Kitas zu halten. Gleichzeitig wurden im Rahmen der sogenannten Corona-Rettungspakete hunderte Milliarden in die großen Konzerne und Banken gepumpt.
Die Rechnung dafür wird nun der Arbeiterklasse in Form von Entlassungen, Betriebsschließungen und Angriffen auf jahrzehntelange Errungenschaften präsentiert. Dafür ist die Lufthansa ein Musterbeispiel. Im Mai 2020 wies sie in ihrem Geschäftsbericht eine Mitarbeiter-Gesamtzahl von über 138.000 aus – heute sind es offiziell noch 110.000, also über 28.000 weniger. Und weitere zehntausende Stellen sollen noch zerstört, ganze Geschäftsbereiche ausgelagert und Tariflöhne geschreddert werden. Auf ihrer Jahreshauptversammlung am 4.Mai bestätigte der Vorstand die Absicht, weitere 10.000 Vollzeitstellen zu streichen und auch betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Die Börse honorierte die Pläne mit einem Wiederanstieg der Lufthansa-Aktie.
Während ein Job bei der Lufthansa früher für einen sicheren, gut bezahlten Arbeitsplatz stand, betreibt der Konzern mittlerweile dreistes Lohndumping. Das zeigt ein Bericht von Report Mainz über die Schließung der Lufthansa-Töchter Germanwings und SunExpress Deutschland. Entlassene Piloten und Flugbegleiterinnen versuchen, beim neu aufgestellten Konzern Eurowings Discover wieder angestellt zu werden, werden aber brüsk abgewiesen oder mit empfindlichen Lohnverlusten über Teilzeitverträge wieder eingestellt. Die Neueinstellungen sind fast ausschließlich befristet.
In dieser Situation ist es notwendig, dass Arbeiter selbst aktiv werden. Die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei schlagen den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees vor, die über betriebliche und nationale Grenzen hinweg zusammenarbeiten, um den Kampf gegen diese Angriffe zu führen und sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze für alle zu gewährleisten. Dazu hat das Internationale Komitees der Vierten Internationale (IKVI), dem die SGP angehört, die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) gegründet. Ihr Ziel es ist, eine selbstbewusste Bewegung der internationalen Arbeiterklasse zu entwickeln.
Das erfordert vor allem einen bewussten Bruch mit der nationalistischen und im Kern arbeiterfeindlichen Orientierung der Gewerkschaften. All die verschiedenen Krisen-Tarifverträge, die im letzten Jahr zur Umsetzung der Schließungen, Stellenstreichungen und von Lohnverzicht bei Lufthansa abgeschlossen wurden, tragen die Unterschriften der im Konzern vertretenen Gewerkschaften. Dazu gehören Verdi, VC (Vereinigung Cockpit) und UFO (Unabhängige Flugbegleiter Organisation). Sie alle haben im letzten Jahr einem Einkommensverzicht von 1,3 Milliarden Euro zugestimmt, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld der Bodenbeschäftigten und der Techniker gestrichen und einen Lohnstopp und Verzicht auf Zulagen bis Ende 2021 akzeptiert.
Diesen freiwilligen Einkommensverzicht in Milliardenhöhe hat die WSWS als „neue Dimension des gewerkschaftlichen Ausverkaufs“ bezeichnet. Die Gewerkschaftsführer sind keine Arbeitervertreter, sondern Co-Manager der Unternehmen. Die Verdi-Vizechefin Christine Behle ist gleichzeitig stellvertretende Vorsitzende des Lufthansa-Aufsichtsrats. Den Gewerkschaften ist das kapitalistische Geschäftsgebaren vollkommen in Fleisch und Blut übergegangen, und sie stellen die Konkurrenzfähigkeit des Lufthansakonzerns am Weltmarkt über die Interessen der Beschäftigten und ihrer Familien.
Bereits am 6. April 2020 veröffentlichten die Gewerkschaften eine Loyalitätserklärung an die „sehr geehrten Herren Vorstände“ der Deutschen Lufthansa, in der sie ausdrücklich ihre „Unterstützung bei allen nötigen Maßnahmen zur Stabilisierung unseres Konzerns in diesen schwierigen Zeiten“ zusicherten. Auch die IGL (Industriegewerkschaft Luftverkehr) und TGL (Technik Gewerkschaft Luftfahrt) haben dieses Dokument der unbedingten Ergebenheit unterzeichnet.
Kundgebungen wie gestern in Frankfurt und Hamburg sind Bestandteil der gewerkschaftlichen Strategie, den Konzern zu „stabilisieren“. Sie sollen einerseits darüber hinwegtäuschen, dass die Gewerkschaftsführer die Standortschließungen und Stellenstreichungen längst akzeptiert und unterzeichnet haben. Anderseits dienen sie dazu, den wachsenden Widerstand der Arbeiter zu kontrollieren.
Verdi, die zu den Kundgebungen aufgerufen hatte, gab sich überrascht von der Aussicht auf betriebsbedingte Kündigungen und beschuldigte Vorstandschef Carsten Spohr „falscher unternehmerischer Entscheidungen“. So äußerte sich auch Gewerkschaftssekretär Uwe Schramm in einer Pressemitteilung des Verdi-Landesbezirks Hessen. Gleichzeitig schürte er Illusionen in die Bundesregierung und behauptete, diese setze „sich in der laufenden Coronakrise auf allen Ebenen für den Erhalt des Lufthansakonzerns und seiner Arbeitsplätze ein“.
Arbeiter müssen das als Kampfansage verstehen. Tatsächlich hat die Große Koalition für die Interessen der Arbeiter nur Verachtung übrig. Ihre rücksichtslose „Profite vor Leben“-Politik hat zu fast 90.000 Corona-Toten allein in Deutschland geführt. Und auch die Angriffe bei der Lufthansa werden von der Regierung forciert. In der Vergangenheit hatte sie sogar einen noch schnelleren Arbeitsplatzabbau gefordert.
Die Gewerkschaften unterstützen diesen Kurs und tun alles in ihrer Macht Stehende, um die verschiedenen Belegschaften der unterschiedlichen Betriebe, Unternehmen und Subunternehmen gegeneinander auszuspielen und zu spalten. Am Flughafen beschwert sich Verdi bitterlich darüber, dass Lufthansa entschieden habe, dass Eurowings an ihrem Hauptstandort Düsseldorf die Line-Maintenance-Tätigkeit „an einen externen Konkurrenten der Lufthansa-Technik vergeben“ dürfe.
Welche Konsequenzen dies für die Beschäftigten der Zulieferer, Dienstleister und Subunternehmer hat, das zeigt exemplarisch der Fall der WISAG-Arbeiter. Das Dienstleistungsunternehmen WISAG des Frankfurter Oligarchen Claus Wisser hat sich als Meister darin erwiesen, die Corona-Krise als Vorwand für rücksichtslose und illegitime Entlassungen zu nutzen, die in Wirklichkeit längst vor der Krise geplant waren. Ende letzten Jahres hat WISAG 230 erfahrene Arbeitskräfte entlassen, die seit 20, 30 oder gar 40 Jahren am Flughafen arbeiteten, und mit lächerlichen Abfindungen von 3000 oder 4000 Euro auf die Straße geworfen.
Unter dem Motto „Heute wir – morgen ihr“ hat eine Gruppe dieser Arbeiter den Kampf gegen ihre Entlassung aufgenommen und zahlreiche Kundgebungen und sogar einen achttägigen Hungerstreik am Frankfurter Terminal 1 durchgeführt. Vor der Verdi-Hauptzentrale haben die WISAG-Arbeiter einen schwarzen Totenkranz niedergelegt, da Verdi keinen Finger für den Kampf um ihre Arbeitsplätze gerührt hatte.
Seither ist bekannt geworden, dass noch ein zweiter Betrieb der Wisser-Gruppe von Massenentlassungen betroffen ist. Bei der ASG (Aviation Service GmbH) werden 87 Beschäftigte entlassen. Auch hier sind es gerade diejenigen, die seit Jahrzehnten am Flughafen arbeiten, und auch ihnen wird, wie bei WISAG, ein absolut unsozialer, lächerlicher „Sozialplan“ angeboten.
Auch bei der ASG zeigt sich, dass die DGB-Gewerkschaften auf der Seite des Managements und der kapitalistischen Profitlogik, und nicht derjenigen der Arbeiter stehen. Für die ASG, die die Innenreinigung der Flugzeuge besorgt, ist die IG BAU zuständig. Von ihr stammt ein internes Schreiben, aus dem klar hervorgeht, dass die Gewerkschaft schon seit Juli 2020 über die Entlassungen informiert waren.