Lufthansa und der Bankrott der Gewerkschaften

Am Donnerstag haben die Aktionäre dem „Rettungspaket“ zugestimmt, das der Lufthansa-Konzern mit der Bundesregierung vereinbart hat. Damit ist die letzte Hürde für seine Annahme gefallen.

Die Bundesregierung greift der größten deutschen Luftfahrtgesellschaft, die wegen der Corona-Krise praktisch zum Stillstand gekommen ist, mit 9 Milliarden Euro unter die Arme. Diese Summe wird genutzt, um die Airline gründlich zu verschlanken und neu zu strukturieren.

Vorläufige Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 22.000 der 138.000 Stellen im Konzern wegfallen werden. Hinzu kommen drastische Einschnitte bei Löhnen und Arbeitsbedingungen. Der Sparkurs könnte aber noch weit dramatischer ausfallen, falls sich die Folgen der Corona-Krise über längere Zeit hinziehen.

Die Gewerkschaften haben dem Paket nicht nur zugestimmt, sie haben sogar zu Kundgebungen aufgerufen, um es zu unterstützen. Dabei überbieten sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die verschiedenen Spartengewerkschaften gegenseitig mit Sparvorschlägen zu Lasten der Belegschaft.

Die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) hat bereits am Tag vor der Aktionärsversammlung eine Vereinbarung mit Lufthansa getroffen, die dem Konzern bis Ende 2023 Einsparungen von einer halben Milliarde Euro bringt. Umgerechnet auf die 22.000 Kabinenmitarbeiter der Muttergesellschaft, für die die Vereinbarung gilt, bedeutet dies einen durchschnittlichen Einkommensverlust von 23.000 Euro im Verlauf von dreieinhalb Jahren!

Verwirklicht werden die Einsparungen durch das Aussetzen von Lohnerhöhungen, die Verkürzung der Arbeitszeit bei entsprechender Lohnsenkung, die Reduzierung der Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung sowie den Abbau von Arbeitsplätzen. Hinzu kommen „freiwillige“ Maßnahmen wie unbezahlter Urlaub, weitere Arbeitszeitabsenkungen sowie ein vorzeitiger Eintritt in die Rente. Die Betroffenen verlieren damit nicht nur einen großen Teil ihres gegenwärtigen Einkommens, sondern auch ihrer zukünftigen Altersversorgung.

Einzige Gegenleistung des Konzerns ist der Verzicht auf „betriebsbedingte Kündigungen“ während der nächsten vier Jahre. Diese abgedroschene Formel dient den Gewerkschaften seit Jahrzehnten dazu, ihren Mitgliedern einschneidende Angriffe zu verkaufen. Sie bedeutet nicht, dass die Arbeitsplätze erhalten werden, sondern nur, dass der Abbau über die natürliche Fluktuation erfolgt. Reicht diese nicht aus, stehen dem Konzern ausreichend Schikanen zur Verfügung, um Beschäftigte aus dem Betrieb zu ekeln.

Die Kabinengewerkschaft UFO hat in den vergangenen Jahren mehrere Streiks gegen Lufthansa geführt. Nun verzichtet sie mit einem Federstrich auf alles, was sie damals erreicht hat, und fällt weit dahinter zurück. Das Führungspersonal von UFO, das bisher nicht mit radikalen Worten gegen Konzern-Chef Carsten Spohr geizte, ist als Schoßhund auf dessen Knien gelandet und feiert das drastische Sparpaket als Triumph der „Sozialpartnerschaft“.

„UFO und Lufthansa beweisen nach Jahren heftiger Auseinandersetzungen nun verantwortungsvolle Einigungs- und Handlungsfähigkeit“, sagte der UFO-Vorsitzende Daniel Flohr. „Die im Januar vereinbarten Verfahren werden beendet, einige in der konfliktbeladenen Vergangenheit entstandene Themen werden wir ab jetzt gemeinsam und ohne Zwang gestalten.“ Er sehe „diesen Abschluss als Zeichen einer wiedergewonnen und konstruktiven Sozialpartnerschaft mit der UFO“.

UFO-Verhandlungsführer Nicoley Baublies jubelte: „Mit diesem Paket und den weiteren, gemeinsam gefundenen Lösungen, stellen wir unsere Sozialpartnerschaft endlich sichtbar auf ein neues Fundament.“

Verdi und die Pilotenvereinigung Cockpit (VC) verhandeln noch über Einsparungen mit der Lufthansa. Es steht aber außer Zweifel, dass sie zu ebenso massiven Eischnitten bereit sind wie UFO.

Cockpit hatte bereits Ende April jährliche Einsparungen in Höhe von 350 Millionen Euro bei den Piloten von Lufthansa, Germanwings, Lufthansa Cargo und Lufthansa Aviation Training angeboten. Die Rede war vom Verzicht auf 45 Prozent des Gehalts. Mittlerweile hat die Pilotengewerkschaft ein Krisenpaket über Kürzungen in Gesamthöhe von 850 Millionen Euro bis Juni 2022 ausgehandelt, darüber aber noch keine endgültige Einigung erzielt.

Verdi dient Lufthansa seit jeher als Hausgewerkschaft. Die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle ist auch stellvertretende Vorsitzende des Lufthansa-Aufsichtsrats und seit 27 Jahren Mitglied der Regierungspartei SPD. Sie hat das Rettungspaket der Bundesregierung weitgehend mit ausgehandelt.

Kurz vor der Aktionärsversammlung versicherte Behle den Anteilseignern, dass auch Verdi zu massiven Eischnitten bereit sei. Man sei in einem konstruktiven Austausch zu der Frage, welchen Beitrag die Beschäftigten zur Krisensituation des Konzerns beitragen können, sagte sie. Man verhandle konzernweit über entsprechende tarifvertragliche Lösungen, die Verhandlungen würden am Freitag fortgesetzt.

Der Aktionärsversammlung vom Donnerstag war ein übles Schmierentheater vorausgegangen, das den Gewerkschaften als Feigenblatt diente.

Der Großaktionär Heinz Hermann Thiele hatte seinen Anteil an Lufthansa auf 15 Prozent erhöht und damit gedroht, die Vereinbarung mit der Bundesregierung platzen zu lassen. Da sich die meisten Lufthansa-Aktien in Streubesitz befinden und sich weniger als 40 Prozent der Aktionäre zur Hauptversammlung angemeldet hatten, hätte er die zur Annahme des Pakets erforderliche Zweidrittelmehrheit blockieren können.

Thiele störte sich dran, dass die Bundesregierung im Rahmen des Rettungspakets einen Anteil von 20 Prozent an Lufthansa übernimmt (für die 9 Milliarden könnte sie den Konzern zweimal kaufen) und zwei Vertreter in den Aufsichtsrat entsendet. Der 79-jährige Multimillionär, der laut Forbes mit einem Vermögen von 13 Milliarden Euro zu den 100 reichsten Männern der Welt gehört, ist bekannt für seine Abneigung gegen staatlichen Einfluss in der Wirtschaft, seine ruppigen kapitalistischen Methoden und seine rechten Ansichten.

Thieles Firma Knorr-Bremse, Weltmarktführer bei Bremsen für Züge und Nutzfahrzeuge, ist 2004 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und lässt die Beschäftigten 42 Stunden in der Woche arbeiten, sieben Stunden länger als in tariflich gebundenen Metallbetrieben. Seine Milliarden bunkert er mit Vorliebe in Steuerparadiesen.

Der Multimilliardär mag die eingefahrenen Institutionen der Sozialpartnerschaft ablehnen und ein schwieriges Verhältnis zu den Gewerkschaften haben, aber er weiß sehr genau, welche Register er ziehen muss, damit diese in seinem Sinne agieren. Kaum hatte er mit der Ablehnung des Rettungspakets gedroht, begannen die Gewerkschaften eine Kampagne zu dessen Verteidigung. Sie konnten es nun als kleineres Übel gegenüber dem „Damoklesschwert der Insolvenz“ (UFO) darstellen und von den dramatischen Kürzungen ablenken, die sie im Rahmen des Rettungspakets vereinbarten.

VC-Präsident Markus Wahl appellierte öffentlich an alle Anteilseigner: „Melden Sie sich zur Hauptversammlung an und stimmen Sie dem Rettungspaket zu.“ Auch Verdi warb für die Annahme des Rettungspakets. UFO rief sogar zu einer Kundgebung während der Hauptversammlung auf, um den anwesenden Aktionären und der Öffentlichkeit zu zeigen: „Die Lufthansa-Belegschaft steht zum Kranich!“

Thiele dachte natürlich nicht im Traum daran, das 9-Milliarden-Paket platzen zu lassen, von dem er selbst am meisten profitiert, während im Falle einer Insolvenz auch sein Anteil wertlos würde. Ihm ging es darum, den Druck zu erhöhen und weitere Entlassungs- und Kürzungsrunden vorzubereiten.

Der Multimilliardär versucht derzeit seinen Einfluss auf die Luftfahrtindustrie auszudehnen, die nach der jetzt beschlossenen Rosskur wieder hohe Profite verspricht. Unter anderem hat er deshalb den früheren Airbus-Chef und Lufthansa-Aufsichtsrat Tom Enders in den Aufsichtsrat von Knorr-Bremse berufen.

Anfang der Woche sprachen Finanzminister Olaf Scholz (SDP) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit Thiele und versicherten ihm, dass er von der Bundesregierung nichts zu befürchten habe. Sie will zwar zwei Vertreter in den Lufthansa-Aufsichtsrat schicken, aber dabei soll es sich um unabhängige Wirtschaftsfachleute und nicht um politische Vertreter handeln. Am Mittwoch gab Thiele Entwarnung. Über die Frankfurter Allgemeine Zeitung ließ er mitteilen, dass er dem Rettungspaket zustimmen werde.

In der Aufregung über Thiele ging auch unter, dass Lufthansa Anfang der Woche ohne vorherige Warnung die Stilllegung des Ferienfliegers Sun Express beschloss, den sie als Gemeinschaftsunternehmen mit Turkish Airlines betreibt. Der deutsche Flugbetrieb mit 20 Flugzeugen und 1200 Beschäftigten soll eingestellt werden. Den Gewerkschaften war die Ankündigung kaum einen Kommentar wert, obwohl sie zeigt, was den anderen Lufthansa-Töchtern blüht.

Die Ereignisse bei Lufthansa zeigen eindrücklich den Bankrott der Gewerkschaften und ihrer Perspektive. Seit Jahrzehnten ordnen sie die Interessen der Arbeiter im Rahmen der Sozialpartnerschaft den Profitinteressen der Konzerne unter. Es gibt in Deutschland keine Massenentlassung und Betriebsstillegung, die nicht die Unterschrift der Gewerkschaften und ihrer Betriebsräte trägt. Bei Lufthansa gehen die Gewerkschaften nun soweit, Kundgebungen für ein „Rettungspaket“ zu organisieren, dass die Vernichtung zehntausender Arbeitsplätze und einen massiven Lohn- und Sozialabbau beinhaltet!

Mit diesen Organisationen lässt sich kein Arbeitsplatz, keine soziale Errungenschaft, überhaupt nichts verteidigen. Nach ihrem Einkommen und ihrer sozialen Stellung stehen die Gewerkschaftsfunktionäre, Betriebsratsfürsten und sogenannten Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten den Managern und Aktionären viel näher, als den Arbeitern am Band oder den Angestellten an den Computern. Politisch sind sie vehemente Verteidiger des Kapitalismus, dessen Bankrott mit der Corona-Krise von Tag zu Tag deutlicher wird.

Die Krise der Luftfahrtindustrie lässt sich auf kapitalistischer Grundlage und im nationalen Rahmen nicht lösen. Sie erfordert die Enteignung der Konzerne und ihre Überführung in demokratisch kontrollierte, öffentliche Institutionen, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen und nicht dem Profit dienen.

Die Beschäftigten der Luftfahrtindustrie müssen mit den bankrotten Gewerkschaften brechen und unabhängige Aktionskomitees aufbauen, die sich international und konzernübergreifend vernetzen und den Kampf zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und Löhnen organisieren. Die WSWS wird sie dabei unterstützen.

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