Das WISAG-Geschäftsmodell: Ausgründungen, Entlassungen und Senkung des Lohnniveaus

Seit drei Monaten stehen hunderte Bodenarbeiter vom Frankfurter Flughafen im Arbeitskampf gegen den WISAG-Konzern. Ihr Kampf zeigt exemplarisch, wie kapitalistische Konzerne im Verein mit den etablierten Parteien und Gewerkschaften von der Corona-Pandemie profitieren, um Arbeitsplätze, Löhne und Errungenschaften zu schleifen.

WISAG hat kurz vor Weihnachten rund 200 Bodenarbeitern und 31 Busfahrern gekündigt und seither ungefähr 30 weitere Arbeiter, darunter auch Schwerbehinderte, „betriebsbedingt“ entlassen. Betroffen sind erfahrene Flughafenarbeiter, die seit Jahrzehnten Schwerstarbeit zu niedrigen Löhnen leisten und unter hohem Zeitdruck, Knochenarbeit und ständigem Motorenlärm ihre Gesundheit für den Flughafenbetrieb ruiniert haben.

Es ist nicht das erste Mal, dass WISAG Arbeiterrechte angreift, und WISAG ist nicht der einzige Konzern, der jetzt von der Corona-Pandemie profitiert, um lang gehegte Angriffe durchzusetzen. Tatsächlich wird die Hire & Fire-Praxis von WISAG mehr und mehr zum allgemeinen Geschäftsmodell. Seit Jahren nutzt WISAG alle juristischen Tricks, um die Lohnkosten zu drücken. Der Konzern, der in den Sektoren Gebäudereinigung, Facility Management, Security und Flughafenbodendienste tätig ist, gründet Schein-, Leih- und Tochterfirmen, um Mitarbeiter zu entlassen und anschließend zu schlechteren Konditionen neu einzustellen. Wer sich wehrt, wird mit Hausverbot, Lohnentzug und Kündigung bestraft.

Als WISAG 2008 die Bodendienste in Berlin übernahm, die bis dahin zu Lufthansa und der staatlichen Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg gehört hatten, lobte der damalige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) Claus Wisser ausdrücklich: „WISAG ist ein Unternehmen, das verantwortbar und gut mit seinen Mitarbeitern umgeht.“

Das Gegenteil war der Fall: Wisser spaltete die Bodendienste in drei neue Subunternehmen auf, von denen der Check-in mit 220 Beschäftigten schon 2014 geschlossen wurde. Wer seine Arbeit nicht verlieren wollte, sah sich gezwungen, zu deutlich schlechteren Konditionen zu einem neuen Unternehmen zu wechseln, das parallel zum alten aufgebaut worden war.

Im Sommer 2020 ging die Berliner WISAG in Privatinsolvenz, um am neuen Flughafen BER eine neue Firma aufzumachen – ebenfalls zu schlechteren Konditionen. Mindestens 350 Beschäftigte verloren ihren Arbeitsplatz. Viele wurden durch Leiharbeiter ersetzt.

Ähnlich jetzt in Frankfurt: Hier werden Bodenarbeiter mit unbefristetem Vertrag bei WISAG Ground Service Frankfurt gekündigt, um anschließend bei WISAG Ground Service Hamburg ein neues Vertragsangebot zu erhalten. Dabei sollen sie unterschreiben, dass „zu keinem früheren Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis mit der WISAG bestanden“ habe, und dass WISAG sie „dauerhaft an einem anderen Arbeitsort innerhalb Deutschlands“ beschäftigen dürfe. Wer sich wehrt, wird – wie die WISAG-Busfahrer – mit Lohnentzug bestraft.

Bei alledem verlässt sich WISAG darauf, dass Arbeiter keine effektive Interessenvertretung haben. Auf die größte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Flughafen kann WISAG sich vollständig verlassen. Verdi sitzt in allen Aufsichtsräten und ist an den Plänen beteiligt, die oft an mafiöse Konstrukte erinnern.

Das Verdi-Führungspersonal rekrutiert sich aus denselben Parteien – SPD, Grüne, Linke –, welche die Deregulierung der letzten Jahrzehnte zu verantworten haben. Am Flughafen stellt Verdi die Wirtschaftsinteressen der deutschen Luftfahrt ausdrücklich über die Lebensbedürfnisse der Arbeiter und verzichtet bewusst auf kollektive Kampfmaßnahmen zur Verteidigung der Arbeiter.

„Verdi ist Zeitverschwendung“, so die Bilanz des entlassenen WISAG-Arbeiters Aptoulkasim Terzi, der im Interview mit der World Socialist Web Site seine Situation schildert. Er ist einer der Busfahrer, die seit Oktober, also schon seit über fünf Monaten, keinen Nettolohn von WISAG mehr erhalten haben, weil sie sich weigerten, in eine neue Scheinfirma überzuwechseln.

Interview mit entlassenem WISAG-Busfahrer, Aptoulkasim Terzi

Terzi schildert den Druck, den WISAG auf sie ausgeübt hatte, um sie zum Wechsel in die neue Leihfirma zu zwingen: „Geschäftsführer Michael Dietrich hat uns bedroht, dass er uns die Löhne nicht weiterzahlen werde, wenn wir nicht zu der neuen Firma rübergehen.“ Die neue Leihfirma, Sky City Bus GmbH, war erst im März 2020 gegründet worden – offensichtlich von WISAG selbst: „Der Geschäftsführer von Sky City Bus ist unser Kollege, der bis dahin ebenfalls bei WISAG gearbeitet hatte.“

WISAG hatte die Flugzeugabfertigung am Flughafen erst vor zwei Jahren, 2018 übernommen. Terzi erzählt: „Sie haben uns damals mit all unseren Rechten von Acciona übernommen. Jetzt auf einmal haben sie einen Grund, uns wegen Corona zu kündigen.“ Er frage sich, ob das wohl alles legal sei, aber: „Der Geschäftsführer sagt, ich darf das und ich mach das. Und das hat er gemacht.“

Terzi, der 21 Jahre lang am Flughafen gearbeitet hatte, nahm schließlich mit anderen betroffenen Kollegen vom 24. Februar bis zum 3. März an einem Hungerstreik teil, aber: „Bis jetzt bewegt sich nichts, keiner macht was.“ Er sei am Flughafen „alt geworden. 21 Jahre – das ist mein halbes Leben. Und jetzt stehen wir auf einmal vor der Tür.“

In dem Interview, das wir während der Kundgebung vor dem Hessischen Landtag in Wiesbaden aufgenommen haben, sagt Terzi, dass die Arbeiter sich schon ans Arbeitsgericht gewandt hätten, ohne Ergebnis. „Wir versuchen, unser Recht von irgendwo her zu bekommen, auch von den Politikern hier [im Landtag].“ Aber: „Von den Politikern hat uns bis heute keiner geholfen.“

Auch Terzis Söhne unterstützen den Vater und seine Kollegen. Hasan und Emre finden die willkürlichen Entlassungen „natürlich nicht in Ordnung, vor allem in Zeiten von Corona, wo eigentlich alle zusammenhalten müssten. Man lässt die Leute links liegen, ohne darauf zu achten, ob sie Familie und Kinder haben und wie sie diese ernähren sollen. Dies nach all der Zeit, die sie für die Firma investiert haben – nicht nur unser Vater, auch viele andere sind ebenfalls weit über zwanzig Jahre dabei. Sie haben die Firma am Flughafen aufgebaut, und jetzt heißt es, dass sie einfach wertlos seien.“

Hasan weist darauf hin, dass WISAG die Corona-Hilfen vom Staat angenommen hatte, „aber dennoch jetzt die Arbeiter entlässt. Die Leute werden wirklich auf die Straße gesetzt.“

Beide Brüder haben auch mit ihren Kollegen darüber gesprochen. Emre macht eine Ausbildung als KFZ-Mechatroniker, Hasan ist Anwendungsentwickler, und er sagt: „Meine Kollegen hielten es zuerst für unmöglich, was hier passiert. Es ist wirklich eine Frechheit, sagen sie. Ich habe Kollegen, die mir das anfangs gar nicht glauben wollten. Sie fragten: ‚Habt ihr keine Gewerkschaft? Das können sie doch nach über zwanzig Jahren nicht einfach machen.‘ Aber die Gewerkschaften haben nicht geholfen. Die Arbeiter waren auf sich allein gestellt.“

Auch Emre berichtet: „Als ich meinen Kollegen erzählte, dass mein Vater und seine Kollegen seit Monaten kein Gehalt bekommen, war das für viele ein Schock. ‚Das geht doch nicht, vor allem nicht in Zeiten von Corona‘, sagten sie.“

Der Hungerstreik sei für die Familie schon extrem gewesen. „Wir hatten Angst um unsern Vater. Es ist kein Spaß, tagelang nichts zu essen und nur Wasser zu trinken. Wir hätten nie gedacht, dass es so weit kommt, dass ein Hungerstreik nötig wäre, und dass mein Vater sein Leben aufs Spiel setzen müsste.“ Vor allem die Mutter habe sich „extreme Sorgen“ gemacht. „Aber auch für mich war das hart. Ich war jeden Tag dort und habe nachgeschaut, wie es ihnen geht.“

Was die beiden eher beruhige, sei die Tatsache, „dass viele Kollegen hinkamen und sie nicht allein waren“. Die Brüder weisen darauf hin, dass die Arbeiter nicht klein beigeben. „Diese Arbeiter haben gezeigt, dass man was erreichen kann, wenn man zusammenhält und nicht nachgibt. (…) Die Leute müssen aus ihren Höhlen herauskommen. Anfangs am Hungerstreik dachte ich, mein Vater ist ganz allein, aber diese Arbeiter sind wirklich über sich hinausgewachsen.“

Allerdings ist der Kampf seit der Demonstration in Wiesbaden an einem Scheideweg angekommen. Wie die WSWS betont, darf der Kampf auch nicht der Spartengewerkschaft IGL überlassen werden.

In Wiesbaden hat die IGL bewiesen, dass sie das Schicksal der Flughafen-Bodenarbeiter in die Hände der Politiker von CDU, FDP, der Grünen, der SPD und der Linkspartei legt. Sie hat zugelassen, dass Vertreter all dieser Parteien, die für die schreienden Zustände am Flughafen verantwortlich sind, die Diskussion vollkommen dominierten. Die IGL vertritt keine andere Perspektive als Verdi und strebt eine Zusammenarbeit mit dieser an. Deshalb bereitet sie gerade eine neue Kundgebung vor der Verdi-Zentrale in Frankfurt vor, wo dieselbe Gewerkschaft, aus der die meisten Arbeiter gerade ausgetreten sind, erneut zum Handeln aufgefordert werden soll.

Arbeiter, die erfolgreich kämpfen wollen, müssen sich deshalb unabhängig von den Gewerkschaften in Aktionskomitees organisieren, die sich nicht an die bürgerlichen Parteien, sondern an die Arbeiter in den anderen Betrieben wenden, weil diese vor den gleichen Problemen stehen wie sie. Die WSWS ruft dazu auf, Kontakt zum Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze aufzunehmen.

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