Die polnische Fluglotsengewerkschaft ZZKRL und die Flugsicherungsbehörde PANSA haben den Kampf der polnischen Fluglotsen in letzter Minute abgeblockt, um zu verhindern, dass es ab dem 1. Mai zu einer weitgehenden Stilllegung des polnischen Luftraums kommt.
Am Donnerstagabend unterzeichneten sie eine Vereinbarung, die aber nur bis zum 10. Juli gilt. Laut Gewerkschaft handelt es sich um „einen Waffenstillstand, nicht um das Ende des Krieges“. Die Zeit soll genutzt werden, um den Angriff auf die Flugloten besser vorzubereiten und ihre Kampfbereitschaft zu untergraben.
Die polnischen Fluglotsen wehren sich dagegen, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auf sie abgeladen, ihre Gehälter um bis zu 70 Prozent gekürzt, die Arbeitsbelastung erhöht und die Sicherheitsregeln untergraben werden.
Die Flugsicherungsbehörde, hinter der die polnische Regierung steht, finanziert sich durch die Gebühren der Fluglinien, die Polen an- und überfliegen. Aufgrund des Corona-bedingten Einbruchs des Flugverkehrs waren ihre Einnahmen erheblich gesunken. 2021 lagen sie um 43 Prozent niedriger als 2019 und deutlich unter den Betriebskosten.
PANSA-Präsident Janusz Janiszewski, der 2018 sein Amt antrat, bemühte sich von Anfang an, die Verluste auf die knapp 600 Fluglotsen abzuwälzen, die die Agentur beschäftigt und die 2019 vor der Pandemie fast eine Million Flüge im Jahr überwachten.
Bereits 2020 waren die Bezüge der polnischen Fluglotsen um durchschnittlich 15 Prozent gesunken. Janiszewski brüstete sich gegenüber Polska Times, PANSA habe ihr Budget im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen um über eine Milliarde Złoty (214 Millionen Euro) gekürzt: „In den Jahren 2020-21 haben wir die Kosten, einschließlich der Personalkosten, um 25 Prozent optimiert.“
Während die Fluglotsen und Millionen weitere polnische Arbeiter für die Folgen der Pandemie bluten mussten, bereicherte sich – wie in anderen Ländern auch – die Finanzoligarchie. Michał Sołowow, seit Jahren der reichste Mann Polens, steigerte sein Vermögen von 2019 bis 2021 um 2 Milliarden Złoty (etwa 400 Millionen Euro). Laut Forbes besitzt er mittlerweile 4 Milliarden Dollar, doppelt so viel wie 2016.
Um weitere Lohnkürzungen von bis zu 70 Prozent durchzusetzen, versandte dann die Flugsicherungsbehörde in diesem Jahre sogenannte Änderungskündigungen an die Fluglotsen. Sie wurden mit Ablauf der Kündigungsfrist Ende April entlassen, mit dem Angebot, ab 1. Mai zu wesentlich schlechteren Bedingungen neu anzuheuern.
Doch die Flugsicherungsbehörde, die Regierung und die Gewerkschaft, die eng mit ihnen zusammenarbeitet, hatten nicht mit der Kampfbereitschaft der Fluglotsen gerechnet, die ihre Fähigkeit unter Beweis stellten, den Flugverkehr zu lähmen und damit stellvertretend für die gesamte Arbeiterklasse die sozialen Angriffe zurückzuschlagen.
Die große Mehrheit lehnte es schlicht ab, die Knebelverträge zu unterschreiben und zu den schlechteren Bedingungen zu arbeiten. An den beiden Warschauer Flughäfen Chopin und Modlin verweigerten 170 von 208 Fluglotsen ihre Unterschrift. Damit drohte ab 1. Mai, wenn die meisten Kündigungen in Kraft treten, ein weitgehender Ausfall der Luftüberwachung.
Eurocontrol, die Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, warnte vor täglich rund tausend Flugausfällen durch den Tarifkonflikt in Polen. Die Lage sei sehr ernst, da nicht nur Verbindungen nach Polen, sondern auch Flüge durch den polnischen Luftraum betroffen seien, teilte ein Sprecher der EU-Kommission mit.
Allein für die beiden Warschauer Flughäfen wurde eine Reduzierung der täglichen Flüge von 510 auf 170 vorausgesagt. Die polnische Regierung veröffentlichte einen Notfallflugplan, laut dem ab 1. Mai nur noch 32 Routen von elf ausgewählten Fluggesellschaften bedient würden. Der Hauptflughafen Chopin sollte nur noch von 9:30 bis 17 Uhr geöffnet sein, der kleinere Modlin nur noch zwei Verbindungen pro Tag anbieten.
Regierung droht mit Kriegsrecht
Im Hintergrund liefen die Bemühungen um einen Abbruch des Konflikts auf Hochtouren. Vertreter der Flugsicherungsbehörde und der Gewerkschaft trafen sich fast täglich, ohne dass über den Inhalt der Gespräche etwas an die Öffentlichkeit gelangte. Meist wurden nur kurze, gemeinsame Pressemittelungen veröffentlicht, die betonten, dass die Gespräche „sachlich in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts geführt“ würden.
Auch die Regierung schaltete sich in Person von Infrastrukturminister Andrzej Adamczyk in die Auseinandersetzung ein. PANSA-Chef Janiszewski musste im März seinen Hut nehmen und wurde durch die Managerin Anita Oleksiak ersetzt. Gleichzeitig drohte die Regierung unter Hinweis auf den Krieg in der benachbarten Ukraine mit dem Einsatz des Militärs.
Regierungschef Mateusz Morawiecki betonte Anfang der Woche „Die Verantwortung der Fluglotsen muss im Zusammenhang mit der sehr, sehr schwierigen Zeit, in der wir tätig sind, besonders hervorgehoben werden.“ Er meinte damit die zentrale Rolle, die Polen im Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland spielt.
Die ostpolnischen Flughäfen Rzeszów und Lublin sind wichtige Knotenpunkte für die Lieferung von Waffen an die Ukraine. Rzeszów, das nur zwei Autostunden vom ukrainischen Lwiw entfernt liegt, war zeitwillig dermaßen von militärischen Frachtmaschinen überfüllt, dass welche umgeleitet werden mussten, wie das Wall Stree Journal berichtete. Seit Anfang März haben die USA dort auch ein Patriot Luftabwehrsystem stationiert.
Der stellvertretende Infrastrukturminister Marcin Horała drohte in einem Interview mit Radio ZET, man werde „alle Mittel einsetzen, um – zumindest in einem Mindestmaß – die Kontrolle des Luftraums sicherzustellen“.
Ex-PANSA-Präsident Janiszewski hatte bereits am 19. März erklärt: „Derzeit ist die Hälfte des polnischen Himmels für die Arbeit der Armee, der Luftverteidigung und der alliierten Streitkräfte reserviert.“ Im Falle des „schlimmsten Szenarios, d. h. der Einführung des Kriegsrechts oder des Krieges in Polen“, werde PANSA Teil des polnischen Luftverteidigungssystems werden.
Die zwischen Flugsicherungsbehörde und Gewerkschaft erzielte Übereinkunft hat die Flugausfälle vorerst abgewendet. „Uns droht keine Lähmung des Luftverkehrs mehr“ – versicherte Infrastrukturminister Adamczyk. Die Fluglotsen wollten „arbeiten und ihre derzeitigen Aufgaben erfüllen. Im Falle eines Krieges jenseits der Ostgrenze dient der polnische Luftraum auch der Unterstützung der Ukraine. Es wird keine Einschränkungen bei der Anzahl der Flüge geben.“
Adamczyk erklärte, man werde bis zum 10. Juli dieselben Gehälter wie vor der Pandemie zahlen. Derweil sollen die Verhandlungen über Vergütungsordnung, Arbeitsordnung und andere Regelungen fortgesetzt werden.
Von der Gewerkschaft gibt es bisher keine Pressemitteilung. Es ist noch unklar, wie sie ihren Mitgliedern den Deal verkauft. Offensichtlich ist sie der Regierung beigesprungen. Sie hat angesichts des Ukrainekriegs einem Burgfrieden zugestimmt und den Kampf der Fluglotsen abgewürgt. Aufgrund der drastischen Inflation entsprächen die alten Gehälter obendrein einer massiven Lohnsenkung. Die jährliche Inflationsrate liegt inzwischen über 12 Prozent.
Die Flugsicherungsbehörde haben außerdem drei Monate Zeit gewonnen, um den Angriff auf die Fluglotsen besser vorzubereiten und für Ersatz für die aufmüpfigen und angeblich zu teuren Fluglotsen zu sorgen.
Kürzungen gefährden Flugsicherheit
Die polnischen Medien haben die Auseinandersetzung mit den üblichen Hetzkommentaren begleitet und die Fluglotsen als gut situierte Elite dargestellt, die den Hals nicht voll genug kriegen könne. Das ist nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch politisch reaktionär. Gerade weil die Fluglotsen eine starke Stellung haben, dient der Angriff auf sie als Auftakt zu einer Offensive gegen die gesamte Arbeiterklasse.
Warnendes Beispiel ist die Zerschlagung der amerikanischen Fluglotsengewerkschaft PATCO im Jahr 1981 durch den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Reagan entließ damals alle 13.000 Fluglosten, die für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen kämpften und von den anderen Gewerkschaften isoliert und ausverkauft wurden.
Die Zerschlagung von PATCO war der Auftakt zu nicht endenden Angriffen auf die amerikanische Arbeiterklasse, die bis heute anhalten. Sie haben den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung massiv gesenkt und zu einer bespiellosen sozialen Ungleichheit geführt. Während Millionen amerikanische Arbeiter nicht mehr über die Runden kommen, ist das Vermögen des reichsten US-Bürgers, Elon Musk, so hoch wie das polnische Bruttoinlandsprodukt von sechs Monaten.
Die Einkommen sind zudem nur ein Streitpunkt der derzeitigen Auseinandersetzung. Den Fluglotsen geht es vor allem auch um die Sicherheit der Passagiere, für die sie verantwortlich sind. Wie in der Coronapandemie, wo sie aus Profitgründen einen lebensrettenden Lockdown ablehnte, ordnet die herrschende Klasse auch hier das Leben von Menschen ihren kapitalistischen Interessen unter.
Um seine Einsparungsziele zu erreichen, hatte bereits PANSA-Chef Janiszewski nicht nur die Gehälter, sondern auch die Arbeitsbedingungen der Fluglotsen angegriffen. Er weitete die Schichtdienste aus und kürzte bei Kranken-, Wochenend- und Urlaubsgeld. Am dramatischsten war die Ausweitung des Schichtdiensts von acht auf zwölf Stunden und die Einführung von „Single Person Operations“ (SPO), bei denen ein Fluglotse alleine den Flugverkehr überwacht.
Als sich Anfang Februar 2021 zwei Fluglotsen in einer Reportage von TVN24 über die damit einhergehenden Sicherheitsrisiken äußerten, kündigte ihnen PANSA fristlos. Da einer von ihnen, Franciszek Teodorczyk, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft ZZKRL ist und Gewerkschaftsführer einem besonderen Kündigungsschutz unterliegen, hob PANSA kurzerhand die Anerkennung der Gewerkschaft auf und zeigte sie bei der Staatsanwaltschaft an. Die rechtliche Auseinandersetzung darüber laufen noch.
Die systematische Überforderung der Flutglosen hat bereits mehrfach zu Beinahe-Katastrophen geführt:
- im Dezember 2020 starte das Flugzeug des Präsidenten Duda ohne Unterstützung eines Fluglotsen, da dieser am kleineren Flughafen von Zielona Góra nur bis 22 Uhr Dienst hat;
- im Februar 2021 erteilte der im SPO-Modus arbeitende Fluglotse in Kattowitz eine Landeerlaubnis, obwohl ein Reparaturteam auf der Landebahn arbeitete;
- im März 2021 Antworte ein Fluglotse neun Minuten lang nicht auf den Anruf des Piloten, weil er eingeschlafen war, eine Stunde später schlief er wieder ein;
- im Mai 2021 gab ein Warschauer Fluglotse ein Rollfeld zum Start frei, das bereits von einem anderen Flugzeug belegt war. Später stellte sich heraus, dass er 2 Promille Alkohol im Blut hatte;
- im Dezember 2021 wurde ein Fluglotse am Flughafen in Krakau bewusstlos, ein Kollege konnte ihm zur Hilfe eilen, aber der Verkehr am Flughafen wurde nicht gestoppt.
Fluglotsen berichten, das PANSA-Management versuche, ein Klima der Angst und Einschüchterung zu schaffen, um Fehler und Mängel unter den Teppich zu kehren. Es hat kritische und erfahrene Fluglotsen durch jüngere und schlechter bezahlte ersetzt. Der den Fluglotsen vorgelegte Knebelvertrag sollte die unerträglichen und lebensgefährdenden Arbeitsbedingungen festschreiben.
Es darf nicht zugelassen, dass die Gewerkschaft und die Flugsicherungsbehörde den „Waffenstillstand“ nutzen, um diesen Knebelvertrag in leicht moderierter Form durchzusetzen. Die ZZKRL arbeitet – wie alle anderen polnischen und internationalen Gewerkschaften – eng mit der Regierung zusammen und fügt sich der Profitlogik des Kapitals. Die Fluglotsen müssen deshalb unabhängige Aktionskomitees aufbauen und ihren Kampf mit anderen Arbeitern in Polen und international vernetzten.
Es gibt kaum eine andere Branche, die derart international verflochten ist, wie der Luftverkehr. Es wird damit gerechnet, dass das Verkehrsaufkommen im europäischen Luftraum in den nächsten Monaten das Vor-Corona-Niveau deutlich übertreffen wird. Hinzu kommt eine deutliche Zunahme des militärischen Flugverkehrs wegen des Ukrainekriegs.
Das Personal ist aber überall – bei der Luftraumüberwachung, beim Flugpersonal und am Boden – ausgedünnt worden, und nun sollen die Profite durch eine entsprechende Steigerung der Arbeitshetze erhöht werden. Dagegen erhebt sich überall Widerstand.
Allein im letzten Monat streikten Fluglotsen und Bodenpersonal in Frankreich (27. März bis 4. April), in Deutschland (mehrere Warnstreiks im März), in Italien (11. und 22. April), in Griechenland (6. April) und in Peru (16. April).
Aber auch in anderen Bereichen Polens ist die soziale Lage zum Bersten angespannt. In den letzten Jahren gab immer wieder große Proteste und Streiks im Gesundheits- und Bildungswesen. Die Massendemonstrationen gegen die reaktionäre Verschärfung des Abtreibungsgesetzes brachte die gärende Wut auf die PIS-Regierung an die Oberfläche.
Diese Kämpfe müssen vereint werden. Das erfordert eine sozialistische Perspektive, die die Interessen der Gesellschaft über die Profitinteressen des Kapitals stellt.