Die Coronainfektionen schnellen im gesamten Bundesgebiet dramatisch nach oben. Am Samstag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 113.000 Neuinfektionen. Die Inzidenz liegt inzwischen bundesweit bei 1177, dabei gehen alle Experten von einer massiven Untererfassung der Fälle aus. Insgesamt infizierten sich in Deutschland seit Anfang 2020 mit dem Coronavirus rund zehn Millionen Menschen. Die Zahl der Todesopfer ist auf nunmehr fast 118.000 gestiegen.
Die Hauptstadt Berlin bildet dabei einen Hotspot. Hier haben sich seit Pandemiebeginn mehr als eine halbe Million Menschen mit dem Virus infiziert, wovon über 4100 starben. Mit einer 7-Tages-Inzidenz von rund 1820 ist Berlin, gemeinsam mit Bremen und Hamburg, die Stadt, die am stärksten unter der skrupellosen Durchseuchungspolitik zu leiden hat.
In zahlreichen Bezirken liegt die Inzidenz noch weit höher. Tempelhof-Schöneberg war gestern Spitzenreiter mit einer Inzidenz von fast 2912, gefolgt von Friedrichshain-Kreuzberg (rund 2577), Neukölln mit 2571, Berlin-Mitte (2417), Spandau (rund 2129) und Pankow (2049). Alleine in den letzten sieben Tagen kam es zu über 66.700 Neuinfektionen, in den ersten vier Wochen seit Jahresbeginn haben sich in Berlin rund 193.370 Menschen infiziert.
Wie auch bundesweit liegen die tatsächlichen Infektionszahlen um ein Vielfaches höher. Die Gesundheitsämter und PCR-Testlabore sind mit der Auswertung der Tests und der tagesaktuellen Meldung der Daten an das RKI seit Langem völlig überlastet. Gleichzeitig wurden die sogenannten Erstkontakt-Personen von Infizierten immer verspäteter, wenn überhaupt noch, in Quarantäne geschickt.
Berlins Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) formulierte dabei offen die Agenda der Berliner Landesregierung: „Jeder wird sich infizieren!“ Schamlos erklärte sie, alle Maßnahmen dagegen seien ohne Aussicht auf Erfolg: „Kontaktnachverfolgung macht man mit dem Ziel, die Welle abzumildern, Infektionsketten zu unterbrechen.“ Dies sei „schlichtweg nicht mehr möglich“, so Gote.
Während Gote bereits auf der Gesundheitsministerkonferenz vergangenen Montag den Antrag auf Änderung der Corona-Teststrategie wegen einer „Überlastung der Laborkapazitäten“ einbrachte, schaffte der Berliner Senat noch am selben Tag Fakten. Als erste Landesregierung stellte Rot-Grün-Rot offiziell die Kontaktnachverfolgung ein. Damit werden Kontaktpersonen (auch in den Schulen und Kindergärten) nicht mehr in Quarantäne geschickt. PCR-Tests sollen nur noch Personen erhalten, die in Gesundheitsberufen arbeiten oder ein besonderes Erkrankungsrisiko haben.
SPD, Grüne und Linkspartei setzen in Berlin gnadenlos jene Politik um, die die Ampel-Koalition und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Bund ausgerufen haben. Dieser erklärte am Freitag auf einer Pressekonferenz mit RKI-Chef Lothar Wieler, die Regierung habe die Pandemie „gut unter Kontrolle“, während er gleichzeitig anmerkte, dass in den nächsten Tagen die Infektionszahlen auf mindestens 400.000 pro Tag ansteigen werden.
Was er damit meint, ist offensichtlich: Die Durchseuchung der Bevölkerung im Interesse der Wirtschaft verläuft planmäßig, und egal wie hoch die Infektions- und Todeszahlen auch sein werden, es werden keine Maßnahmen dagegen ergriffen.
In Berlin haben die Regierungsparteien die Durchseuchung an den Schulen in einem verheerenden Ausmaß vorangetrieben. Bei den 10- bis 14-Jährigen, also den Schuljahrgängen 5. bis 8. Klasse, lag zum vergangenen Wochenschluss die 7-Tage-Inzidenz bei rund 4231. Bei den Grundschülern der 1. bis 4. Klasse (fünf bis neun Jahre) lag der Wert bei rund 3950 und bei den 15- bis 19-Jährigen bei 2905. Aktuell sind laut den offiziellen Zahlen fünf Prozent der Schüler und rund fünf Prozent der Lehrkräfte an Berliner Schulen infiziert.
Die bisher geltende Präsenzpflicht in den Schulen wurde zwar zähneknirschend vom Berliner Senat zu Beginn letzter Woche quasi über Nacht und völlig konzeptlos bis Ende Februar ausgesetzt. Doch damit versucht die Landesregierung nur, dem wachsenden Widerstand von Lehrern, Eltern und Schülern angesichts der extremen Infektionsraten in den Klassenzimmern die Spitze zu nehmen. Die Aussetzung der Präsenzpflicht bedeutet keineswegs eine Abkehr von der rigorosen Durchseuchungspolitik, denn die Schulen bleiben geöffnet.
Wenn die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), eine rechte Sozialdemokratin, ihre Maßnahmen als Eingehen auf die „Sorge“ einer „Reihe an Eltern“ verkauft, „die gerne selbst die Entscheidung darüber treffen wollen, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken“, ist das der Gipfel des Zynismus. Die überwältigende Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ist zur Präsenz am Arbeitsplatz gezwungen. Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) merkte dazu süffisant an: „Die meisten Kinder werden kommen. Und die Eltern, die berufstätig sind, sind auch froh, dass die Schule auf ist.“
Die Auswirkungen der massenhaften Infektionen verursachen gerade in den Krankenhäusern eine weitere Zuspitzung der Lage. Wegen dem enormen Anstieg der Fallzahlen, kombiniert mit dem extremen Personalmangel, kann die Versorgung nur noch durch Mehrarbeit, Überstunden und verkürzte Quarantäne kompensiert werden.
Bundesweit ist die Situation an den Kliniken wegen des explosiven Infektionsgeschehens in Schulen, Betrieben und Krankenhäusern dramatisch. In den Berliner Krankenhäusern wurden vergangene Woche rund 1280 Corona-Patienten hospitalisiert, davon mussten fast 200 intensiv medizinisch betreut und von diesen wiederum 131 beamtet werden.
Bei den Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern steht die Berliner Corona-Warnampel auf Rot, ebenso die Sieben-Tage-Hospitalisierungs-Inzidenz mit aktuell 19,9. Bereits ab einem Wert von 8 schaltet sie auf Rot. Die Auslastung der Intensivbetten durch Corona-Patienten liegt derzeit bei 16,2 Prozent. Bei 20 Prozent springt auch diese Ampel auf Rot.
Laut einem Bericht der taz wurde Giffey auf einer Pressekonferenz in der letzten Woche gefragt, ob das „Volllaufen der Krankenhäuser“ in Kombination mit zunehmenden Ausfällen beim ärztlichen und pflegerischen Personal nicht problematisch sei. In der ihr eigenen verächtlichen und arroganten Art erklärte sie lapidar, es sei „sehr zu kurz gesprungen, hier einfach von Volllaufen der Normalstationen zu sprechen“.
Mit einem „Brandbrief“ wegen der besonders katastrophalen Bedingungen in den Kinderkliniken wandten sich vergangene Woche Ärzte von acht Berliner Kliniken, darunter der landeseigenen Kliniken Charité und Vivantes sowie der Helios-Kliniken, und vom Immanuel-Klinikum in Bernau-Barnim an die Berliner Gesundheitssenatorin und Bundesgesundheitsminister Lauterbach.
„Aufgrund der gegenwärtigen Missstände“ bestehe eine „akute Gefährdung für Kinder und Jugendliche im Bundesland Berlin“, warnen sie und fordern „sofortige Maßnahmen, um die Notlage zu beenden, die Versorgungssicherheit wiederherzustellen und das Personal zu entlasten“.
Der Notstand in den Berliner Kliniken, der unter der Omikronwelle zum Kollaps zu führen droht, ist eine direkte Folge der Regierungspolitik von SPD und Linkspartei seit 2001. Das gesamte Gesundheitssystem wurde „kaputt gespart“, wie Kinderärzte auf der Rettungsstelle des Virchow-Klinikums schon vergangenen Herbst anprangerten.
Während Ärzte und Pflegekräfte seit mittlerweile zwei Jahren mit großer Opferbereitschaft die Folgen der Coronapolitik der Regierungen ausbaden, würgten die Senatsparteien unter Mithilfe der Gewerkschaft Verdi im vergangenen Jahr den Streik für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne an den landeseigenen Kliniken von Charité und Vivantes ab und schrieben die katastrophalen Bedingungen weiter fest.
In der Millionenmetropole Berlin wird der Zusammenhang zwischen dem Pandemiegeschehen und der sozialen Lage besonders deutlich. Gerade in den Arbeitervierteln und den migrantisch geprägten Stadtteilen sind die Infektionszahlen besonders hoch. Schlechte Wohnverhältnisse, sprachliche Barrieren und eine fehlende koordinierte Impfkampagne sorgen für eine noch stärkere Verbreitung und oft schlimmere Folgen bei zahllosen Familien.
Jedes vierte Kind in Berlin, welches in den offenen Schulen und Kindergärten der Durchseuchung ausgesetzt wird, stammt aus einem Haushalt, der von Armut betroffen bzw. gefährdet ist. Insgesamt liegt die Armutsquote in Berlin bei 16,4 Prozent. 583.000 Menschen (ohne die Kinder) müssen von Hartz IV leben.
Während die zehn reichsten Berliner über ein Vermögen von fast 22 Milliarden Euro verfügen – das entspricht etwa zwei Dritteln des gesamten Jahreshaushalts der Hauptstadt – kämpfen hunderttausende Familien immer verzweifelter mit zu geringen Einkommen und steigenden Preisen.
Unter Pandemiebedingungen verlieren in Berlin weiterhin jährlich rund 3000 Personen ihre Wohnung, wie David Schuster vom Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ im Gespräch mit der taz erklärte. Auch die landeseigenen Wohnungsgesellschaften setzen Zwangsräumungen gnadenlos um.
Im vergangenen September stimmte eine große Mehrheit wegen der erdrückend hohen Mieten für die Enteignung großer Immobilienkonzerne. Giffey machte allerdings schon vor ihrer Amtsübernahme deutlich, dass sie das Bürgerbegehren keinesfalls akzeptieren wird. Im Gegenteil: nun plant sie einen runden Tisch mit den Immobilienhaien, um ihnen den Zugang zum Wohnungsmarkt weiter zu erleichtern.
Gerade die Linkspartei spielt unter diesen Bedingungen eine besonders üble Rolle. Mit Katja Kipping wurde die ehemalige Linken-Vorsitzende zur Sozialsenatorin gemacht, um die Politik im Interesse der Banken und Superreichen gegen den wachsenden Widerstand durchzusetzen. Sie gilt seit langem als strikte Verfechterin der Koalition mit den Hartz-IV-Parteien SPD und Grüne. Während sie 2020 beispielsweise in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel noch eine „Strategie zum Stoppen des Virus“ forderte, ist sie nun Ministerin einer Regierung, die Vorreiter der brutalen Durchseuchungspolitik ist.
Mehr lesen
- Ungebremste Omikron-Welle führt zu Überlastung der Krankenhäuser
- Berliner Justiz verfolgt antifaschistische Künstler
- Berlinale-Leitung hält trotz Omikron-Infektionen an Präsenz-Festival fest
- Berlin: SPD, Grüne und Linke setzen ihren rechten Kurs fort
- Berlin: Franziska Giffey zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt