Berlin: Streik bei Vivantes und Charité dauert an

Seit mehr als drei Wochen streiken mittlerweile die Beschäftigten der landeseigenen Kliniken Charité und Vivantes. Während sich Konzernleitungen und der rot-rot-grüne Berliner Senat unnachgiebig zeigen, versucht die Gewerkschaft Verdi händeringend den Streik abzuwürgen und die systematische Überlastung der Beschäftigten zu tarifvertraglich zu legitimieren.

Mit mittlerweile 25 Streiktagen gehört der Arbeitskampf an den beiden Klinik-Konzernen zu den längsten Streiks im deutschen Gesundheitswesen. Da weiterhin alle Campi der Charité und acht Kliniken des Vivantes-Konzerns betroffen sind, mussten seit Beginn Tausende Operationen und Behandlungen verschoben oder abgesagt werden. Rund 1200 Betten sind aktuell gesperrt und etwa 2000 Patienten warten auf einen Operations- oder Behandlungstermin.

Obwohl der Streik für Patienten und für diejenigen Beschäftigten, die sich wegen der nötigen Patientenversorgung nicht beteiligen können, enorm belastend ist, ist die Unterstützung für die Streikenden ungebrochen. Zu offensichtlich sind die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Kliniken, die tagtäglich die Gesundheit von Patienten gefährden.

Dabei stehen die Berliner Kolleginnen und Kollegen stellvertretend für die vielen hunderttausenden Pfleger in ganz Deutschland, die mit den gleichen Arbeitsbedingungen konfrontiert sind.

Das zeigte sich jüngst in aller Deutlichkeit in einem Brandbrief der Pflegekräfte am Hamburger Universitätsklinikum (UKE). Darin schildern zwei Drittel der rund 300 Intensivpflegekräfte des UKE die Lage und fordern, dass zumindest geltende Vorschriften eingehalten werden. Selbst die gesetzlich geltenden Personaluntergrenzen, die alles andere als einen qualitativen Standard der Patientenversorgung definieren, werden dauerhaft nicht eingehalten.

Statt des geforderten Mindestschlüssels von einer Pflegekraft zu einem Intensivpatienten liegt das Verhältnis teilweise bei eins zu vier. Dies hat zur Folge, dass wichtige Medikamente nicht rechtzeitig verabreicht werden und Behandlungen wie Wundversorgung nicht korrekt durchgeführt werden können.

„Leider passiert es des Öfteren, dass Patient:innen eine beträchtliche Zeit in ihren eigenen Fäkalien liegen müssen“, beschreiben die Pfleger die hygienische Situation. Dies lässt erahnen, dass unter diesen Bedingungen hygienische Maßnahmen, die in der Pandemie natürlich besonders wichtig sind, oft nicht ausreichend einzuhalten sind.“

„Damit die Versorgung der Patient:innen sichergestellt ist, verzichten viele Kolleg:innen regelmäßig auf ihre Pause außerhalb der Station“, schreiben die Pfleger. Viele leiden unter „dem Gefühl, mehr zu leisten, als menschlich eigentlich möglich ist“. Viele Kollegen würden in oder nach dem Dienst weinen und hätten nach Feierabend keine Kraft mehr für Freizeitaktivitäten.

Wie an allen Krankenhäusern unterscheiden sich die Schilderungen nicht von denen in Berliner Kliniken. In zahlreichen Interviews berichten Pflegekräften von völlig überarbeiteten Beschäftigten und schlecht versorgten Patienten aufgrund des eklatanten Personalmangels.

Während das Pflegepersonal an Charité und Vivantes für bessere Arbeitsbedingungen und Entlastung kämpft, hat die Vivantes-Konzernleitung die Verhandlungen erneut unterbrochen, vorerst bis Montag.

Die letzten Angebote der Konzernleitung waren die reinste Provokation. Nicht nur, dass dadurch keinerlei Verbesserung für die Pflegekräfte entstehen würden, in einigen Bereichen hätte es sogar Verschlechterungen zufolge. So wurde ein Personalschlüssel auf einer Normalstation von einer Pflegekraft für zehn Patienten tagsüber und eine Pflegekraft für 20 Patienten in der Nacht vorgeschlagen, was nicht ansatzweise eine qualitative Arbeit für die Patienten ermöglicht.

Anstatt als Reaktion auf die Provokationen den Streik zu intensivieren und auszuweiten, versucht Verdi schnellstmöglich eine Einigung zu erzielen. An der Charité sind die Verhandlungen zwischen Verdi und dem Management weit fortgeschritten und Verdi hält eine Einigung in den nächsten Tagen für möglich. Während die konkrete Mindestbesetzung der Stationen gegenwärtig noch ausgehandelt wird, haben sich die Parteien auf einen so genannten Belastungsausgleich verständigt. So soll es für fünf Schichten in Unterbesetzung einen Punkt geben, der in acht Stunden Freizeit umgewandelt werden kann. Dabei sollen die freien Tage auf fünf pro Jahr gedeckelt werden.

Eine solche Vereinbarung würde weder die Überlastung der Pflegekräfte beenden, noch die Versorgung der Patienten verbessern. Wenn eine Pfleger acht Stunden lang für zwei gearbeitet hat, soll er nicht einmal zwei Stunden davon als Freizeit ausgeglichen bekommen. Der Konzern würde mit dem Verdi-Vorschlag also nach wie vor mit jeder überlasteten Pflegekraft, die am Ende der Schicht weinend zusammenbricht, saftigen Gewinn machen.

Angesichts der realen Situation einer ständigen Überlastung bedeutet die Begrenzung der Regelung auf fünf Tage, dass sie nicht nennenswert zum Einsatz kommt. Schon jetzt schieben die meisten Pflegekräfte einen Berg an Überstunden vor sich her, der wegen fehlendem Personal kaum abgebaut werden kann. Verdi geht es mit ihrem Vorschlag lediglich darum, die horrende Überbelastung zu legitimieren.

Auch von der zur Verhandlung stehenden Mindestbesetzung können die Pflegekräfte nicht viel erwarten. Schon 2016 kündigte Verdi nach dem Abschluss des „historischen Tarifvertrags“ mit ähnlichen Regelungen vollmundig an, dass sich die Situation der Beschäftigten massiv verbessern werde. Tatsächlich hat sich nichts geändert, im Gegenteil. Die Situation ist heute derart katastrophal, dass Pflegekräfte in einen wochenlangen Streik treten.

Bei Vivantes bot das Management zuletzt nach 12 Diensten in Unterbesetzung einen Tag Freitzeitausgleich an, bei Auszubildenden sollten es sogar 48 Schichten sein. Trotzdem erklärten Gewerkschaftsvertreter ausdrücklich, man sei auch hier optimistisch, bald eine Einigung zu finden.

Die üble Rolle Verdis wird auch bei den Verhandlungen für die Beschäftigten der Tochterunternehmen von Vivanates deutlich. Auch das Personal der Bereiche Reinigung, Catering, Labor und Sicherheitsdienste streikt seit vielen Wochen. Diese sind bei Tochtergesellschaften beschäftigt und erhalten bis zu 900 Euro weniger für dieselbe Tätigkeit wie Beschäftigte im Mutterkonzern. Laut Gewerkschaft erhalten viele nicht einmal den Landesmindestlohn von 12,50 Euro.

Auch hier zeigte sich Vivantes, dessen Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ist, unnachgiebig. Zuletzt verständigten sich Verdi und die Arbeitgeber darauf, den ehemaligen Brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) als Moderator einzusetzen. Dabei wurde der abgehalfterte, rechte Sozialdemokrat nicht zufällig ausgewählt. Unter der Leitung Platzecks wurde erst Anfang des Jahres der seit Jahren schwelende Streik der CFM-Beschäftigten abgebügelt.

Verdi und Charité beschwichtigten die rund 2500 Beschäftigten mit der Aussicht auf eine Angleichung der Löhne an den TVÖD, nachdem sie zuvor jahrelang mehrere hundert Euro weniger verdienten. Auch heute sind die Löhne noch immer deutlich unter dem TVÖD. Aus dem jetzigen Streik an der Charité hat Verdi die CFM bewusst ausgeklammert. Einen ähnlichen Betrug soll Platzeck nun auch bei Vivantes durchsetzen.

Das zeigt, wie eng Verdi, Management und Politik gemeinsam gegen die Beschäftigten arbeiten. In dieser Woche traf sich erneut die designierte regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) in der Zionskirche mit Beschäftigten der Landeskliniken. Außer dem geheuchelten Verständnis für die Situation, haben die Beschäftigten auch von einer neuen Regierung im Abgeordnetenhaus nur weitere Verschlechterungen zu erwarten.

Giffey erklärte, dass „bei den anstehenden Sondierungsgesprächen mit allen Parteien die Krankenhausfinanzierung ein wichtiges Thema sein wird.“ Dabei wird es vor allem darum gehen, wie bei den landeseigenen Krankenhäusern weiter gespart werden kann. In den letzten Jahren erhielten die kommunalen Krankenhäuser nur wenig Mittel für Investitionen, so dass sie diese mit Eigenmitteln finanzieren mussten, die eigentlich in die Patientenversorgung hätten fließen können. Seit 2001 steht die SPD der Berliner Regierung vor und hat dadurch die jetzige Misere zusammen mit Linkspartei und Grünen zu verantworten.

Es wird immer deutlicher, dass sich die Beschäftigten von Charité und Vivantes unabhängig von Verdi in Aktionskomitees organisieren müssen um den Kampf gegen den rot-rot-grünen Senat erfolgreich zu führen. Dabei muss der Streik aufs ganze Land und international ausgeweitet werden. Die ganze Arbeiterklasse muss aktiv werden, um die Pflegerinnen und Pfleger zu verteidigen.

Aktuell läuft bis zum 5. Oktober die Urabstimmung über einen unbefristeten Streik an den Brandenburger Asklepios Kliniken in Brandenburg/Havel, Lübben und Teupitz. Dort traten die Beschäftigten zuletzt in einen viertägigen Warnstreik. Sie kämpfen für eine Erhöhung der Gehälter, die zum Teil über 10.000 Euro pro Jahr unter denen anderer Asklepios-Kliniken liegen.

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