Rumänien:

Demonstrationen gegen Sparpolitik weiten sich aus

Am vergangenen Wochenende kam es in Rumänien zu einigen der größten und gewalttätigsten Demonstrationen seit dem Sturz des stalinistischen Regimes vor über zwei Jahrzehnten.

Auslöser der Proteste war der Rücktritt des stellvertretenden Gesundheitsministers Raed Arafat in der letzten Woche. Arafat hatte jahrelang eine führende Rolle in der Entwicklung des rumänischen Gesundheitssystems gespielt. Am 9. Januar aber war er im Fernsehen vom rumänischen Präsidenten Traian Basescu als „Lügner“, „Linker“ und ein „Feind der privaten Gesundheitsvorsorge“ bezeichnet worden. Basescus Ausbruch richtete sich gegen Arafats Kritik an den jüngsten Versuchen der rechtsgerichteten Regierung von Premierminister Emil Boc, weite Bereiche des Gesundheitswesens zu privatisieren.

Nach den Demonstrationen im Zentrum von Bukarest am Donnerstag kündigte Basescu am Freitag an, er sei bereit, auf die geplanten Gesundheits-“Reformen” zu verzichten. Trotz des Versprechens des Präsidenten sprangen die Proteste schnell auf andere Städte im ganzen Land über. Schon bald wurde klar, dass sich die Proteste nicht nur gegen die Einschnitte im Gesundheitswesen wendeten. Die Demonstranten lehnten das gesamte Sparprogramm der Regierung ab und forderten den Rücktritt des Präsidenten und der Regierung.

Am Samstag stießen Demonstranten, die Schilder mit Aufschriften wie „Freiheit“ und „Nieder mit Präsident Basescu“ trugen, auf dem Bukarester Universitätsplatz mit der Polizei zusammen. Siebzehn Personen wurden verletzt.

Als die Demonstranten am Sonntag in die Stadtmitte zurückkehrten, wurden sie bereits von einem großen Polizeiaufgebot erwartet, das mit Wasserwerfern und Tränengas gegen sie vorging. Nach offiziellen Quellen wurden fast 250 Personen mit Geldstrafen wegen öffentlicher Ruhestörung belegt, 36 wurden verhaftet. Am Ende des Wochenendes waren Berichten zufolge insgesamt 59 Personen bei den Demonstrationen verletzt und 26 von ihnen in Krankenhäuser eingeliefert worden.

Auch in vierzig anderen rumänischen Städten wie Cluj, Timisoara, Brasov und Arad kam es zu Protestaktionen, bei denen Demonstranten den Rücktritt der Regierung und des Präsidenten forderten.

Boc gab zu, dass die Demonstranten sein Programm sozialer Einschnitte ablehnten und erklärte: “Die Gewalt ist inakzeptabel. Ich fordere alle Rumänen auf zu verstehen, dass die Regierung diese Sparmaßnahmen ergriffen hat, um eine Krise zu verhindern.“

Obwohl die Demonstrationen großenteils spontaner Natur waren, versuchten etablierte „Oppositions“-Parteien wie die marktorientierte Nationalliberale Partei (NLP) und die Sozialdemokratische Partei (SDP) schnell, die Proteste für ihre eigenen Zwecke auszubeuten, indem sie ihre Unterstützung verkündeten, die „Suspendierung des Präsidenten“ und Neuwahlen forderten. Mitglieder der weit rechts stehenden Noua dreapta versuchten, die Demonstrationen zu unterwandern.

Auch die mit den rechtsgerichteten Oppositionsparteien verbandelten Medien spielten bei den Protesten eine Rolle. OTV, der TV-Sender der kürzlich gegründeten Volkspartei und Antena 3, der Nachrichtensender der Konservativen Partei, forderten beide die Menschen auf, ihre Häuser zu verlassen und an den regimefeindlichen Demonstrationen teilzunehmen.

Diesen populistischen Aufforderungen zur Unterstützung der jüngsten Proteste durch die „Oppositions“-Parteien sollte kein Glauben geschenkt werden. Sowohl NLP, als auch SDP haben in der Vergangenheit Sparmaßnahmen unterstützt. Als Teil der 2004 gewählten Koalitionsregierung hat die NLP die 16prozentige Pauschalsteuer eingeführt, die Rumänien zu einem Paradies für internationale Firmen gemacht hat, die nach einer billigen ökonomischen Plattform in Osteuropa suchen.

Was die Sozialdemokraten angeht, so haben sie bei der Restauration des Kapitalismus nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Systems die Hauptrolle gespielt. Ein großer Teil ihrer Führungskräfte entstammt der früher herrschenden stalinistischen Partei. Die Sozialdemokraten haben Rumänien von 1992 bis 1996 und dann wieder von 2000 bis 2004 regiert. Nach den Parlamentswahlen von 2008 war die SDP auch ursprünglicher Koalitionspartner des gegenwärtigen Premierministers Emil Boc (Liberaldemokratische Partei, LPD). Sie hat 2009 mit Boc zusammen den Vertrag mit dem IWF unterschrieben.

Der ehemalige KP-Getreue Ion Iliescu besetzte den Posten des Präsidenten der Republik als SDP-Mitglied von 1990 bis 1996 und von 2000 bis 2004. Er ist bis heute Ehrenpräsident der SDP.

Während dieser Periode entwickelte Rumänien sich zu einem der Länder in Europa mit der größten sozialen Ungleichheit. Nach dem Gini-Koeffizienten, der die ungleiche Verteilung des Reichtums misst, rangiert Rumänien zusammen mit Ungarn weit unten und wird in der Region nur von Polen und Kroatien übertroffen.

Während eine winzige Elite ansehnliche Profite eingestrichen hat, enthüllen Statistiken, die Econtext im Januar veröffentlicht hat, dass Rumänien, was die Anzahl der in Armut lebenden Menschen angeht, innerhalb der Europäischen Union mit 41,4 Prozent den zweiten Platz einnimmt. Econtext zufolge fallen unter diese Zahl zwei Millionen Rentner, die von weniger als einhundert Euro pro Monat leben. Nur das benachbarte Bulgarien, in dem 41,6 Prozent der Bevölkerung zur Armut verdammt ist, hat einen noch niedrigeren Lebensstandard.

Als Gegenleistung für einen 2009 gegebenen Kredit in Höhe von 20 Milliarden Euro fordern der Internationale Währungsfonds und die Europäische Union sogar noch schärfere Sparmaßnahmen. Die Boc-Regierung hat die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst 2010 bereits um 25 Prozent  und die Renten um 15 Prozent gekürzt. Jetzt, da eine Anzahl größerer Konzerne aus dem Westen sich aus Rumänien zurückziehen, um sich in noch billigeren Gegenden anzusiedeln, schlägt Premier Boc für 2012 zusätzliche Kürzungen in den Bereichen Ausbildung, Kultur und Gesundheitswesen vor.

Ein Regierungsentscheid vom 31. März 2011 führte zur Schließung von 67 Krankenhäusern und betraf die Arbeitsstellen von 670 Ärzten und mehr als 2000 medizinischen Hilfskräften. Die Regierung rechtfertigte ihre jüngsten Vorschläge für weitreichende Privatisierungen der verblieben Krankenhäuser des Landes mit dem Argument, das Gesundheitssystem sei „das schwarze Loch“ der Staatsfinanzen. Diese Maßnahmen werden Arbeiter und Arme am härtesten treffen und ihnen das Recht auf ausreichende medizinische Versorgung vorenthalten.

Die katastrophalen sozialen Bedingungen und die zunehmende Wut der rumänischen Bevölkerung werden unweigerlich zu weiteren Protesten führen. Den Demonstrationen in Rumänien am vergangenen Wochenende waren Demonstrationen in Ungarn und eine Welle zunehmender sozialer Proteste in ganz Osteuropa vorangegangen.

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