In dieser Woche finden die bisher größten Warnstreiks in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes statt. Den Anfang machte am Montag das Bodenpersonal an insgesamt 13 Flughäfen, darunter die Drehkreuze Berlin, Frankfurt, Köln und München. Darauf folgen seit Dienstag in vielen Bundesländern Warnstreiks der kommunalen Betriebe und des öffentlichen Nahverkehrs.
In Baden-Württemberg, Hessen, NRW, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern und zuletzt auch wieder in Berlin werden hunderte von Betrieben teilweise mehrere Tage lang bestreikt. Betroffen sind die Straßenbahnen und Busse, die Kliniken und Pflegeheime, die Abfallentsorgung, Stadtreinigung und Wasserwerke, Kitas und zahlreiche städtische Einrichtungen und Verwaltungsbetriebe.
In hunderten Städten, von Kassel und Frankfurt über Duisburg, Dortmund, Mainz und Mannheim bis Stuttgart und Karlsruhe, beteiligen sich Zehntausende an regionalen Demonstrationen und Kundgebungen. Zum Wochenende sind auch in Berlin neue Streiks bei Vivantes, der Charité, dem Jobcenter, den Wasserwerken und der Hochschule für Technik und Wirtschaft angekündigt. Dann legen auch Angestellte vieler Bundesverwaltungsstellen und Stiftungen die Arbeit nieder.
Die Warnstreiks werden durch die Tatsache angeheizt, dass die öffentlichen Arbeitgeber bisher nicht das geringste Angebot gemacht haben. Gleichzeitig hat die künftige Bundesregierung von CDU/CSU und SPD in ihren Sondierungsgesprächen gerade die Weichen für gigantische Kriegskredite gestellt, welche die beispiellose Höhe von einer Billion Euro erreichen könnten. Das kann nur auf Kosten des öffentlichen Dienstes und überhaupt der Arbeiterklasse gehen.
Der kommende Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat dies schon vor der Bundestagswahl in einem TV-Duell angedroht. Er sagte: „Wir werden Prioritäten im Haushalt setzen müssen. Und Prioritäten setzen heißt, dass wir uns nicht mehr alles wünschen können. Dass wir vielleicht auch mal ganz gezielt an den Subventionierungsabbau herangehen müssen, dass wir auch ganz gezielt auf den öffentlichen Dienst schauen müssen.“
Wenn die kommende Regierung „gezielt auf den öffentlichen Dienst schaut“, heißt das, dass sie den Haushalt für Soziales noch einmal empfindlich kürzen will, wie das gerade in den USA unter Trumps Kahlschlagsminister Elon Musk geschieht. Auch in Frankreich, Österreich und anderen Ländern Europas setzen die Regierungen soziale Kürzungen durch, um die Rüstung zu finanzieren. In jedem Land steht die Arbeiterklasse vor dem Problem, dass sie für die Spar- und Kriegshaushalte der Oligarchen bluten muss.
Die Kriegsfrage spielt in den Warnstreiks eine immer größere Rolle. Auf Plakaten wird beispielsweise „mehr Geld statt Waffen“ oder ein „Sondervermögen für die Pflege“ gefordert.
„Der Krieg ist ein absoluter Irrweg“, sagt ein Verdi-Betriebsrat, der im Ausländeramt der Stadt Frankfurt arbeitet. „Im Zeitalter der Atomsprengköpfe ist das einfach keine gangbare Alternative. Es ist eine große Illusion, zu glauben, dass da irgendeine Seite gewinnen könnte.“ Er ist einer von 8.000, die am Dienstag auf dem Frankfurter Römerberg protestieren. Sie kommen aus der gesamten Region.
Benjamin, ein Verwaltungsangestellter aus Rüsselsheim, findet die Kriegsentwicklung „grauenhaft, gar nicht gut“. Zu den neuen, milliardenschweren Sondervermögen sagte er: „Das zeigt doch schon, dass das ganze Argument, es sei kein Geld da, nur vorgeschoben ist. Wir brauchen alle mehr Lohn, damit wir vernünftig leben und die Preissteigerungen ausgleichen können.“ Die schlechte Bezahlung führe zum Personalmangel: „Wir haben definitiv zu wenig Personal. Acht Prozent mehr Lohn – das wäre ein Anfang.“
Dafür müsste man aber in den Konflikt gehen und nicht immer einen Kompromiss abschließen, fuhr er fort. Er sei „skeptisch, ob Verdi das durchsetzt. Bei den letzten Abschlüssen haben wir auch schon starke Streiks organisiert, aber am Ende kam nichts dabei raus.“ Verdi habe viel zu rasch einem faulen Kompromiss zugestimmt. Bei der Gewerkschaft sei „einfach der Wille nicht da“, urteilt Benjamin.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert offiziell 8 Prozent mehr Lohn, mindestens 350 Euro mehr für Niedriglohnempfänger sowie drei zusätzliche Urlaubstage. Doch kaum jemand glaubt noch, dass Verdi diese Ziele auch wirklich durchsetzen wird. In Frankfurt spricht Christine Behle, stellvertretende Verdi-Vorsitzende, in ihrer Rede nur noch von „ordentlichen Tarifverträgen“, für die sie kämpfen wolle. Bei der Post hat Verdi vor zwei Wochen einen Abschluss über 2 Prozent für dieses Jahr (im Ganzen 5 Prozent für zwei Jahre) unterzeichnet – was Reallohnsenkung bedeutet, denn schon im Januar lag die Inflation bei 2,3 Prozent.
Auch Helge, ein Altenpfleger bei der Johanna-Kirchner-Stiftung der AWO in Frankfurt, ist skeptisch, was die bevorstehende Verhandlung angeht. „Also 8 Prozent werden das nicht“, sagt Helge. Er geht davon aus, dass man sich am Wochenende in Potsdam noch gar nicht einigen werde. „Die werden nichts machen, solange nicht die neue Regierung im Amt ist.“ Er erwartet, dass eine Schlichtung eingesetzt werde – „und dann kommt es eventuell zum unbefristeten Streik!“ Dazu wäre er jedenfalls bereit, denn: „Eine Nullrunde können wir nicht hinnehmen.“ Der Personalmangel sei schlimm: „Es wird so viel gespart, und die Arbeitsverdichtung wird immer schlimmer.“
Janni und Kevin arbeiten in den Kindertagesstätten EKO in Offenbach, und Kevin berichtet: „Bei uns ist es katastrophal. Wir haben viele kranke Leute; manchmal ist nur ein Drittel der Belegschaft da.“ – „Und es kommt auch keiner nach“, ergänzt Janni, die in der Krippe mit den Kleinsten arbeitet. „Wenn wir Glück haben, sind wir zu dritt mit zwölf Kindern im Alter von fast Null bis dreieinhalb“, sagt sie. „Aber sehr oft sind wir nur zu zweit.“ Ebenso bei Kevin, der in der Kita für die Drei- bis Sechsjährigen arbeitet: „Wenn’s gut läuft sind wir zu zweit mit bis zu 25 Kindern. Aber nur wenn’s gut läuft, und auch nicht den ganzen Tag.“ Wenn einem Kind was passiert, ist ein Kita-Erzieher mit den übrigen 24 Kindern allein. „Da können wir nur hoffen, dass von den Kollegen noch jemand einspringt.“ Janni dazu: „Das kann es doch nicht sein; das kann man doch nur noch Verwahrung nennen.“
Die Forderung von 8 Prozent finden beide „einen wichtigen ersten Schritt“, aber Kevin sagt: „Da muss noch viel mehr kommen. Die Rahmenbedingungen müssen geändert werden, damit wir kleinere Gruppen und einen besseren Personalschlüssel haben. Mehr Geld hilft natürlich auch, um neue Kollegen anzulocken.“ Auf die Frage, ob sie Vertrauen hätten, dass Verdi das durchsetzt, antworten sie: „Wir hoffen es sehr!“ Denn, wie Janni erklärt: „Bei uns können viele Frauen nur Teilzeit arbeiten, weil sie Kinder haben. Sie verdienen also weniger. Dabei sind die Mieten in Offenbach schon fast genauso hoch wie in Frankfurt, und alle Preise sind gestiegen.“
Kevin sagt: „Es heißt immer, es sei kein Geld da. Im sozialen Bereich gibt es einen riesigen Rückstau. Bisher wurde das immer mit der Schuldenbremse erklärt. Aber jetzt sehen wir doch, dass Geld ist da – es wird nur ganz falsch verteilt.“ Zu der Kriegsfrage sind beide unsicher „in einer Welt, wo jemand Krieg anfängt“, aber eine internationale Antikriegsbewegung würden sie unterstützen. Janni sagt, dass es gerade wichtig sei, „unsere Kinder vernünftig auszubilden. Das ist der Anspruch, den wir doch haben müssen.“ Dies müsse auch in ghettoartigen Wohngebieten in Offenbach gelten, wo viele internationale Arbeiter wohnen.
Pedro, ein Straßenbahnfahrer bei der Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF), ist mit seinem Kollegen gekommen. „Einen Abschluss wie bei der Post brauchen wir nicht“, sagt er. „Unter der Inflation! Warum hat man Geld für die Rüstung, aber nicht für uns?“ fährt er fort. Pedro glaubt nicht, dass Verdi wirklich für die Arbeiter kämpfe, und er weist darauf hin, dass bei der VGF die frühere Verdi-Sekretärin Kerstin Jerchel vor zwei Jahren zur ersten Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin übergewechselt hat.
„Da wird gelogen und betrogen.“ Die Vertreter der Großkonzerne sollten den Arbeitern offen sagen: „Wir wollen an eure Ersparnisse ran“, dann wäre die Sache klar, findet er. „Es ist ein politisches Problem.“ Dagegen würde nur helfen, wenn „wir alle zusammen streiken. Auch mit den Busfahrern, die bei VGF schon lange privatisiert sind. Seither verdienen sie noch weniger als wir.“
„Wir halten den Laden am Laufen“, steht auf einem Transparent von Streikenden in Duisburg, wo rund 2.000 Streikende zur Demonstration und Kundgebung gekommen sind.
Das ist auch die vorherrschende Meinung beim Warnstreik am Frankfurter Flughafen am Montag frühmorgens. „Wir sind es doch, die die harte Arbeit machen“, sagt Salim, ein Bodenarbeiter, der auf dem Rollfeld die großen Maschinen ein- und auslädt. „Wir sind immer draußen, bei Wind und Wetter, im Sommer bei 40 Grad.“ Mit einem Bruttolohn von etwa 2.500 Euro reiche das Geld dafür meist nicht einmal bis zum Monatsende. „Du musst wissen“, sagt der Arbeiter, „dass die meisten von uns zu unregelmäßigen Zeiten Schicht haben und per PKW kommen müssen.“ Aber der Benzinpreis sei nicht gefallen. Hinzu kommen die Mieten im Rhein-Main-Ballungsraum, und eine besondere Zulage dafür gebe es nicht.
Die Wut über die soziale Misere, das mangelnde Vertrauen und immer mehr auch der Wunsch, gegen den beispiellosen Kriegshaushalt auf die Straße zu gehen, all dies hat bewirkt, dass die Streiks dieser Woche größer ausfallen, als ursprünglich geplant. An den Flughäfen haben am Montag mehrere zehntausend Beschäftigte mitgestreikt, darunter öffentliche Bedienstete der Flughafenbetreiber, Beschäftigte der Luftsicherheit der Fluggast-, Personal-, Waren- und Frachtkontrolle, sowie auch 23.000 Arbeiter der Bodenverkehrsdienste, von denen viele bei privaten Dienstleistern beschäftigt und gar nicht direkt vom TVöD abhängig sind.
In Hamburg hat sich Verdi aufgrund des Drucks aus der Belegschaft gezwungen gesehen, den Streik einen Tag früher, schon am frühen Sonntagmorgen, auszurufen. Denn die Beschäftigten in der Gepäckabfertigung sind entschlossen, Streikbrecher des Arbeitgebers abzuwehren. Allein am Montag fielen dann von Hamburg bis München mehr als 3.500 Flüge aus, und über eine halbe Million Passagiere waren betroffen.
Die ausgedehnten Warnstreiks sind Ausdruck eines wachsenden Selbstbewusstseins der Arbeiterklasse. Aber die große Macht, die sich potentiell gegen Krieg und soziale Kürzungen richten könnte, wird von den Gewerkschaften gelähmt und sabotiert. Zusammen mit der IG Metall spielt Verdi dabei die entscheidende Rolle, um eine Antikriegsbewegung zu verhindern.
Am Freitag beginnt in Potsdam die dritte und entscheidende Verhandlungsrunde über den neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Dann sitzen die Verdi-Führer Frank Werneke und Christine Behle, die selbst der Regierungspartei SPD angehören, mit der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und den Vertretern der kommunalen Arbeitgeber zusammen. In Potsdam verhandeln sie hinter verschlossenen Türen über den neuen Vertrag für mehr als 2,6 Millionen Beschäftigte, und er wird Bestandteil eines kommenden Spar- und Kriegshaushalts sein.
Um den Ausverkauf zu stoppen, müssen die Warnstreiks zum Ausgangspunkt für eine breite Mobilisierung der ganzen Arbeiterklasse gemacht werden. Die gefährliche Kriegspolitik muss aufgehalten, der Lohnkampf muss mit dem Kampf gegen Krieg verbunden werden. Dafür braucht es von Verdi unabhängige Aktionskomitees in jedem Betrieb. Diese Komitees werden Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen in andern europäischen Ländern und auch in den Vereinigten Staaten aufnehmen, um den Kampf gegen Krieg gemeinsam zu führen. Dafür kämpfen die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre Schwesterparteien in der Vierten Internationale, die Socialist Equality Parties auf der ganzen Welt.