Dreizehn Jahre, nachdem die Obama-Regierung zusammen mit ihren regionalen Verbündeten ihre unablässige Kampagne begann, das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mithilfe islamistischer Stellvertreterkräfte zu stürzen, hat die al-Qaida-nahe Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) Damaskus erobert.
Da die USA, die Türkei und Israel jeweils ihre eigenen Interessen in Syrien verfolgen, ist Syrien jetzt mit einer reaktionären Zerstückelung des Landes konfrontiert, angeführt durch die imperialistischen Mächte.
Washington und die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) haben hunderte Luftangriffe durchgeführt, um die Militärstützpunkte und Waffen Syriens und seiner Verbündeten, einschließlich derjenigen des Irans, der Hisbollah und Russlands, zu zerstören. Von der Türkei unterstützte syrische Oppositionsgruppen haben Manbidsch und weitere Städte im Norden Syriens eingenommen, die bisher von den US-unterstützten kurdischen Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kontrolliert wurden. Die SDF wiederum haben die Kontrolle über Deir es-Zor und die dortigen Ölanlagen am Westufer des Euphrat übernommen. Israel hat völkerrechtswidrig die Sicherheitszone auf den syrischen Golanhöhen und die angrenzenden Gebiete besetzt. Washington hat seine Entschlossenheit betont, den Islamischen Staat zu besiegen, der im Osten Syriens die SDF angegriffen hat. Damit signalisieren die USA, dass sie ihre Bestrebungen fortsetzen werden, die Kontrolle über das vom Krieg zerrissene Land zu erlangen.
Die Aussicht auf erneute Kämpfe und die Aufteilung des Landes verschlimmern einen Konflikt, der bereits zuvor der tödlichste des 21. Jahrhunderts war.
Im März 2011 kam es in mehreren Städten Syriens zu Protesten gegen die Regierung und die Verschlechterung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, während die Reichen immer reicher wurden. Diese Proteste wurden mit tödlicher Gewalt niedergeschlagen. Genau wie zuvor in Libyen nutzte Washington dies als Vorwand für eine groß angelegte Operation zur Durchsetzung seiner geostrategischen Interessen gegen ein Regime, das es seit langem bekämpft hatte.
Die Vereinten Nationen, die USA und die Europäische Union verurteilten das brutale Vorgehen Syriens in einem Chor moralischer Entrüstung, während sie nur pro forma Kritik an der weitaus schlimmeren Unterdrückung in den verbündeten Staaten Bahrain und Jemen übten, inmitten der allgemeinen Erhebung der Arbeiterklasse in der Region, die als arabischer Frühling bekannt wurde.
Die CIA und Washingtons regionale Verbündete, die Ölmonarchien am Golf, die Türkei und Israel finanzierten, sponserten, trainierten und unterstützten eine Reihe von islamistischen Milizen als Stellvertreterkräfte, um Assad zu stürzen. Diese sunnitischen sektiererischen Kräfte, von denen einige wie die al-Nusra-Front Beziehungen zu al-Qaida unterhielten, wurden jedoch absurderweise als „Revolutionäre“ bejubelt.
Zahlreiche pseudolinke Gruppen beeilten sich, diese Kräfte als „Revolutionäre“ zu propagieren. Dabei versuchten sie gar nicht erst, zu erklären, wer diese „Revolutionäre“ waren – in vielen Fällen handelte es sich um diskreditierte ehemalige Regimevertreter – und ignorierten die beteiligten Klassenkräfte. Sie machten sich nicht die Mühe, ihr politisches Programm zu beschreiben, oder zu erklären, warum feudale Golf-Despoten, die im eigenen Land jede Opposition verbieten, eine progressive Revolution im Ausland unterstützen sollten – noch dazu mit Unterstützung durch die imperialistischen Mächte. Dass diese reaktionären Kräfte in enormem Ausmaß durch CIA-Programme wie Operation Timber Sycamore finanziert wurden, wurde erst Jahre später bekannt. Heute begrüßen diese pseudolinken Gruppen den Sturz des Assad-Regimes durch diese islamistischen Reaktionäre, die mit den Geldgebern und Verantwortlichen für den Völkermord in Gaza verbündet sind.
Sie haben einen Krieg unterstützt, der fast 500.000 Menschenleben gefordert hat, fast die Hälfte aller konfliktbedingten Todesopfer weltweit in diesem Zeitraum. Das Ausmaß des Konflikts verringerte sich zwar nachdem Russland und der Iran auf der Seite des syrischen Regimes eingegriffen hatten, doch im Norden und Osten des Landes gingen die schweren Kämpfe weiter. In den ersten zehn Monaten des Jahres wurden mehr als 450 Zivilisten in diesem Konflikt getötet.
Der Krieg hat die beiden Grundpfeiler der Wirtschaft deutlich geschwächt: das Erdöl und die Landwirtschaft. Die syrischen Ölexporte waren zwar gering im Vergleich zu denen anderer Staaten des Nahen Ostens, machten aber im Jahr 2010 etwa ein Viertel der Staatseinnahmen aus, und die Lebensmittelproduktion hatte einen ähnlichen Anteil am BIP. Die Regierung verlor die Kontrolle über die meisten ihrer Ölfelder an Rebellengruppen wie den IS oder die von den USA unterstützten kurdischen Kräfte. Internationale Sanktionen schränkten 2011 den Export von Öl stark ein, und die Fördermenge sank auf weniger als 9.000 Barrel pro Tag in den vom Regime kontrollierten Gebieten im letzten Jahr (von 380.000 Barrel pro Tag im Jahr 2010). Syrien wurde stark von Importen aus dem Iran abhängig. Das wird nun vermutlich eingeschränkt, da die von den USA unterstützten Kräfte die Kontrolle über den Grenzübergang Bukamu zum Irak kontrollieren. Strom war schon seit langem knapp und ist den Großteil des Tages abgeschaltet. Das bedeutet, dass Familien keine funktionierenden Kühlschräke haben und um 2 Uhr morgens aufstehen müssen, um ihre Waschmaschinen zu benutzen.
Der Krieg hat Syriens Städte und Infrastruktur, seine Landwirtschaft und Bewässerungssysteme zerstört, dazu kommt ein tödliches Erbe in Form von nicht explodierten Artilleriegeschossen, Minen, Streumunition und anderen Kampfmitteln auf Äckern, an Straßenrändern und in Gebäuden. Im Jahr 2011 lag Syrien im globalen BIP-Ranking auf Platz 68 von 196 Ländern und war damit ein Land mit niedrigem mittlerem Einkommen. Seit 2010 ist sein Bruttoinlandsprodukt um mehr als die Hälfte gesunken, und das Land ist auf Platz 129 abgestiegen, gleichauf mit den Palästinensergebieten und dem Tschad. Es gehört nun zu den Ländern mit niedrigem Einkommen, in denen sich Familien nur mit Mühe ernähren können.
Etwa fünf Millionen der 21 Millionen Einwohner haben das Land verlassen. Weitere sieben Millionen – ein Drittel der Bevölkerung – sind Binnenflüchtlinge, viele davon leben in überfüllten Lagern und haben sämtliche Ausweise und Besitzdokumente verloren. In etwa 30 Prozent der Haushalte ist ein Mitglied entweder gestorben oder ausgewandert; Letzteres betrifft vor allem junge Männer zwischen 20 und 40 Jahren.
Durch die Abwanderung eines Teils der am besten ausgebildeten Menschen sind öffentliche Dienstleistungen nur noch eingeschränkt möglich, vor allem in den Bereichen Wasser, Hygiene und Gesundheit, wodurch die Gesundheit von immer mehr Menschen gefährdet ist. Syrien hat derzeit mit einem aktiven Cholera-Ausbruch zu kämpfen. Wiederholte Ausbrüche von durch Wasser übertragenen Krankheiten, Mangel an Impfstoffen und Lebensmitteln tragen zu steigenden Unterernährungsraten bei.
Da ein Großteil der Produktionsbetriebe des Landes im Krieg zerstört wurde, arbeiten mittlerweile die meisten Menschen im informellen Sektor zu niedrigen Löhnen. Da die Regierung die begrenzten Subventionen für Nahrungsmittel und Treibstoff gestrichen hat, sind Familien zunehmend auf Überweisungen von Familienmitgliedern aus dem Ausland angewiesen. Während die Löhne gefallen sind, stiegen gleichzeitig die Vermögen und Einkommen der Reichen.
Während es im Jahr 2010 so gut wie keine extreme Armut gab, waren im Jahr 2022 mehr als 25 Prozent der Syrer, d.h. 5,7 Millionen Menschen, davon betroffen. Gemäß der internationalen Armutsgrenze leben etwa 16,7 Millionen Syrer – 70 Prozent der Bevölkerung – in Armut. Mehr als 50 Prozent der extrem Armen leben in den Gouvernements Aleppo, Hama und Deir es Zor, und die nordöstlichen Gouvernements haben die höchste Armutsquote.
Die Hauptverantwortung für die schrecklichen Bedingungen überall in Syrien liegt beim US-Imperialismus und seinen europäischen Pendants, die versucht haben, Syrien mit Aushungern zur Unterwerfung zwingen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Assad konnte zwar mit der Hilfe des Irans und Russlands sowie dessen regionalen Verbündeten die Kontrolle über einen Großteil des Landes zurückgewinnen, doch die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen verbesserten sich nicht, da die erste Trump-Regierung im Jahr 2020 versuchte, Syrien durch bilaterale und sekundäre Sanktionen gegen den Bankensektor, die Exportindustrien und -wirtschaft in den Bankrott zu treiben.
Die USA haben durch ihre Kontrolle über multilaterale Finanzinstitutionen auch den Zusammenbruch der libanesischen Wirtschaft im Jahr 2019 herbeigeführt, die eng mit Syrien verbunden ist, um die Schlinge um Damaskus enger zu ziehen. Zusammengenommen haben diese Maßnahmen die Nachfrage nach Dollars drastisch erhöht, was zu einem massiven Anstieg der Lebenshaltungskosten geführt und verhindert hat, dass Syrien Hilfe beim Wiederaufbau erhält. Die Corona-Pandemie und die steigenden Kosten für Weizen in Folge des US/Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine haben die Armut weiter ansteigen lassen.
Die verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien im Februar 2023 haben die sozioökonomische Krise in Syrien verschärft, mehr als 6.000 Todesopfer gefordert, etwa 10.000 Gebäude zerstört und etwa 265.000 Menschen obdachlos gemacht. Die Erdbeben haben in Syrien direkte Sachschäden in Höhe von mehr als fünf Milliarden US-Dollar verursacht und das BIP um 5,5 Prozent verringert, nachdem es von 2011 bis 2022 laut der Weltbank bereits von 67 Milliarden auf 12 Milliarden US-Dollar gesunken war. Viele Familien verloren ihren Haupternährer, und Millionen Menschen wurden von humanitärer Hilfe abhängig.
Die Löhne im öffentlichen Dienst sind drastisch gesunken, so dass Arbeiter Zweitjobs annehmen mussten, wodurch die noch verbliebene Unterstützung für das Assad-Regime verloren ging. Letztes Jahr kam es in Suwayda, Dara'a und Idlib zu Streiks und Demonstrationen gegen die Verschlechterung der Bedingungen.
Die Arabische Liga hat Assad zwar wieder aufgenommen, nachdem sie ihn zu Beginn des Stellvertreterkriegs suspendiert hatte, und die Golfstaaten haben ihre Beziehungen zu Damaskus wieder aufgenommen. Dies führte jedoch nicht zu Investitionen oder nennenswerten Hilfsmaßnahmen, was die letzte Überlebenschance des Assad-Regimes untergrub.
Die Wirtschaft befindet sich nun im freien Fall. Zwischen Februar und November 2023 verlor das syrische Pfund die Hälfte seines Werts gegenüber dem US-Dollar und trieb die Inflation laut dem Welternährungsprogramm im Vergleich zum Vorjahr um ganze 88 Prozent in die Höhe – das Doppelte der Inflationsrate des Vorjahres. Als Grund dafür werden eingeschränkter Zugang zu Gütern, unterbrochene Lieferketten und höhere Vertriebskosten genannt. Nach Angaben des Syrian Center for Policy Research lebt mehr als die Hälfte der Syrer in bitterer Armut und ist nicht in der Lage, ihren Grundbedarf an Lebensmitteln zu decken.
Die UN haben 4,07 Milliarden Dollar beantragt, um ihre Aktivitäten in Syrien für dieses Jahr finanzieren zu können, aber bisher nur 31,6 Prozent davon erhalten.
Laut dem Bericht der Weltbank vom letzten Frühjahr wird Syriens langanhaltende wirtschaftliche Schrumpfung auch 2024 anhalten, mit einem weiteren Abschwung um 1,5 Prozent, sofesrn der Konflikt weitgehend eingedämmt wird und die staatlichen Subventionen für Nahrungsmittel und Treibstoffe auslaufen. Diese wirklich verzweifelte Lage wird sich weiter verschlimmern, wenn die rivalisierenden Gruppen und ihre Hintermänner das Land zerstückeln.
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