Nachdem das von Russland und dem Iran unterstützte Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad durch Milizen unter Führung der al-Qaida-nahen Hayat Tahrir al-Sham (HTS) zu Fall gebracht wurde, hat sich der Kampf zwischen den USA, Israel und der Türkei um die Aufteilung und Ausplünderung des Landes verschärft.
Am Donnerstagabend traf US-Außenminister Antony Blinken nach einem Besuch in Jordanien in der Türkei ein und führte getrennte Gespräche mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Außenminister Hakan Fidan.
Ebenfalls am Donnerstag traf sich der Leiter des türkischen Geheimdienstes MİT, İbrahim Kalın, in Damaskus mit dem Führer der HTS Mohammed al-Dscholani (eigentlich Ahmed Hussein al-Shara) und dem neuen syrischen Ministerpräsidenten Mohammed Bashir.
Die Türkei hat gerade einen kommissarischen Geschäftsträger für ihre Botschaft in Damaskus ernannt und damit die diplomatischen Beziehungen mit Syrien wieder aufgenommen, die sie 2012 abgebrochen hatte. Dies und Kalıns Besuch sind Versuche, die HTS zu legitimieren, die auf dem Papier als „Terrororganisation“ gilt, und sie in Ankaras Einflusssphäre zu ziehen.
Erdoğan und Fidan machten nach ihren Gesprächen mit Blinken deutlich, dass es Ankara hauptsächlich darum geht, zu verhindern, dass die Kurden unter der Führung der Volksverteidigungseinheiten (YPG), die mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbündet sind, offiziellen Status in Syrien erlangen. Ankara fordert, dass Washington die Unterstützung für die YPG-geführten Syrischen Demokratische Kräfte (SDF) einstellt, als Bedingung für eine engere Zusammenarbeit mit seinem imperialistischen Verbündeten.
Nach dem Treffen zwischen Erdoğan und Blinken erklärte das Direktorat für Kommunikation: „Präsident Erdoğan erklärte, die Türkei werde, vor allem wegen ihrer nationalen Sicherheit, präventive Maßnahmen gegen alle in Syrien operierenden Terrororganisationen ergreifen, die eine Gefahr für die Türkei darstellen, vor allem gegen die PKK/PYD/YPG und DAESH [Islamischer Staat]. Er fügte hinzu, die Türkei – als einziger Nato-Staat, der in Nahkämpfe gegen DAESH verwickelt war – werde verhindern, dass die PKK und ihre Zweigorganisationen die Situation vor Ort ausnutzen. Die Türkei wird niemals Schwäche im Kampf gegen DAESH zulassen.“
Blinken erklärte nach seinem Treffen mit Fidan am Freitagmorgen: „Wie der (Außen)-Minister sagte, konzentrieren wir uns sehr stark auf Syrien, auf die Möglichkeiten, die sich uns jetzt bieten... Wir sprachen darüber, wie die Türkei, die USA und andere Partner in der Region diese Bestrebungen unterstützen können. Und ich denke, es herrscht breite Übereinstimmung darüber, welche Art von Fortschritten jeder von uns gerne sehen möchte.“
Washington und Ankara sind sich darin einig, die Zusammenarbeit mit ihren al-Qaida-nahen Stellvertretern auszuweiten und Syrien auszuplündern.
Fidan erklärte: „Wir haben detailliert über die Rolle der Türkei und der USA sowie der regionalen Akteure diskutiert, und wie wir kooperieren können. Unsere Priorität ist es, Syrien so schnell wie möglich zu stabilisieren, den Terrorismus zu unterbinden und zu verhindern, dass DAESH und die PKK dort die Vorherrschaft erlangen. Wir haben darüber gesprochen, was wir in Bezug auf sie unternehmen, was unsere gemeinsamen Anliegen sind, und wie wir sie lösen.“
Die Erdoğan-Regierung hat ihre Bestrebungen verstärkt, die Interessen der türkischen herrschenden Klasse in Syrien so weit wie möglich durchzusetzen. Am 27. November, nach Beginn der Offensive der HTS, eroberte die von der Türkei unterstützte islamistische Syrische Nationalarmee (SNA, vormals Freie Syrische Armee) die von den SDF kontrollierte Stadt Tal Rifaat und griff anschließend Manbidsch an. Der SDF-Kommandant Mazlum Abdi erklärte nach den Kämpfen, sie hätten unter Vermittlung der USA in Manbidsch einen Waffenstillstand mit der SNA geschlossen.
Bei türkischen Luftangriffen in Qamishli wurden außerdem zwölf Lastwagen mit Raketen, schweren Waffen und Munition, zwei Munitionsdepots und zwei Panzer zerstört, welche die SDF von der syrischen Armee erhalten hatte. Laut Berichten könnten sich die nächsten Angriffe der SNA-Milizen gegen die Stadt Kobane richten, ein wichtiges Zentrum der syrischen Kurden an der türkischen Grenze.
Nach dem Sturz des Regimes hatten die SDF die Kontrolle über Städte wie Qamishli, Hasaka und das ölreiche Deir Ez-Zor übernommen. Doch nachdem die HTS Damaskus eingenommen hatte, wechselten Berichten zufolge arabische Stämme, die bis dahin die SDF unterstützt hatten, die Seiten, und Deir ez-Zor fiel an die HTS.
Die SDF versuchen ihre engen Beziehungen zu den USA und der amerikanischen Militärpräsenz in der Region als Druckmittel zu benutzen, um einen offiziellen Status innerhalb des neuen Regimes zu erhalten. Der ehemalige Vorsitzende der Partei der Demokratischen Union (PYD), Salih Muslim, erklärte gegenüber BBC News Türkçe: „Die HTS haben sehr gute Dinge gesagt und sie warten darauf, dass sie in die Praxis umgesetzt werden... Wenn die HTS einen Schritt auf uns zumacht, werden wir zwei Schritte machen.“ Die PYD, zu der auch die YPG gehört, ist neben der PKK Mitglied der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK).
Muslim rief auch zur Unterstützung Israels und der hinter ihm stehenden imperialistischen Nato-Mächte auf, während Tel Aviv den Völkermord an den Palästinensern in Gaza fortsetzt und einen regionalen Krieg im gesamten Nahen Osten gegen den Iran und seine Verbündeten provoziert. Er erklärte: „Israels Verhalten kann die internationale Politik beeinflussen, vor allem die Herangehensweise der Europäer. Ich hoffe, dass ihre Fähigkeit, in dieser Frage zu handeln, noch offensichtlicher werden wird. Wir erwarten praktische Maßnahmen, die über verbale Unterstützung hinausgehen. Unsere Freunde hier begrüßen Israels Haltung und unterstützen sie von ganzem Herzen.“
Diese Haltung bringt den Bankrott der kurdischen nationalistischen Bewegung und der bürgerlich-nationalistischen Perspektive deutlich zum Ausdruck. Die Kräfte, an denen sich die kurdisch-nationalistische Bewegung orientiert und mit denen sie zusammenarbeitet, sind genau die imperialistischen und zionistischen Mächte, die einen Völkermord an den Palästinensern verüben und die Völker des Nahen Ostens, einschließlich der Kurden, jahrzehntelang in blutige Konflikte gestürzt haben.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Während Washington seine anhaltende Unterstützung für die SDF signalisiert hat, forderte das zionistische Regime, das von Süden her in Syrien einmarschiert ist und eine Eskalation seines Kriegs mit dem Iran vorbereitet, eine Stärkung der Beziehungen zu kurdisch-nationalistischen Kräften. Der israelische Außenminister Gideon Sa’ar erklärte Anfang November, die Kurden seien Israels „natürlicher Verbündeter“, womit er die kurdisch-bürgerliche Führung in der gesamten Region meinte.
Diese Unterstützung für kurdische Kräfte und Israels zunehmende Präsenz in Syrien könnten zu einem Zusammenstoß zwischen Tel Aviv und Ankara führen. Die Türkei betrachtet es als strategische Priorität, die Stärkung der PKK/YPG und die Schaffung eines kurdischen Staats zu verhindern. Obwohl die Türkei Israels Kriegsmaschinerie weiterhin beliefert, hat Erdoğan wiederholt vor einem möglichen Krieg zwischen der Türkei und Israel gewarnt.
Sa’ar erklärte am Montag: „Die Angriffe [der von der Türkei unterstützten SNA] auf die Kurden müssen aufhören, wie wir gestern in Manbidsch gesehen haben. Die internationale Staatengemeinschaft muss sich einmischen und aktiv werden, um die Kurden zu schützen, die tapfer gegen den IS kämpfen. Wir haben darüber mit der US-Regierung und anderen Staaten diskutiert.“
Seit der Eroberung von Damaskus durch die HTS hat Israel mit mehr als 500 Luftangriffen (Stand: Donnerstag) die syrische Verteidigungs-Infrastruktur stark beschädigt. Das israelische Militär weitet seine Invasion im Süden des Landes aus und steht laut Berichten 25 Kilometer vor Damaskus. Der Sprecher der HTS Obeida Arnaout weigerte sich, Tel Aviv zu verurteilen, als er von Channel 4 News zu den israelischen Angriffen befragt wurde.
Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz erklärte am Freitag, die israelische Armee werde ihre illegale Besetzung des Berges Hermon über die Wintermonate fortsetzen.
Der Regimewechsel in Syrien ist nur ein Zeichen dafür, dass sich der Kampf um Rohstoffe und Einfluss im Rahmen des sich entwickelnden Kriegs im Nahen Osten verschärft. Es könnte nicht nur zu einer Eskalation der Konflikte zwischen Stellvertreterkräften in Syrien kommen, sondern auch zwischen Verbündeten Mächten wie der Türkei und Israel, inmitten einer Eskalation gegen den Iran und seine Verbündeten in der Region.
Der einzige Ausweg für Arbeiter in Syrien und dem gesamten Nahen Osten, die in den Strudel des Kriegs gezogen werden, der von den USA und ihren regionalen Verbündeten wie Israel und der Türkei verschärft wird, besteht darin, sich zu vereinen und unter einer internationalen sozialistischen Strategie und Führung gegen den Imperialismus und alle bürgerlichen Regimes und deren Stellvertreter mobil zu machen. Der wichtigste Verbündete der Arbeiter des Nahen Ostens in diesem Kampf ist die amerikanische, die europäische und die internationale Arbeiterklasse.