Deutsche Reaktionen auf das Trump-Attentat: Nervosität, Faszination für Faschismus und Aufrüstung

Donald Trump nach dem Attentat [AP Photo/Gene J. Puskar]

„Politische Reaktion auf der ganzen Linie ist eine Eigenschaft des Imperialismus“ schrieb Lenin inmitten das Massenschlachtens der Ersten Weltkriegs. Die Reaktion von Politik und Medien in Deutschland auf das Attentat auf den ehemaligen US-Präsidenten und erneuten Kandidaten der Republikaner Donald Trump ist ganz und gar von dieser „Eigenschaft“ geprägt.

Zum einen herrscht Furcht und Nervosität über das Abgleiten der führenden imperialistischen Macht in Gewalt und Bürgerkrieg und die damit verbundenen Folgen für die Stabilität des deutschen und europäischen Kapitalismus. „Amerika gleitet ab in die Gewalt“ lautete die Überschrift des ersten Kommentars in der Süddeutschen Zeitung (SZ), „Im gewaltbereiten Amerika“ titelte die FAZ. „Die USA gleichen einem Pulverfass - und das Attentat auf den Ex-Präsidenten hat die Explosionsgefahr weiter erhöht“, warnt die SZ in einem weiteren Artikel.

Neben der Anerkennung des Offensichtlichen, dass Trump selbst zu dieser Entwicklung „maßgeblich beigetragen“ (SZ) hat, existiert eine regelrechte Faszination für den Faschisten, der sich mit der tatkräftigen Unterstützung der Demokraten zum Einer und Retter der Nation hochstilisiert. So huldigt etwa Jan Philipp Burgard, Chefredakteur des Nachrichtensenders WELT, Trump in einem Kommentar als dem „größten Instinktpolitiker unserer Zeit“. Er schreibt:

„Als die Schüsse auf ihn fallen und nur knapp sein Gehirn verfehlen, triumphiert sein politischer Instinkt über seinen Überlebensinstinkt. Während die allermeisten Politiker in Deckung geblieben und unter dem Schutz der Leibwächter von der Bühne gekrochen wären, reißt sich Trump von den herbeigeeilten Agenten des Secret Service los. Scheinbar unbeeindruckt von der anhaltenden existenziellen Bedrohung sucht und findet er die Kameras. ‚Fight, fight, fight!‘, ruft er seinen Anhängern entgegen.“

Mit dieser Reaktion habe Trump „seine Genialität in Sachen Inszenierung unter Beweis“ gestellt. Seinem „Image als erfolgreichem Geschäftsmann, TV-Entertainer und unkonventionellem Präsidenten“ habe er „instinktsicher das des amerikanischen Actionhelden“ hinzugefügt. Der Parteitag der Republikaner werde so „zur Krönungsmesse eines Kandidaten, der nach dem Attentat stärker wirkt als je zuvor. Viele von Abstiegsängsten geplagte Amerikaner sehnen sich nach genau dieser Stärke.“

Der ehemalige deutsche Gesundheitsminister und führende CDU-Mann Jens Spahn, der dem Parteitag in Wisconsin beiwohnt, lies in einem Interview mit dem Deutschlandfunk ebenfalls seiner unterschwelligen Bewunderung von Trump und dem faschistischen Treiben der Republikaner freien Lauf. „Die Menge hat ihm zugejubelt. Die Menge will ihn kämpfen sehen, das spürt man auch. Da war eine kampfeswillige, wahlkampfeswillige Stimmung. Er selbst war eher sehr ruhig, wie ich ihn selten gesehen habe. Ich bin sehr gespannt, was er diese Woche in seiner Rede sagen wird, ob er jetzt auch einigende Töne findet und das Land zusammenführt.“

Diese kaum verholene Faszination für den amerikanischen „Führer“, der am 6. Januar 2021 einen faschistischen Mob mobilisiert hat, um sich im Amt zu halten und offen davon schwadroniert, künftig als Diktator zu regieren, hat vor allem einen Grund. Auf die wachsende Opposition gegen die enorme soziale Ungleichheit, Militarismus und Krieg reagiert auch die herrschende Klasse in Deutschland mit einer Hinwendung zu Autoritarismus und Faschismus.

Anders als in den 1930 Jahren verfügt sie über keine faschistische Massenbewegung, aber sie baut mit der AfD systematisch eine rechtsextreme Partei auf und setzt deren Agenda in die Tat um. Auch mit Trumps faschistischer Politik hat sie abgesehen davon, dass er letztlich ein Vertreter des US-Imperialismus ist, keine grundlegenden Differenzen.

Hinter den Kulissen laufen längst intensive Vorbereitungen auf eine mögliche Zusammenarbeit mit Trump im Fall einer erneuten Präsidentschaft. Es gelte „schon jetzt die Gemeinsamkeiten zu suchen in den Themen“, erklärte Spahn. „Im Stil gibt es die nicht, in den Themen gibt es die ganz sicher, Stichwort NATO, Stichwort Migration, Stichwort Nonproliferation nuklearer Waffen.“ Trump werde „sehr wahrscheinlich der nächste Präsident“ und Deutschland und Europa müssten „diesmal besser vorbereitet sein“.

Im Zentrum dieser „Vorbereitung“ steht die Sorge um die Fortsetzung und Ausweitung des Nato-Kriegs in der Ukraine. Zwar gibt es wachsende Anzeichen dafür, dass Trump die vom US-Imperialismus geführte Kriegsoffensive gegen Russland nicht einfach beenden wird. Erst vor wenigen Tagen erklärte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), dass er sich „nicht vorstellen“ könne, „dass ein anderer Präsident davon abrückt“, wie vereinbart, die gegen Russland gerichteten weitreichenden US-Präzisionswaffen in Deutschland zu stationieren.

Trotzdem dominiert der Ruf nach mehr deutscher und europäischer Führung, um die eigenen geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen aggressiver zu verfolgen – nicht zuletzt auch gegenüber Washington. Dabei reichen die Forderungen von mehr außenpolitischer Souveränität bis hin zur Entwicklung einer europäischen oder deutschen Nuklearmacht.

Unabhängig davon, wer der nächste US-Präsident sei, müsse man sich „darauf einstellen, dass die Anforderungen an Deutschland und die EU für mehr Eigenverantwortung steigen werden“, mahnte der Transatlantikkoordinator der Bundesregierung Michael Link (FDP) gegenüber dem RND. Zusammen mit weiteren Vertretern der Regierungsparteien nimmt Link ebenfalls am Parteitag der Republikaner teil.

Man habe sich „jahrzehntelang darauf verlassen, dass die USA für unsere Sicherheit sorgen“, erklärte Link weiter. „Dieses Outsourcing“ sei nun „vorbei, und das ist gut so, denn ohne uns von den USA oder gar von der Nato zu lösen, müssen wir lernen, dass der europäische Pfeiler des transatlantischen Bündnisses verstärkt auf eigenen Beinen stehen kann.“

Welche umfassenden Aufrüstungs- und Kriegspläne das beinhaltet, zeigen die aktuellen Diskussionen über die Wiedereinführung der Wehrpflicht genauso, wie der neue Kriegshaushalt, und das erklärte Ziel der Bundesregierung, Deutschland trotz der verheerenden Rolle des deutschen Imperialismus in zwei Weltkriegen wieder „kriegstüchtig“ zu machen und auf einen großen europäischen „Landkrieg“ gegen Russland vorzubereiten.

Auch die Forderung nach eigenen Nuklearwaffen rückt wieder ins Zentrum. Die USA hätten zwar „vor Kurzem angekündigt, nach Jahrzehnten wieder Langstreckenwaffen in Deutschland stationieren zu wollen“, die „auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden“ könnten, heißt es in einem Deutschlandfunk-Artikel vom 16. Juli. Doch zugleich sei klar, die Europäer könnten „sich nicht mehr unbedingt auf die atomare Verteidigung durch die USA verlassen.“

Der Artikel diskutiert vor allem zwei mögliche Varianten: „EU-eigene Atomwaffen“ und „eine Europäisierung des französischen Nuklearschirms“. Da jedoch beide Möglichkeiten als politisch, technisch und finanziell nur schwer umsetzbar gelten, bringt der Artikel auch „eine dritte Überlegung“ ins Spiel: „dass Deutschland selbst Atomwaffen anschafft“.

Dies wäre zwar „ein totaler Bruch mit deutscher außenpolitischer Tradition“, zitiert der Deutschlandfunk den Sicherheitsexperten Markus Kaim, der seit Mai das Referat „Geoökonomie und Sicherheitspolitik“ im Finanzministerium leitet. „Aber wir leben in einer Zeitenwende und sind an dem Punkt, bestimmte Annahmen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik der letzten 30 Jahre über Bord werfen zu müssen“.

Kaim und die herrschende Klasse wissen, dass der Bau einer deutschen Bombe auch einen vollständigen Bruch mit dem internationalen Recht bedeuten würde. Im Artikel heißt es: „Das zentrale Problem an der deutschen Variante: Eigene Atomwaffen sind aktuell rechtlich gar nicht möglich. Deutschland müsste aus dem Nicht-Verbreitungsvertrag austreten und letztlich auch den Vertrag zur deutschen Einheit, den sogenannten Zwei-plus-vier-Vertrag kündigen, so Kaim. Denn in diesem wurde der Atomwaffenverzicht Deutschlands bekräftigt.“

Dass ein hochrangiger Regierungsbeamter trotzdem öffentlich die Möglichkeit deutscher Atomwaffen in Betracht zieht und der Ruf nach der Bombe auch regelmäßig in den Medien erhoben wird, unterstreicht, welche faschistoide Geisteshaltung sich 85 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wieder in der herrschenden Klasse breit macht. Für die Durchsetzung ihrer imperialistischen Interessen ist sie bereit, alle Beschränkungen der Nachkriegszeit „über Bord zu werfen“ und erneut die schlimmsten Verbrechen zu begehen. Auch damit steht sie dem Faschisten Trump in nichts nach.

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