Verteidigungspolitische Richtlinien: „Kriegstüchtig“ wie die Nazis

Vor knapp zwei Wochen forderte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), Deutschland müsse wieder „kriegstüchtig“ und „wehrhaft“ werden, sowohl die Bundeswehr wie die Gesellschaft als Ganze müssten entsprechend aufgestellt werden.

Das Ziel, umfassend aufzurüsten und die gesamte Gesellschaft zu militarisieren, knüpft nicht nur rhetorisch, sondern auch inhaltlich an die Politik der Nazis an. Diese hatten vor und während des Zweiten Weltkriegs ständig die „Kriegstüchtigkeit“ und die „Wehrhaftigkeit“ des deutschen Volkes beschworen.

Nazi-Wochenzeitung "Das Reich" mit Leitartikel von Propagandaminister Josef Goebbels

So erschien am 9. Juli 1944, als die Niederlage der Wehrmacht bereits nicht mehr aufzuhalten war, die nationalsozialistische Wochenzeitung Das Reich mit der Schlagzeile „Kriegstüchtig wie nur je“. Der Leitartikel aus der Feder von Propagandaminister Joseph Goebbels beschwört die „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands und verlangt, alle Kräfte der „Nation“ für den „Sieg“ zu mobilisieren.

Dieses Ziel verfolgt die herrschende Klasse auch heute wieder. Am Donnerstag veröffentlichten Pistorius und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2023, die man nur als Blaupause für den totalen Krieg bezeichnen kann. In diese Richtung ging bereits die Nationale Sicherheitsstrategie, die im Juni veröffentlicht wurde.

Alle Bereiche der Gesellschaft sollen wieder auf Krieg ausgerichtet werden, deutsche Soldaten und Zivilisten sollen wieder massenhaft für die räuberischen Interessen des deutschen Imperialismus sterben. Das ist die Kernbotschaft des 35-seitigen Dokuments, die Pistorius und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag mit weiteren Kriegsreden auf der Bundeswehrtagung in Berlin untermauerten.

„Unsere Wehrhaftigkeit erfordert eine kriegstüchtige Bundeswehr“, heißt es gleich im ersten Abschnitt des Papiers. Das bedeute, „dass ihr Personal und ihre Ausstattung auf die Wahrnehmung ihrer fordernden Aufträge ausgerichtet sind“. Maßstab hierfür sei „jederzeit die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht“. Die Auseinandersetzung mit einem „mindestens ebenbürtigen Gegner“ wollen wir „nicht nur gewinnen, sondern wir müssen“.

Ein weiteres zentrales Ziel lautet: „Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime.“ Deutschland brauche „Soldatinnen und Soldaten, die den Willen haben, unter bewusster Inkaufnahme der Gefahr für Leib und Leben das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“.

Diese Aussagen sind eine Warnung. Im Zweiten Weltkrieg legte die herrschende Klasse Deutschlands Europa in Schutt und Asche und beging mit dem Vernichtungskrieg und dem Holocaust die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Seither wagte sie es nicht mehr, so offen über Krieg, Sieg und den Willen zum Tod auf dem Schlachtfeld zu sprechen. Nun ist sie entschlossen, Deutschland wieder zur führenden europäischen Militärmacht hochzurüsten und in die Lage zu versetzen, einen großen Krieg auch in Europa selbst zu führen.

„Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Deutschland und seine Verbündeten müssen sich wieder mit einer militärischen Bedrohung auseinandersetzen“, heißt es im ersten Absatz des Dokuments. Diese „Zeitenwende“ verändere „die Rolle Deutschlands und der Bundeswehr fundamental“. Als „bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas“ trage man „Verantwortung“ und müsse „Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein“.

Als Hauptgegner identifiziert das Papier die Atommacht Russland. Nach ihrem „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ gegen die Ukraine bleibe die Russische Föderation „ohne einen fundamentalen inneren Wandel dauerhaft die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum“.

Das stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Tatsächlich hat die Nato den russischen Einmarsch durch ihre Aggressionen bewusst provoziert. Und vor allem der deutsche Imperialismus nutzt den Krieg nun, um seine lang gehegten Aufrüstungspläne ins Werk zu setzen und sich trotz seiner historischen Verbrechen wieder militärisch Richtung Osten zu orientieren. So bezeichnen die Richtlinien die „Neuaufstellung einer Kampftruppenbrigade in Litauen“ als „das Leuchtturmprojekt der Zeitenwende“.

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht zur Bundeswehrtagung [Photo by Bundesregierung / Kugler]

Und Scholz ergänzte auf der Tagung der Bundeswehr: „Auch in den anderen baltischen Staaten, in Polen, der Slowakei und in Rumänien, tragen wir zur Sicherheit des Luftraums bei, verstärken wir die Präsenz am Boden, aber auch die Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses zur See.“ Und all dies sei „nur der Anfang; denn mit Umsetzung der Verteidigungsplanung der NATO“ werde man „noch weit stärker gefordert. Unsere geografische Lage in Europa bringt es mit sich, dass Deutschland als die zentrale Drehscheibe für die Allianz funktioniert.“

Die „Umsetzung der Verteidigungsplanung Nato“ bedeutet nichts weniger als Krieg gegen Russland. Auf dem letzten Nato-Gipfel in Vilnius verabschiedete die Allianz einen 4000 Seiten umfassenden Kriegsplan, der im Einzelnen festlegt, welche Truppen wo zum Einsatz kommen und welche Waffen ihnen zur Verfügung stehen.

Unter anderem wird die Schnelle Eingreiftruppe der Nato (Nato Response Force) von 40.000 auf 300.000 Soldaten aufgestockt. Konkret sieht der Nato-Plan vor, „die rechtzeitige Verstärkung aller Verbündeten gemäß unserem 360-Grad-Ansatz sicherzustellen“. Man habe sich „verpflichtet, diese Pläne finanziell voll auszustatten und regelmäßig zu üben, um auf hochintensive und bereichsübergreifende Maßnahmen der kollektiven Verteidigung vorbereitet zu sein“.

Die Verteidigungspolitischen Richtlinien reichen bis zur nuklearen Eskalation. „Landes- und Bündnisverteidigung erfordert auch weiterhin die Teilhabe an glaubhafter nuklearer Abschreckung“, heißt es im Abschnitt „Strategische Prioritäten der Verteidigungspolitik“. Durch die nukleare Teilhabe leiste Deutschland „unverändert seinen Beitrag zur nuklearen Abschreckung im Bündnis“.

Die deutschen Großmachtgelüste beschränken sich nicht auf Europa und Russland. Im Abschnitt Verteidigungspolitische Standortbestimmung“ heißt es: „Auch wenn sich unser Fokus auf die Sicherheit vor der Russischen Föderation richtet, steht Deutschland vor einer Vielzahl gleichzeitig wirkender, sich gegenseitig verstärkender sicherheitspolitischer Herausforderungen. So beeinflussen Krisen, Konflikte und regionale Spannungen unser unmittelbares Sicherheitsumfeld in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten, in der Arktis sowie im Indopazifik.“ China sei „gleichzeitig Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“. Und auch der „Cyber-, Informations- und Weltraum“ besitze „strategische Relevanz“.

Explizit formuliert das Papier den Anspruch der Bundeswehr, weltweit militärisch einzugreifen. Das „Spektrum“ der deutschen Beiträge reiche „über die Entsendung militärischer Beratergruppen sowie mobiler Trainingsteams bis zum Einsatz umfänglich befähigter Kontingente“.

Dabei geht es ausdrücklich um wirtschaftliche und geostrategische Interessen. „Für Deutschland als wirtschaftlich global vernetzte Handelsnation“ wirkten „sich Destabilisierungen in anderen Weltregionen sowie Bedrohungen für die Freiheit der Seewege direkt auf Sicherheit und Prosperität aus“. Die deutsche Verteidigungspolitik müsse wieder in „geostrategischen Räumen denken und handeln“.

Von früheren Strategiepapieren unterscheiden sich die aktuellen Richtlinien vor allem auch darin, dass sie die Konsequenzen der Kriegspläne wesentlich konkreter benennen – auch im Innern Deutschlands. Sie fordern den Aufbau einer Kriegswirtschaft und die vollständige Militarisierung der Gesellschaft. „Der Ausbau robuster und gesicherter rüstungsindustrieller Kapazität“ sei „ein wichtiges Element zur schnellen, umfassenden und durchhaltefähigen Versorgung der Bundeswehr in Krise und Krieg“.

Der Begriff der „Wehrhaftigkeit“ beschreibe „die innere Haltung zur Verteidigungsbereitschaft der gesamten Bundeswehr mit langfristiger Strahlkraft in alle verteidigungsrelevanten Bereiche und in die deutsche Gesellschaft“. Die Bundeswehr einschließlich der Reserve gehöre „in die Mitte der Gesellschaft“ und müsse „dort erlebbar sein, wo die Menschen sind“. Die „Wehrhaftigkeit zum Schutz Deutschlands“ sei „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ und „eine aktive, auch von der Gesellschaft getragene Veteranen- und Gefallenenkultur [...] eine stete Verpflichtung.“

Das Papier lässt keinen Zweifel daran, dass die arbeitende Bevölkerung den Preis für den Kriegswahnsinn zahlen soll: Als Opfer an der Front, die Pistorius zufolge auch wieder durch Deutschland selbst verlaufen kann; durch Sozial- und Lohnabbau, um die Aufrüstung zu finanzieren; und in Form massiver Angriffe auf demokratische Rechte, um den enormen Widerstand zu unterdrücken.

„Einsatzbereitschaft benötigt Ressourcen“ und „die Sicherheitspolitik“ werde „auf absehbare Zeit nicht ohne schwierige Prioritätensetzungen auskommen“, heißt es in dem Papier. Dabei dulde „der Anspruch an die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr… keinen Aufschub“ und mache „Zeit zum kritischen Faktor“.

Die herrschende Klasse kann es offenbar kaum erwarten, wieder Krieg zu führen und Völkermord und andere Verbrechen zu verüben. „Bitte machen Sie weiter so. Gehen Sie auch komplexe Prozesse mutig an, machen Sie Dinge möglich“, rief Scholz der versammelten Bundeswehrführung in Berlin zu. „Zum Umgang mit der Zeitenwende“ gehöre „auch, Lehren aus dem aktuellem Kriegsgeschehen [in der Ukraine und auch in Israel] zu ziehen und unsere Ausrüstung und Beschaffung entsprechend anzupassen.“

In Gaza unterstützen alle Bundestagsparteien – von der rechtsextremen AfD bis zur Linkspartei – den Völkermord an den Palästinensern. Mit den Verteidigungspolitischen Grundlagen soll diese verbrecherische Politik in einem noch viel größeren Maßstab entwickelt werden.

Die Sozialistische Gleichheitspartei wird das nicht zulassen und ihren Kampf gegen die kapitalistische und imperialistische Barbarei ausweiten. Die weltweiten Massenproteste gegen den Genozid in Gaza sind dafür die Grundlage. Sie müssen ausgeweitet, auf die Arbeiterklasse orientiert und mit einer sozialistischen Perspektive bewaffnet werden.

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