Nach Streikabsage: EVG und Bahn verhandeln über Reallohnkürzungen

Am vergangenen Wochenende hat die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ihren angekündigten 50-Stunden-Warnstreik in letzter Minute abgesagt. Sie ließ sich vor dem Arbeitsgericht Frankfurt auf einen faulen Vergleich ein, um einen größeren Arbeitskampf zu verhindern.

Gemeinsamer Streik von EVG und Verdi am 27. März 2023 in Leipzig

Der Bahnkonzern hatte zuvor beim Arbeitsgericht in Frankfurt am Main einen Eilantrag gestellt, um per einstweiliger Verfügung eine Unterlassung des Warnstreiks zu erreichen. Der Deal, auf den sich die EVG vor Gericht einließ, ist mehr als zweifelhaft. Die Ankündigung der zuständigen Richterin, eventuell der Bewertung der Bahn zu folgen und den Warnstreik als „unverhältnismäßig“ zu untersagen, ermöglichte es den EVG-Verhandlungsführern, den Streik abzusagen, ohne dass es gänzlich wie eine Farce aussah.

Dabei kann man die gerichtliche Einigung der EVG-Führung mit der Deutsche Bahn nur als Betrug gegenüber ihren Mitgliedern bezeichnen, die sich auf einen wirklichen Arbeitskampf eingestellt hatten. Die Bahn, die EVG und das Gericht benutzten dabei die Frage des Mindestlohns als Vehikel, um einen größeren Streik zu unterbinden und zu einem schnellen Tarifabschluss zu gelangen, der sich an den Reallohnkürzungen im Öffentlichen Dienst orientiert.

Rund 2000 Beschäftigte der Bahn erreichten bisher den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 12 Euro die Stunde nur über Zulagen, die bei Tariferhöhungen nicht berücksichtigt werden. Die EVG verlangte deshalb, den Mindestlohn rückwirkend in die Tariftabellen aufzunehmen, so dass sich die künftigen Tariferhöhungen auf diesen Sockel beziehen.

Nun beschwichtigt die Gewerkschaft ihre Mitglieder mit der Behauptung, die Deutsche Bahn habe „vor dem Arbeitsgericht unmissverständlich erklärt, unsere Forderungen zum Mindestlohn zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund können wir jetzt in die Verhandlungen eintreten – sofern der Arbeitgeber Wort hält.“

Dass der Staatskonzern rund 2000 Arbeitern den Mindestlohn von 12 Euro verweigert, ist an sich bereits ein Unding. Der eigentliche Skandal ist aber, dass die EVG über Jahre hinweg Tarifverträge vereinbarte, die die untersten Lohngruppen weit unter 12 Euro abspeiste. Viele weitere tausend Beschäftigte in den unteren Tarifgruppen bewegen sich nur knapp über dem Mindestlohn. Gerade diese Arbeiter im Reinigungs-, Instandhaltungs- und Sicherheitssektor schuften Tag und Nacht unter schwersten Bedingungen und leisten für die Gesellschaft wertvollere Dienste, als der gesamte Bahnvorstand je leisten könnte.

Nach der Einigung verkündete DB-Personalvorstand Martin Seiler triumphierend: „Der Gang der Deutschen Bahn vors Arbeitsgericht hat sich für alle gelohnt.“ Die gut bezahlten EVG-Bürokraten seiner Hausgewerkschaft pflichteten ihm ergeben bei, auch sie hätten damit ihren „Willen zur konstruktiven Fortsetzung der Tarifverhandlungen zum Ausdruck gebracht“.

Doch offensichtlich wurde selbst die Forderung nach Mindestlohn nicht verbindlich vereinbart. Und für die restlichen 180.000 Bahnbeschäftigten liegen Forderung und Angebot genauso weit auseinander wie vor der Absage des Warnstreiks.

Die Bahn hat bislang eine Inflationsausgleichsprämie sowie prozentuale Steigerungen von insgesamt 10 Prozent bei den unteren und mittleren sowie 8 Prozent bei den oberen Einkommen bei einer Laufzeit von 27 Monaten in Aussicht gestellt. Das liegt weit unter der Inflationsrate und ist meilenweit von der offiziellen EVG-Forderung von 12 Prozent oder mindestens 650 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten entfernt.

Doch die EVG bereitet sich offensichtlich darauf vor, unter Hinweis auf das minimale Zugeständnis beim Mindestlohn eine Reallohnsenkung zu vereinbaren, die etwa dem Angebot der Bahn entspricht.

Während der DB-Vorstand sich unnachgiebig gegen angemessene Lohnerhöhungen stellt, haben sich die Vorstandsmitglieder astronomische Gehalts- und Boni-Zuwächse genehmigt. So hat Bahn-Chef Lutz 2022 doppelt so viel Gehalt bekommen wie im Vorjahr – inklusive Boni waren es 2,24 Millionen Euro. Der Infrastrukturvorstand Berthold Huber und Personalvorstand Martin Seiler wollten dem nicht nachstehen, auch sie verdoppelten ihre Gehälter auf rund 1,4 Millionen Euro. Laut Recherchen von Business Insider sollen alle Führungskräfte seit Januar 2023 14 Prozent mehr Grundgehalt pro Monat bekommen.

Anstatt dem arroganten und unnachgiebigen Bahnvorstand entgegenzutreten, die Urabstimmung einzuleiten und einen Vollstreik zu organisieren, rutscht die EVG-Führung auf den Knien und bittet um ein neues Angebot. Die Gewerkschaftsführung will einen wirklichen Kampf mit allen Kräften verhindern, weil er sich direkt gegen die Bundesregierung als Eigentümerin der Bahn richten würde.

Die nächste offizielle Verhandlungsrunde mit der Deutschen Bahn soll nun am 23. und 24. Mai in Fulda stattfinden. Alles weist darauf, dass die DGB-Gewerkschaft EVG sich hinter dem Rücken der Bahnbelegschaft bereits auf weitgehende Zugeständnisse geeinigt hat.

Um eine Reallohnsenkung zu verhindern, ist es notwendig, die Kontrolle der EVG zu durchbrechen. Die Bahnarbeiter müssen sich unabhängig organisieren, einen Vollstreik durchsetzen und die Streikvorbereitung selbst in die Hand zu nehmen. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bei der Post und in anderen Bereichen haben begonnen, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen. Das ist jetzt auch im Tarifkampf der Bahn die wichtigste und dringendste Aufgabe.

Noch ist es nicht zu spät, der Ausverkauf der EVG kann noch verhindert werden. An Kampfbereitschaft fehlt es nicht. Das haben die vergangenen Warnstreiks sehr deutlich gemacht.

Ein Blick auf vergangene Tarifauseinandersetzungen zeigt, wie falsch es wäre, auf die EVG-Funktionäre zu hoffen. Seit Jahren vertritt die EVG als Hausgewerkschaft der Bahn ganz offen die Interessen des Konzerns. Im ersten Corona-Jahr vereinbarte sie mit der Bundesregierung und dem Bahnmanagement ein „Bündnis für unsere Bahn“, das die Corona-Schäden auf die Beschäftigten abwälzte. Im Oktober 2020 unterzeichnete sie dann einen vorgezogenen Tarifvertrag mit einer Nullrunde im laufenden Jahr.

Die Auseinandersetzung bei der Bahn ist Bestandteil eines internationalen Aufschwungs des Klassenkampfs, an dem sich immer breitere Schichten der Arbeiterklasse beteiligen. Im öffentlichen Dienst befanden sich über zweieinhalb Millionen Beschäftigte – Flughafenarbeiter, Krankenpfleger, Kita-Erzieherinnen, Müllwerker, etc. – im Kampf gegen Reallohnsenkungen und Sozialabbau. Europaweit nehmen Streiks und Proteste zu.

In Frankreich setzt Präsident Macron gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit eine drastische Senkung der Renten durch. Auf den Widerstand reagiert er mit brutaler Polizeigewalt. In Deutschland steckt die Ampelkoalition hunderte Milliarden Euro in Krieg und Aufrüstung, während die gesellschaftliche und soziale Infrastruktur zerfällt und die Reallöhne sinken.

Diese Angriffe können nur zurückgeschlagen werden, wenn sich die Arbeiter branchenübergreifend und international vereinen und sich unabhängig von den Gewerkschaften organisieren, die überall unter einer Decke mit den Regierungen und den Konzernen stecken.

Deshalb ist der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees, die von vertrauenswürdigen Arbeitern geleitet werden und auf die der Gewerkschaftsapparat keinen Einfluss hat, so wichtig. Die Vierte Internationale und die Sozialistische Gleichheitspartei haben die Initiative zum Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ergriffen, um den Aufbau der Aktionskomitees voranzubringen und international zu koordinieren.

Die erste Aufgabe von Aktionskomitees bei der Bahn muss es sein, einen Ausverkauf durch die EVG zu verhindern und für einen unbefristeten Streik zu kämpfen. Er muss einen Tarifabschluss erreichen, der die Inflation und die Einkommensverluste der vergangenen Jahre voll ausgleicht.

Die Aktionskomitees müssen zum Ausgangspunkt für den Kampf für eine Gesellschaft werden, in der die Arbeiterklasse – die große Mehrheit – das Sagen hat und in der die menschlichen Bedürfnisse, und nicht die Profite der Reichen, ausschlaggebend sind – d.h. für eine Gesellschaft, die nach sozialistischen Grundsätzen organisiert ist.

Wir rufen die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner auf, mit uns Kontakt aufzunehmen. Vernetzt euch mit euren Kollegen bei der Post und im Öffentlichen Dienst. Die Aktionskomitees sind per Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +49-163-337 8340 zu erreichen. Registriert euch Euch auch über das folgende Formular.

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