Tarifauseinandersetzung Deutsche Bahn

Eisenbahnergewerkschaft organisiert dritten Warnstreik, um Vollstreik zu verhindern

Zum dritten Mal ruft die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) die 180.000 Beschäftigten der Deutschen Bahn zu einem befristeten Warnstreik auf. Von Sonntagabend bis Dienstagnacht soll die Arbeit niedergelegt werden. Der Bahn-Vorstand hat daraufhin angekündigt den gesamten Fernverkehr von ICE- und IC-Zügen und auch den größten Teil des Regionalverkehrs einzustellen.

Im Warnstreik einbezogen sind sämtliche Berufsgruppen bei der Bahn, einschließlich der Beschäftigten der Stellwerke, die den gesamten Bahnverkehr auf dem deutschen Schienennetz koordinieren. Auch der Güterverkehr wird weitgehend davon betroffen sein.

Es handelt sich um den längsten Ausstand im gegenwärtigen Tarifkampf bei der Bahn. Zuvor hatte die EVG bereits Ende März gemeinsam mit Verdi und Beamtenbund zu einem sogenannten „Mega-Streik“ aufgerufen, der den Nah- und Fernverkehr, die großen Flughäfen und die Güterschifffahrt in ganz Deutschland einen Tag lang lahmlegte. Vor drei Wochen organisierte sie einen weiteren zehnstündigen Warnstreik.

Arbeiter des Öffentlichen Dienstes und der Bahn sprechen über ihren Streik

Mit den Streiks reagiert die EVG auf die enorme Wut und Kampfbereitschaft der Bahnarbeiter. Gleichzeitig sucht die Gewerkschaftsführung händeringend nach einem Kompromiss und bietet auch über das Wochenende Gesprächsbereitschaft an, um noch in letzter Minute den 50-Stundenstreik zu verhindern. „Wir sind immer gesprächsbereit. Wir möchten natürlich die Dinge lösen“, sagte EVG-Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay (SPD). Wenn man etwas Verhandlungsfähiges auf den Tisch bekomme, sei man bereit, „den angekündigten Warnstreik auszusetzen und in die Verhandlungen einzutreten“.

Anstatt dem arroganten und unnachgiebigen Bahnvorstand, der sich seit Jahr und Tag mit Millionen-Gehältern und überhöhten Boni die Taschen vollstopft, entgegenzutreten, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären, die Urabstimmung einzuleiten und einen Vollstreik zu organisieren, rutscht die EVG-Führung auf den Knien und bittet um ein neues Angebot. Die Gewerkschaftsführung will einen wirklichen Kampf mit allen Kräften verhindern, weil er sich direkt gegen die Bundesregierung als Eigentümer der Bahn richten würde.

Die Unnachgiebigkeit des Bahnvorstands stützt sich auf zwei Dinge: Erstens die hinter ihm stehende Ampel-Koalition, die unter allen Umständen – wie im öffentlichen Dienst – auch bei der Bahnbelegschaft Reallohnsenkung durchsetzen will, um die Kosten der militärischen Aufrüstung auf die Beschäftigten abzuwälzen. Und zweitens der Gewerkschaftsapparat, der selbst aufs Engste mit der Regierung verbunden ist und seine Aufgabe darin sieht, die geplanten Angriffe mitzuorganisieren und einen Vollstreik zu verhindern.

Personalchef Martin Seiler war 15 Jahre lang Betriebsrat bei der Post bevor er die Seite wechselte. Er war Funktionär der Deutschen Postgewerkschaft und später Verdi-Mitglied, was er vermutlich heute noch ist. Er kennt das abgekartete Spiel der Tarifverhandlungen in- und auswendig und weiß sehr gut, dass er von Seiten der Gewerkschaft nichts zu befürchten hat.

Um die berechtigten Forderungen nach 12 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten für alle Beschäftigten der Deutschen Bahn und allen angeschlossenen Bahngesellschaften durchzusetzen, ist es notwendig die Kontrolle der EVG zu durchbrechen. Die Bahnarbeiter müssen sich neu und unabhängig organisieren, um einen Vollstreik durchzusetzen und die Streikvorbereitung selbst in die Hand zu nehmen. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bei der Post und in anderen Bereichen haben begonnen unabhängige Aktionskomitees aufzubauen. Das ist jetzt auch im Tarifkampf der Bahn die wichtigste und dringendste Aufgabe.

An Kampfbereitschaft fehlt es nicht. Das haben die vergangenen Warnstreiks sehr deutlich gemacht.

Viele Arbeiter haben es endgültig satt, dass der Betrieb seit 20 Jahren von unfähigen Managern kaputtgespart wird. Die Beschäftigten bezahlen dafür doppelt: mit miserablen Löhnen und mit unzumutbaren Arbeitsbedingungen. Während auf Manager-Ebene abgesahnt wird, werden die Löhne und Arbeitsplätze zusammengestrichen. Die Belegschaft muss Verspätungen und andere Pannen ausgleichen und bekommt nicht selten die Wut entnervter Passagiere zu spüren.

Ein Blick auf vergangene Tarifauseinandersetzungen zeigt, wie falsch es wäre, auf die EVG-Funktionäre zu hoffen. Seit Jahren vertritt die EVG als Hausgewerkschaft der Bahn ganz offen die Interessen des Konzerns. Im ersten Corona-Jahr vereinbarte sie im Mai 2020 mit der Bundesregierung und dem Bahnmanagement ein „Bündnis für unsere Bahn“, das die Corona-Schäden auf die Beschäftigten abwälzte. Im Oktober 2020 unterzeichnete sie dann einen vorgezogenen Tarifvertrag mit einer Nullrunde im laufenden Jahr.

Dieser sollte dann ein Jahr später als Blaupause für weitere Angriffe auf die Lokführer und das Zugbegleitpersonal dienen, die in der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) organisiert sind. Auch die Spartengewerkschaft GDL würgte den Streik ab und vereinbarte einen Tarifvertrag, der die Reallöhne senkt und der Bahn 32 Monate „Friedenspflicht“, d.h. Streikverzicht garantierte. Aus diesem Grund können die Lokführer erst im Herbst ihren Kampf fortsetzen.

Der Vorsitzende der EVG Martin Burkert ist stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats und erhält dafür laut Geschäftsbericht 38.500 Euro. Er saß von 2005 bis 2020 für die SPD im Bundestag. Auch Ingenschay sitzt als EVG-Verhandlungsführerin im Aufsichtsrat der Bahn und sahnt kräftig ab (43.000 Euro). Der zweite Verhandlungsführer Kristian Loroch sitzt im Aufsichtsrat der Transdey GmbH, dem zweitgrößten deutschen Eisenbahn- und Busunternehmen.

Die Auseinandersetzung bei der Bahn ist Bestandteil eines internationalen Aufschwungs des Klassenkampfs, der immer breitere Schichten der Arbeiterklasse ergreift. Im öffentlichen Dienst befinden sich über zweieinhalb Millionen Beschäftigte – Flughafenarbeiter, Krankenpfleger, Kita-Erzieherinnen, Müllwerker, etc. – im Kampf gegen Reallohnsenkungen und Sozialabbau. Europaweit nehmen Streiks und Proteste zu.

In Griechenland hat ein katastrophales Zugunglück mit 57 Todesopfern eine Generalstreikbewegung unter dem Slogan „Unsre Toten – eure Profite“ ausgelöst. In Frankreich spielen die Eisenbahner eine führende Rolle in der Aufstandsbewegung gegen die Rentenkürzungen der Macron-Regierung. Auch in Italien, Belgien, Großbritannien und Skandinavien sind Eisenbahner im Streik. In Norwegen fand im April der größte Lohnkampf seit 23 Jahren statt. Gleichzeitig streikten in Schweden die Lokführer der Pendlerzüge von Stockholm spontan dagegen, dass sie künftig ohne Schaffner allein unterwegs sein sollten.

Diese Kämpfe richten sich gegen eine herrschende Klasse, die mit dem Rücken zur Wand steht und darauf mit Gewalt nach innen und nach außen reagiert. Sie führt in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland, den sie immer weiter eskaliert, obwohl er in einen atomaren dritten Weltkrieg zu münden droht. Und sie bereitet mit immer neuen Provokationen einen Krieg gegen China vor, um dessen wirtschaftlichen Aufstieg zu stoppen. Die Kosten für diesen Wahnsinn lädt sie auf die arbeitende Bevölkerung ab.

In Frankreich setzt Präsident Macron gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit eine drastische Senkung der Renten durch. Auf den Widerstand reagiert er mit brutaler Polizeigewalt. In Deutschland steckt die Ampelkoalition hunderte Milliarden Euro in Krieg und Aufrüstung, während die gesellschaftliche und soziale Infrastruktur zerfällt und die Reallöhne sinken.

Diese Angriffe können nur zurückgeschlagen werden, wenn sich die Arbeiter branchenübergreifend und international vereinen und sich unabhängig von den Gewerkschaften organisieren, die überall unter einer Decke mit den Regierungen und den Konzernen stecken.

Deshalb ist der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees, die von vertrauenswürdigen Arbeitern geleitet werden und auf die der Gewerkschaftsapparat keinen Einfluss hat, so wichtig. Die Vierte Internationale und die Sozialistische Gleichheitspartei haben die Initiative zum Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ergriffen, um den Aufbau der Aktionskomitees voranzubringen und international zu koordinieren.

Die erste Aufgabe von Aktionskomitees bei der Bahn muss es sein, einen Ausverkauf durch die EVG zu verhindern und für einen unbefristeten Streik zu kämpfen. Er muss einen Tarifabschluss erreichen, der die Inflation und die Einkommensverluste der vergangenen Jahre voll ausgleicht.

Die Aktionskomitees müssen zum Ausgangspunkt für den Kampf für eine Gesellschaft werden, in der die Arbeiterklasse – die große Mehrheit – das Sagen hat und in der die menschlichen Bedürfnisse, und nicht die Profite der Reichen, ausschlaggebend sind – d.h. für eine Gesellschaft, die nach sozialistischen Grundsätzen organisiert ist.

Wir rufen die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner auf, mit uns Kontakt aufzunehmen. Vernetzt euch mit euren Kollegen bei der Post und im Öffentlichen Dienst. Das nächste Online-Treffen der Aktionskomitees öffentlicher Dienst und Post findet am kommenden Dienstag (16. Mai) um 20 Uhr statt. Die Aktionskomitees sind per Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +49-163-337 8340 zu erreichen. Registriert euch Euch auch über das folgende Formular.

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