Großbritannien: Eisenbahner stimmen für Verlängerung des landesweiten Streiks, Gewerkschaft RMT verhandelt heimlich mit Arbeitgebern

Die Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT) hat von erneut ein Mandat erhalten, den landesweiten Streik von 40.000 Eisenbahnern bei Network Rail und vierzehn Bahnunternehmen fortzusetzen. Die Mitglieder stimmten bei einer Beteiligung von 70,2 Prozent mit 91,7 Prozent für die Fortsetzung des Arbeitskampfs.

Die RMT kündigte am Mittwoch die Ergebnisse einer Neuabstimmung an, die am 18. Oktober begann. Das Mandat für einen Streik ist nun noch größer als die 89 Prozent bei der ursprünglichen Abstimmung im Mai, die den Auftakt zu einer Serie von eintägigen Ausständen im Juni und einem „Sommer der Unzufriedenheit“ gegen die Tory-Regierung bildete.

Beispielhaft für die Kluft zwischen den Arbeitern, die entschlossen sind, dem historischen Angriff auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen entgegenzutreten, und den Gewerkschaftsfunktionären war eine Aussage von RMT-Generalsektretär Mick Lynch. Er erklärte gegenüber der Presse: „Das National Executive Committee [Führungsgremium der Gewerkschaft] wird sich jetzt diese fantastischen Ergebnisse anschauen und die Verhandlungen mit Network Rail und den Zugbetreibern fortsetzen.“ Er behauptete, die Abstimmung sei als „massive Unterstützung“ für die Strategie der RMT zu interpretieren, „Gerechtigkeit am Arbeitsplatz, wenn möglich, durch Verhandlungen und nötigenfalls durch Arbeitskämpfe zu gewinnen.“

RMT-Chef Mick Lynch bei der Kundgebung in der Innenstadt von London am 26. August 2022. (WSWS)

Die Bahnbeschäftigten haben ihr Streikmandat nicht deshalb erneuert, damit ihre „Forderungen“ den Unternehmen vorgelegt werden, sondern um ihre Mobilisierung zu verschärfen und Widerstand gegen Kürzungen in Höhe von zwei Milliarden Pfund zu leisten, die ein integraler Teil der Wiederprivatisierung des Schienennetzes durch das Great British Railways Scheme sind.

Seit dem letzten landesweiten eintägigen Bahnstreik am 8. Oktober hat der RMT-Vorstand mit Hochdruck daran gearbeitet, weitere Streiks zu verhindern und eine Einigung mit Network Rail und den Zugbetreibern auszuhandeln. Lynch war laut eigenen Angaben der Gewerkschaft an „intensiven Verhandlungen“ hinter verschlossenen Türen beteiligt. Zuvor hatte die RMT am 4. November in letzter Minute angekündigt, eine weitere Runde von dreitägigen landesweiten Streiks am 5., 7. und 9. November auszusetzen.

Lynch erklärte: „Die Drohung mit einem Streik und unsere stark unterstützte Kampagne in der Belegschaft hat die Arbeitgeber zur Vernunft gebracht.“ Indessen konnte er kein einziges Beispiel nennen, bei dem Network Rail oder die Zugbetreibern bei ihren Forderungen nach weiteren Reallohnsenkungen, Arbeitsplatzabbau und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen Zugeständnisse gemacht hätten.

Das einzige Kriterium, das die RMT als Bedingung für eine Verhandlungslösung nannte, war der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. Ferner gab es lediglich ausweichende Anspielungen auf angemessene Gehälter, ohne aber eine konkrete Forderung zu nennen. Dabei haben die Eisenbahner seit drei Jahren keine Lohnerhöhung mehr erhalten.

Während die Bahnarbeiter über die Verhandlungen im Dunkeln gelassen werden, kündigte der Vorstandschef von Network Rail, Andrew Haines, letzten Donnerstag bei der Rail Industry Association Annual Conference an, dass die Beseitigung von 1.850 Arbeitsplätzen in der Wartung fortgesetzt wird. Haines erklärte: „Die großartige Nachricht ist, dass wir deutlich mehr Anträge auf freiwillige Kündigungen haben und von vielen Beschäftigten die Information erhalten haben, dass sie noch Anträge stellen wollen. Damit zeigt sich möglicherweise ein Weg, einen Lohnabschluss auszuhandeln, der die gegenwärtigen Auseinandersetzungen in der Branche beenden könnte.“

Er fügte hinzu, die lokale Phase der Umsetzung werde am 3. Dezember beginnen, um eine Verhandlungslösung entweder mit der RMT oder ohne ihre Zustimmung zu ermöglichen.

Die Behauptung der Gewerkschaft, sie verteidige die „Arbeitsplatzsicherheit“, ist ein Feigenblatt. Dahinter steht der Abbau von Arbeitsplätzen im Rahmen des Voluntary Severance Scheme [deutsch etwa: „Strategie für freiwilliges Ausscheiden“], während gleichzeitig erklärt wird, dass die Entlassung von 2.000 von insgesamt 10.000 Wartungsarbeitern keine negativen Auswirkungen auf Bedingungen und Arbeitspraktiken haben soll.

Wie Network-Rail-Chef Haines andeutet, müsse die RMT für jede Verbesserung des lächerlichen Angebots seiner Gesellschaft – acht Prozent über zwei Jahre – als Gegenleistung die massive Umstrukturierung auf Kosten von Arbeitsplätzen und Sicherheit akzeptieren.

Die Zugbetreiber, die mit Network Rail gemeinsam in der Rail Delivery Group (RDG) organisiert sind, veröffentlichten am 11. November ein kurzes Update über ihre Verhandlungen mit der RMT. Darin machten sie deutlich, dass jede Lohnerhöhung, die über ihr unverschämtes Angebot von zwei Prozent hinaus geht, an Zugeständnisse bei der Produktivität geknüpft ist:

„Wir haben uns in dieser Woche zu einer Reihe von konstruktiven Diskussionen mit der Führung der RMT getroffen und uns darauf geeinigt, diese in der nächsten Woche fortzusetzen. Unsere Priorität bleibt, einen fairen Deal auszuhandeln, der sowohl unsere Beschäftigten mit einer Lohnerhöhung belohnt, als auch die notwendigen Reformen zur Sicherung einer nachhaltigen Zukunft der Industrie und der Beschäftigten ermöglicht.“

Die „nachhaltige Zukunft der Industrie“ bedeutet die Aushöhlung des Eisenbahnverkehrs durch die geplante Schließung von 1.000 Fahrkartenschaltern, einen weiteren Abbau der Schaffnerstellen durch den verstärkten Einsatz von Einpersonenzügen (DOO), die bereits jetzt 50 Prozent des Netzwerks ausmachen.

Die Arbeiter forderten ein gemeinsames Vorgehen gegen die Pläne der Unternehmen. Die Gewerkschaften reagierten, indem sie ihre völlig spalterische Herangehensweise forcierten. Die Spartengewerkschaft TSSA, die Beschäftigte des Kontrollraum- und Bahnhofspersonals und Führungskräfte repräsentiert, hat Verhandlungen mit den Zugbetreibern aufgenommen, nachdem sie geplante Streiks bei fünf Eisenbahnunternehmen am 5., 7., 8. und 9. November abgesagt hat. Sie tat dies bereits, um Verhandlungen mit Network Rail zu ermöglichen, nachdem sie einen dreitägigen Streik von Tausenden ihrer Mitglieder abgesagt hat.

Die Lokführergewerkschaft ASLEF ist die einzige im Eisenbahnwesen, die an Plänen für einen Streik festhält – eine eintägige Arbeitsniederlegung bei dreizehn Zugbetreibern am 26. November. Dies wäre der fünfte eintägige Streik seit dem 30. Juli. Der letzte davon, der am 5. Oktober stattfand, war mit 9.000 Teilnehmern der größte seit 25 Jahren. Allerdings hatte die ASLEF unter Generalsektretär Mick Whelan von Anfang an dafür gesorgt, dass die Verhandlungen über höhere Löhne der Lokführer vom Kampf gegen die Angriffe auf die anderen Beschäftigten in der Branche isoliert wird.

Die Botschaft von Lynch und den anderen Gewerkschaftsbürokraten ist, dass eine Einigung erzielt werden solle, beruht auf dem Versprechen, den aufkeimenden Widerstand der Arbeiterklasse gegen Austerität und die Krise der Lebenshaltungskosten zu unterdrücken, der sich u.a. in der ersten Entscheidung des Royal College of Nursing (RCN) für einen Streik und der Forderung nach einer Lohnerhöhung von fünf Prozent über der Inflation äußert.

Die britische Regierung unter dem neuen Premier Sunak wird von der Gewerkschaftsbürokratie gestärkt, indem diese die Abstimmungen von hunderttausenden Arbeitern in die Länge zieht oder trotz überwältigender Mandate Streiks verzögert. Die Communication Workers Union (CWU) hat einen achttägigen Streik abgesagt, nachdem Generalsektretär Dave Ward unter Federführung der von der Regierung finanzierten Schlichtungsorganisation ACAS Gespräche mit dem Vorstandschef der Royal Mail Simon Thompson aufgenommen hat. Sie versuchen verzweifelt, weitere Streiks zu verhindern.

Verkehrsminister Mark Harper hat die Generalsekretäre der RMT, TSSA und ASLEF für „die nahe Zukunft“ zu einem Treffen eingeladen. Harper erklärte als Reaktion auf die Urabstimmung am Mittwoch, das Ergebnis sei „enttäuschend“, und forderte die RMT auf, „mit den Arbeitgebern zusammen statt gegen sie zu arbeiten.“ Lynch wird sich dringend bemühen, diese Forderung zu erfüllen.

Der Aufbau von Aktionskomitees würde die Bahnarbeiter in die Lage versetzen, die Sabotage der Gewerkschaftsbürokratie an ihrem Kampf abwehren und eine Lohnerhöhung durchsetzen zu können, die der Krise der Lebenshaltungskosten angemessen ist. Sie würde es den Arbeitern außerdem ermöglichen, ein Ende der Verhandlungen hinter verschlossenen Türen und direkte Kontrolle über diese zu fordern und alle Forderungen nach Produktivitätssteigerungen, Massenentlassungen und Verschlechterungen der Bedingungen zu bekämpfen. Die Komitees würden die Streiks der Eisenbahner über die Spaltung, die ihnen von allen Gewerkschaften von oben auferlegt wurde, hinweg leiten und koordinieren.

In ihrer Erklärung unter dem Titel „Die Arbeiter müssen die Kontrolle über den britischen Eisenbahnerstreik übernehmen“ schrieb die Socialist Equality Party, die britische Schwesterpartei der Sozialistischen Gleichheitspartei: „Die gleichen Tory- und Labour-Politiker, die behaupten, es sei kein Geld da für angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen, haben den privaten Bahnbetreibern in der Pandemie sechzehn Milliarden Pfund gezahlt und der Wirtschafts- und Finanzelite in den letzten zweieinhalb Jahren hunderte weitere Milliarden zur Verfügung gestellt. Die Forderung nach der Verstaatlichung der großen Verkehrsunternehmen, der Enteignung ihrer Profite und ihrer Umwandlung in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle der Arbeiterklasse muss erhoben werden.“

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