Im Oktober erlebt Großbritannien den Beginn einer neuen und sich verschärfenden Phase im Klassenkampf gegen die Regierung von Premierministerin Liz Truss, die der Arbeiterklasse den Krieg erklärt hat. Inmitten der tiefsten Krise des globalen Kapitalismus seit den 1930er Jahren marschieren die Tories und Labour im Gleichschritt mit Forderungen nach Sparmaßnahmen und „Opfern“. Sie unterstützen damit den eskalierenden Krieg gegen Russland, der die Gefahr eines dritten Weltkriegs beinhaltet.
Die Streikwelle, die von der Gewerkschaftsbürokratie aus Rücksicht auf die zehntägige, zwangsweise „Staatstrauer“ um Königin Elisabeth II. ausgesetzt wurde, schwillt mit neuer Kraft wieder an.
In dieser Woche nehmen 115.000 Postangestellte und mehr als 40.000 Bahnbeschäftigte ihre Streiks wieder auf, ebenso wie 1.900 Hafenarbeiter in Felixstowe, dem größten Hafen Großbritanniens. Und ihnen schließen sich 500 streikende Hafenarbeiter und Ingenieure in Liverpool an. 40.000 Callcenter-Beschäftigte und Techniker bei British Telecom und der Tochtergesellschaft Openreach werden am 6., 10., 20. und 24. Oktober streiken. Schon in dieser Woche haben 4.000 Dozenten und Hochschulmitarbeiter an 31 Colleges mit zehntägigen Streiks begonnen. Tausende von Juristen sind im Ausstand, und am Dienstag wurden 19 Streiktage im gesamten Netzwerk der Royal Mail Group im Oktober und November angekündigt.
Millionen von Arbeitern fordern Streiks, um die höchste Inflation seit 40 Jahren zu bekämpfen. Das Pfund ist auf den niedrigsten Stand aller Zeiten gefallen, nachdem die Bank von England am Mittwoch intervenierte, um eine Kernschmelze auf den Finanzmärkten zu verhindern. Berichten zufolge stehen Pensionsfonds am Rande der Insolvenz.
Die Arbeiterklasse sieht sich einer Regierung von beispielloser Grausamkeit gegenüber, die von der neuen Premierministerin Liz Truss angeführt wird. Der Sparhaushalt von Finanzminister Kwasi Kwarteng bedeutet einen Amoklauf der Finanzoligarchie: Steuersenkungen für Unternehmen und Superreiche, die von den Arbeitern durch Kürzung der Sozialausgaben bezahlt werden.
Das Ausmaß der sozialen Katastrophe ist so groß wie seit der Großen Depression nicht mehr. In diesem Winter geht es nicht um die Frage „heizen oder essen“, denn mehrere Millionen können sich beides nicht mehr leisten. Der Gesundheitsdienst NHS und andere Wohlfahrtsverbände warnen vor einer „humanitären Katastrophe“, bei der Kinder in der fünftreichsten Volkswirtschaft der Welt an Unterernährung sterben könnten.
Die entscheidende Frage, die sich in dieser Situation stellt, ist die nach der Rolle der Gewerkschaften: Sie unterdrücken eine einheitliche Offensive in Betrieb und Politik. Eine solche Offensive ist aber notwendig, um erfolgreich Widerstand gegen diesen Klassenkampf von Seiten der Tories zu leisten.
Während des gesamten „Sommers der Unzufriedenheit“ sorgten die Eisenbahn-, Post- und andere Gewerkschaften dafür, dass die einzelnen Streiks isoliert blieben. Diese Strategie wird jetzt auch im Herbst fortgesetzt, wobei die Urabstimmungen abgewürgt oder so terminiert werden, dass sie möglichst wenig Auswirkungen haben. Mit ihrer ständigen Hinhaltetaktik und den unverbindlichen Abstimmungen verhindern die Gewerkschaften ein einheitliches Vorgehen: Sie hindern eine Million NHS-Beschäftigte, 700.000 Lehrkräfte und 150.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst daran, sich den Streiks in diesem Monat anzuschließen.
Truss hat Pläne zum Streikverbot in „systemrelevanten Diensten“ und andere neue Gesetze angekündigt, um endlose Abstimmungen zu erzwingen, ehe ein Arbeitskampf ausgerufen werden kann. Gleichzeitig lehnen die Gewerkschaften jeden Kampf ab, der die Regierung angreifen würde. Stattdessen nutzen sie die bestehenden Anti-Streik-Bestimmungen, um Millionen von Arbeitern, die kämpfen wollen, daran zu hindern. Der „Megastreik“ an diesem Samstag ist nur für einen Tag angesetzt und steht symbolisch für die Bemühungen der Gewerkschaftsbürokratie, eine breitere Streikbewegung zu erdrosseln.
Die Regierung ist eine personifizierte Provokation gegen die Arbeiterklasse. Dennoch verurteilt der Oppositionsführer und Labour-Vorsitzende Sir Keir Starmer wirkungsvolle Streiks, verbietet seinen Abgeordneten die Teilnahme an Streikposten und erklärt, dass „das Geld nicht auf Bäumen wächst“ und dass die Arbeiter sich durch „harte Arbeit“ mehr anstrengen müssen. Er spricht für eine Labour Party, die sich die Diktate der freien Marktwirtschaft von Thatcher und Blair zu Eigen gemacht hat.
Starmers Rede auf dem Labour Parteitag, in der er nach dem Absingen von „God Save the King“ für „Nation vor Partei“ plädierte, ist eine Warnung an die Arbeiterklasse. Er sagte den Delegierten, dass Labour „schwierige Entscheidungen“ im „nationalen Interesse“ durchsetzen werde, und forderte „eine echte Partnerschaft zwischen Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften“. Wenn Truss aus dem Amt scheidet, wird Starmer seine Dienste in einer Regierung der nationalen Einheit mit den Tories anbieten. Die Gewerkschaften werden dies unterstützen, so wie sie es 1931 taten, als der Labour-Politiker Ramsay MacDonald eine nationale Regierung mit den Tories bildete. Die bitteren Konsequenzen waren die „Hungrigen Dreißiger Jahre“, gefolgt vom Zweiten Weltkrieg.
Unter diesen Bedingungen spielen die Gewerkschaftsführer, vor allem die „linken“, die entscheidende Rolle für die herrschende Klasse Großbritanniens, wenn es darum geht, eine politische Abrechnung mit den Verschwörern in Westminster, sowohl Tory als auch Labour, zu verhindern.
Letzte Woche nahmen für die Eisenbahnergewerkschaften RMT-Generalsekretär Mick Lynch und ASLEF-Generalsekretär Mick Whelan Gespräche mit der neuen Verkehrsministerin Anne-Marie Trevelyan auf. Es ging um die Pläne ihrer Regierung, Tausende von Arbeitsplätzen zu streichen und die Arbeitsbedingungen, Renten und die Sicherheit bei der Bahn zu verschlechtern. Lynch sagte der BBC, es sei ein „sehr angenehmes Treffen“ gewesen, und er fügte hinzu: „Sie hat es mir ermöglicht, ihr alles zu erklären, was mit unserem Verkehrssystem und insbesondere mit der Eisenbahn nicht in Ordnung ist.“
Lynch sagte, das Treffen sei „ein guter Anfang“ gewesen – und das über eine Regierung, die sich darauf vorbereitet, Streiks zu zerschlagen und die Eisenbahner als „den Feind im Innern“ zu denunzieren! Er räumte ein, dass Trevelyan nichts Konkretes angeboten habe: weder eine Abkehr von ihrer Privatisierungsagenda „Great British Railways“, noch Verzicht auf die Pläne, bestehende Arbeitsverträge zu lösen. Lynch stellte klar, worum es der RMT vorrangig geht: Sie wolle eine Vereinbarung erreichen, „die es den Unternehmen ermöglicht, frei zu verhandeln, auf einer freien Tarifverhandlungsbasis“. Die RMT will ihre korporatistische Partnerschaft beibehalten, die sie seit Jahrzehnten mit der Regierung, den Zugbetreibern (TOCs) und Network Rail aufrecht erhält. Den Bahngewerkschaften geht es nicht darum, die wirtschaftspolitischen Pläne der Tories zu Fall zu bringen, sondern sie wollen einen Platz am Tisch.
Im Sommer leitete Lynch zusammen mit den Labour-Abgeordneten Zarah Sultana und Ian Byrne die neu gegründete Kampagnengruppe „Enough is Enough“ (Genug ist Genug). Diese behauptet, dass die Lösung in der Wahl einer Labour-Regierung unter Starmer liege. Damit sollen die Arbeiter hinter einer Partei versammelt werden, die sich für Sparmaßnahmen, Massenarmut und Krieg einsetzt. Die landesweite Demonstration des Gewerkschaftsdachverbandes TUC am 2. November dient demselben Zweck, wobei die Teilnehmer aufgefordert werden, bei ihren Abgeordneten wegen der von ihnen verursachten Teuerung Lobbyarbeit zu leisten.
Unter den Arbeitern wächst die Erkenntnis, dass ein entscheidender Kampf gegen die Regierung Truss und ihre Plünderungsorgie im Namen der Konzerne und Finanzparasiten bevorsteht. Truss und ihr Kabinett aus irren Thatcher-Anhängern gelten als illegitime Regierung, die 80.000 Tory-Rentner und andere Reaktionäre dem Land aufgezwungen haben.
Seit der Haushaltsvorlage von letzter Woche trendet der Hashtag #GeneralElectionNow in den sozialen Medien. Die Rufe nach einem Generalstreik werden immer lauter. Millionen von Arbeitern haben erkannt, dass sie nicht mehr so leben können wie bisher und dass kollektive Maßnahmen erforderlich sind, um die Regierung und die von ihr verteidigte Finanzoligarchie zu besiegen. Dieses Gefühl muss nun einen bewussten organisatorischen und politischen Ausdruck finden.
Die Arbeiter müssen die Kontrolle über ihren eigenen Kampf übernehmen. Das bedeutet, den Würgegriff der Labour- und Gewerkschaftsbürokratie abzuschütteln und in jedem Betrieb Aktionskomitees zu bilden, die sich aus der Belegschaft zusammensetzen. Solche Komitees werden den Arbeitern die Möglichkeit geben, die aufgezwungene Spaltung zu überwinden und einen Kampf über Branchen- und Landesgrenzen hinweg zu entwickeln. Dieser Kampf wird alle Teile der Arbeiterklasse gegen die Regierung, die ihnen alle Kosten aufbürden will, zusammenschließen.
Die Arbeiterklasse ist politisch entmündigt worden. Deshalb muss eine sozialistische Massenpartei der Arbeiterklasse aufgebaut werden. Die Socialist Equality Party ruft zu allgemeinen Wahlen auf. Unsere Forderung beinhaltet dabei keine Unterstützung für die Labour Party. Sie zielt darauf ab, den unabhängigen politischen Kampf der Arbeiterklasse voranzutreiben. Sie muss mit der Ausweitung von Streiks und Protesten, einschließlich der Organisation eines Generalstreiks, verbunden werden, um die folgenden sozialistischen Maßnahmen durchzusetzen:
- Verstaatlichung der Energieunternehmen ohne Entschädigung der reichen Aktionäre. Beschlagnahmung ihrer Gewinne, um kostengünstige Energie für Arbeiter, ältere Menschen und Arme bereitzustellen.
- Streichung des Kriegshaushalts und Umleitung der öffentlichen Gelder in den staatlichen Gesundheitsdienst!
- Erhöhung der Körperschaftssteuer auf 80 Prozent und Verwendung der dadurch eingenommenen Milliarden zur Finanzierung von Sozialfürsorge, Wohnungsbau, öffentlicher Bildung, Verkehr, Wohlfahrt und Kunst.
- Eine sofortige 50-prozentige Lohnerhöhung für alle Arbeiter, um zwei Jahrzehnte Lohnkürzungen rückgängig zu machen. Die Löhne sind künftig an die Inflation anzupassen.
Wir fordern die Arbeiter, die damit einverstanden sind, dringend auf, der Socialist Equality Party beizutreten und sie aufzubauen.
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