„Wir haben ein Recht, unsere Meinung zu sagen, und ein Recht auf Streik“

60.000 beteiligen sich an Bildungsstreik in Ontario gegen drakonisches Antistreikgesetz der Ford-Regierung

Mehr als 60.000 Betreuer, pädagogische Assistenten, Kleinkinderzieher, Bibliothekare, Aufsichtspersonen und Verwaltungspersonal legten am Freitag in ganz Ontario – der bevölkerungsreichsten Provinz Kanadas – die Arbeit nieder. Der Streik ist ein Zeichen der massenhaften Opposition der Beschäftigten gegen ein drakonisches Antistreikgesetz, das die ultrarechte Progressive-Conservative-Regierung von Ontario am Donnerstag durchgesetzt hat, um den überwiegend schlecht bezahlten Beschäftigten massive Lohnsenkungen und weitere Zugeständnisse aufzuzwingen.

Ein Teil der CUPE-Demonstration im Queens Park in Toronto (WSWS)

Die 55.000 Beschäftigten im Bildungswesen sind Mitglieder der Canadian Union of Public Employees (CUPE) und haben seit dem 31. August keinen Tarifvertrag. Sie fordern Lohnerhöhungen, um die Lohnsenkungen der letzten zehn Jahre und die galoppierende Inflation auszugleichen, die offiziell bei sieben Prozent, aber bei Grundgütern viel höher liegt. Etwa 8.000 Angehörige des Schul-Hilfspersonals, die zur Gewerkschaft Ontario Public Service Employees Union (OPSEU) gehören, haben ihre Gewerkschaftsführung dazu gezwungen, sie aus Solidarität mit ihren Kollegen in den Streik zu schicken.

Der Premierminister von Ontario, Doug Ford, will einen Tarifvertrag mit vierjähriger Laufzeit durchsetzen, laut dem Beschäftigte mit einem Jahreseinkommen von unter 43.000 Dollar eine Lohnerhöhung von beleidigenden 2,5 Prozent pro Jahr erhalten, alle anderen sogar nur 1,5 Prozent. Fords rechtswidriges Antistreikgesetz sieht Geldstrafen von bis zu 4.000 Dollar pro Tag für jeden Arbeiter vor, der sich ihm widersetzt, und zusätzlich 500.000 Geldstrafe für die Gewerkschaften. Da sich die CUPE bereit erklärt hat, diese Geldstrafen zu übernehmen, könnte sie jeder Tag, an dem die 55.000 Arbeiter Widerstand gegen die umfassende Lohnsenkung leisten, 220 Millionen Dollar kosten und in eineinhalb Tagen ihre gesamten Vermögenswerte aufzehren.

Die Streikenden versammelten sich zu Protesten vor dem Provinzparlament in Queen's Park und vor den Parteizentralen der Progressive Conservatives in der ganzen Provinz.

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Jeremy, ein streikender Betreuer aus Windsor, erklärte: „Wir haben gezeigt, dass wir uns Ford nicht fügen werden und dass wir es ernst meinen. Es müssen so viele Leute wie möglich an dem Streik teilnehmen, bis die Regierung auf uns hört.“

Ein anderer Betreuer am Streikposten in Windsor erklärte: „Wenn sie so mit uns umgehen können, dann werden sie das Gleiche mit den Lehrern machen. Wo wird das enden? Sie wollen uns das Recht nehmen, einen Lohn auszuhandeln, mit dem wir für unsere Familien sorgen können. Wir haben große Unterstützung. Und alles sickert nach unten. Was sie mit uns anstellen, wird auch Auswirkungen auf die Privatwirtschaft haben. Wo hört das auf?“

June, eine pädagogische Assistentin, fügte hinzu: „Wir haben ein Recht, unsere Meinung zu sagen, und ein Recht auf Streik.“

Arbeiterinnen und Arbeiter sprachen auch über die schrecklichen Arbeitsbedingungen, die sich durch die Abwanderung von Personal während der Pandemie und die gefährlichen Arbeitsbedingungen in den Schulen verschlimmert haben. Aufgrund der „Profite vor Leben“-Politik der herrschenden Elite konnte sich das tödliche Coronavirus seit mehr als zwei Jahren ungehindert ausbreiten.

Brian, ein Hausmeister aus Toronto, erklärte: „Sie können uns nicht mal neue Arbeitskräfte beschaffen, die diese Arbeit machen. Ich reiße mir die Beine aus, weil es einfach nicht genug Personal gibt.“ Er schilderte, er müsse um drei Uhr morgens aufstehen, um seine Schule zu reinigen. Ein anderer Teilnehmer der Protestveranstaltung im Queen's Park fügte hinzu: „Ich wurde als Schwimmlehrer eingestellt, aber jetzt muss ich bei der Essensausgabe helfen und die Kinder in den Klassenzimmern beaufsichtigen. Und die Bezahlung ist nicht angemessen.“

Die Betreuer Jeremy, Dalton und Spencer

Steve, ein Betriebsingenieur aus Toronto, erklärte: „Meine Rechnungen sind gestiegen, aber mein Lohn nicht. Jede Erhöhung, die ich in den letzten Jahren bekommen habe, ein Prozent [pro Jahr], wurde durch den Anstieg der Rechnungen und der Lebenshaltungskosten wieder zunichte gemacht. Ich will also mehr Lohn für meine Arbeit.“

Seit 2012 sind die Reallöhne von Hilfskräften um über zehn Prozent gesunken, da die Regierungen aus Liberal Party und Progressive Conservative Party, mit Unterstützung der Gewerkschaftsbürokratien im Bildungswesen, Tarifverträge mit immer neuen Zugeständnissen durchgesetzt haben. Wenn die Ford-Regierung ihr „Tarifabkommen“ durchpeitscht, könnten die Löhne für Hilfskräfte im Bildungswesen in den kommenden vier Jahren um fast 20 Prozent sinken – wenn man von der zurückhaltenden Annahme ausgeht, dass die offizielle Inflationsrate nicht über den derzeitigen Stand von sieben Prozent steigt.

Der Kampf der Beschäftigten im Bildungswesen von Ontario ist Teil wiederauflebender Streiks und Proteste der Arbeiterklasse in ganz Kanada, den USA und dem Rest der Welt. In den letzten Monaten haben Bahn- und Postbeschäftigte in Großbritannien, Ölraffineriearbeiter in Frankreich und Bauarbeiter in Ontario gegen zermürbende Arbeitsbedingungen und die katastrophalen Auswirkungen der steigenden Lebenshaltungskosten bei stagnierenden Löhnen gestreikt. Die herrschenden Eliten in allen Ländern haben darauf mit brutaler staatlicher Unterdrückung reagiert und deutlich gemacht, dass sie entschlossen sind, die arbeitende Bevölkerung für die Krise des Kapitalismus und den Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine bezahlen zu lassen. In den USA, wo am 16. September mehr als 120.000 Eisenbahner die Arbeit niederlegen sollten, um gegen unmenschliche Arbeitszeiten und Bereitschaftsregeln sowie gegen gefährliche Arbeitsbedingungen zu protestieren, haben die Biden-Regierung und die Gewerkschaften zusammen faktisch ein Streikverbot durchgesetzt, das bis heute in Kraft ist.

Das Antistreikgesetz der Ford-Regierung richtet sich vorläufig nur gegen die Hilfskräfte im Bildungswesen, stellt aber einen Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse dar. Premier Ford will einen Maßstab für massive Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft festlegen und einen Präzedenzfall dafür schaffen, den Arbeitern ihr demokratisches Recht auf Streiks und Tarifverhandlungen zu nehmen. Dass sich Ford autoritären Herrschaftsformen zuwendet, zeigt seine Entscheidung, das Streikverbot durch eine reaktionäre Klausel der kanadischen Verfassung durchzusetzen. Sie erlaubt es Regierungen, Gesetze zu erlassen, die sich über demokratische Grundrechte hinwegsetzen, die angeblich durch die Charter of Rights and Freedoms geschützt sind. Gleichzeitig schützt diese Klausel die Regierung vor einer juristischen Anfechtung durch die Gerichte.

Unmittelbar nach der Verabschiedung des als „Gesetzentwurf 28“ bekannten Antistreikgesetzes im Provinzparlament am Donnerstag kündigte Bildungsminister Stephen Lecce an, dass die Regierung eine Beschwerde vor dem Ontario Labour Relations Board (OLRB) eingereicht hat, um den Streik der Beschäftigten im Bildungswesen für illegal zu erklären. Dies ist der erste Schritt, den die Regierung unternehmen muss, um den Streikenden drakonische Geldstrafen aufzuerlegen. Die Beschwerde fordert die ORLB auf, die CUPE anzuweisen, „keine rechtswidrigen Streiks mehr zu bewilligen, zu diesen aufzurufen, oder damit zu drohen“. Sie fordert auch den Präsidenten der CUPE Ontario, Fred Hahn, und die Vorsitzende der Tarifverhandlungseinheit der Ontario School Board Council of Unions (OSBCU), Laura Walton, auf, „den Aufruf zu ungesetzlichen Streiks zu unterlassen, sie nicht zu genehmigen oder damit zu drohen“.

Die bankrotte Strategie der Gewerkschaftsführung hat die Ford-Regierung erst zu ihrem provokanten Verhalten ermutigt. Obwohl Ford und Lecce durch das Streikverbot jeden Anschein aufgegeben haben, „mit gutem Willen“ zu verhandeln, betonen die CUPE und die OSBCU weiterhin, ihr Ziel sei die Rückkehr an den Verhandlungstisch. Walton hat diese Woche sogar die Verhandlungen mit der Regierung und einem Vermittler wieder aufgenommen, nachdem Ford sein drakonisches Gesetz eingebracht hatte, und Berichten zufolge größere Zugeständnisse bei der ursprünglich schon bescheidenen Forderung von 11,7 Prozent jährlicher Lohnerhöhung angeboten. Lecce weigerte sich jedoch, sich auf eine Einigung einzulassen, solange die CUPE den Streik von Freitag nicht absagt. Die Gewerkschaftsbürokratie wusste jedoch, dass dies nicht möglich war, ohne eine soziale Explosion zu provozieren.

Die CUPE und die OSBCU weigerten sich, den Ausstand als Streik zu bezeichnen, sondern sprachen von einem „politischen Protest“. Es wurden keine Streikposten an den Schulen aufgestellt, stattdessen wurden die Streikenden aufgerufen, sich im Queen's Park oder vor den Parteizentralen der Tories zu versammeln. Diese bankrotte Strategie und die Appelle an die Arbeiter, in E-Mails an Ford und seine Minister die Wiederaufnahme der Verhandlungen zu fordern, hat zur Folge, dass die Betreuer, Kleinkinderzieher, Schulbegleiter und Verwaltungsangestellten von ihren stärksten Verbündeten isoliert werden: der Arbeiterklasse.

Die Führungen der vier Lehrergewerkschaften von Ontario haben faktisch eine massive Streikbruchoperation organisiert, indem sie ihren 200.000 Mitgliedern die Teilnahme an dem gemeinsamen Ausstand mit ihren Kollegen vom Hilfspersonal verboten haben, obwohl die Tarifverträge der Lehrer vor mehr als zwei Monaten am gleichen Tag ausgelaufen sind. Die Lehrergewerkschaften sind die nächsten, die mit der Ford-Regierung verhandeln. Diese hat bereits deutlich gemacht, dass sie den Tarifvertrag, den sie dem Hilfspersonal per Dekret aufzwingen will, als Vorbild für denjenigen der Lehrer benutzen wird.

Unter den Beschäftigten des Bildungswesens wächst der Widerstand gegen die Versuche der Gewerkschaften, sie nach Berufen zu spalten und von ihren Verbündeten in der Arbeiterklasse zu isolieren. Obwohl die CUPE und die OSBCU den Streik am Freitag ursprünglich auf eine eintägige „Protestaktion“ beschränken wollten, hat die überwältigende Unterstützung ihrer Mitglieder und der Öffentlichkeit für den Ausstand sie zu der Erklärung gezwungen, sie würden den Streik fortsetzen, bis Ford den Gesetzentwurf 28 zurücknimmt. Diese Behauptung sollten Arbeiter mit äußerster Skepsis betrachten. Einige Schulbehörden haben den Eltern bereits Mitteilungen geschickt, laut denen am Montag und möglicherweise am Dienstag Onlineunterricht stattfinden würde.

Bei einem gut besuchten Treffen des Ontario Education Workers Rank-and-File Committee (OEWEFC) am Donnerstagabend äußerten mehrere Lehrer ihre Verärgerung über die Weigerung der vier Lehrergewerkschaften, ihre Mitglieder am Ausstand teilnehmen zu lassen. Das OEWRFC, das im August von Beschäftigten des Bildungswesens gegründet wurde, um den Gewerkschaftsbürokraten die Kontrolle über den Arbeitskampf zu entreißen und es Arbeitern zu ermöglichen, demokratisch über die weitere Führung des Kampfs gegen Ford zu bestimmen, nahm die folgende Resolution an:

Diese Versammlung von Beschäftigten des Bildungswesens von Ontario und ihre Unterstützer erklären:

1. Wir werden nicht akzeptieren, dass die Ford-Regierung mit rechtswidrigen und drakonischen Gesetzen Tarifverträge durchsetzt, die massive Lohnsenkungen und andere Zugeständnisse beinhalten.

2. Wir fordern die OSBCU und die CUPE auf, alle Verhandlungen mit Ford und Lecce zu beenden. Nachdem sie das Tarifverhandlungssystem abgeschafft haben, gibt es mit ihnen nichts anderes zu verhandeln als die Bedingungen unserer Kapitulation.

3. Wir versprechen, eine vereinte Massenbewegung der Beschäftigten im Bildungswesen, der Lehrkräfte sowie ihrer Unterstützer in der Arbeiterklasse aufzubauen, um den massenhaften Widerstand gegen Fords Streikverbot zu organisieren, für einen Tarifvertrag mit Lohn- und Leistungserhöhungen oberhalb der Inflationsrate zu kämpfen und Investitionen in das öffentliche Bildungswesen in zweistelliger Milliardenhöhe zu gewährleisten. Um diesen Kampf führen zu können, werden wir für den Aufbau eines Netzwerks von Aktionskomitees in Schulen und Betrieben kämpfen.

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