Bei Amazon in Leipzig haben sich am Montag erneut etwa 400 Beschäftigte an einem 24-Stunden-Warnstreik beteiligt. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte aufgerufen, von Beginn der Nachtschicht vom Sonntag bis zum Ende der Spätschicht am Montag um 23:15 Uhr die Arbeit niederzulegen. Schon kurz vor Weihnachten hatte es am 19. Dezember Streiks in Bad Hersfeld, Graben/Augsburg, Werne, Rheinberg und Koblenz gegeben.
Allerdings werden die kurzen Verdi-Warnstreiks dem tatsächlichen Druck, der auf den Amazon-Belegschaften lastet, in keiner Weise gerecht. Nicht nur sind die Arbeiterinnen und Arbeiter gerade mit der Flut der Rücksendungen und Umtauschaktionen nach den Feiertagen konfrontiert. Sie arbeiten auch unter ständiger Gefahr, sich mit der hochansteckenden Omikron-Variante des Coronavirus anzustecken.
Amazon unterhält in Deutschland 17 Logistikzentren und mehr als 60 Verteilzentren mit über 19.000 Festangestellten, zu denen die Saisonkräfte und Beschäftigten der Subunternehmer und Kurierdienste hinzukommen. Verdi thematisiert weder die Überausbeutung der Hilfskräfte und Zeitarbeiter, noch die akute Corona-Gefahr.
Immer wieder kommt es bei Amazon zu Corona-Ausbrüchen, wie zuletzt am 6. Januar im Verteilzentrum Bad Oldesloe (Schleswig-Holstein). Dort wurden im Gesamtkreis Stormarn an einem Tag 200 neue Infektionen festgestellt, und das Omikron-Virus wurde nachgewiesen. Das gab das Gesundheitsamt bekannt, ohne jedoch konkrete, auf Amazon bezogene Zahlen zu nennen. Amazon selbst hält die Informationen darüber, wo sich wie viele Kolleginnen und Kollegen angesteckt haben, sorgfältig unter Verschluss.
Auf den Facebook-Seiten von Amazon-Beschäftigten wird gerade das Thema Masken diskutiert: In Leipzig besteht offenbar derzeit nur auf den Laufwegen Maskenpflicht, nicht jedoch an den Arbeitsplätzen. In anderen Logistikzentren hat das Gesundheitsamt nach Corona-Ausbrüchen das dauerhafte Maskentragen angeordnet. Aus Bad Hersfeld berichtet beispielsweise eine Kollegin, dass sie die Maske vier Stunden ununterbrochen tragen müsse, ohne dass der Konzern zusätzliche Pausen zum Durchatmen zugestehe.
Um die Corona-Pandemie zu eliminieren und menschenwürdige Arbeitsbedingungen durchzusetzen, ist es nötig, dass Amazon-Arbeiter international gemeinsam kämpfen. In allen Lagerhäusern und Versandstationen herrschen ähnliche oder gleiche entwürdigende Ausbeutungsbedingungen, und die Gefahr sich zu infizieren wächst von Tag zu Tag. Als erstes muss erkämpft werden, dass Beschäftigte über das wirkliche Ausmaß der Neuinfektionen genau informiert werden, damit sie sich schützen können. Um Corona zu elminieren, sind Lockdowns mit voller Entschädigung für alle Beschäftigten notwendig, kombiniert mit einer systematischen Kontaktverfolgung sämtlicher Corona-Fälle.
Die World Socialist Web Site und die Sozialistischen Gleichheitsparteien haben seit Beginn der Pandemie prinzipiell für die Eliminierung von Corona gekämpft. Wir schlagen vor, dass sich Amazon-Beschäftigte in Aktionskomitees zusammenschließen, die unabhängig von Gewerkschaften wie Verdi, vom Management und von allen bürgerlichen Politikern handeln. Diese Komitees werden Kontakt zu den Kollegen in anderen Versandhäusern und Betrieben und in andern Ländern aufnehmen. Die Pandemie kann nur international gemeinsam besiegt werden, indem dem sozialistischen Grundsatz ‚Leben vor Profit!‘ Geltung verschafft wird.
Einen solchen Kampf will die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi unbedingt verhindern. Ihre Forderung an den Online-Versandriesen beschränkt sich ausschließlich darauf, dass Amazon den branchenüblichen Tarifvertrag im Versand- und Einzelhandel akzeptiere. Für diese Forderung organisiert Verdi seit nunmehr acht Jahren Aktionen, die für Amazon vollkommen vorhersehbar und deshalb ungefährlich sind. Der multinationale Konzern kann die vom Streik betroffenen Aufträge leicht in seine anderen Warenhäuser verschieben, so dass die Auswirkungen auf die Profite gleich Null bleiben.
Die Betriebsräte, die Verdi bisher an mehreren Amazon-Standorten aufgebaut hat, arbeiten schon heute Hand in Hand mit dem Konzern. Das hat der bisherige, vor kurzem abgelöste Deutschlandchef Ralf Kleber im Gespräch mit dem Handelsblatt ausdrücklich anerkannt. Kleber sagte: „Wir haben Betriebsräte, mit denen wir bei Bedarf jeden einzelnen Schritt von der Pausenzeit bis zur Umkleidekabine absprechen.“ Diese gute Zusammenarbeit will Verdi auf keinen Fall gefährden.
Derweil perfektioniert der Konzern des Multimilliardärs Jeff Bezos seine Teile-und-herrsche-Strategie immer weiter: So werden die Paketzusteller in den Kurierdiensten, die für Amazon arbeiten, brutal ausgebeutet. Darüber hat vor kurzem eine Reportage des ZDF-Magazins „Frontal“ und von Business Insiderberichtet.
Demnach arbeiten die Fahrer dieser Subunternehmer bis zu elf Stunden am Tag, und ihr Gehalt wird völlig willkürlich, aber immer extrem niedrig, festgesetzt. Einem Fahrer wurde zum Beispiel ein Lohn von 2000 Euro versprochen, nach Arbeitsaufnahme jedoch willkürlich auf 1600 Euro reduziert. Oftmals kommt es vor, dass das Geld erst zu spät, manchmal erst nach Wochen bezahlt wird. Mehrere Fälle wurden bekannt, bei denen ein erkrankter Fahrer am selben Tag fristlos gekündigt wurde. Um Wiedereinstellung oder Abfindung, wie auch um die Bezahlung von Beiträgen zur Krankenkasse und Sozialversicherung, muss in der Regel erst vor Gericht gestritten werden.
Ein 48-jähriger Kurierfahrer, der vor dreißig Jahren aus Pakistan nach Deutschland kam und hier eine Familie hat, berichtete beispielsweise über ausstehende Löhne für fünf Monate (!), seitdem er die Fahrten für verschiedene Amazon-Subunternehmer aufgenommen hat. „Bis 2019 hatte ich keine Probleme“, sagte dieser Fahrer. „Dann habe ich bei Amazon angeheuert – und das Elend nahm seinen Lauf.“ Doch Amazon drückt sich vor jeder Verantwortung für die Fahrer der Subunternehmer.
Die Einstellung des Firmeninhabers Jeff Bezos zu seinen Beschäftigten wurde vor kurzem schlagartig deutlich, als ein Amazon-Versandlager im US-Bundesstaat Illinois von einem Hurrikan getroffen wurde. Als die Wetterwarnung am 10. Dezember 2021 eintraf, weigerte sich das Amazon-Management, die Schicht abzusagen und die Beschäftigten zu schützen, bzw. rechtzeitig nach Hause zu schicken. Stattdessen wurden sie gezwungen, in der instabil gebauten Halle zu bleiben und weiterzuarbeiten. Das Fullfillment-Center von Edwardsville wurde komplett zerstört, und sechs Menschen kamen ums Leben.
Um alle Schäden zu beheben und die Halle wiederaufzubauen, hat Jeff Bezos seither eine Million Dollar bereitgestellt. Das entspricht dem Betrag, den der Multimilliardär Bezos alle sieben Minuten an Gewinn einstreicht.