Mörderische Ausbeutung: Arbeiter stirbt während Schicht bei Amazon Leipzig

Als sich die Frühschicht dem Ende näherte, brach ein Arbeiter beim Sortieren der Pakete zusammen. Um die Leiche wurden Pappen als Sichtschutz aufgestellt, und der Betrieb lief wie gewohnt weiter. So haben es mehrere Amazon-Mitarbeiter berichtet.

Am 15. August dieses Jahres starb ein Amazon-Mitarbeiter während der Arbeit im Logistikzentrum in Leipzig. Der Fall wurde erst vor kurzem öffentlich bekannt. Journalisten von Correctiv, die in Zusammenarbeit mit mehreren Lokalzeitungen über Missstände bei dem Logistik-Riesen recherchierten, waren darauf gestoßen.

Amazon in Leipzig [Photo by Medien-gbr/wikimedia / CC BY-SA 3.0]

Zuvor, im Juni dieses Jahres, hatte es bei Amazon Gernsheim bereits einen tödlichen Unfall gegeben. Bei Wartungsarbeiten gegen halb eins nachts wurde ein 42-Jähriger von einem herabstürzenden Förderband lebendig begraben. Nach der Bergung durch die Feuerwehr und Reanimation vor Ort verstarb er einen Tag darauf im Krankenhaus. In den USA laufen aktuell staatliche Untersuchungen, nachdem in drei Wochen drei Arbeiter in Amazon-Lagern in New Jersey starben.

Diese Todesfälle werfen ein Schlaglicht auf die fatalen Folgen der ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei Amazon.

Ein Amazon-Arbeiter, der anonym bleiben wollte, schätzte den Verstorbenen auf „Mitte, Ende 40“. Er musste mehrere 100 Pakete pro Stunde in Container sortieren, wobei die schwersten mehr als 20 Kilogramm wogen. Nach einer halbstündigen Pause werde nonstop durchgearbeitet, so der Arbeiter weiter.

Betriebsratsmitglied Thomas Rigol sagte der Jungen Welt, viele Beschäftigte nähmen Schmerzmittel, bevor sie zur Schicht kämen. Ein Logistik-Arbeiter legt jeden Tag mindestens 15 Kilometer zurück, was fast der Länge eines Halbmarathons entspricht.

Amazon behauptet, man habe nach dem Tod des Arbeiters die „Arbeitsstationen gesperrt“, die Förderbänder abgestellt und allen Beschäftigten freigestellt, bezahlt nach Hause zu gehen. Dieses Angebot ist aber offenbar bei den Mitarbeitern nicht angekommen. Laut Verdi-Betriebsrat Rigol hat es solche Angebote zwar gegeben, zu dem Zeitpunkt sei aber nicht klar gewesen, ob bezahlt oder unbezahlt und ob das Versprechen für alle gelte, heißt es in der Jungen Welt.

Zu der Frage, warum der Schichtbetrieb an dem Tag nicht eingestellt wurde, äußerte sich Amazon nicht.

Die Gleichgültigkeit, mit der Amazon über das Leben und die Gesundheit der Arbeiter hinweggeht, ist nicht neu. Im Dezember letzten Jahres starben sechs US-Arbeiter im Fullfillment-Center von Edwardsville, Illinois, weil sich Amazon trotz Tornadowarnung weigerte, die Arbeit einzustellen. „Amazon lässt uns nicht gehen,“, lautete die letzte Textnachricht, die einer der Verstorbenen an seine Lebensgefährtin sandte.

Auch auf die Ansteckungsgefahr mit Corona reagierte das Unternehmen absolut gleichgültig und nahm massenhaft Infektionen in Kauf. So berichtete das Fernsehmagazin Panorama im April 2021, dass Amazon seinen Mitarbeitenden am niedersächsischen Standort Winsen verbot, sich am Arbeitsplatz mit FFP2-Masken zu schützen. Lediglich weniger wirksame medizinische Einwegmasken waren erlaubt. Bei Amazon Leipzig waren FFP2-Masken zwar nicht ausdrücklich verboten, doch der Konzern weigerte sich, die vorgeschriebenen Pausen zu bezahlen.

Gegen diese Profite-vor-Leben-Politik reagierten Amazon-Arbeiter in den USA und anderen Ländern mit Streiks und Protesten.

Nach eigenen Angaben beschäftigt Amazon in Deutschland in seinen Logistikstandorten mehr als 20.000 festangestellte Mitarbeitende. Allein in Leipzig sind es mehr als 1000.

Andreas, mit dem Correctiv über den Todesfall sprach, ist einer von ihnen. „Ich muss mich bei fast jeder zweiten Ware bücken“, sagt er. Am schlimmsten seien Mini-Geschirrspüler oder Backöfen, die er allein hochwuchten muss. Besonders, wenn sie in unteren Fächern gelagert sind. Er sagt, dass die Waren mitunter 17 Kilo wiegen.

Wenn Andreas sich fünf Minuten nicht bewegt, schlägt sein Handscanner Alarm. Ein Countdown zählt rückwärts, Sekunde für Sekunde. Wer die Arbeit nicht rechtzeitig fortsetzt, fliegt aus dem System. Die Folge kann sein, dass er danach einer anderen Route zugewiesen wird und in einem anderen Bereich der Halle weiterarbeiten muss.

„Für Mitarbeitende, die länger auf Toilette brauchen oder Einschränkungen haben, ist das zeitlich schwer schaffbar,“ sagt Andreas. Der Konzern räumt ein, dass man sich vorher abmelden muss, um so etwas zu vermeiden. Es wird aber Druck ausgeübt, wenn die „Rate” sinkt.

Über die Bedingungen bei Amazon Leipzig hatte ein Arbeiter bereits vor einigen Jahren mit der WSWS gesprochen. Er berichtete, wie Arbeitsunfälle oder auch ein Schlaganfall den Arbeitern selbst angelastet werden, denen dafür Bonuspunkte abgezogen werden. Da der Bonus immer gruppenbezogen ist, drängt Amazon damit die Arbeiter, sich gegenseitig zu kontrollieren und zu überbieten.

Ein anderes Erpressungsmittel sind befristete Verträge. Arbeiter hoffen auf eine Festanstellung, wenn sie höhere Leistungen erbringen. Das ganze Amazon-System gleicht dem berühmten Spiel mit der Karotte, die dem Esel vor die Nase gehalten wird, um ihn zu mehr Leistung anzutreiben.

Correctiv hat auch das Logistiksystem von Amazon untersucht, wo teilweise noch üblere Ausbeutungsbedingungen herrschen. Um sich von den großen Logistikunternehmen wie DHL oder UPS unabhängig zu machen und die Kosten zu senken, setzt Amazon auf kleine Subunternehmen, die es vollständig in der Hand hat. Sie missachten oft Arbeiterrechte wie Pausenregelung und zahlen Niedriglöhne. Lange Wartezeiten, knappe Zeitpläne, Druck und Übermüdung erhöhen die Unfallgefahr.

Die Ausweitung des globalen Amazonkonzerns wurde massiv staatlich gefördert. Allein für den 2006 geschaffen Amazon Standort Leipzig flossen rund 14 Millionen an staatlichen Fördermitteln von Bund und Land. Der zeitgleich stattfindende Ausbau des Standorts Bad Hersfeld bezuschusste das Land Hessen mit 670.000 Euro. Jahre später bezeichnete der Leipziger Bürgermeister Burkhard Jung (SPD) Amazon als „beispiellose Erfolgsgeschichte bei der Neuschaffung von Arbeitsplätzen“.

Amazon, das Jeff Bezos, einem der beiden reichsten Männer der Welt gehört, wies 2021 einen Gewinn in Höhe von weltweit 33,36 Milliarden US-Dollar aus. Trotzdem hat der Konzern Mitte November angekündigt, weltweit rund 10.000 Stellen zu streichen. Angesichts steigender Energiepreise und einer eskalierenden globalen Wirtschaftskrise dürfte dies erst der Anfang einer massiven Welle von Angriffen auf die ohnehin bereits ausgepressten Amazon-Arbeiter sein.

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