Verdi-Streikaufruf bei Amazon – Baut Aktionskomitees auf!

Die Streikaufrufe der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi an den Amazon-Prime-Tagen sind ebenso regelmäßig wie nutzlos. Ob Oster- oder Weihnachtsgeschäft, immer wieder ruft Verdi die Beschäftigten in einigen Versandzentren zu befristen Proteststreiks auf, die an der extremen Ausbeutung und den üblen Arbeitsbedingungen nichts ändern und nur dazu dienen, die wachsende Empörung der Arbeiter in fruchtlosem Protest verpuffen zu lassen.

Am Montag war es wieder so weit. Verdi rief in sieben Versandzentren zum Streik auf und inszenierte vor den Toren das bekannte Protest-Ritual mit Trillerpfeifen und Jammer-Reden über die Superausbeutung von Amazon. So geht das seit Jahren. Diese ritualisierte Nadelstich-Streiktaktik soll darüber hinwegtäuschen, dass Verdi nicht bereit ist, einen ernsthaften Kampf gegen die extreme Ausbeutung des Versandhändlers zu führen.

Die Gewerkschaft achtet sorgfältig darauf, die Geschäftsinteressen von Amazon nicht wirklich zu gefährden. Die Arbeitsniederlegungen haben kaum je dazu geführt, dass Lieferungen deutlich verspätet waren oder gar nicht ankamen. Über sein weit verzweigtes europäisches Logistiknetz kann Amazon die vereinzelten Tagesstreiks ausgleichen. Die Streiks haben den Amazon-Konzern in all den Jahren nie gehindert, seine Profite drastisch zu steigern.

Alleine im letzten Jahr, als viele Beschäftigte angesichts der Pandemie und fehlender Schutzmaßnahmen unter mörderischen Bedingungen arbeiten mussten, hat der US-Multi seine Gewinne drastisch erhöht und den höchsten Profit in der Unternehmensgeschichte eingefahren. Nach eigenen Angaben erzielte Amazon 2020 einen Jahresgewinn von 21,3 Milliarden US-Dollar, im Vergleich zu 17,4 Milliarden im Jahr 2019 und 13,2 Milliarden im Jahr 2018. Das Europageschäft hat daran großen Anteil.

Mit anderen Worten: die Verdi-Streiks haben dem Konzern nicht geschadet, aber einen wirklichen, gemeinsamen Arbeitskampf der Amazon-Beschäftigten an allen Standorten verhindert. Und genau diese Botschaft versucht Verdi der Konzernleitung zu vermitteln.

In all den Jahren, in denen Verdi Protestaktionen bei Amazon organisiert, hat sie die Amazon-Belegschaft niemals an allen deutschen Standorten gemeinsam zum Streik aufgerufen, geschweige denn zu gemeinsam Aktionen mit den Kollegen in den übrigen europäischen und internationalen Zentren. Europaweit unterhält Amazon in Deutschland, Polen, Spanien, Frankreich, Italien, Tschechien und der Slowakei über 60 so genannte Logistik- und Fulfillment Centers. Weltweit sind es über 800 Zentren, die meisten davon in den USA.

In allen Versandlagern herrschen praktisch die gleichen üblen Bedingungen. Verdi behauptet, das Problem bestehe darin, dass die Konzernleitung in Deutschland, wie auch in vielen anderen Ländern, die Gewerkschaft nicht anerkenne. Durch eine Anerkennung der Gewerkschaft und den Aufbau eines Betriebsrats würde sich die Situation für die Beschäftigten verbessern.

Das stimmt nicht.

Verdi will vom Unternehmen anerkannt werden und einen Betriebsrat aufbauen, weil die Gewerkschaftsfunktionäre Angst haben, dass sich der Widerstand gegen die brutalen Ausbeutungsmethoden ansonsten spontan, unkontrolliert und explosionsartig entwickelt und auf andere Betriebe, in denen eine „Amazonisierung“ der Produktion und der Arbeitsbedingungen stattfindet, übergreifen könnte.

Man muss nur in andere Bereiche von Produktion, Dienstleistung und Verwaltung schauen, in denen Verdi vertreten ist und starken Einfluss ausübt, um zu erkennen, dass die Gewerkschaft nicht als Interessenvertreterin der Beschäftigten, sondern als Ordnungsmacht auftritt. Überall werden mit Hilfe von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen Reallohnsenkung, Sozialabbau und Entlassungen durchgesetzt.

So dient Verdi bei der Lufthansa seit jeher als Hausgewerkschaft. Die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle ist auch stellvertretende Vorsitzende des Lufthansa-Aufsichtsrats und seit 27 Jahren Mitglied der SPD. Sie hat das Rettungspaket der Bundesregierung für die Lufthansa weitgehend mit ausgehandelt, das dem Konzern 9 Mrd. Euro aus Steuergeldern zur Verfügung stellt und mit einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen verbunden ist. Die Zahl der zu vernichtenden Arbeitsplätze wurde schrittweise auf 60.000 erhöht.

Die Betriebsräte stellen die Entlassungslisten zusammen und setzen die Betroffenen oft auch in Einzelgesprächen unter Druck. Gewerkschaftliche Vertrauensleute überwachen die Abteilungen wie eine Betriebspolizei, um jeden ernsthaften Widerstand im Keim zu ersticken.

Verdi will auch bei Amazon zugelassen werden und betont, die Wahl eines Betriebsrats sei wichtig, um „stabile Beziehungen“ zu schaffen. Sie versteht darunter die Einbindung der Gewerkschaften in die Leitungsstrukturen des Konzerns, wo die Gewerkschaftsfunktionäre als gut bezahlte Co-Manager agieren. Verdi wäre nicht für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei Amazon zuständig, sondern für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Nicht Abschaffung der Superausbeutung wäre ihre Aufgabe, sondern Kontrolle über die Belegschaft und Unterdrückung von Widerstand.

Amazon weigert sich bisher nur deshalb, die Gewerkschaft als Verhandlungspartner anzuerkennen, weil Konzern-Chef Jeff Bezos der Auffassung ist, er könne sich das Geld für freigestellte Betriebsratsfunktionäre und langwierige Verhandlungen sparen und die Kontrolle über die Beschäftigten selbst aufrechterhalten. Verdi hält das für gefährlich und warnt vor einer sozialen Explosion.

Weltweit hat sich die Rolle der Gewerkschaften verändert. Unter dem Einfluss der globalisierten Produktion und der Entwicklung multinationaler Konzerne hat sich ihr Programm begrenzter nationaler Reformen in ein Programm des sozialen Rückschritts verwandelt. Gemeinsam mit dem Management verschärfen sie die Ausbeutung der Belegschaften, um die Wettbewerbsfähigkeit des „eigenen Unternehmens“ oder des nationalen Standorts im globalen Wettbewerb zu stärken.

Überall wurden die Gewerkschaften während der letzten Jahrzehnte immer enger in die Strukturen des kapitalistischen Staats eingebunden. Das Resultat ist eine durchgehende Katastrophe für die Arbeiterklasse und das kontinuierliche Anwachsen von sozialer Ungleichheit und Armut.

Die Corona-Pandemie hat diese reaktionäre Rolle der Gewerkschaften deutlich gezeigt. Millionen Beschäftigte haben überall auf der Welt miterlebt, wie die Gewerkschaften die kriminelle Politik der Profit-Maximierung und persönlichen Bereicherung höhergestellt haben als die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung.

Überall haben die Gewerkschaften die Milliardengeschenke an Konzerne, Banken und Superreiche unterstützt. Sie haben die Produktion trotz zunehmender Ansteckungsgefahr aufrechterhalten und das wahre Ausmaß der Infizierten, schwer Erkrankten und Toten in Betrieben und Verwaltungen vertuscht. Und jetzt spielen die Gewerkschaften eine Schlüsselrolle, um Rationalisierungsprogramme, Sparmaßnahmen und Entlassungen durchzusetzen und mehr Profit aus der Arbeiterklasse herauszupressen.

Doch die Arbeiter zeigen sich zunehmend kampfbereit und selbstbewusst. Der Widerstand entwickelt sich und nimmt mehr und mehr die Form einer Rebellion gegen die Gewerkschaften an. Die Auseinandersetzung bei Amazon in den USA ist in diesem Zusammenhang eine wichtige Lehre.

Über lange Zeit versuchte dort die Einzelhandels-, Lager- und Kaufhausgewerkschaft (RWDSU) in der Amazon-Niederlassung in Bessemer (Alabama) als Interessenvertretung anerkannt zu werden. Anfang März unterstützte sogar US-Präsident Joe Biden die Kampagne und rief die Amazon-Beschäftigten in Bessemer auf, für die Zulassung der Gewerkschaft zu stimmen. Als dann im Mai die Abstammung stattfand, stimmte eine überwältigende Mehrheit der knapp 6000 Beschäftigten gegen die Gewerkschaft. Trotz intensiver Kampagne und prominenter Unterstützung von Politikern und Medien konnte die Gewerkschaft noch nicht einmal 13 Prozent der Arbeiter überzeugen.

Das war ein deutliches Anzeichen dafür, dass viele Arbeiter die Gewerkschaften nicht mehr als Organisationen sehen, mit der sie ihre Interessen verteidigen können. Was heute als „Gewerkschaft“ bezeichnet wird, ist keine Organisation der Arbeiterklasse mehr. Die Gewerkschaften repräsentieren eine Funktionärsschicht, die den Lebensstandard der wohlhabenden Mittelklasse genießt und völlig in das Management und den Staatsapparat eingebunden ist.

Aus dieser Verwandlung der Gewerkschaften müssen Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) ruft Arbeiter dazu auf, ihre eigenen, von den Gewerkschaften unabhängigen Aktionskomitees bei Amazon und dessen Logistikzentren aufzubauen, die demokratisch sind und von den Arbeitern selbst kontrolliert werden. Solche Organisationen sind wichtig, um sich mit Amazon-Kollegen weltweit zu vernetzen und einen gemeinsamen Kampf vorzubereiten.

Eine solche Mobilisierung ist nicht auf Protest beschränkt, sie muss den Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung mit einem sozialistischen Programm verbinden. Konzernriesen wie Amazon müssen enteignet und in öffentliche Versorgungsbetriebe umgewandelt werden. Das ist die Voraussetzung, um eine demokratische Kontrolle über die Produktion zu errichten und die Gesellschaft auf Grundlage der sozialen Bedürfnisse zu organisieren.

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