Perspektive

Frankreichs neues Gesetz gegen „Separatismus“: Ein Frontalangriff auf demokratische Rechte

Das neue Gesetz gegen „Separatismus“, das jetzt in der französischen Nationalversammlung verabschiedet werden soll, bedeutet eine drastische Veränderung des politischen Systems in Frankreich in Richtung Autoritarismus. Die 51 Artikel des Gesetzes zerfetzen die seit über einem Jahrhundert etablierten demokratischen Rechte.

Nur wenige Wochen nach Donald Trumps Putschversuch in Washington muss der Frontalangriff auf demokratische Rechte in Frankreich von der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt als Warnung verstanden werden. Angesichts der wachsenden Opposition in der Bevölkerung gegen den Kapitalismus und der enormen Wut von Arbeitern und Jugend über die mörderische Gesundheitspolitik, die zwei Millionen Todesfälle durch Covid-19 zu verantworten hat, bewegt sich die Finanzaristokratie auf eine Diktatur zu.

Polizei auf einer Demonstration gegen das neue Sicherheitsgesetz in Paris, 16. Januar 2021 (AP Photo/Christophe Ena)

Die Regierung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron präsentiert ihr Gesetz als Waffe, um „separatistische“ Unterstützung für Islamismus und Terrorismus auszurotten und um Loyalität gegenüber dem Staat zu erzwingen, der in einer rechtsgerichteten Initiative kürzlich bereits ein Kopftuchverbot ausgesprochen hat. Das neue Gesetz gegen Separatismus schreibt das Laizismusgesetz von 1905, das die Trennung von Kirche und Staat festschrieb, neu und lässt im Wesentlichen nichts davon über: Das „Anti-Separatismus-Gesetz“ gibt dem Staat eine weitreichende Kontrolle über die Organisation und Finanzierung religiöser Einrichtungen und willkürliche Befugnisse zur Schließung von Gotteshäusern. In ganz Frankreich wurden bereits neun Moscheen geschlossen, weitere 76 sind von Schließung bedroht.

Mit dieser Drohung in der Rückhand hat der Staat dem französischen Muslimrat bereits eine demütigende neue Charta auferlegt, die Muslime auf „nationalen Zusammenhalt“ und die Aufrechterhaltung der „öffentlichen Ordnung“ verpflichtet. Dies macht Muslime effektiv zu einer separaten Kategorie von Bürgern, die einem Loyalitätseid unterliegt. Man muss in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass im 20. Jahrhundert die faschistischen Regime antisemitischen Hass schürten, um die Arbeiterklasse zu spalten und ihre mörderische Politik durchzusetzen.

Es wäre außerdem falsch, dieses Gesetz als einen Angriff auf die Rechte nur von Muslimen oder anderen Gläubigen zu betrachten. Artikel 8 führt das faschistische Prinzip ein, dass Vereine - also Organisationen wie Wohltätigkeitsvereine, Gemeinden und politische Parteien, die bislang einem Gesetz von 1901 unterlagen - gemeinschaftlich für die Handlungen jedes ihrer einzelnen Mitglieder haftbar zu machen sind.

Dies ebnet den Weg für willkürliche Verbote von kulturellen und politischen Organisationen. Der Staat kann demnach jedes Vergehen eines Mitglieds einer Vereinigung zum Anlass nehmen, um die gesamte Vereinigung für kriminell zu erklären, sie zu verbieten und möglicherweise ihre Mitglieder strafrechtlich zu verfolgen. Das ist ein Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse.

Wie in ganz Europa und international zieht die herrschende Klasse geradezu faschistische Kräfte heran. Der französische Innenminister Gérald Darmanin (38) der für die Ausarbeitung des Gesetzes verantwortlich zeichnet, macht aus seinen faschistischen Sympathien keinen Hehl. Auf die Frage, ob das Gesetz dazu benutzt werden könnte, Parteien zu verbieten, antwortete Darmanin, dass er die rechtsextreme Partei Action française (AF) nicht strafrechtlich verfolgen wird, obwohl sie zu ihrem Ziel erklärt, die Republik zu stürzen und sie durch eine absolute Monarchie zu ersetzen, wie vor der Französischen Revolution 1789. AF-Mitglieder bestätigten später, dass Darmanin im Jahr 2008 in ihrer Partei aktiv war und später den Republikanern und dann Macrons Partei beitrat.

Die Gesetze von 1901 und 1905, die nun in Macrons Schusslinie geraten, entstanden im Kampf gegen die Action française - die rücksichtslosesten intellektuellen Verfechter des politischen Antisemitismus, des Monarchismus und schließlich des Antikommunismus und Faschismus in Frankreich.

Die Action française wurde 1898 gegründet, um den jüdischen Offizier Hauptmann Alfred Dreyfus im Gefängnis zu halten, nachdem er 1894 zu Unrecht wegen falscher Spionagevorwürfe aus den Reihen des Militärs und der Kirche verurteilt worden war. Die sozialistische Bewegung, angeführt von Jean Jaurès, spielte die führende Rolle in dem Kampf für den öffentlichen Nachweis von Dreyfus' Unschuld. Die vernichtende Niederlage der Action française in der Dreyfus-Affäre bereitete die Verabschiedung der Gesetze von 1901 und 1905 vor, die Versammlungs- und Religionsfreiheit garantierten.

Während des Zweiten Weltkriegs war die Action française die politische Basis des Vichy-Regimes, das mit den Nazis kollaborierte. Der Führer der Action française Charles Maurras begrüßte die Machtübernahme des kollaborierenden Diktators Philippe Pétain im Jahr 1940 als „göttliche Überraschung“. Nach dem Krieg, als Pétain und Maurras wegen Hochverrats verurteilt wurden, bemerkte Maurras verbittert, dass dies „die Rache von Dreyfus“ sei.

Mit dem neuen Gesetz gegen den Separatismus übt die Macron-Regierung Rache für Maurras. Sie hat ihr Wahlversprechen von 2017 widerlegt, dass Macron eine „demokratische“ Alternative zur neofaschistischen Kandidatin Marine Le Pen sei.

Im Jahr 2018, inmitten der Massenproteste der „Gelbwesten“ gegen soziale Ungleichheit, ehrte Macron Pétain als „großen Soldaten“. Jetzt, da er die verbreitete Stimmung in der Öffentlichkeit und die Forderungen der Ärzteschaft nach einem Lockdown zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie ablehnt, verfolgt er eine rechtsextreme Linie. Letzte Woche griff Darmanin in einer Fernsehdebatte zur Hauptsendezeit Le Pen von rechts an, bezeichnete sie als „nachgiebig“ gegenüber dem Islam und forderte sie auf, „Vitamine“ zu nehmen.

Die Hinwendung zum Autoritarismus ist verbunden mit der mörderischen Politik der herrschenden Klasse als Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie. Wie die WSWS bereits dargelegt hat, ist die Covid-19-Pandemie ein Auslöser für welthistorische Veränderungen. Um ihre mörderische Politik umzusetzen, kultiviert die herrschende Klasse überall auf der Welt faschistische Kräfte und wendet sich autoritären Formen der Herrschaft zu.

In ganz Europa sind ähnliche Prozesse im Gange. In Spanien reagierte die Armee auf die Streiks im letzten Jahr, die schließlich den Lockdown erzwangen, mit Putschplänen und der Rehabilitierung des faschistischen Putschisten von 1936 und späteren Diktators Francisco Franco. In Italien bildet der Bankier Mario Draghi eine Regierung der „Herdenimmunität“, die sowohl die rechtsextreme Lega als auch die ex-stalinistische Demokratische Partei einschließt. Und die deutsche Bourgeoisie verbindet die Wiederaufrüstung mit einer Kampagne zur Rehabilitierung der Nazis.

Die Kraft, die historisch gegen den Faschismus gekämpft hat und die heute wieder mobilisiert werden muss, ist die internationale Arbeiterklasse, die mit einem sozialistischen Programm ausgerüstet ist. Hinter faschistischen Angriffen auf demokratische Grundrechte stehen letztlich Profitinteressen. Erfolgreich zurückschlagen kann diese nur eine Bewegung, die die Übertragung der Macht an die Arbeiterklasse anstrebt. Ein solcher Kampf kann nicht in die Händen der Gewerkschaftsbürokratien und ihrer reaktionären politischen Verbündeten gelegt werden.

In Frankreich unterstützen die pseudolinken Parteien aus der wohlhabenden Mittelklasse, die Macron 2017 stillschweigend zum Präsidenten gemacht haben, Macrons Politik der „Herdenimmunität“ und das „Gesetz gegen Separatismus“. Die stalinistische Kommunistische Partei Frankreichs und Jean-Luc Mélenchons Partei La France Insoumise (LFI), die das Gesetz zunächst als „nutzlos und gefährlich“ und ein „Durcheinander von Amalgamen“ gegen Muslime bezeichnet hatte, beraten nun im Parlament die Artikel des Gesetzes. Da sich die Partei auf Macron eingelassen hat und von EU-Geldern profitiert, bewegt sich stark nach rechts.

Die Bilanz der Macron-Regierung bestätigt die Einschätzung der Parti de l'égalité socialiste, der französischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), bei den Wahlen 2017. Angesichts der Stichwahl zwischen Macron und Le Pen rief sie zu einem aktiven Boykott der Wahlen auf und betonte, dass Macron keine Alternative zu Le Pen sei und dass in der Arbeiterklasse eine politisch unabhängige Bewegung aufgebaut werden müsse, egal welcher Kandidat gewinne.

Gegen „Herdenimmunität“ und faschistische Politik kämpft die Parti de l'égalité socialiste, um in der Arbeiterklasse die großen Traditionen des sozialistischen Kampfes neu zu beleben.

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