Perspektive

Trump beansprucht Trudeaus Skalp und ebnet den Weg für Rechtsaußen- Regierung in Kanada

Justin Trudeau hat am Montag angekündigt, dass er von seinem Amt als kanadischer Premierminister zurücktreten wird, sobald seine liberale Partei einen Nachfolger wählt.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau während einer Pressekonferenz im NATO-Hauptquartier in Brüssel, 24. März 2022 [AP Photo/Markus Schreiber]

Der Rücktritt von Trudeau ist Teil eines gewaltigen Rechtsrucks der bürgerlichen Politik in der ganzen Welt. Die rivalisierenden Herrschenden in den imperialistischen Länder strukturieren die Politik im Einklang mit dem oligarchischen Charakter der heutigen kapitalistischen Gesellschaft und bereiten dadurch auch die kriegerische Neuaufteilung der Welt vor.

Die Rückkehr des Faschisten und gescheiterten Putschisten vom 6. Januar 2021, Donald Trump, verkörpert diesen Prozess und beschleunigt ihn gleichzeitig.

Der Rücktritt von Trudeau folgt auf den Zusammenbruch der Regierungen in Deutschland und Frankreich und zuletzt das Scheitern der Koalitionsverhandlungen in Österreich. Die europäische Bourgeoisie hat auf die Wahl Trumps reagiert, indem sie eilig seiner Forderung nachkam, Europa solle mehr von der Last des Krieges mit Russland übernehmen. Gleichzeitig ebnet sie den Weg für weitere massive Angriff auf die Arbeiterklasse.

Trumps Drohungen mit einem Handelskrieg, seine mehrfache Verspottung Trudeaus als „Gouverneur“ - der Titel des Regierungschefs eines US-Bundesstaates - und seine wiederholten Vorschläge, dass Kanada der 51. Staat werden sollte, haben den kanadischen Imperialismus massiv destabilisiert. Das politische Schicksal von Trudeau steht ganz in diesem Zusammenhang.

Trump hat gedroht, vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Importe aus Kanada und Mexiko zu erheben, wenn diese Nachbarländer der Vereinigten Staaten sich nicht stärker in seinen Krieg gegen Zuwanderung und seine Pläne zur Militarisierung der Außen- und Binnengrenzen Nordamerikas einbinden. Trudeau reagierte darauf, indem er zu Trump in dessen Residenz in Mar-a-Lago eilte.

Sein rückgratloser Kniefall vor dem faschistischen Möchtegern-Diktator konnte Trump jedoch nicht besänftigen. Trump beanspruchte den Skalp von Trudeau und wiederholte seine Forderung nach der Annexion Kanadas. Trump stellte dies in den Kontext des strategischen Konflikts, den der US-Imperialismus mit Russland und China ausficht, und in Zusammenhang mit dem Bau der Festung Nordamerika.

„Viele Menschen in Kanada“, verkündete Trump auf seiner Social-Media-Plattform Truth Media, „LIEBEN es, der 51ste Staat zu sein. Die Vereinigten Staaten können nicht länger die massiven Handelsdefizite und Subventionen hinnehmen, die Kanada braucht, um sich über Wasser zu halten. Justin Trudeau wusste das und ist zurückgetreten.“

„Wenn Kanada mit den USA fusionieren würde, gäbe es keine Zölle, die Steuern würden deutlich sinken und sie wären VOLLSTÄNDIG SICHER vor der Bedrohung durch russische und chinesische Schiffe, die sie ständig umgeben. Gemeinsam wäre das eine großartige Nation!!!“

Der Weg für eine rechtsextreme konservative Regierung wird geebnet

Die unmittelbare Folge von Trudeaus Abgang ist, dass er den Weg für vorgezogene Neuwahlen und die Machtübernahme in Ottawa durch eine Trump-ähnliche konservative Regierung unter der Führung des rechtsextremen Demagogen Pierre Poilievre freimacht. Diese Regierung wird bereit sein, autoritäre Methoden anzuwenden und faschistische, außerparlamentarische Kräfte gegen die Arbeiterklasse zu mobilisieren.

Obwohl Trudeau wiederholt versprochen hatte, seine Partei in die nächsten Wahlen zu führen, überraschte sein Rücktritt zu Beginn seines zehnten Jahres im Amt des Premierministers niemanden.

Er hatte die Unterstützung entscheidender Teile der kanadischen Wirtschaftselite verloren, die mit zunehmender Vehemenz auf eine aggressive Interessensvertretung im Ausland und Angriffe gegen die Arbeiterklasse im Inland drängt. In den letzten Monaten ist Trudeaus Rückhalt in der Parlamentsfraktion der Liberalen geschwunden, da er nach den letzten Wahlen einige Niederlagen hinnehmen musste und ihm Meinungsumfragen eine historische Wahlniederlage voraussagten.

Trudeaus Position wurde unhaltbar, nachdem die stellvertretende Premierministerin und Finanzministerin Chrystia Freeland letzten Monat die Regierung verlassen hatte. Sie tat diesen Schritt genau an dem Tag, an dem sie das Wirtschaftsprogramm vorstellen sollte. Und um sicherzustellen, dass ihr Rücktritt Trudeau den größtmöglichen Schaden zufügt, tat sie es in einem öffentlichen Brief an den Premierminister. Darin warf sie ihm vor, den kanadischen Imperialismus nicht richtig aufgestellt zu haben, um der Herausforderung von Trumps America-First-Agenda zu begegnen.

Kanadas Finanzoligarchie schreit nach einer Regierung, die Kanadas Gunst in Washington sichert. Hierzu will sie eine noch größere Rolle an drei Fronten des globalen Krieges übernehmen - gegen Russland und China sowie den Iran und seine Verbündeten im Nahen Osten - und die massiven Militärausgaben, die bereits unter Trudeau erhöht wurden, im dreistelligen Milliardenbereich aufstocken. Sie drängt auch darauf, dass in Kanada ähnliche Steuersenkungen stattfinden, wie Trump sie ankündigt, und die Regierung die Sozialausgaben kürzt, um die „Wettbewerbsfähigkeit“ des kanadischen Kapitalismus zu sichern.

Poilievre wurde auf die Umsetzung dieser Agenda vorbereitet. Der Vorsitzende der Konservativen Oppositionspartei erlangte politische Bekanntheit zunächst als Kampfhund des neokonservativen kanadischen Premierministers Stephen Harper. Später war er schärfster Wortführer des von den Faschisten angezettelten „Freedom“-Konvois, der Anfang 2022 mit Unterstützung erheblicher Teile der herrschenden Klasse mehr als einen Monat lang die Innenstadt von Ottawa besetzte und die Regierung bedrohte.

Die Liberalen ihrerseits bemühen sich zu zeigen, dass sie das beste Instrument sind, um die Agenda der herrschenden Klasse durchzusetzen. Die Leitmedien rechnen Chrystia Freeland und Mark Carney die größten Chancen für die Nachfolge Trudeaus im Vorsitz der Liberalen Partei zu. Freeland, die bis zu ihrem Rücktritt im letzten Monat der wichtigste Antirussland-Falke in der Trudeau-Regierung war, verkörpert die jahrzehntelange Allianz zwischen dem kanadischen Imperialismus und dem ukrainischen Faschismus. Als Chef der Bank of Canada und der Bank of England ist Carneys Name ein Synonym für Sparmaßnahmen, die sich gegen die Arbeiterklasse richten. Außerdem steht er für „billiges Geld“ in Form von rekordverdächtig niedrigen Zinssätzen und quantitativer Lockerung für die Finanzelite.

Die herrschende Klasse bereitet sich auf Klassenkrieg von oben vor, während Poilievre demagogisch an die Wut der Arbeitermassen über sinkende Reallöhne, den Zusammenbruch der öffentlichen Dienste und Rekord-Obdachlosigkeit appelliert. Dies ist nur möglich, weil der Klassenkampf von unten unterdrückt wird durch die Gewerkschaften, die sozialdemokratische NDP (Neue Demokratische Partei) und ihre pseudolinken Mitläufer.

Die von den Gewerkschaften unterstützte NDP hat in den letzten fünf Jahren die Minderheitsregierung der Liberalen im Parlament gestützt, größtenteils in Form eines „Vertrauensabkommens“, ohne formal eine Koalitionsregierung zu bilden.

Seit Herbst 2021 wird Kanada von einer Streikwelle überrollt, an der sich alle Teile der Arbeiterklasse beteiligen. Doch die Gewerkschaften haben mit aller Macht versucht, die Kämpfe der Arbeiter zu spalten, sie in das arbeitgeberfreundliche Tarifverhandlungssystem einzuschließen und Verträge zuungunsten der Arbeiterschaft durchzusetzen. Vor allem aber wurde die Arbeiterklasse daran gehindert, die Trudeau-Regierung politisch herauszufordern, indem die Gewerkschaften Streiks abbrachen und immer weiter nach rechts rückten.

Am 16. Dezember wies die Kanadische Postgewerkschaft (CUPW) einseitig die 55.000 Beschäftigten von Canada Post an, sich einer offenkundig ungesetzlichen Streikbrecheranordnung der Regierung zu beugen. Die Gewerkschaft tat dies, obwohl es unter den Arbeitern eine breite Unterstützung für den Widerstand gab und obwohl die Regierung durch den Rücktritt Freelands bereits erheblich geschwächt war.

Die Kapitulation der CUPW hat nicht nur den Kampf der Postarbeiter beendet. Sie sorgte auch dafür, dass der Streik nicht zum Katalysator für eine breitere Mobilisierung der Arbeiterklasse wurde, die Trudeau aus dem Amt hätte fegen können. Eine solche Bewegung hätte die besten Voraussetzungen dafür geschaffen, um die Pläne der herrschenden Klasse zu vereiteln, Poilievre und seine Konservativen an die Macht zu bringen.

Ist Kanada für Trump das, was Österreich für Hitler war?

Fraglos würde Trump es begrüßen, wenn in Ottawa mit Poilievre ein verwandter rechtsextremer Geist an die Macht käme - zumindest auf kurze Sicht.

Seine provokanten Behauptungen, dass ein Land, das von Washington seit langem als sein „engster Verbündeter“ angepriesen wird, von den USA absorbiert werden sollte, sind jedoch nicht bloß als Verhandlungstaktik oder gar als reine Manifestation des Herrschaftsstrebens des amerikanischen Imperialismus abzutun.

Trumps Forderung, Kanada solle Amerikas 51. Staat werden, wurde in einem Atemzug mit der Forderung an Dänemark genannt, Grönland an Washington zu verkaufen, und der Drohung, den Panamakanal zu beschlagnahmen.

Mit der Unterstützung für Poilievre wird sichtbar, dass die herrschende Klasse Kanadas weitgehend Trumps Agenda teilt. Sie befürwortet eine Sozialpolitik nach US-amerikanischem Vorbild. Das heißt, die Zerstörung des öffentlichen Gesundheitswesens und dessen, was vom Sozialstaat übriggeblieben ist, weitere massive Steuersenkungen für Großunternehmen und Reiche sowie die Abschaffung aller umweltpolitischen und sonstigen regulatorischen Beschränkungen für das Kapital. Sie will auch die imperialistische Hegemonie der USA wiederherstellen, die seit mehr als einem Dreivierteljahrhundert den Rahmen bietet, in dem Kanada eigene räuberische Interessen durchsetzt und an der Ausplünderung des Globus teilhaben kann.

Natürlich will die dominierende Fraktion der kanadischen Bourgeoisie ihren Bundesstaat, die Herrschaft über das zweitgrößte Land der Welt und seinen enormen Ressourcenreichtum behalten. Denn nur so kann sie bei Verhandlungen über ihren Platz in einer vom US-Imperialismus geführten Festung Nordamerika den größten Einfluss ausüben.

Trumps Drohung mit einem Zollkrieg und andere Forderungen verschärfen jedoch die tief verwurzelten regionalen Konflikte innerhalb der kanadischen Bourgeoisie. Denn verschiedene Fraktionen der herrschenden Klasse, die mit den Regionen Kanadas verbunden sind, spielen eine unterschiedliche Rolle in der von den USA dominierten kontinentalen Wirtschaft, und sie ringen auch miteinander um die Verteidigung ihrer jeweiligen Interessen.

Als Trudeau und der Premierminister des kanadischen Bundesstaats Ontario, Doug Ford, die Möglichkeit ansprachen, auf Trumps Zolldrohungen mit einer Exportsteuer auf kanadische Erdöl-, Erdgas- und Uranexporte in die USA zu reagieren, warnten die rechtsextremen Premierminister der Bundesstaaten Alberta und Saskatchewan - den Provinzen, in denen sich diese Ressourcen befinden - sofort, dass eine solche Maßnahme eine Krise der „nationalen Einheit“ auslösen würde. Danielle Smith, die Premierministerin des Bundesstaats Alberta, dessen Exporte mehr als 20 Prozent des täglichen Ölverbrauchs in den USA ausmachen, hat sich nun selbst zu Trumps Amtseinführung eingeladen.

Trump wird wie üblich versuchen, diese Spaltungen auszunutzen.

In Anbetracht all dessen und der inzwischen oft wiederholten Forderung des neuen faschistischen Präsidenten nach einer „Fusion“ Kanadas mit den USA stellt sich logischerweise eine kritische Frage: Ist Kanada für Trump das, was Österreich für Hitler war? Im März 1938 marschierte Hitler im Namen des „Anschlusses“ Österreichs und als Teil seiner Vorbereitungen für den Zweiten Weltkrieg in Österreich ein, stürzte die rechtsextreme Regierung des Landes und machte es zu einem integralen Bestandteil des deutschen Dritten Reiches.

Was auch immer in den kommenden Monaten geschehen wird, Trumps Umgang mit den kanadischen Juniorpartnern des US-Imperialismus unterstreicht, dass die Weltkarte neu gezeichnet wird. Die mächtigsten imperialistischen Staaten versuchen, den Widerspruch zu lösen zwischen einer immer stärker integrierten Weltwirtschaft und ihrer Aufteilung in konkurrierende Nationalstaaten, die um die globale Vorherrschaft wetteifern.

Die Frage lautet, ob die Welt als Ganzes in einen dritten imperialistischen Weltkrieg stürzt - der die Menschheit in den Abgrund reißen würde - oder ob die Welt von unten geeinigt wird durch die vereinte Aktion der Arbeiterklasse, um der Herrschaft der kapitalistischen Oligarchie, der Ausbeutung und dem Krieg ein Ende zu setzen.

Bei der Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die räuberische Agenda der herrschenden Klasse, ihre Handels- und Militärkriege, sind die Gewerkschaften und die etablierten „linken“ Parteien mehr als nutzlos. Sie dienen lediglich als Rekrutierungsfeld für ihre jeweilige Bourgeoisie.

Die Gewerkschaften auf beiden Seiten der kanadisch-amerikanischen Grenze und die NDP arbeiten systematisch an der Spaltung der kanadischen, US-amerikanischen und mexikanischen Arbeiter. Sie unterstützen gleichzeitig die Kriegspläne des US-amerikanischen und kanadischen Imperialismus. Die fahnenschwingende kanadische Gewerkschaftsbürokratie argumentiert gegen Trumps Zölle und für eine privilegierte Stellung des kanadischen Imperialismus innerhalb der Festung Nordamerika mit der Begründung, dass die kanadischen Stahl- und Aluminiumexporte und die Reserven an seltenen Erden für die US-Kriegsproduktion unverzichtbar sind.

Die Arbeiter in Kanada können sich der liberalen Regierung, Poilievre, den verschiedenen rechten Vertretern der konkurrierenden regionalen Fraktionen der Bourgeoisie von Quebecs Legault bis Albertas Smith und nicht zuletzt Trump nur entgegenstellen, indem sie den Klassenkampf gegen die kanadische Bourgeoisie intensivieren und sich mit den Arbeitern in den USA und Mexiko im Kampf für ein sozialistisches Nordamerika als Teil einer sozialistischen Weltföderation von Staaten zusammenschließen.

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