Perspektive

Obdachlosigkeit in den USA hat sich unter Biden verdoppelt

Die Zahl der Obdachlosen, die in Notunterkünften oder auf der Straße leben, ist in diesem Jahr auf über 770.000 angestiegen. Dies geht aus dem am Freitag veröffentlichten Jahresbericht des Department of Housing and Urban Development hervor und entspricht einem Anstieg von 18 Prozent gegenüber 2023. Das sind mehr obdachlose Menschen als Einwohner in Städten wie Seattle, Detroit, Boston oder Atlanta. Die Zahl der obdachlosen Amerikaner ist höher als die der Einwohner von Washington DC, der Hauptstadt des reichsten Landes der Welt.

Die Angabe des Ministeriums unterschätzt zudem das tatsächliche Ausmaß der Obdachlosigkeit in Amerika erheblich. Sie beruht auf einer eintägigen „Point-in-Time“-Erhebung, die jedes Jahr im Januar in Städten im ganzen Land durchgeführt wird. Diese Methode gewährleistet eine niedrige Zählung, da sie in der kältesten Zeit des Jahres durchgeführt wird, in der nur sehr wenige Menschen in den nördlichen Städten ohne Obdach leben können und viele Städte aus diesem Grund Zwangsräumungen und Versorgungssperren während des Winters ausschließen.

Außerdem fand die Erhebung im Januar 2024 statt, also vor 11 Monaten, so dass die Zehntausenden, die durch Naturkatastrophen wie Hurrikan Helene und Hurrikan Milton aus ihren Häusern vertrieben wurden, nicht berücksichtigt sind. Sie spiegelt auch nicht die sich verschärfende soziale Krise wider, in der steigende Zinsen, steigende Mieten und schrumpfende Reallöhne es für Familien aus der Arbeiterklasse immer schwieriger machen, ihren größten Ausgabenposten – Wohnen – zu bezahlen.

Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Zahl der Obdachlosen weit über einer Million liegt und dass die Zahl der Menschen, die während eines Teils des Jahres von Obdachlosigkeit betroffen sind, noch um Millionen höher ist.

Entwicklung der Obdachlosigkeit in den Vereinigten Staaten ab 2020 [Photo: Datawrapper/WSWS]

In den oberflächlichen Presseberichten, die auf den HUD-Bericht folgten, wurde das wichtigste Ergebnis, das das HUD selbst aus offensichtlichen Gründen nicht hervorhob, ignoriert: Die offizielle Obdachlosigkeit in den USA hat sich seit dem Amtsantritt von Joe Biden im Weißen Haus verdoppelt. Im Januar 2021 wurden 381.000 Obdachlose gezählt, da infolge der Covid-19-Pandemie ein Räumungsstopp verhängt worden war. Die Aufhebung dieses Moratoriums führte dazu, dass die Zahl der Obdachlosen im Januar 2022 auf 580.000, im Januar 2023 auf 650.000 und im Januar 2024 auf 772.000 in die Höhe schnellte (siehe Grafik).

Diese Zahlen erklären mehr darüber, warum die Demokratin Kamala Harris die US-Präsidentschaftswahlen verloren hat, als all die Millionen geschriebener Worte und endlosen Stunden Fernsehlaufzeit, die dem Grübeln und Haareraufen medialer Experten und Politikern der Demokratischen Partei in ihrer Suche nach der Ursache für das Debakel der Demokraten gewidmet waren. Der Demokratischen Partei und dem kapitalistischen Zweiparteiensystem insgesamt ist es völlig gleichgültig, dass die Armut und der soziale Niedergang der arbeitenden Bevölkerung in den Vereinigten Staaten rapide zunimmt. Natürlich wurde der Bericht über die Obdachlosigkeit in keiner der Sonntagmorgen-Talkshows im Fernsehen erwähnt.

Donald Trump, der politisch von der sozialen Krise profitiert hat, hat keine Lösung für die Obdachlosigkeit, es sei denn, es soll eine „Lösung“ nach Hitler-Art durchgesetzt werden. Trumps Top-Berater, der Milliardär und reichste Mann der Welt Elon Musk, wetterte diesen Monat, dass es so etwas wie echte Obdachlosigkeit nicht gebe. „In den meisten Fällen ist das Wort ‚obdachlos‘ eine Lüge“, behauptete er. „Es ist in der Regel ein Propagandawort für gewalttätige Drogensüchtige mit schweren Geisteskrankheiten“.

In einem Podcast des Faschisten Tucker Carlson erklärte Musk im Oktober: „Obdachlos ist eine falsche Bezeichnung. Es impliziert, dass jemand mit seiner Hypothek im Rückstand ist, und wenn man ihm nur einen Job gäbe, würde er wieder auf die Beine kommen... Was man tatsächlich hat, sind gewalttätige Drogenzombies mit toten Augen und Nadeln und menschlichen Fäkalien auf der Straße.“

Trump, Musk und der designierte Vizepräsident JD Vance demonstrierten ihre Haltung gegenüber Obdachlosen am 14. Dezember, als sie den New Yorker „Subway Strangler“ Daniel Penny in ihrer Skybox beim Army-Navy Footballspiel feierten. Penny, ein ehemaliger Marinesoldat, tötete einen Obdachlosen, der sich unberechenbar verhielt, aber niemanden außer sich selbst bedrohte, indem er ihm acht Minuten lang den Hals zudrückte. Anfang Dezember wurde Penny von allen Anklagepunkten freigesprochen, nachdem der Richter die schwerste Anklage, nämlich Totschlag, abgewiesen hatte.

Was die Demokraten betrifft, so mag ihre Rhetorik weniger abscheulich sein, doch ihre Politik ist nicht weniger von den Interessen des Großkapitals diktiert. In Kalifornien, dem größten US-Bundesstaat mit einem BIP von 3,23 Billionen Dollar, sind mehr als 181.000 Menschen obdachlos, während der demokratische Gouverneur Gavin Newsom Razzien in Obdachlosenlagern durchgeführt hat, die die Zahl der Obdachlosen auf den Straßen von Los Angeles tatsächlich verringert haben – nicht durch die Bereitstellung von Unterkünften, sondern durch die Vertreibung der Obdachlosen an andere Orte.

Die Ursachen der Obdachlosigkeit sind leicht zu beschreiben: Menschen sind obdachlos, weil ihnen das Einkommen fehlt, um eine Wohnung zu kaufen oder zu mieten. Die Mieten sind zu hoch, die Löhne zu niedrig, und die Zinserhöhungen der letzten zwei Jahre haben diese Ungleichheit noch viel, viel schlimmer gemacht. Junge Menschen – und diese Kategorie kann leicht bis auf 40 Jahre oder darüber hinaus ausgedehnt werden – können sich eine Anzahlung nicht leisten, es sei denn, sie erhalten kräftige Unterstützung von ihren Eltern oder anderen Familienangehörigen, und haben dann Mühe, die monatliche Hypothek zu bezahlen.

Was Musks reaktionäre und ignorante Verleumdungen über Geisteskrankheiten und Drogensucht betrifft, so sind die am schnellsten ansteigenden Kategorien unter Obdachlosen Kinder mit einem Anstieg von 33 Prozent und Familien mit einem Anstieg von 40 Prozent. Die Obdachlosigkeit von Familien hat sich in Denver, Chicago und New York City mehr als verdoppelt, was zum Teil auf die illegale Verschiffung von Busladungen von Migranten aus dem Bundesstaat Texas auf Anordnung von Gouverneur Greg Abbott zurückzuführen ist.

Nach Angaben des HUD waren in der „Zählnacht“ im Januar 2024 150.000 Kinder von Obdachlosigkeit betroffen. Auch bei dieser Zahl handelt es sich um eine grobe Schätzung: Allein im öffentlichen Schulsystem von New York City sind mehr als 100.000 obdachlose Kinder eingeschrieben.

Eine der schärfsten Reaktionen auf die wachsende Obdachlosigkeit kam in diesem Jahr von der rechten Mehrheit des Obersten Gerichtshofs der USA. In einem Fall, der die Stadt Grant’s Pass im US-Bundesstaat Oregon betraf, entschied das Gericht mit 6:3 Stimmen, dass die örtlichen Behörden das Recht haben, das Schlafen in Autos oder auf der Straße zu verbieten. Dabei, so bemerkte ein abweichender Richter, kann Schlafen kein Verbrechen sein, sondern ist eine „biologische Notwendigkeit“.

Seit dieser Entscheidung, die im Juni erging, haben mindestens 100 Städte, Gemeinden und Landkreise örtliche Verordnungen gegen Obdachlose erlassen, die sie in einigen Fällen sogar völlig kriminalisieren. In einem von den Republikanern kontrollierten Bezirk in Kalifornien schreibt die Verordnung vor, dass jeder, der auf der Straße lebt, bei Androhung einer Verhaftung mindestens 91 Meter pro Stunde gehen muss.

Der HUD-Bericht über Obdachlosigkeit zitiert eine Reihe kleinerer Maßnahmen, die von der Biden-Regierung ergriffen wurden, und lobt die Verringerung der Obdachlosigkeit von Veteranen, die ein besonderes Ziel der Soforthilfeausgaben war, als Beweis dafür, dass Fortschritte erzielt werden können.

Dies wirft jedoch nur die Frage auf: Wenn die Obdachlosigkeit unter Veteranen in den letzten zwei Jahrzehnten um 50 Prozent reduziert werden konnte, warum kann dann nicht dasselbe für die steigende Obdachlosigkeit in allen anderen Bevölkerungsgruppen getan werden?

Die Obdachlosigkeit von Veteranen war zu einer Art Schandfleck in der Öffentlichkeitsarbeit aufeinander folgender Regierungen geworden – Demokraten als auch der Republikaner – die mit einer zunehmenden Abneigung der Bevölkerung gegen den freiwilligen Militärdienst konfrontiert waren. Die zerschmetterten Körper und Seelen von Soldaten, die die Kriege des Imperialismus im Irak, in Afghanistan und in anderen Ländern überlebt hatten und auf den Straßen der meisten amerikanischen Städte zu sehen waren, wirkten sich schlecht auf die Rekrutierung aus.

Bezüglich der großen Mehrheit der Obdachlosen, die keine Veteranen sind, gibt es keine derartigen Bedenken der herrschenden Klasse. Sie sind einfach schlecht für das Tourismusgeschäft, schlecht für die Wirtschaft im Allgemeinen, und müssen aus den Augen und aus dem Sinn gehalten werden. Die Trump-Regierung plant den Bau riesiger Haftanstalten für Migrantenfamilien, die verhaftet und zur Abschiebung festgehalten werden. Es wäre für sie sicherlich verlockend, Obdachlose dort zu entsorgen, entweder nach oder während der massenhaften Verhaftungen und Abschiebungen.

Keiner der seltenen Medienkommentare zur Obdachlosigkeit nimmt die offensichtliche und wichtigste Tatsache der Obdachlosenkrise zur Kenntnis: In Amerika gibt es keinen Mangel an Wohnraum. Häuser und Wohnungen sind im Überfluss vorhanden, und Millionen weitere könnten in kurzer Zeit gebaut werden. Das Problem liegt in der Verteilung und in der wirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft. Millionen Häuser sind als Zweit-, Dritt- und Viertwohnungen im Besitz von Wohlhabenden oder dienen als spekulative Investitionen von Hedgefonds und Private-Equity-Firmen, die darauf vertrauen, dass der Immobilienmarkt immer steigt.

Eine Regierung, die sich tatsächlich für die Interessen der Arbeiterklasse einsetzt, hätte keine Schwierigkeit, die Wohnungslosen mit den Wohnungen zusammenzubringen, die derzeit unbewohnt sind oder absichtlich leer stehen, um die Preise und Mieten in die Höhe zu treiben. Doch das würde den Aufbau einer politischen Bewegung in der Arbeiterklasse erfordern, um für eine sozialistische Lösung der Wohnungskrise zu kämpfen, die von den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen ausgeht und nicht von den Profitinteressen der Milliardäre und Spekulanten.

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