Anstieg der Corona-Infektionen: Ein Ergebnis bewusster Durchseuchungspolitik

Mehr als 40,5 Millionen Menschen haben sich weltweit mit Sars-CoV-2 infiziert, und weit über eine Millionen Corona-Patienten sind gestorben – am Dienstag wurden 1,12 Millionen Corona-Tote gezählt. Diese bedrohlichen Zahlen sind kein naturgegebenes Schicksal, sondern das Ergebnis einer bewussten Politik der „Herdenimmunität“.

Allein in den letzten sieben Tagen haben sich weltweit 2,5 Millionen Menschen an Sars-CoV-2 angesteckt, die höchste je erreichte Infektionszahl in einer Woche. Und während sich Europa gerade zum neuen Epizentrum der Pandemie entwickelt, steigen auch in Deutschland die Fallzahlen exponentiell an, mit R-Werten, die sich seit Tagen im Bereich von 1,3–1,45 bewegen. Das bedeutet, dass zehn Infizierte im Schnitt 13 bis 15 weitere Menschen anstecken.

Am Dienstag wurden erneut fast 7.000 neue Corona-Fälle innerhalb eines Tages registriert (das RKI meldete 6.868 Neuinfizierte, nach 4325 am Montag und 7.830 neuen Fälle am vergangenen Samstag). Durchschnittlich wurden in der letzten Woche täglich 5.700 Menschen positiv getestet (nach 3.700 in der Woche zuvor).

Mit 47 neuen Todesfällen steigt auch die Zahl der täglich verstorbenen Covid-19-Patienten deutlich an. Insgesamt nähert sich die offizielle Zahl von 9.844 Corona-Toten der Zehntausender-Marke. Laut DIVI-Intensivregister liegen derzeit 879 Covid-19-Kranke auf der Intensivstation, und 411 von ihnen müssen beatmet werden. Diese Zahlen haben sich in nur zwei Wochen verdoppelt.

Beunruhigend sei darüber hinaus, dass infolge des Pflegekräftemangels 20 bis 30 Prozent der vorhandenen Intensivbetten „nicht bepflegbar“ seien, wie der Intensivmediziner Prof. Stefan Kluge aus Hamburg im wöchentlichen Drosten-Blog des NDR sagte. Die Arbeit am Covid-19-Intensivpatienten führe „zu einer hohen physischen und psychischen Belastung“ der Pflegekräfte, so Kluge, der außerdem bestätigte, dass „30 Prozent der Beatmeten mindestens versterben“.

Immer mehr Landkreise in Deutschland übersteigen die Marke von 50 Covid-19-Infizierten pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche. Dazu zählt mittlerweile das gesamte Ruhrgebiet. „Auf einer Karte des RKI zieht sich ein durchgehender roter Streifen von Aachen bis Bielefeld“, wie dpa meldet.

Die Städte Aachen, Solingen, Gelsenkirchen und Herne sind sogar dunkelrot markiert, was bedeutet, dass sie in sieben Tagen schon mehr als 100 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner aufweisen. Auch Köln (97,8) nähert sich dieser Grenze deutlich an, die das Rhein-Main-Gebiet mit einer Inzidenz von 122 überschritten hat, und Berlin-Neukölln weist sogar eine Inzidenz von 193 auf. Deutscher Spitzenreiter ist das Berchtesgadener Land, eine Urlaubsregion, mit einer Inzidenz von 272.

Diese bedrohlich ansteigenden Zahlen sind nicht naturgegeben. Sie sind das Resultat bewusster politischer Entscheidungen. Im Interesse der kapitalistischen Wirtschaft haben sich die Regierenden bewusst dagegen entschieden, sämtliche Ressourcen, auch die Vermögen der Banken und der Superreichen, auf den Kampf gegen die Pandemie zu konzentrieren und die Wirtschaft auf die gesellschaftlich notwendige Produktion umzustellen. Stattdessen haben sie die Strategie der Durchseuchung gewählt. Wider besseres Wissen verschweigen sie der Öffentlichkeit, dass dies zwangsläufig zu hunderttausenden Toten führen muss.

Dies zeigt sich besonders anschaulich an der Art und Weise, wie Bund und Länder in der Schulpolitik auf die steigenden Inzidenzzahlen reagieren.

Das RKI hatte dazu klare Vorgaben gemacht: Ab 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen sollen alle Kinder auch im Unterricht einen Mund-Nasen-Schutz tragen, und ab 50 Neuinfektionen sollten die Klassen geteilt und zu unterschiedlichen Zeiten unterrichtet werden. Nichts davon wird in der Praxis umgesetzt. Zwar haben vereinzelte Länder eine halbherzige Maskenpflicht für ältere Schüler eingeführt, aber nirgendwo werden die Klassen geteilt, um den Mindestabstand von 1,50 Meter einzuhalten. Auch die digitale Offensive bleibt praktisch überall auf der Strecke.

Auf Anfrage von Tagesschau.de antwortete ein Sprecher der Hamburger Schulbehörde, dass es „keine Hinweise auf ein nennenswertes Infektionsgeschehen an Schulen“ gebe. Deshalb sehe man keinen Anlass zu weiteren Maßnahmen. Eine Aussage, die definitiv auf Fake News beruht.

Wie die Frankfurter Rundschau am Samstag (nur in der Printausgabe) berichtete, weisen gleich zwei unterschiedliche wissenschaftliche Studien zweifelsfrei nach, dass die Schulschließungen die effektivste Maßnahme überhaupt waren, um im Frühjahr die Pandemie einzudämmen. Unabhängig voneinander fanden Forscher an den Universitäten Wien und Oxford heraus, dass „die bei weitem wirksamste Maßnahme ... die Schließung von Bildungseinrichtungen“ gewesen sei.

Der Oxforder Studie zufolge rangieren die Schulschließungen mit Abstand auf Platz eins; sie haben die Reproduktionszahl R um 50 Prozent gesenkt. Im Vergleich dazu hat das Schließen von Produktionsbetrieben und Geschäften, zusammen mit der Schließung von Bars, Diskotheken und Sportstudios, die Reproduktionszahl um 26 Prozent gesenkt, während die Ausgangssperren lediglich eine Senkung um 14 Prozent bewirkten.

Die Schulen spielen also eine herausragend wichtige Rolle für das Infektionsgeschehen. Dennoch werden sie aus den politischen Beschlüssen und öffentlichen Erklärungen systematisch herausgehalten. Die Aussage des Hamburger Schulbehörden-Sprechers entspricht dabei vollkommen der offiziellen Regierungspolitik.

Am 12. Oktober hatten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die versammelten Ministerpräsidenten ausdrücklich keine Schließungen oder andere besondere Maßnahmen an den Schulen beschlossen, obwohl sich die Corona-Zahlen in nur einem Monat verdreifacht hatten.

Nach einer Versammlung der Kultusministerkonferenz (KMK) am Freitag den 16.10. erklärte die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) auf die Frage, was die versammelten Länder-Schulminister für Maßnahmen beschlossen hätten: „Wir haben in dem Sinne jetzt nichts Neues beschlossen.“ „Lüften bleibt das A und O“, fügte Hubig, die auch Präsidentin der KMK-Konferenz ist, hinzu.

Unterstützt wurde Hubig am Freitag von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Diese sprach sich in Berlin ausdrücklich gegen flächendeckende Schließungen von Kitas und Schulen aus und behauptete erneut: „Kinder sind nicht die Infektionstreiber“ – eine Aussage, die die Studien aus Oxford und Wien klar widerlegt haben.

Um die Infizierten-Zahlen zu drücken, haben mehrere Städte, darunter Berlin und Hamburg, sogar die Zählweise der Einwohner im September umgestellt. Nun zählen sie Einwohner auch dann noch mit, wenn diese beispielsweise ins Ausland umgezogen, aber nicht abgemeldet sind. Obwohl dies im Fall von Berlin bis zu 100.000 Karteileichen ergeben könnte, haben sich die Politiker entschieden, die höheren Zahlen zugrunde zu legen, um die vom RKI empfohlenen Maßnahmen zu umgehen.

Gleichzeitig werden die Politiker nicht müde, „einzelne Bürger“ für die Ausbreitung der Pandemie verantwortlich zu machen. Erneut verurteilte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) gegenüber dem Magazin stern die „Missachtung von Corona-Regeln“. „Das ist kein Kavaliersdelikt, sondern gesellschaftsschädigendes Verhalten“, entrüstete sich Braun, „ein schwerer Verstoß gegen den Gemeinsinn in unserem Land“.

Die Heuchelei wird offensichtlich, wenn man die offizielle Politik mit den Aussagen der Wissenschaft vergleicht.

In ungewöhnlich scharfen Worten hat sich in dieser Woche die Gesellschaft für Virologie gegen die Politik der „Herdenimmunität“ ausgesprochen. Sie wendet sich entschieden gegen den Ansatz einer Durchseuchung der Bevölkerung ohne Impfstoff, wie ihn derzeit de facto alle Regierungen verfolgen.

Zum Vorstand der Gesellschaft gehört die Professorin Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt, die sich auch am Drosten-Blog des NDR beteiligt. An der Studie beteiligt waren neben anderen namhaften Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité, Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum Braunschweig und Isabella Eckerle von der Uniklinik in Genf.

Die Virologen warnen in ihrer Erklärung: „Mit Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass erneut die Stimmen erstarken, die als Strategie der Pandemiebekämpfung auf die natürliche Durchseuchung großer Bevölkerungsteile mit dem Ziel der Herdenimmunität setzen.“

Diese Strategie, die von der Great Barrington Declaration propagiert wird, bezeichnen die Virologen ausdrücklich als „medizinisch, gesellschaftlich und damit auch ökonomisch hochriskant“. Die Great Barrington Declaration bestimmt zurzeit offiziell die Strategie der Trump-Regierung. Die WSWS hat sie als ein „Manifest des Todes“ bezeichnet.

Wie die Virologen klarstellen, löst diese Strategie zwangsläufig eine äußerst gefährliche Infektionsdynamik aus. Sie schreiben: „Aufgrund der explosiven Infektionsdynamik, die wir in allen Hotspots quer durch Europa feststellen, steht zu befürchten, dass ab einer bestimmten Schwelle auch in bisher unkritischen Regionen die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verloren geht … Wir lehnen diese Strategie entschieden ab.“

Ausdrücklich warnen sie, dass eine unkontrollierte Durchseuchung „in eine humanitäre und wirtschaftliche Katastrophe“ und „zu einer eskalierenden Zunahme an Todesopfern führen“ würde. Dies begründen sie damit, dass „selbst bei strenger Isolierung der Ruheständler es noch weitere Risikogruppen gibt, die viel zu zahlreich, zu heterogen und zum Teil auch unerkannt sind, um aktiv abgeschirmt werden zu können“.

Die Virologen schließen sich dem John Snow Memorandum in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet an, das die wichtige Feststellung getroffen hatte: „Die Beweise sind eindeutig: Nur die kontrollierte Eindämmung von Covid-19 in der Bevölkerung stellt einen sicheren Weg dar, die Gesellschaft und Volkswirtschaften zu schützen, bis in den kommenden Monaten ein sicherer und wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht und entsprechende Medikamente entwickelt werden konnten.“

Das Szenario überfüllter Krankenhäuser und rasch wachsender Todeszahlen, das die Wissenschaftler beschwören, wird im Wesentlichen Schichten betreffen, die sich der Pandemie nicht entziehen können, weil sie arbeiten und ihre Kinder in die staatlichen Schulen schicken müssen. Die bürgerlichen Regierungen setzen die arbeitende Bevölkerung dieser Gefahr sehenden Auges aus, und auch nominell „linke“ Parteien wie Die Linke in Deutschland und die Gewerkschaften stehen auf ihrer Seite.

Aus diesem Grund haben die Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) alle Arbeiter und Jugendlichen dazu aufgerufen, einen „wissenschaftlichen und humanen Kampf gegen Covid-19“ aufzunehmen. In ihrer jüngsten Erklärung, „Mobilisiert die Arbeiterklasse gegen die EU-Politik der 'Herdenimmunität'!“ rufen sie Arbeiter und Jugendliche dazu auf, unabhängig von den Gewerkschaften Sicherheitskomitees in den Betrieben und Schulen zu gründen, um gemeinsam den Kampf gegen die Politik der „Herdenimmunität“ der herrschenden Klasse aufzunehmen.

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