Profit statt Kindeswohl: Kita-Erzieher und Kinder werden täglich vermeidbaren Gefahren ausgesetzt

Erzieherinnen und Erzieher gehören zu den Berufsgruppen, die ein besonders hohes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus aufweisen. Verantwortlich dafür sind die Sparmaßnahmen der letzten Jahre und eine rücksichtslose Politik der völlig ungesicherten Rückkehr zum Regelbetrieb, wie er in vielen Bundesländern bereits im Mai begonnen hat.

Seither müssen Erzieher inmitten steigender Infektionszahlen wieder in vollen Gruppen mit bis zu 20 Kindern arbeiten. Dabei müssen sie zwangsläufig in engen Kontakt mit den Kindern gehen und kommen sogar regelmäßig mit Speichel, Exkrementen und anderen infektiösen Dingen in Berührung. Hinzu kommen Räumlichkeiten, die oft schlecht belüftet werden können. Nicht selten können in Einrichtungen nicht einmal die Kinder verschiedener Gruppen effektiv voneinander getrennt werden, so dass sich das Infektionsrisiko multipliziert.

Deshalb ist es bereits in den Sommermonaten, in denen die Fallzahlen in Deutschland insgesamt relativ gering waren, zu hunderten Corona-Fällen in Kindertagesstätten gekommen. Allein die Initiative „Bildung aber Sicher“ hat Zeitungsberichte von 200 solchen Fällen gesammelt. Dabei kommt es immer häufiger auch zu einem Ausbruchsgeschehen vor Ort. So vermutete der Leiter des zuständigen Gesundheitsamts nach Infektionsfällen in einer Mecklenburger Kita, „dass das Kleinkind das Virus von zu Hause in die Kita mitgebracht“ und dort zwei Erzieherinnen angesteckt hat.

Mittlerweile ist auch wissenschaftlich bestätigt, dass schon Kleinkinder schwer erkranken und das Virus auch ohne eigene Symptome wochenlang weitergeben können. Das hat eine Studie aus Südkorea unter Leitung des Washingtoner Children's National Hospital erst kürzlich zweifelsfrei festgestellt. Eine weitere Studie aus Boston hat bestätigt, was der Berliner Virologe Drosten zuvor schon nachgewiesen hatte: Kinder weisen im Nasen-/Rachenraum eine höhere Virenlast auf als Erwachsene.

Dass trotz der eindeutigen Befunde und der damit einhergehenden gravierenden Gefahr für Erzieher, Kinder und Eltern keinerlei ernsthafte Schutzmaßnahmen ergriffen werden, ist eine bewusste politische Entscheidung. Sie steht im Zusammenhang mit der rücksichtslosen Politik der Rückkehr an den Arbeitsplatz. Damit die Eltern wieder arbeiten können und die Profite der Wirtschaft garantiert sind, sollen ihre Kinder in Schulen und Kitas untergebracht werden – koste es was es wolle.

Deshalb wurden alle Sicherheitsmaßnahmen, die in den Monat März und April eingeführt worden waren, wieder abgeschafft. Es gibt weder kleine, feste Gruppen noch eine systematische räumliche Trennung, die das Risiko deutlich senken würden. Oft werden sogar Angehörige von Risikogruppen dazu gezwungen, unter diesen üblen Bedingungen zu arbeiten und ihr Leben zu riskieren.

Zudem werden Mitarbeiter und Kinder kaum getestet. In einigen Bundesländern hat es zwar das Angebot einmaliger Tests für Erzieher gegeben, doch wurden diese meist nur auf Eigeninitiative und mit erheblichem Aufwand angeboten. Kinder werden gar nicht systematisch getestet. Es wird den Eltern lediglich nahegelegt, ihre Kinder bei entsprechenden Symptomen ärztlich untersuchen zu lassen.

Und selbst die Symptome, mit denen Kinder zuhause bleiben und einen Arzt aufsuchen sollen, wurden eingeschränkt, um den Regelbetrieb nicht zu gefährden. So haben viele Bundesländer Schnupfen als Ausschlussgrund gestrichen, obwohl selbst das Robert Koch Institut diesen offiziell als dritthäufigstes Symptom einer Covid-19-Infektion listet.

Es wäre ein Leichtes, systematische Testungen der Erzieher und Kinder durchzuführen, um beide Gruppen effektiv zu schützen. Auch könnten mit entsprechender Aufstockung des Personals und der Anmietung neuer Räumlichkeiten die Sicherheitskonzepte des Notbetriebs auf alle Kinder ausgeweitet werden.

Allein die zehn Milliarden Euro, die im letzten Konjunktur-Paket für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgegeben wurden, könnten das Wichtigste abdecken. Ganz zu schweigen von den hunderten Milliarden, die den großen Banken und Konzernen in den letzten Monaten überwiesen wurden.

Der kriminelle Charakter diese Politik wird durch die Tatsache unterstrichen, dass sie mit offenen Lügen durchgesetzt wird. Noch vor einigen Wochen hatte der sächsische Kultusminister Christian Piwarz (CDU) Kinder als „Pandemie-Bremsklötze“ bezeichnet und sich dabei auf eine absurde Studie gestützt, die die Verbreitung des Virus unter Bedingungen der Schulschließung untersucht hatte. Die NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte sich ähnlich geäußert.

Besonders zynisch ist die Behauptung, es gehe bei der Öffnung der Kitas nicht um die schnöden Profitinteressen der Unternehmen, sondern um das Kindeswohl. Als ob der Tod eines Elternteils oder des Erziehers mit dem Wohl des Kindes vereinbar wäre. Unabhängig davon hatten viele Kinder in der Notbetreuung erstmals in ihrem Leben eine ihren Bedürfnissen entsprechende pädagogische Betreuung, weil sie in kleinen Gruppen stattfand.

Denn die Kinderbetreuung wurde in den letzten Jahren systematisch kaputtgespart und vernachlässigt. Bereits vor Beginn der Corona Pandemie war die Betreuungssituation für 74 Prozent aller Kinder unzureichend und nicht kindgerecht, wie jüngst eine Studie der Universität Hagen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und das Ländermonitoring „Frühkindliche Bildungssysteme“ aufzeigten.

Mit 94 Prozent ist die Situation in Ostdeutschland deutlich gravierender als in Westdeutschland mit 69 Prozent. Anderseits verfügen nur 66 Prozent der Mitarbeiter in Westdeutschland über eine pädagogische Qualifikation, während es in Ostdeutschland 82 Prozent sind. Für 1,7 Millionen Kita-Kinder standen schon im März 2019 nicht genügend Personal und Räume zur Verfügung. Etwa die Hälfte aller Kitagruppen ist zu groß, so das Urteil der Studie.

Diese Situation hat sich unter Corona-Bedingungen extrem verschärft und wird zu einer Frage von Leben und Tod. Das Kindeswohl ist nicht durch vorsichtige Erzieher gefährdet, die das momentane Geschehen kritisch kommentieren oder der Arbeit fernbleiben. Es ist durch die Politik der Kürzungen und des gefährlichen Regelbetriebs gefährdet, die die Profitinteressen der Unternehmen vor die Bedürfnisse der Menschen stellt.

Würde es um das Wohl der Kinder gehen, würde ein milliardenschweres Sofortprogramm für Bildung aufgelegt, statt hunderte Milliarden an die Banken und Konzerne zu übergeben. Dadurch würde nicht nur pädagogische Arbeit ermöglicht, sondern könnten Erzieher wie Kinder effektiv geschützt werden. Doch um diese Politik im Interesse der Erzieher und Kinder durchzusetzen, müssen sich Pädagogen, Eltern und Arbeiter in Aktionskomitees zusammenschließen, die unabhängig von bürgerlichen Parteien und Gewerkschaften gegen den unsicheren Regelbetrieb von Schulen und Kitas kämpfen und einen Generalstreik vorbereiten.

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