Das ungarische Parlament hat am vergangenen Montag mit der Zweidrittelmehrheit der regierenden Fidesz-Partei von Premier Victor Orban ein Gesetz beschlossen, das Arbeitslose zu Arbeitsdiensten zwingt. Sollten die Betroffenen dies ablehnen, haben sie kein Anrecht mehr auf Sozialleistungen. Mit diesem „Ungarischen Arbeitsplan“ läutet Orban eine neue Runde brutaler Angriffe auf die ungarische Bevölkerung ein, die von einem weiteren Ausbau autoritärer Staatsstrukturen begleitet werden.
Mit dem Vorhaben will Orban jährlich rund 225 Millionen Euro einsparen. Damit soll eine massive Absenkung des landesweiten Lohnniveaus herbeigeführt werden. Die Vergütung für die Zwangsarbeiter orientiert sich am Sozialhilfesatz von 28.500 Forint (110 Euro) im Monat und beträgt damit nicht einmal die Hälfte des geltenden Mindestlohns von monatlich 78.000 Forint.
In den letzten Jahren wurden tausende öffentlich Beschäftigte entlassen, was zu personellen Engpässen in einigen Bereichen geführt hat. Geplant ist der Einsatz der Zwangsarbeiter bei staatlichen Großprojekten, bei Infrastrukturvorhaben und in der Landwirtschaft. Ungarische Medien nannten als Beispiele für diese „gemeinnützigen Arbeit“ die Errichtung von Fußballstadien, Straßenarbeiten, die Instandhaltung der Kanalisation und das Aufschütten von Dämmen.
Bislang kommen rund 400.000 Ungarn für die Maßnahme in Frage. In einem Interview machte Orban kürzlich klar, dass diese Zwangsarbeit seiner Ansicht nach dringend geboten sei. Aufzuschüttende Dämme etwa würden künftig „nicht mit der Technologie des 21. Jahrhunderts gebaut (…), sondern mit der Hand“.
Arbeitslose können demnach sowohl für staatliche Vorhaben eingesetzt, als auch an Privatunternehmen „verliehen“ werden. Dabei ist es wohl kein Zufall, dass diese Pläne anlässlich des Besuchs von Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao bekannt gegeben wurden. China will in Ungarn nicht nur im großen Maßstab Staatsanleihen aufkaufen, sondern auch in Industrie- und Infrastrukturprojekte investieren.
Um die Anzahl der potentiellen Zwangsarbeiter zu erhöhen, wird die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von 270 Tagen auf bis zu 180 Tage gesenkt. Wie das Gesundheitsministerium verlautbarte, werden auch die Akten von rund 220.000 Invalidenrentnern wieder geöffnet. Sie müssen sich auf eine neuerliche Überprüfung ihres Gesundheitszustandes und auf die Aberkennung ihres Invaliditätsstatus einstellen, was bedeuten würde, dass sie ebenfalls zur Zwangsarbeit herangezogen werden können.
Gleichzeitig sieht der Gesetzentwurf eine Reihe von Vergünstigungen für die Wirtschaft vor, die „den Unternehmern mehr Ellenbogenfreiheit“ verschaffen sollen, wie das Wall Street Journal lobend erklärte.
Ebenfalls drastisch verschärft wurden die so genannten Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose. Sollte der Fahrweg von der Einsatzstelle zum Wohnort für die Betroffenen zwei Stunden überschreiten, werden sie in Baracken vor Ort untergebracht.
Betroffen von den Maßnahmen wird hauptsächlich die Minderheit der ungarischen Roma sein, die fast 8 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Aufgrund allgegenwärtiger Diskriminierung herrscht unter den Roma derzeit eine Arbeitslosenquote von mehr als 50 Prozent, in vielen Gegenden sogar bis zu 80 Prozent.
Gruppen von Zwangsarbeitern sollen nach dem Willen der Regierung von pensionierten Polizisten überwacht werden. Tausende von pensionierten Polizisten kommen mit ihrer Rente kaum über die Runden und sind mehr oder minder gezwungen, eine solche Arbeit anzunehmen.
Von der Sozialistischen Partei (MSZP) ist kein Widerstand gegen den „Arbeitsplan“ zu erwarten. Bereits vor drei Jahren hatte die Vorgängerregierung unter Führung der MSZP ähnliche Pläne vertreten. Die Gewerkschaften hatten zwar damals die Regierung kritisiert, doch nur von dem Standpunkt aus, dass die damit verbundene Streichung regulärer Arbeitsplätze die „Verhandlungsposition“ der Gewerkschaften schwäche.
Orban sieht sich durch diese zahme Haltung ermutigt, weitere Schritte in Richtung autoritärer Staatsstrukturen einzuschlagen. Die Regierung hat kürzlich alle fünf neu zu vergebenden Posten am Verfassungsgericht mit eigenen Kandidaten besetzt. Alle fünf neuen Richter sind regierungstreu, einige davon sogar führende Mitglieder des Fidesz. Der neue Verfassungsrichter Istvan Balsai war früher Justizminister und ist derzeit Fidesz-Abgeordneter, der Anwalt Peter Szalay vertritt viele Parteigrößen in Rechtsfragen.
Die Ernennungen beruhen auf einem neuen Gesetz, das die Zahl der Verfassungsrichter erhöht hat. Bereits zuvor war eine freie Stelle mit Istvan Stumpf, dem ehemaligen Kabinettschef der ersten Orban-Regierung besetzt worden.
Das Parlament hat auch eine Bestimmung beschlossen, die in „besonderen Fällen” 24 Stunden lang polizeiliche Verhöre ohne Beistellung eines Rechtsvertreters ermöglicht. Damit wurde der ursprüngliche Vorschlag von 48 Stunden zwar halbiert, was aber nichts an dem Umstand ändert, dass es im EU-Land Ungarn in Zukunft möglich sein wird, Menschen ohne Zeugen und Rechtsschutz zu verhören.
Mitte Juli wurde auch das ungarische Mediengesetz verschärft. Private TV- und Radiosender geraten dadurch noch stärker unter Druck. So dürfen sie sich nicht mehr um Sendefrequenzen bewerben, wenn sie Schulden bei der Medienbehörde NMHH haben.
Bei diesen Schulden kann es sich um Gebühren oder Bußgelder handeln. Bußgelder kann die NMHH nach dem bereits Ende Dezember 2010 beschlossenen Gesetz auch für nicht regierungskonforme redaktionelle Inhalte verhängen.
Darüber hinaus darf die NMHH nach einer neuen Regelung jährlich neu entscheiden, welche staatlichen TV- und Radiosender weiter betrieben werden. Die Nachrichtenproduktion der staatlichen Sender MTV und Duna-TV, des Rundfunks sowie der Nachrichtenagentur MTI sind schon im vorigen Jahr unter die Fuchtel eines sogenannten „Nachrichtenzentrums“ gestellt worden.
Diese Maßnahmen richten sich zweifelsohne gegen die zu erwartenden Proteste gegen die sozialen Angriffe der Fidesz-Regierung.