Der israelische Regisseur Yuval Abraham hat die jüngste Kampagne deutscher Behörden, seinen Film No Other Land und die Filmemacher selbst als „antisemitisch“ zu stigmatisieren, scharf verurteilt. No Other Land wird in Deutschland und Großbritannien in den Kinos gezeigt, in den USA jedoch nur in begrenztem Umfang.
Der Film eines palästinensisch-israelischen Kollektivs (Abraham, Basel Adra, Hamdan Ballal und Rachel Szor) erzählt von der brutalen Vertreibung palästinensischer Dorfbewohner aus Masafer Yatta, einer Siedlung mit 19 Dörfern südlich von Hebron im besetzten Westjordanland. Die WSWS hat eine Rezension des Films publiziert.
Im Februar gewann No Other Land bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin sowohl den Preis für den besten Dokumentarfilm als auch den Panorama-Publikumspreis. In seiner mutigen Dankesrede auf dem Festival prangerte Abraham die „apartheidähnliche Situation“ in einer Region an, in der er und sein palästinensischer Co-Regisseur lebten, „in einem Land, in dem wir beide nicht gleich sind. Ich lebe unter Zivilrecht, und Basel [Adra] lebt unter Militärrecht. Wir wohnen 30 Minuten voneinander entfernt.“
Alarmiert durch die Unterstützung, die der Film auf der Berlinale erhielt, traten führende Mitglieder des Berliner Senats in Aktion. Zwei Tage nach der Preisverleihung verurteilte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die Reden des Filmemachers als „antisemitisch“. Seine Äußerung wurde vom Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) aufgegriffen, und führende Mitglieder der SPD und der Grünen im Senat äußerten sich ähnlich.
Die deutsche Kulturministerin Claudia Roth (Grüne) gab auf die Frage, warum sie am Ende der Rede zur Preisverleihung für alle sichtbar applaudiert habe, die schändliche und absurde Antwort, sie habe dem israelischen Filmemacher applaudiert, d. h. nicht seinem palästinensischen Kollegen. Seit Beginn der mörderischen Invasion Israels in Gaza spielt Roth in der Regierungskampagne, die darauf abzielt, den Widerstand gegen den Völkermord zum Schweigen zu bringen, eine führende Rolle.
Während Israel seinen Vernichtungskrieg auf den Libanon ausweitet, hat das offizielle Portal des Berliner Senats seine Hasskampagne gegen Abraham und seinen Film neu wiederaufleben lassen.
Auf seinem X-Account schrieb Abraham:
Das offizielle Stadtportal Berlins hat gerade geschrieben, unser Film „No Other Land“ habe „antisemitische Tendenzen“. Ein Film, der bei der Berlinale prämiert wurde und kürzlich zu einer Sondervorführung in die deutsche Botschaft in Israel eingeladen wurde. Es schmerzt mich zu sehen, wie Sie, nachdem Sie den Großteil meiner Familie im Holocaust ermordet haben, das Wort Antisemitismus seiner Bedeutung berauben, um Kritiker der israelischen Besatzung im Westjordanland (das Thema unseres Films) zum Schweigen zu bringen und Gewalt gegen Palästinenser zu legitimieren. Ich fühle mich im Berlin des Jahres 2024 als linker Israeli unsicher und unwillkommen und werde rechtliche Schritte einleiten.
Abraham wies darauf hin, dass er nach den bösartigen Antisemitismusvorwürfen im Februar in Berlin, die auch das rechtsextreme Netanjahu-Regime in Israel aufgriff, eine Reihe von Morddrohungen erhalten hatte.
Als Reaktion auf Abrahams Kritik und seine Androhung rechtlicher Schritte nahm das Berliner Stadtportal im Bewusstsein, dass seine Beschuldigungen unbegründet waren, die Behauptung des Antisemitismus rasch zurück und entschuldigte sich. Der Senat hatte bezweckt, die Öffentlichkeit davon abzuhalten, No Other Land anzuschauen, und von der eigenen Unterstützung für den Völkermord an den Palästinensern und derjenigen der deutschen Regierung abzulenken. Dieser Versuch des Senats ist wie ein Kartenhaus zusammengebrochen.
Der jüngste Angriff auf Abraham und seinen Film erfolgt nur eine Woche, nachdem der Deutsche Bundestag eine reaktionäre Resolution zum Thema „Antisemitismus“ verabschiedet hat, die die AfD überschwänglich lobte, und die im Wesentlichen das muslimfeindliche AfD-Programm übernimmt. Die Resolution betont „die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel als ein zentrales Prinzip der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“. Als eine der Hauptursachen für Antisemitismus wird die „Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens“ genannt.
Die Resolution bekräftigt Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ und übernimmt die Definition von Antisemitismus, die die reaktionäre Erklärung der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) festgelegt hat. Diese setzt jegliche Kritik an Israel und der israelischen Politik mit Antisemitismus gleich. Die Hauptforderung in der Bundestagsresolution ist die Verweigerung oder Streichung öffentlicher Mittel für Kulturprojekte und/oder Organisationen, die den Massenmord in Gaza kritisieren und die Palästinenser verteidigen.
Im Laufe des vergangenen Jahres haben die deutschen Medien systematisch jedes Verbrechen des faschistischen Regimes in Israel verteidigt und gleichzeitig den palästinensischen Widerstand verteufelt. Die großen Nachrichtenagenturen erwähnen kaum die ethnische Säuberung, die seit Monaten im Gazastreifen erfolgt.
Trotz alledem sehen sich einige dieser Medien gezwungen, auf den antidemokratischen Hintergrund des Bundestagsbeschlusses hinzuweisen, der laut Deutschlandfunk „in kleinstem Kreis hinter verschlossenen Türen“ ausgearbeitet worden war. Denn entgegen der üblichen Praxis bei solchen Resolutionen wurden interessierte Parteien und Bürgerrechtsorganisationen mit eigenen Standpunkten ausgeschlossen. In wahrhaft neokolonialer Manier wurden keine arabischen oder muslimischen Organisationen in die Ausarbeitung der Resolution einbezogen, während der starke Einfluss pro-israelischer Gruppen und Lobbyisten deutlich zu spüren ist.
Der Kommentar des Deutschlandfunks nennt explizit die Rolle der virulent pro-zionistischen Bild-Zeitung: „Die Debatte ist längst toxisch. Auch die Angst, von der Bild-Zeitung als Antisemit und Israelhasser diffamiert zu werden, wirkt in der Politik bis in die höchsten Ränge.“
Mit seiner Antisemitismus-Resolution hat sich der Bundestag klar auf die Seite der pro-israelischen Organisationen geschlagen, die die Verbrechen der Regierung Netanjahu leugnen oder rechtfertigen.
Seit Monaten gibt es immer wieder Versuche, Kritiker der völkermörderischen Politik Israels einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Im Oktober forderte die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) die Künstlerin und Preisträgerin Shirin Abedi auf arrogante und schändliche Weise auf, sich zu entschuldigen, weil sie während einer Preisverleihung „Free Palestine“ ausgerufen hatte.
Auf ähnliche Weise wurde auch mit der französischen Künstlerin Johanna Tagada Hoffbeck verfahren. Ihr wurde Anfang dieses Jahres die Möglichkeit verweigert, ihre Werke in einem nicht näher bezeichneten deutschen Museum auszustellen, nachdem sie eine Instagram-Nachricht ebenfalls mit dem Aufruf „Free Palestine“ hatte enden lassen.
Das war für die Museumsleitung schon zu viel. Sie schickte Hoffbeck eine Nachricht, in der es hieß: „Als Museum, das mit öffentlichen Mitteln arbeitet, können und wollen wir keine (...) Äußerungen akzeptieren, die in diese Richtung gehen.“ Weiter erklärten die Museumsmitarbeiter: „Im Moment sind wir skeptisch, was unsere Zusammenarbeit mit Ihnen angeht.“
Das jüngste Opfer politischer Zensur ist der britische Künstler und Autor James Bridle. Im Juni wurde Bridle mitgeteilt, er werde mit dem Preis der Schelling-Architekturstiftung für seine „herausragenden Beiträge zur Architekturtheorie“ ausgezeichnet. Mitte November zog die Stiftung ihre Auszeichnung plötzlich zurück, nur wenige Tage vor der geplanten Preisverleihung. Die Stiftung verweist auf Bridles Unterschrift unter einem im Oktober von Künstlern publizierten Offenen Brief, in dem es heißt: „Wir werden nicht mit israelischen Kulturinstitutionen zusammenarbeiten, die sich an der überwältigenden Unterdrückung der Palästinenser mitschuldig machen oder stumme Beobachter bleiben.“ Die Entscheidung der Schelling Stiftung erfolgt offensichtlich als unmittelbare Reaktion auf die Antisemitismus-Resolution des Deutschen Bundestags.
In einer Mitteilung an den Guardian kommentierte Bridle: „Obwohl sie eindeutig nicht bereit sind, dies offen zu sagen, kommt die Entscheidung der Stiftung einer Beschuldigung des Antisemitismus gleich, und das ist schändlich. Dies besonders im Hinblick auf die eigene Geschichte dieser Organisation.“
Der Preis der Schelling-Architekturstiftung ist nach dem deutschen Architekten Erich Schelling benannt, der in der Zeit von 1933 bis 1945 Mitglied verschiedener nationalsozialistischer Organisationen war und 1939 am Ausbau eines Gebäudes zum Druck- und Verlagshaus mehrerer NS-Zeitungen arbeitete.
Künstler und Kulturschaffende in Deutschland stehen schon allein wegen der Sparpolitik im Kriegs- und Rüstungshaushalt der Regierung unter enormem Druck. Dieser Druck wird nun durch eklatante politische Zensur noch verstärkt.
Die Kampagne gegen Yuval Abraham mit dem Film No Other Land und gegen andere Künstler macht deutlich, dass die deutsche Regierung, der Berliner Senat und führende deutsche Medien auf das Massaker an unschuldigen Männern, Frauen, Kindern und Babys in Gaza und im Libanon mit dem Versuch reagieren, jede abweichende Stimme zum Schweigen zu bringen.