Von AfD bis BSW: Flüchtlingshetze nach dem Anschlag von Solingen

Nach dem mörderischen Messerangriff in Solingen gab es in Deutschland nur noch eine Partei: die AfD. Politiker jeglicher Couleur überboten sich gegenseitig mit rechtsradikalen Forderungen nach mehr Abschiebungen, Verschärfung des Asylrechts, mehr Vollmachten für die Polizei und der Stigmatisierung ganzer Völker.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordert am Montag in Solingen mehr und schnellere Abschiebungen [AP Photo/Henning Kaiser]

Während der 650-Jahresfeier der Stadt Solingen hatte am Freitagabend ein Mann in der Menge mehrere Menschen unvermittelt mit einem Messer angegriffen. Er tötete drei Besucher und verletzte acht weitere, vier davon schwer. Das Stadtfest wurde sofort abgebrochen.

Als mutmaßlicher Täter wurde ein 26-jähriger Syrer verhaftet, der, nachdem seine Abschiebung nach Bulgarien gescheitert war, in Deutschland subsidiären Schutz erhalten hatte. Der Islamische Staat (IS) hat die Verantwortung für die Tat übernommen und ein Bekenner-Video ins Netz gestellt. Es ist aber nicht klar, ob es sich bei dem darin zu sehenden, verhüllten Mann um den verhafteten Syrer handelt.

Am Samstag und Sonntag versammelten sich in Solingen zahlreiche Menschen, um gemeinsam zu trauern. Viele erklärten, dass sie die Stadt nicht den Rechten überlassen wollten. „Der Messerangriff war ein Anschlag auf die offene Gesellschaft, auf die Vielfalt der Stadt“, sagte eine Frau der Presse.

Einer Kundgebung von etwa 30 Anhängern der AfD-Jugend Junge Alternative, die von zwei Reihen Polizisten abgeschirmt und beschützt wurde, traten mindestens zehnmal so viele Solinger Bürger der Initiative „Solingen ist bunt statt braun“ entgegen. In der nordrhein-westfälischen Stadt leben Tausende, die sich seit dem Mordanschlag von 1993 gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit engagieren. Damals waren in Solingen fünf Mitglieder der türkischen Familie Genc einem rechtsextremistischen Brandanschlag zum Opfer gefallen.

Politiker aller Parteien reagierten völlig anders und stimmten eine rechte Hetze an, als hätten sie auf den Anschlag gewartet.

CDU-Chef Friedrich Merz nahm sämtliche Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Kollektivhaftung, obwohl viele von ihnen vor dem Terror des IS geflohen sind. „Weitere Flüchtlinge aus diesen Ländern nehmen wir nicht mehr auf“, erklärte Merz. Geflüchtete Menschen müssten wieder nach Syrien und Afghanistan abgeschoben werden, ungeachtet der Todesgefahr, die für sie in diesen Ländern besteht. Für die Bundespolizei forderte Merz viel weitgehendere Kompetenzen.

Die SPD stieß ins selbe Horn. Ihr Vorsitzender Lars Klingbeil forderte eine bessere Kontrolle des Internets und der islamischen Gemeinschaften, um „radikale Hassprediger“ zu stoppen. „Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern müssen erneut alles auf den Prüfstand stellen“, sie müssten noch weiter gehende Befugnisse erhalten.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will mehr Befugnisse und mehr Personal für die Sicherheitsbehörden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verkündete: „Wir werden als Staat auf diesen terroristischen Akt mit aller notwendigen Härte antworten.“ Der Tageszeitung WAZ sagte Faeser: „Wir beraten intensiv, welche Instrumente wir zur Bekämpfung von Terror und Gewalt weiter schärfen müssen, und welche Befugnisse unsere Sicherheitsbehörden in diesen Zeiten brauchen…“

Sahra Wagenknecht, unterwegs im Wahlkampf in Ostdeutschland, fordert eine „Asylwende“ und ein „Stoppsignal an die Welt: Macht Euch nicht auf den Weg nach Deutschland.“ Sie hetzt auf X/Twitter: „Wer unkontrolliert Migration zulässt, bekommt unkontrollierbare Gewalt.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besuchte am Montag Solingen und verkündete vor Ort mehr Abschiebungen. Diese werde man „notfalls mit rechtlichen Regelungen“ weiter beschleunigen. Nötig sei zugleich eine „konsequente, praktische Vollzugstätigkeit“.

Scholz hatte schon vor einem halben Jahr auf der Titelseite des Spiegels gefordert: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Am heutigen Dienstag trifft er sich mit CDU-Chef Merz, um das weitere Vorgehen zu beraten.

AfD-Chefin Alice Weidel erklärte, „Migrantengewalt gegen Deutsche“ sei „zu einer grauenhaften neuen Normalität geworden“. Sobald die AfD in der Regierung sitze, würden diese Menschen „erst gar nicht in unser Land gelassen“. Sie forderte einen „Einwanderungs-, Aufnahme- & Einbürgerungsstop für mind. 5 Jahre“.

Der Aufbau eines totalitären Polizeistaats, den nun alle Politiker fordern, wird Bluttaten wie in Solingen nicht verhindern. In Wirklichkeit richtet er sich gegen die Arbeiterklasse und gegen alle, die die Kriegspolitik und die sozialen Angriffe der Regierung ablehnen. Er wird zu ihrer Überwachung und Unterdrückung eingesetzt werden.

Was in der Debatte über Solingen völlig fehlt, ist die Frage nach der Ursache der terroristischen Gewalt, die nicht nur in Deutschland, wie 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz, sondern auch in Frankreich, Großbritannien, Russland und zahlreichen anderen Ländern immer wieder viele Opfer fordert.

Der IS und ähnliche Organisationen sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind ein Produkt der brutalen Kriege, die die imperialistischen Mächte seit Jahrzehnten im Nahen Osten führen, vom Krieg gegen Russland in Afghanistan in den 1980er Jahren bis hin zum Genozid an den Palästinensern in Gaza. Sie wurden, wie die al-Qaida Osama bin Ladens, nicht selten von westlichen Geheimdiensten aufgebaut, und sie werden von diesen manipuliert und gesteuert.

Der Islamische Staat entwickelte sich im Irak nach dessen Zerstörung und dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein durch die USA. 2011 half er in Libyen den imperialistischen Mächten, die Regierung von Muammar al-Gaddafi zu stürzen. Danach kam der IS mit Unterstützung des US-Geheimdiensts CIA in Syrien zum Einsatz, wo er gegen die Regierung von Baschar al-Assad kämpfte. Hier verselbständigte er sich und errichtete in Teilen Syriens und Iraks ein Kalifat, das von den USA unter Inkaufnahme weiterer hunderttausender Todesopfer zerschlagen wurde.

Doch der IS existiert weiter und hat auch seine Verbindungen zu den Geheimdiensten der Westmächte und zu mit ihnen verbündeten Regierungen in der Region nicht gekappt. So organisiert ein besonders brutaler Ableger des IS, der Islamische Staat-Khorasan, Terroranschläge gegen das Taliban-Regime in Afghanistan. Auch zum Anschlag auf die Crocus City Hall in Moskau im April dieses Jahres, der 137 Todesopfer und über 180 Verletzte forderte, hat er sich bekannt.

2017, nach einer Reihe blutiger Anschläge in Teheran, Manchester und London, schilderte die die WSWS im Artikel „Die Geopolitik des Terrors“, der sich auf bekannt gewordene Fakten über mehrere Attentäter stützte, den Modus Operandi der Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Terroristen. Es lohnt sich, vor dem Hintergrund der gegenwärtige Law-and-Order-Kampagne einen längeren Absatz daraus zu zitieren:

In den 16 Jahren des so genannten „Kriegs gegen den Terror“, der auf die Flugzeugentführer vom 11. September zurückgeht, ist klar geworden, dass sich die radikalen Islamisten nicht nur ungehindert in den Nahen Osten, nach Europa und in die USA und wieder zurück bewegen konnten, sondern sich im Grunde unter staatlichem Schutz befinden. …

Wenn sich die Terroristen immer mal wieder gegen ihre Hintermänner wenden, und unschuldige Zivilisten den Preis dafür mit ihrem Leben zahlen müssen, dann ist das Teil des Geschäfts.

Nach den Terroranschlägen reagieren die Regierungen stets mit verstärkten Unterdrückungs- und Überwachungsmaßnahmen. Soldaten patrouillieren auf den Straßen, demokratische Rechte werden suspendiert und – wie in Frankreich – der Ausnahmezustand verhängt. All diese Maßnahmen tragen zwar nicht dazu bei, künftige Anschläge zu verhindern, aber sind sehr nützlich, um die einheimische Bevölkerung zu kontrollieren und soziale Unruhen zu unterdrücken.

Man darf nichts, was von Medien und Politikern über den Anschlag in Solingen verbreitet wird, für bare Münze nehmen. Selbst wenn es sich bei dem verhafteten Syrer um den Täter handelt, worauf vieles hindeutet, stellt sich die Frage: Wer sind die Hintermänner? Warum gab es vorher keine Warnung?

Eines jedenfalls ist sicher: Die Aufrüstung des Staatsapparats und die Abschottung der Grenzen wird solche mörderischen Anschläge nicht stoppen. Der Genozid an den Palästinensern, die Bombardierung des Libanon, die Kriegsdrohungen gegen den Iran und andere imperialistische Verbrechen bringen genügend neue Rekruten dafür hervor.

Solche Anschläge können nur verhindert werden, wenn der Sumpf ausgetrocknet wird, in dem sie gedeihen. Dafür braucht es den Kampf gegen imperialistischen Krieg und für demokratische Rechte. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) tritt der Flüchtlingshetze mit großer Entschiedenheit entgegen. Wir fordern alle klassenbewussten Arbeiter auf: Verteidigt mit uns die Rechte von Geflüchteten und Migranten! Ihre Rechte sind unsere Rechte.

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