Perspektive

Brutalität an der US-Mexiko-Grenze: Migranten sterben, weil Texas ihre Rettung blockiert

Migranten bei der Überquerung des Rio Grande am Eagle Pass, hinter der mit Stacheldraht gesicherten Grenze zwischen Mexiko und den USA, 3. Januar 2024 [AP Photo/Eric Gay]

Eine Tragödie am Freitag am Eagle Pass (Texas), an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, demonstriert erneut, mit welcher Brutalität die herrschende kapitalistische Elite mit den verzweifelten Migranten umgeht. Sie fliehen vor der Armut und Unterdrückung in Lateinamerika, für die der amerikanische Imperialismus selbst die Verantwortung trägt.

Am Freitag kamen eine Migrantin und ihre beiden Kinder im Rio Grande ums Leben, nachdem texanische Polizisten und Nationalgardisten sich geweigert hatten, den Bundesgrenzschützern den Zutritt zum Fluss und eine Rettungsaktion zu gestatten. Die Grenzschützer reagierten auf einen Notruf, dass sich mindestens sechs Migranten im Wasser befänden. Später wurden auf der mexikanischen Seite des Flusses drei Leichen geborgen.

Die genauen Umstände des Ertrinkens werden noch untersucht. Beamte des Militärministeriums von Texas (TMD), das für den Einsatz texanischer Polizisten und Nationalgardisten im Grenzbereich zuständig ist, behaupten nun, vor dem Ertrinken habe kein Kontakt zwischen den Migranten und den staatlichen Stellen bestanden. Das Ministerium bestreitet, dass Beamte den Migranten die Einreise verwehrt oder sie in den Fluss zurückgedrängt hätten, wo sie ertranken.

Unbestritten ist, dass die US-Grenzpatrouille, die sich am Freitagabend mit der TMD in Verbindung setzte, die Antwort erhielt, Texas werde den Bundesbeamten den Zutritt zum Shelby Park nicht gestatten. Die TMD hatte dieses Gelände am Mittwoch besetzt, und die Nationalgarde errichtete Stacheldrahtzäune, um sowohl Anwohner als auch Bundesgrenzschützer fernzuhalten.

Die Biden-Regierung zog vor Gericht, um den republikanischen Gouverneur Greg Abbott von Texas zu verpflichten, seine Streitkräfte von der Grenze abzuziehen. Abbott behauptete, dass er lediglich dem Gesetz habe Geltung verschaffen wollen. „Texas hat die rechtliche Befugnis, den Ein- und Ausgang an jedem geografischen Ort des [US-Bundes-]Staats zu kontrollieren“, erklärte Abbott am Freitag den Reportern. Dies sei auch notwendig, „um die operative Kontrolle aufrechtzuerhalten“.

Ein Beamter des texanischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit (DPS) sagte der Washington Post, dass sein Ministerium am Freitag keine Mitteilung über ertrinkende Migranten erhalten habe. Es sei aber „nichts Neues“, dass Migranten ertrinken, erklärte Lt. Chris Olivarez, Sprecher des DPS, der Washington Post.

Diese Abgebrühtheit bringt die Sichtweise der Regierungspolitiker sowohl der Bundesstaaten, als auch des Bundes und beider kapitalistischen Parteien, der Demokraten wie Republikaner, auf den Punkt.

Mehrere Funktionäre der Demokratischen Partei vergießen jetzt Krokodilstränen über Abbotts Vorgehen an der Grenze, und das Bundesministerium für Innere Sicherheit hat Abbotts Vorgehen als grausam, gefährlich und unmenschlich bezeichnet. Das ist eine grenzenlose Heuchelei. Denn zur gleichen Zeit billigt und ermöglicht die Biden-Regierung im Gazastreifen das israelische Abschlachten tausender palästinensischer Kinder, und Demokraten wie Republikaner im Kongress unterstützen sie darin begeistert.

Bei der Auseinandersetzung zwischen Biden und Abbott stehen wichtige rechtliche und verfassungsrechtliche Fragen auf dem Spiel. Abbott hat vor kurzem ein umfassendes Gesetz, SB 4, unterzeichnet, das auf seine Veranlassung hin verabschiedet wurde. Es führt ein neues Staatsverbrechen der „illegalen Einreise“ ein, das mit obligatorischer Ausreise aus dem Land bestraft wird (d. h. in jedem Fall mit Abschiebung, nur dass es nicht so heißt). Migranten, die sich weigern, das Land zu verlassen, müssen mit bis zu 20 Jahren Gefängnis rechnen.

Dagegen hat die Biden-Regierung vor einem Bundesgericht Klage eingereicht, weil dieses Gesetz gegen die Verfassung verstößt, der zufolge es der Bundesregierung vorbehalten ist, die Landesgrenzen zu kontrollieren. Ebenso wenig, wie die Bundesstaaten Fracht inspizieren oder Zölle erheben dürfen, sind sie auch nicht befugt, Personen beim Überschreiten der Grenze festzunehmen.

Abbott ist zum Wortführer der faschistischen Republikaner im ganzen Land geworden, und sie bejubeln seine Missachtung der Biden-Regierung und seine bösartigen Angriffe auf Migranten. Letzte Woche besuchte eine Delegation von 60 republikanischen Kongressabgeordneten unter Leitung von Sprecher Mike Johnson die Grenze am Eagle Pass, um ihre Behauptung zu untermauern, die Biden-Regierung fördere absichtlich eine illegale Einwandererflut. Der Heimatschutzausschuss des Repräsentantenhauses erklärte am Mittwoch, er werde ein offizielles Amtsenthebungsverfahren gegen den Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas einleiten, der die Biden-Regierung in dieser Angelegenheit vertritt.

Senator Roger Marshall aus Kansas behauptete, das texanische Gesetz sei ein Versuch, Artikel I, Abschnitt 10, Absatz 3 der US-Verfassung durchzusetzen. Dieser Absatz lautet:

Kein Staat darf ohne Zustimmung des Kongresses Tonnengelder erheben, in Friedenszeiten Truppen oder Kriegsschiffe unterhalten, Vereinbarungen oder Verträge mit einem der anderen Staaten oder mit einer fremden Macht schließen oder sich in einen Krieg einlassen, es sei denn, er werde tatsächlich angegriffen, oder die Gefahr drohe so unmittelbar, dass sie keinen Aufschub duldet.

Tatsächlich scheint dieser Passus Abbotts Vorgehen gerade zu verbieten. Allerdings behaupten der Gouverneur und seine Unterstützer, dass die Migranten, die den Rio Grande überqueren, eine Invasion darstellten, und dass sie eine „unmittelbare Gefahr“ für den Staat Texas bedeuteten. Dies ist sowohl rechtlich absurd als auch politisch beängstigend. Wäre Texas überfallen worden, dann könnte die Regierung des Bundesstaats sich das Recht anmaßen, jede erforderliche Gewalt anzuwenden, um den Angriff abzuwehren.

Abbott wurde letzte Woche in einem Interview von einem rechtsextremen Podcast-Moderator auf die Grenzfrage angesprochen. Er sagte, der Staat setze „alle Mittel und Strategien“ gegen die Migranten ein, einschließlich der Errichtung von schwimmenden Barrieren in einem Abschnitt des Rio Grande, die die Flussüberquerung blockieren [und zu Todesfällen führen könnten, wenn Migranten versuchen, darunter durchzuschwimmen]. Auch die Verabschiedung des neuen Gesetzes SB 4 gehöre dazu.

Der texanische Gouverneur schloss: „Das Einzige, was wir nicht tun: Wir schießen nicht auf Menschen, die die Grenze überqueren, denn natürlich wird uns die Regierung Biden des Mordes anklagen.“ Dies war wohl weniger ein Scherz als eine Drohung.

Der texanische Abgeordnete Chip Roy, Mitglied des ultrarechten House Freedom Caucus, setzte noch einen drauf und deutete an, dass im Konflikt mit der Biden-Regierung über die Einwanderungspolitik auch die Sezession eine Option sein könnte. In einer Pressemitteilung seines Büros heißt es: „Meine texanischen Mitbürger fragen sich zu Recht, ob Texas und ähnlich gesinnte Amerikaner Teil einer Bundesregierung bleiben sollten, die ihr Wohlergehen, ihre Sicherheit und ihren Schutz aufgibt und damit gegen den Vertrag verstößt, mit dem wir der Union beigetreten sind.“

Trotz aller großen Worte der Demokratischen Partei und der Biden-Regierung haben diese schon mehrfach versucht, mit den Republikanern eine Einigung zu erzielen, um im Gegenzug für eine Aufstockung der Militärmittel für die Ukraine das Asylrecht abzuschaffen und die Grenze zwischen den USA und Mexiko zu schließen. Für die Demokratische Partei steht an erster Stelle die Eskalation des Kriegs im Ausland, die nicht nur die globale Flüchtlingskrise antreibt, sondern auch die Angriffe auf die demokratischen Rechte im eigenen Land anheizt.

Im Haushaltsjahr 2023 führte die Biden-Regierung über 142.000 Abschiebungen durch, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Wie in allen Fragen hat sich die Zusage der Biden-Regierung, eine menschlichere Einwanderungspolitik zu betreiben, als leeres Wahlversprechen entpuppt.

Die Spannung steigt zwischen Bundesstaat und Bundesregierung, sowie auch zwischen Texas und Großstädten wie New York und Chicago, wohin Abbott mehr als 100.000 Migranten „exportiert“ hat. Diese Migranten wären normalerweise in Houston oder Dallas angekommen. Solche Differenzen sind ein weiteres Anzeichen für die zentrifugalen Tendenzen, die die Vereinigten Staaten zu Beginn des Vorwahlkampfs für die Präsidentschaftswahlen 2024 zerreißen.

Die Neujahrserklärung der internationalen WSWS-Redaktion wies warnend darauf hin, dass diese Tendenzen das Ergebnis der immer tieferen Krise des weltweiten und amerikanischen Kapitalismus sind und durch den Eintritt der Arbeiterklasse in explosive Klassenkämpfe beschleunigt werden:

Die eskalierenden zersetzenden Tendenzen drohen die gesamte Regelung seit dem Ende des Bürgerkriegs zu sprengen, mit der die einheitliche Autorität der Regierung in Washington, D.C. über die einzelnen Staaten wiederhergestellt wurde …

Der Konflikt, der die bestehenden politischen Strukturen zerreißt, besteht natürlich nicht zwischen progressiven und reaktionären Fraktionen der herrschenden Klasse. Die Demokraten und die Republikaner sind zwei reaktionäre Fraktionen der Wirtschafts- und Finanzoligarchie. Wie groß ihre taktischen Differenzen auch sein mögen, sie sind ihrer gemeinsamen reaktionären Agenda völlig untergeordnet.

Die Demokraten haben sich dem imperialistischen Krieg und der innenpolitischen Unterdrückung verschrieben, und die Republikanern führen einen immer offeneren faschistischen Angriff auf alle demokratischen Rechte. Die Alternative zu beiden reaktionären Parteien des Großkapitals ist die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse. Ein Schlüsselelement dabei ist die Anerkennung der internationalen Einheit der Arbeiterklasse.

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