Buchvorstellung des Mehring-Verlags zur Frankfurter Buchmesse 2023

Die Aktualität von Trotzkis „Porträt des Nationalsozialismus“

„Die Lehren aus 1933“, so lautete der Titel einer Buchvorstellung, die der Mehring-Verlag am Sonntag, 22. Oktober, zur Frankfurter Buchmesse ausrichtete. Christoph Vandreier, der Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), stellte die erweiterte Neuausgabe von Leo Trotzkis „Porträt des Nationalsozialismus“ vor. Wie er zeigte, sind diese vor neunzig Jahren geschriebenen Schriften über Deutschland gerade heute wieder von größter Aktualität.

Christoph Vandreier (Foto: WSWS)

„Wir diskutieren nicht einfach über historische Fragen“, betonte Vandreier, von dem auch das neue Vorwort stammt, „sondern über die brennenden Fragen der gegenwärtigen politischen Entwicklung.“ Gerade hatte die AfD bei den hessischen Landtagswahlen 18 Prozent der Stimmen erreicht; bundesweit ist sie in den Umfragen mittlerweile zweitstärkste Kraft. Dies sei das Ergebnis davon, dass sämtliche Parteien das Programm der faschistischen Partei übernommen hätten. Das zeige sich besonders deutlich in der Kriegspolitik, zuletzt im Hinblick auf den Nahen Osten, so Vandreier: „Im Bundestag hat jeder einzelne Abgeordnete bis hin zur Linkspartei die Linie der AfD übernommen, sich vollständig hinter die rechtsradikale Regierung in Israel gestellt und den Genozid gegen die palästinensische Bevölkerung unterstützt.“

Vandreier verwies auf die jüngste Bombardierung des Al Ahli Arab-Krankenhauses durch die israelische Armee und erklärte, dass die Bundesregierung und alle Bundestagsparteien damit Kriegsverbrechen unterstützten. Unter Applaus widersprach Vandreier der ständigen Propaganda, Israel habe das „völkerrechtlich verbriefte Recht“ auf Selbstverteidigung: „Als ob das Abschlachten, das Aushungern und die Vertreibung tausender Zivilisten etwas mit Selbstverteidigung zu tun hätten!“

Im geschichtsträchtigen Haus Gallus, wo sechzig Jahre zuvor die Frankfurter Auschwitz-Prozesse stattgefunden hatten, rückte Vandreier den verlogenen „Antisemitismus“-Vorwurf gegen jegliche Israel-Kritik und den falschen und üblen Vergleich des palästinensischen Aufstands mit dem Holocaust zurecht. Er sagte: „Es sind sicher nicht die arabischen Arbeiter und Jugendlichen, die ‚Free Palestine‘ rufen, die in der Tradition des deutschen Imperialismus und der Nazis stehen, sondern die herrschende Klasse in Deutschland selbst in ihrer Unterstützung für einen Genozid.“

Eindringlich warnte Vandreier vor der Ausweitung des Ukrainekriegs und des Nahostkonflikts mit den Worten: „Wir erleben gerade, wie die Nato-Mächte eine zweite Front im dritten Weltkrieg eröffnen.“ Wie schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg verfolge der deutsche Imperialismus erneut das Ziel, „die Ukraine und andere Länder, die einst der Sowjetunion und dem Russischen Reich angehörten, aus dem Einflussbereich Moskaus zu lösen“ und unter deutsche Kontrolle zu bringen. „Und zu diesem Zweck rollen deutsche Panzer wieder gegen Russland.“

An graphischen Schaubildern über das exponentielle Anwachsen des Verteidigungshaushalts zeigte er eine „regelrechte Explosion des deutschen Militarismus.“ Das erklärte Ziel bestehe darin, Deutschland zur größten Militärmacht in Europa aufzurüsten. Und er wies darauf hin, dass die Regierung die horrende Aufrüstung durch Kürzungen bei Bildung, Gesundheit und Wohnen finanziere. Zu diesem Zweck gehe „der Krieg nach außen mit einem Krieg nach innen einher“. Weil die Politik des Militarismus und der Sozialangriffe nicht mit demokratischen Methoden durchgesetzt werden könne, kehre „der ganze braune Dreck“ zurück.

Christoph Vandreier hatte in Frankfurt vor vier Jahren schon seine Analyse über die Rückkehr des Faschismus in seinem eigenen Band: „Warum sind sie wieder da?“ vorgestellt. Anschaulich stellte er am Sonntag die Aktualität von Trotzkis Schriften über Deutschland dar, die, wie er sagte, „ein unvergleichliches Verständnis der Vorgänge und Dynamiken bieten, die in die Katastrophe des Nationalsozialismus geführt haben“. Er zitierte aktuelle Passagen wie diese:

Die Reihe ist ans faschistische Regime gekommen, sobald die „normalen“ militärisch-polizeilichen Mittel der bürgerlichen Diktatur mitsamt ihrer parlamentarischen Hülle für die Erhaltung des Gleichgewichts der Gesellschaft nicht mehr ausreichen.

Es wurde deutlich, dass Trotzkis Schriften nicht nur literarische Meisterleistungen und unübertroffene Analysen der historischen Entwicklung, sondern „selbst Teil der Geschichte“ waren. Die Lektüre des Bandes zeige, so Vandreier: „Hitler hätte gestoppt und die Katastrophe verhindert werden können.“ Er erläuterte die verhängnisvolle Politik der stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratien, die Trotzki entlarvt hatte, und gegen welche er eine gangbare Perspektive zum Kampf gegen den Faschismus entwickelt hatte.

Dann zeigte er den krassen Gegensatz, der zu der Herangehensweise eines Daniel Goldhagens oder eines Götz Aly in der Nachkriegszeit bestand, die die Ursache des Faschismus im „ganz gewöhnlichen Deutschen“ oder in „Hitlers Volksstaat“ erblickten oder, wie die Philosophen der Frankfurter Schule, die Aufklärung und moderne Arbeitsteilung für das Aufkommen des Faschismus verantwortlich machten. Ihnen gemeinsam sei die Ablehnung der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse: „Die Quintessenz ihrer Auffassung ist der tiefe Pessimismus, der die Frankfurter Schule auszeichnet und der die Grundlage für ihr Arrangement mit dem naziverseuchten Nachkriegsdeutschland bildete“, so der Redner.

Die Frage, weshalb die Arbeitermassen nicht in den Generalstreik gegen Hitler traten und sich dem Terror entgegenstellten, sei „keine psychologische Frage“, betonte Vandreier. „Sie lässt sich nur im Hinblick auf Programm und Perspektiven ihrer Führung erklären. Diese Fragen diskutiert Trotzki in den vorliegenden Schriften in beispielloser Klarheit.“

Besonders die damalige KPD, die ihrer wichtigsten Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beraubt war, erwies sich unter dem Druck der erstarkenden stalinistischen Bürokratie in der Sowjetunion als unfähig, die Arbeiterklasse von der Sozialdemokratie zu brechen und für die Revolution zu gewinnen. Im Gegensatz dazu betonte Trotzki, „dass der Faschismus eine Frage von Leben und Tod für die Arbeiterklasse war und nur durch die massenhafte Mobilisierung derselben gestoppt werden konnte“.

Zur aktuellen Lage sagte Vandreier, dass – im Unterschied zu den 1930er Jahren – die herrschende Klasse heute über keine faschistische Massenbewegung verfüge, und die Arbeiterklasse gerade erst zu kämpfen begonnen habe. „Der Klassenkampf bricht auf der ganzen Welt mit Macht auf.“ Auch der Aufstand der Palästinenser sei in diesem Zusammenhang zu betrachten. Diese Kraft – die internationale Arbeiterklasse – sei die einzige gesellschaftliche Kraft, die in der Lage sei, den Faschismus und einen dritten Weltkrieg zu stoppen.

Das Publikum folgte Vandreiers Ausführungen gespannt und an mehreren Stellen gab es Zwischenapplaus. Viele Teilnehmer, darunter eine Gruppe Studierender von der Frankfurter Goethe-Universität, zeigten sich von den Ausführungen begeistert.

Dietmar Gaisenkersting, SGP-Landesvorsitzender von NRW, der durch die Versammlung führte, erläuterte zum Schluss die Bedeutung von Trotzkis Neuerscheinung einschließlich mehrerer Texte, die neu darin aufgenommen worden sind. Dies ist beispielsweise der Artikel „Gegen den Nationalkommunismus“ (1931), in dem Trotzki die Lehren aus der nationalistischen Anpassung der KPD an den Volksentscheid der Nazis gegen die sozialdemokratische preußische Landesregierung zog. Oder sein Artikel „Nation und Weltwirtschaft“ (1934, erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt), der belegt, wie der Drang der Imperialisten zum Krieg mit ihrem Bestreben nach Autarkie zusammenhängt. Alle diese Artikel, so der Diskussionsleiter, seien wie das gesamte Buch von höchster Aktualität.

Gaisenkersting rief die Teilnehmenden auf, das Buch zusammen mit den beiden weiteren Neuerscheinungen des Mehring-Verlags – Trotzkis „Wohin geht Frankreich?“ und seine monumentale „Geschichte der Russischen Revolution“ – zum Sonderpreis zu bestellen.

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