»Sozialismus gegen Krieg« – Vorwort zur deutschen Ausgabe

Der Mehring Verlag veröffentlicht hier das Vorwort zur deutschen Übersetzung der Neuerscheinung »Ein Warnruf: Sozialismus gegen Krieg« von David North. Der Band erscheint im Dezember und kann hier vorbestellt werden.

Vorwort

Die Veröffentlichung dieses Bands mit Reden von David North könnte kaum dringlicher sein. Die Entwicklung hin zu einem dritten Weltkrieg und die Gefahr der nuklearen Vernichtung werden mittlerweile selbst in den bürgerlichen Medien und Thinktanks thematisiert. Mit dem Völkermord in Gaza und der ständigen Eskalation des NATO-Kriegs in der Ukraine gegen die Atommacht Russland überschreiten die imperialistischen Mächte alle roten Linien. Für die Durchsetzung ihrer geostrategischen und wirtschaftlichen Ziele sind sie bereit, Hunderttausende Menschenleben zu opfern und sogar die Zerstörung des gesamten Planeten zu riskieren. 

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) hat diese Entwicklung vorausgesehen. Als das IKVI und die »World Socialist Web Site« (WSWS) im Jahr 2014 – einhundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs – zu ihrer ersten Internationalen Online-Maikundgebung aufriefen, warnte David North, Leiter der internationalen WSWS-Redaktion und Vorsitzender der Socialist Equality Party in den Vereinigten Staaten:

Wer glaubt, ein Krieg gegen China und Russland wäre ein Ding der Unmöglichkeit und die imperialistischen Mächte würden keinen nuklearen Krieg riskieren, der macht sich etwas vor. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit seinen beiden katastrophalen Weltkriegen und seinen unzähligen und blutigen lokal begrenzten Konflikten hat zur Genüge gezeigt, welche Risiken die imperialistischen herrschenden Klassen einzugehen bereit sind. Sie sind sehr wohl bereit, die gesamte Menschheit und den Planeten Erde dem Untergang preiszugeben.

100 Jahre nach Ausbruch des Ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs steht die internationale Arbeiterklasse vor der Aufgabe, gegen die Gefahr einer dritten imperialistischen Katastrophe zu kämpfen.

Norths gesammelte Reden zum Maifeiertag sind dabei keine Analysen und Warnungen eines passiven Beobachters. Sie sind der konzentrierte Ausdruck des aktiven Kampfs der trotzkistischen Weltbewegung gegen Imperialismus und Krieg im letzten Jahrzehnt. Sie stützen sich auf die Herangehensweise, die schon die großen sozialistischen Revolutionäre und Kriegsgegner des vergangenen Jahrhunderts – Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und allen voran Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotzki – auszeichnete. Sie alle verstanden, dass die gleichen Grundwidersprüche des kapitalistischen Systems, die zu Krieg führen – der Widerspruch zwischen der Weltwirtschaft und dem Nationalstaatensystem und der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und ihrer Unterordnung unter das Privateigentum –, auch die objektive Grundlage für die soziale Revolution schaffen. 

Dieses marxistische Verständnis zieht sich wie ein roter Faden durch Norths Beiträge: Der Kampf gegen Militarismus und Krieg erfordert einen Kampf gegen ihre Wurzel, den Kapitalismus. Die Weltkriegsentwicklung und der damit verbundene Rückfall in die Barbarei können nur gestoppt werden, wenn die Arbeiterklasse sich international zusammenschließt und in einer sozialistischen Revolution das kapitalistische Profitsystem stürzt. Dazu braucht sie eine revolutionäre Führung, die sich auf die Lehren der Geschichte stützt und für sozialistisches Bewusstsein kämpft. Norths Reden sind der Beweis dafür, dass diese Führung existiert. Und sie zeigen die Stärke der marxistischen Methode, die die Ereignisse in ihrem größeren historischen und politischen Kontext analysiert, die ihnen zugrunde liegenden Triebkräfte und Klasseninteressen untersucht und auf dieser Basis eine Perspektive für die Kämpfe der Arbeiterklasse entwickelt.

Im Gegensatz zum offiziellen Narrativ von Putins angeblich unprovoziertem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 geben Norths Reden eine klare Einschätzung der historischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ursprünge des Kriegs. Schon 2014, als Washington und Berlin in der Ukraine einen rechtsextremen Putsch organisierten, um in Kiew ein prowestliches Regime zu installieren, erklärte North:

Die Verschwörer in Washington und Berlin wussten genau, dass dieses Vorgehen zu einer Konfrontation mit Russland führen würde. Weit davon entfernt, eine Konfrontation nach Möglichkeit zu vermeiden, erachten sowohl Deutschland als auch die USA einen Zusammenstoß mit Russland als notwendig, um ihren weitreichenden geopolitischen Interessen Geltung zu verschaffen.

Und konkret zur Rolle Deutschlands sagte er: 

Dem deutschen Imperialismus bietet die Konfrontation mit Russland einen willkommenen Vorwand, die militärische Zurückhaltung abzustreifen, die er sich nach den ungeheuerlichen Verbrechen des Dritten Reichs auferlegen musste.« Dabei gehe es um »handfeste wirtschaftliche und geopolitische Interessen«. Wie schon im 20. Jahrhundert schaue Deutschland »heute erneut mit lechzendem Blick auf die Schwarzmeerregion, den Kaukasus, den Nahen Osten, Zentralasien und die riesigen Flächen Russlands.

Auch Israels Völkermord in Gaza ist nicht einfach eine Reaktion auf den Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023. Sie ist Bestandteil der imperialistischen Kriegsoffensive, die nicht nur auf die Unterwerfung des gesamten Nahen Ostens, sondern die Neuaufteilung der Welt zielt. In seiner Rede zum Maifeiertag 2024 sagte North:

Die völkermörderische Gewalt des israelischen Staates gegen die palästinensische Bevölkerung hat den Zorn von Arbeitern und Jugendlichen auf der ganzen Welt geweckt. Es muss jedoch anerkannt werden, dass der Völkermord in Gaza und der Krieg gegen Russland miteinander verbundene Fronten im globalen Krieg sind, den der Imperialismus entfesselt hat. Die gleichen Interessen, die die Politik von »Genocide Joe« Biden im Nahen Osten diktieren, bestimmen auch das Handeln seiner Regierung in Mitteleuropa und Asien.

Ein weiteres Beispiel für die Stärke der marxistischen Analyse ist die Reaktion des IKVI auf den Ausbruch der Coronapandemie. North bezeichnete die Pandemie in seiner Rede zum 1. Mai 2020 als Trigger Event, als »auslösendes Ereignis«, das die wirtschaftliche, soziale und politische Krise des kapitalistischen Systems offenbart und enorm beschleunigt. Er betonte, dass der Kampf gegen die Pandemie nicht nur eine medizinische Frage sei, sondern – genauso wie der Kampf gegen soziale Ungleichheit, Krieg, Faschismus und Diktatur – eine Klassenfrage und eine revolutionäre Frage. Ebenfalls 2024 erklärte North:

Die Gleichgültigkeit angesichts von Massensterben und massenhafter Schädigung seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Januar 2020 stellt eine unwiderlegbare Absage an alle Appelle an das Gewissen der Kapitalistenklasse dar. Sie ordnete alle Erwägungen um menschliches Leben dem unerbittlichen Streben nach Konzernprofiten und der Anhäufung von Privatvermögen unter. Sie akzeptierte 27 Millionen überzählige Todesfälle als notwendige Folge der Funktionsweise des kapitalistischen Produktionsprozesses.

Norths Reden zeigen auf, dass die herrschende Klasse auf die extreme Konzentration von Reichtum und die tiefe Krise des Kapitalismus wie in den 1930er Jahren mit einer Hinwendung zu autoritären Herrschaftsformen und Faschismus reagiert. Das Programm der Durchseuchung, der Ungleichheit und des Kriegs ist mit demokratischen Rechten unvereinbar. Trumps Putschversuch am 6. Januar 2021, seine anhaltenden Bemühungen, eine faschistische Bewegung in den USA aufzubauen, und die feige Rolle der Demokraten, die diese Entwicklung begleiten und ermöglichen, sind nur ein scharfer Ausdruck davon. Auch in Deutschland und Europa hofiert die herrschende Klasse die extreme Rechte und übernimmt deren Programm.

Das Buch ist auch eine Polemik gegen alle pseudolinken Kräfte, die behaupten, man könne Druck auf die imperialistischen Kriegstreiber ausüben. Und gegen all diejenigen, die argumentieren, die kapitalistischen Regime in Russland oder China seien potenzielle Geburtshelfer einer neuen »multipolaren« Welt, die die US-dominierte »unipolare« Weltordnung ablösen und eine gerechtere und friedlichere Zukunft schaffen werde. North sagt dazu:

Diese neue Version eines friedlichen »Ultraimperialismus« ist in theoretischer Hinsicht nicht kohärenter und in politischer Hinsicht nicht lebensfähiger als vor einem Jahrhundert, als sie erstmals von dem deutschen Reformisten Karl Kautsky vorgeschlagen und von Lenin umfassend widerlegt wurde.

Die friedliche Aufteilung der globalen Ressourcen unter den kapitalistischen und imperialistischen Staaten sei unmöglich, so North weiter, weshalb »das utopische Streben« nach einer friedlichen »multipolaren« Welt »in seiner eigenen verdrehten Logik zum dritten Weltkrieg und der Zerstörung des Planeten« führe. Die einzige »politisch gangbare, und erst recht revolutionäre Antwort« auf die drohende Katastrophe sei »die revolutionäre Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage sozialistischer Politik«.

Wer nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts die Wiederkehr von Weltkrieg und Faschismus stoppen will, muss dieses Buch lesen. Die Prinzipien und Perspektiven der trotzkistischen Bewegung, die North in seinen Reden so eindrucksvoll verteidigt und entwickelt, bilden die Grundlage für den Aufbau einer neuen revolutionären Führung, die in der Lage ist, den Imperialismus zu besiegen und den Kapitalismus ein für alle Mal zu stürzen. Der Mehring Verlag und die Sozialistische Gleichheitspartei werden alles in ihrer Macht Stehende tun, die deutschsprachige Ausgabe dieses Buchs so weit wie möglich zu verbreiten.

​Johannes Stern

​Chefredakteur der deutschsprachigen »World Socialist Web Site«

​Berlin, 24. Oktober 2024

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