Mehr als 500 Clarios-Arbeiter in Holland (Ohio) kehrten diese Woche nach einem 40-tägigen Streik an ihren Arbeitsplatz zurück. Die Bürokratie der United Auto Workers (UAW) setzte dem energischen Kampf gegen einen der weltgrößten Autobatterie-Hersteller am 18. Juni ein Ende. Zuvor hatte sie eine unternehmerfreundliche Vereinbarung durchgesetzt, die eine Kürzung der Reallöhne und die Einführung eines neuen 12-Stunden-Arbeitstages ohne Überstundenzulage vorsieht.
Praktisch denselben Vertragsentwurf hatten die Clarios-Beschäftigten davor schon zweimal mit überwältigender Mehrheit abgelehnt, zuerst am 27. April mit 98 Prozent und dann am 22. Mai mit 76 Prozent.
Angesichts einer breiten Revolte der Belegschaft ging der UAW-Apparat daran, den Streik systematisch zu unterdrücken. Die Gewerkschaft ließ die streikenden Arbeiter mit 500 Dollar Streikgeld pro Woche am ausgestreckten Arm verhungern. Zudem schützte die UAW die Streikbrecher, die das Unternehmen angeheuert hatte, und weigerte sich, den Widerstand gegen den Streikbruch zu organisieren. Zuletzt drohte die UAW den widerspenstigen Arbeitern mit der Aussicht, durch Streikbrecher dauerhaft ersetzt zu werden, sollten sie den Vertrag erneut ablehnen.
In derselben Woche, in der der UAW-Apparat die Vereinbarung zur Beendigung des Clarios-Streiks durchsetzte, beendete er auch den einmonatigen Streik von 160 Beschäftigten des Ford-Zulieferers Constellium in einem Vorort von Detroit. Auch schickte er 2.400 Akademiker der Universität Washington zurück an die Arbeit, ehe sie über ihren Vertrag abstimmen konnten.
In derselben Woche beendete die UAW auch einen weiteren Streik, den die Arbeiter gegen Sherwin-Williams in Maryland, einen Konzern im Bereich der industriellen Oberflächenbeschichtung, neun Monate lang (!) durchgehalten hatten. Im Anschluss daran gab die UAW bekannt, dass die Beschäftigten der Autoteilefabrik Forvia (ehemals Faurecia) in Saline (Michigan) einen Konzessionsvertrag akzeptiert hätten. Der Vertrag soll angeblich mit 51,72 Ja-Stimmen gegen 48,28 Prozent Nein-Stimmen angenommen worden sein. Noch am 11. Mai hatten dieselben Arbeiter den Vertrag mit 80 Prozent abgelehnt.
In weniger als drei Monaten enden die Verträge für 150.000 Autoarbeiter bei GM, Ford und Stellantis. Deshalb versucht die UAW-Bürokratie verzweifelt, lokal auftretende Brände zu löschen, ehe sie sich zu einem Flächenbrand gegen die Konzerne und ihre Handlanger im UAW-Apparat ausbreiten.
Der Ausverkauf des Streiks bei Clarios zeigt, was Autoarbeitern bei den Großen Drei von Detroit bevorsteht, wenn sie die Dinge nicht selbst in die Hand nehmen. Aus den Erfahrungen des Clarios-Streiks müssen alle Arbeiter entscheidende Lehren ziehen.
Erstens muss die Rolle des gesamten Gewerkschaftsapparats, nicht nur der UAW und nicht nur in den USA, verstanden werden. Ihre Rolle ist für die Unterdrückung des Klassenkampfs und für die Durchsetzung des Diktats der Konzerne entscheidend.
Die neue UAW-Führung unter Präsident Shawn Fain hat sich trotz all der großen Worte von der „Wiederherstellung der Demokratie“ und der „Rückgabe der Macht an die Mitglieder“ als Werkzeug des Konzernmanagements erwiesen. Darin unterscheidete sie sich von seinen Vorgängern in keiner Weise.
Shawn Fain, ein langjähriger UAW-Bürokrat, wurde durch eine manipulierte Wahl ins Amt gehoben, um den Gangstern in der Gewerkschaftszentrale ein neues Gesicht zu verpassen. Dabei steht der UAW-Apparat den Interessen einfacher Autoarbeiter nach wie vor völlig feindlich gegenüber. Darüber können auch noch so viele Facebook-Videos der pseudolinken Berater, die Fain von Labor Notes und den Democratic Socialists of America in seinen Stab geholt hat, nicht hinwegtäuschen.
Dieser Apparat setzt sich aus Personen zusammen, deren Einkommen sich in den obersten 5 oder sogar 1 Prozent der Bevölkerung bewegen. Ihre Interessen entstammen einer völlig anderen Welt. Sie haben kein Verständnis für die Bestrebungen der Arbeiter, die steigende Inflation und die immer brutaleren Arbeitsbedingungen zu bekämpfen, sondern lehnen dieses Streben ab.
Letztes Jahr hat der Gewerkschaftsapparat eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung eines Eisenbahnvertrags gespielt. Er hat versucht, eine Vereinbarung für die Hafenarbeiter durchzusetzen, und er hat jeden einzelnen Streik, den er nicht verhindern konnte, systematisch isoliert.
Zweitens verlässt sich die herrschende Klasse, insbesondere die Biden-Regierung in den USA, auf den Gewerkschaftsapparat, weil sie die Arbeiter ihrem Konflikt mit den wichtigsten Konkurrenten im Ausland und ihrem eskalierenden Krieg unterordnen will. Was die herrschende Klasse angeht, so müssen die vollen Kosten des Krieges, den die USA und die Nato gegen Russland führen, und die Pläne für einen Krieg gegen China durch verstärkte Ausbeutung im eigenen Land aufgebracht werden.
In den letzten Wochen haben sich Fain und andere UAW-Vertreter wiederholt mit Vertretern der Biden-Administration und Mitgliedern des Kongresses getroffen, die darauf drängen, die Produktion auf Elektromobilität umzustellen. Ihnen geht es darum, die chinesische Dominanz bei der Produktion von Elektrofahrzeugen herauszufordern und eine nationale Lieferkette aufzubauen, die für eine Kriegswirtschaft erforderlich ist.
Um dies zu erreichen, bindet das Weiße Haus die UAW und die anderen Gewerkschaften noch stärker in seine Pläne ein. Ihre Aufgabe besteht darin, den internen Widerstand zu brechen und die Arbeitskosten, insbesondere in den neuen Montage- und Batteriewerken für Elektrofahrzeuge, drastisch zu senken.
Drittens wollen sich die Arbeiter wehren und beginnen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wie ihre Kollegen in anderen Branchen in den USA und auf der ganzen Welt versuchen auch die amerikanischen Autoarbeiter, ihre Kämpfe über die Konzern- und Landesgrenzen hinweg zu koordinieren. Die Arbeiter brauchen eine völlig neue Strategie und einen neuen organisatorischen Rahmen, damit sie dem wirtschaftsfreundlichen UAW-Apparat die Macht und Entscheidungsfindung aus der Hand nehmen und auf die Arbeiter in den Betrieben übertragen können.
Im Verlauf des Streiks hat eine Gruppe das Aktionskomitee der Clarios-Arbeiter (Clarios Workers Rank-and-File Committee) gegründet. Sie haben einen offenen Brief herausgebracht, in dem sie ihre Forderungen darlegten und die Beschäftigten der drei großen Autokonzerne zu gemeinsamen Aktionen aufriefen, um den Streik zum Erfolg zu führen. Im Rahmen der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) haben die Beschäftigten Verbindungen zu anderen Autoarbeitern in den USA und auf internationaler Ebene aufgebaut.
Arbeiter in den GM-, Ford- und Stellantis-Werken haben von diesem entscheidenden Kampf nur über die World Socialist Web Site und über weitere Autoarbeiterkomitees in Toledo, Detroit, Flint und in anderen Städten erfahren. Sie mussten die Informationssperre durchbrechen, die die UAW-Bürokratie verhängt hatte. Vergeblich forderten die Arbeiter die UAW auf, die Verwendung der Batterien zu boykottieren, die von Streikbrechern im Werk Clarios hergestellt worden waren.
Durch die Arbeit der Aktionskomitees haben die Streikenden auch direkten Kontakt zu anderen Clarios-Beschäftigten aufgenommen. Sie wandten sich an die Beschäftigten im Batteriewerk St. Joseph (Missouri), wo das Unternehmen die Produktion von Batterien erhöht hatte, um die Auswirkungen des Streiks zu untergraben. Obwohl die Beschäftigten in Missouri die zusätzliche Arbeit ablehnen wollten, hatte ihre eigene Gewerkschaft, die IUE-CWA, diese Arbeit nach Rücksprache mit der UAW jedoch akzeptiert. Die Arbeiter erfuhren auch, dass beide Gewerkschaften einen ausgeklügelten Plan von Clarios verfolgten, um die von Streikbrechern in Ohio fertiggestellten Batterien mit Kunststoffgehäusen aus dem Werk in Missouri zu versehen und so deren Herkunft zu verschleiern.
Die Internationale Arbeiterallianz hat auch dazu beigetragen, eine direkte Kommunikation der Streikenden in Ohio mit den 11.000 Clarios-Beschäftigten in den weltweiten Betrieben des Konzerns herzustellen. In Deutschland nahm ein WSWS-Team Kontakt zu den Arbeitern in Hannover auf, im Herzen der europäischen Batterie-Produktion, wo Clarios-Arbeiter den Streik ihrer US-Kollegen unterstützten.
Der Aufstand der Clarios-Beschäftigten ist Teil einer wachsenden Bewegung der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt. Sie wehren sich gegen die Bemühungen der herrschenden Klasse, die Kosten der Wirtschaftskrise und des Krieges auf den Rücken der Arbeiter abzuwälzen. Dazu gehören Massenstreiks und Proteste gegen Rentenkürzungen in Frankreich, Streiks von Post-, Gesundheits-, Bahn- und Flugangestellten in Großbritannien, Deutschland, Italien und anderen europäischen Ländern, Streiks von Hafenarbeitern und U-Bahn-Beschäftigten in Argentinien sowie Proteste gegen die Privatisierungs- und Sparmaßnahmen des IWF in Sri Lanka.
Am 17. Mai hat die Internationale Arbeiterallianz eine Erklärung publiziert mit dem Titel: „Ein Aufruf zum Handeln an alle Auto-Arbeiter: Mobilisiert Unterstützung für den Streik bei Clarios!“ Darin heißt es:
Es ist die erste Schlacht im Tarifkampf bei den drei großen Autoherstellern Nordamerikas (General Motors, Ford und Chrysler Stellantis) mit 150.000 Beschäftigten in den USA und 23.000 in Kanada. Die Autokonzerne, die Banken und die Regierung Biden sind entschlossen, den Übergang zur Elektromobilität ausschließlich auf Kosten der Arbeiter zu vollziehen. Es geht ihnen darum, die Löhne zu kürzen und Hunderttausende von Arbeitsplätzen zu streichen. Ganzen Städten und Gemeinden droht die Verwüstung (…) Daher müssen alle Arbeiter diesen Streik strategisch angehen, als eine entscheidende Schlacht in einem größeren Krieg.
Der Clarios-Streik beinhaltet strategische Erfahrungen für die gesamte Arbeiterklasse. Das Ergebnis dieses Kampfes kann vom Negativen ins Positive umgewandelt werden, wenn die Arbeiter die grundlegenden Lehren aus diesem Kampf ziehen: Gegen die korporatistischen Gewerkschaftsbürokratien und das von ihnen verteidigte System der kapitalistischen Ausbeutung müssen sie eine starke Bewegung von unabhängigen Aktionskomitees aufbauen.
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