Reporter der WSWS sprachen am Mittwoch mit Arbeiterinnen und Arbeitern des Clarios-Standorts Hannover, der Europazentrale des Konzerns, über die Unterstützung des Streiks ihrer amerikanischen Kollegen in Toledo (Ohio). Auf dem Gelände von Clarios Varta befindet sich das größte Batteriewerk für Automobilanwendungen in Europa.
Die Gesamtzahl der Clarios-Beschäftigten in Hannover liegt bei etwa 1300. Insgesamt betreibt der Clarios-Konzern in Europa zwölf Werke in sieben Ländern mit über 3800 Beschäftigten. An vielen Standorten werden weiterhin Autobatterien für PKWs und LKWs auf Blei-Säure-Basis produziert.
Die meisten Arbeiter am Standort Hannover sind bei Subunternehmen oder sogenannten „Fremdfirmen“ beschäftigt, viele von ihnen sind langjährige Zeitarbeiter. Sämtliche Befragte gaben an, weder von den Gewerkschaften noch vom Betriebsrat, der Unternehmensleitung oder den Medien über den Streik ihrer US-Kollegen informiert worden zu sein. In den USA streiken 525 Clarios-Arbeiter seit dem 14. Mai gegen Lohnkürzungen und Schichtverlängerungen.
Die US-Gewerkschaft UAW hatte den Arbeitern die Annahme eines Vertrages empfohlen, der Zwölf-Stunden-Schichten ohne Überstundenzuschlag ermöglicht und die Einführung eines 2-2-3-Arbeitstagemodells vorsieht. Die Arbeiter von Toledo lehnten diesen Vertrag mit 98 Prozent der Stimmen ab und zwangen die Gewerkschaft dazu, einen Streik einzuleiten. Seitdem setzt das Unternehmen mit Unterstützung der Polizei Gruppen von Streikbrechern ein. Es hat vor Gericht eine einstweilige Verfügung erwirkt, die Streikposten von mehr als fünf Arbeitern verbietet.
Die UAW und die IG Metall in Deutschland versuchen unterdessen, den Streik geheim zu halten. Sie unternehmen nichts zur Unterstützung der Arbeiter in Toledo. Einzig die World Socialist Web Site ruft in den USA und international zu aktiven Solidaritätsaktionen auf. Sie hat am 19. Mai einen entsprechenden Aufruf der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees veröffentlicht.
Reporter der WSWS verteilten in Hannover ein Informations-Flugblatt, worauf die Unternehmensleitung äußerst nervös reagierte. Nachdem der Werksschutz die Reporter vom Gelände geschickt hatte, erschien wenige Minuten später Christian Riedel (Director Communications Clarios EMEA) und verlangte ein Flugblatt. Anders als die Arbeiter war Riedel über den Streik informiert („Das geht ja schon seit zwei Wochen“). Das Anliegen der WSWS, nicht mit der Unternehmensleitung, sondern mit den Arbeitern über den Streik sprechen zu wollen, bezeichnete er als „unseriös“.
Ein Zeitarbeiter, mit dem die WSWS sprach, unterstützt den Streik der Kollegen in Toledo: „Ja, denn wenn das Gehalt niedriger ist als die Inflation, können sie davon nicht leben. Daher unterstütze ich den Streik auf jeden Fall“.
Dann sagte er: „Durch die weltweite Inflation verändert sich alles. Überall auf der Welt ist es schwierig. Es sind keine normalen Zeiten mehr. Zuerst kam die Corona-Pandemie, jetzt der Ukraine-Krieg. Wir leben nicht mehr in normalen Zeiten. Es wird nie wieder sein wie zuvor.“
Dabei seien Arbeiter überall mit den gleichen Probleme konfrontiert. „Es geht nicht nur um ein oder zwei oder drei Länder. Egal wo man hinsieht, steigt die Inflation und alles wird teurer. Wenn man in den Supermarkt geht, kann man nichts kaufen.und das Gehalt ist gleichzeitig sehr niedrig.“
Die Gewerkschaftsbürokraten „denken einfach gar nicht an uns“, erklärte er weiter. „Also müssen wir Arbeiter uns zusammenschließen und unsere Probleme gemeinsam angehen.“ Und da ein Unternehmen wie Clarios international arbeitet, müssten sich Arbeiter auch international „zusammenschließen und für ein gemeinsames Ziel kämpfen“.
Die WSWS sprach mit zwei weiteren Zeitarbeitern, die ebenfalls den Streik der US-Kollegen unterstützen, aber anonym bleiben möchten. „Wenn wir öffentlich etwas gegen das Unternehmen sagen, bekommen wir als Zeitarbeiter direkt die Kündigung“, sagt einer von ihnen. „Aber ihr solltet mal ein Undercover-Reporterteam hier in den Betrieb einschleusen, um aufzudecken, was hier alles passiert.“
Markus* (Name von der Redaktion geändert) ist 35 Jahre alt und arbeitet seit mehreren Jahren bei Clarios. Er sagte: „Ich habe schon seit Monaten keine Blutprobe mehr abgegeben, weil ich weiß, dass meine Bleiwerte weit über dem Grenzwert liegen und ich dann meine Arbeit verliere.“
Laut Markus wird bei Arbeitsschutzmaßnahmen gespart. So würden giftige Bleidämpfe nicht ordnungsgemäß entsorgt, sie entwichen rechtswidrig durch geöffnete Fenster in die Umwelt. „Auf Schutzkleidung müssen wir manchmal tagelang warten.“
„Zeitarbeiter halten dieses Unternehmen am Laufen, es gibt kaum noch Festangestellte hier,“ fuhr Markus fort. „Anders als Festangestellte haben wir Zeitarbeiter keinen Inflationsausgleich bekommen, obwohl wir genau die gleiche Arbeit wie ein Festangestellter machen. Dabei bekommen wir ohnehin bereits weniger Lohn. Viele Kollegen müssen Häuser und Autos abbezahlen, für sie ist es wirklich schwierig. Dabei würde hier gar nichts laufen, wenn wir Zeitarbeiter einmal einen Feiertag einlegen würden.“
Es sei aber schwierig, „den notwendigen Zusammenhalt zu schaffen, damit jeder mitzieht“. Die Arbeitsbedingungen setzten viele Arbeiter unter Druck. „Auf einer Versammlung vor einigen Monaten hat der Betriebsrat von 40 Kollegen gesprochen, die in den letzten Jahren kurz nach ihrer Verrentung gestorben sind. Man ruiniert sich hier seine Gesundheit, vor allem wegen der Bleibelastung.“
Tom* (19), der erst seit einigen Monaten bei Clarios arbeitet, berichtet: „Ein Kollege, der seit Jahrzehnten die ganze Schicht am Laufen hält, hat sich bei der Arbeit die Hüfte ruiniert.“ Die Vorgesetzten hätten auf seine Klagen mit der Bemerkung reagiert, dass sie dagegen nichts machen könnten. „Ein Abteilungsleiter kam extra herunter zu uns in die Halle, um dem Kollegen zu sagen, dass er ‚gebraucht wird‘ und er ihn nicht auf eine leichtere Stelle versetzen könne. Dieser Kollege ist jetzt seit Monaten krank und wird wohl noch das ganze Jahr arbeitsunfähig sein.“
„Ein anderer hat bei der Arbeit mit Teflon schwere Verbrennungen erlitten, weil von einem 400-Grad-Ofen neben ihm ein Funke übergesprungen ist. Er stand von Kopf bis Fuß in Flammen, obwohl die Schutzkleidung eigentlich nicht brennbar ist. Er liegt noch heute, Monate später, im Krankenhaus, weil ihm Haut transplantiert werden musste.“
Ein Grund für die Zunahme solcher Arbeitsunfälle, so Tom, sei die Tatsache, dass das Unternehmen die Arbeiter selbst dafür verantwortlich mache, neue Kollegen in die komplexen Maschinen und Tätigkeiten einzuweisen.
Er zieht eine Arbeitsanleitung hervor, die in deutscher Sprache verfasst ist. „Viele neue Kollegen sind Flüchtlinge und sprechen überhaupt kein Deutsch, man muss sich mit Hand und Fuß verständlich machen. Deshalb wissen viele gar nicht, mit welchen Gefahrstoffen sie es hier zu tun haben. Man sieht häufig Leute, die ihre Schutzmaske nicht richtig tragen, einer hat in der Halle sogar gegessen. Das kann lebensgefährlich sein.“
Markus: „Die Chefs haben keine Ahnung von unserer Arbeit. Sie sollen mal versuchen, auch nur drei Stunden hier zu arbeiten. In den USA ist es genau das gleiche. Die Kollegen dort sollen mal ruhig weiter streiken. Hier sollte das auch passieren.“
Auf die Bemerkung, dass Clarios eine außerordentlich wichtige Position in der internationalen Automobil-Lieferkette einnimmt und ein Streik sofort den gesamten Automobilsektor betreffen würde, sagt Markus: „Ich glaube, genau das brauchen die mal. Genau das sollte man mal machen.“
Das Unternehmen Clarios ist noch nicht alt, aber die Batterie-Produktion in den Werkshallen am Standort Hannover hat eine lange Geschichte, die von extremer Ausbeutung geprägt ist. Vor zwanzig Jahren kaufte der US-Multi Johnson Controls die Traditionsfirma Varta AG und verkaufte 2019 die Sparte Power Solutions an Brookfield Business Partners, was zur Gründung der Firma Clarios führte.
Begonnen hatte die Batterie-Produktion in Hannover aber bereits 1938 mit der Gründung der Akkumulatorenfabrik (AFA-Betrieb) durch den Industriellen und Nazi-Profiteur Günther Quandt. Statt der ursprünglich geplanten Antriebs- und Starter-Bleibatterien für verschiedene Fahrzeuge wurden ab 1940 die Antriebsbatterien für U-Boote und Torpedos produziert. Quandt wurde zu einem der führenden Rüstungsproduzenten der Nazis.
Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet und unter bestialischen Bedingungen ausgebeutet. Dazu wurde eigens direkt auf dem Fabrikgelände ein Konzentrationslager als Außenlager des KZs Neuengamme errichtet. Mindestens 1500 KZ-Häftlinge und 3700 Zwangsarbeiter wurden im AFA-Betrieb Hannover eingesetzt. Der Tod von mindestens 403 Lagerinsassen ist dokumentiert.
Nach der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai 1945 waren die Fabrikgebäude in Hannover nur unwesentlich zerstört. Der Betrieb wurde durch die britische Armee besetzt, die dort Batterien für ihre Fahrzeuge herstellen ließ. Günther Quandt wurde bei der Entnazifizierung als „Mitläufer“ eingestuft, obwohl er Wehrwirtschaftsführer war. 1948 übernahm Günther Quandt wieder die Leitung der AFA. Sein erster Sohn Herbert Quandt wurde 1954 Vorstandsvorsitzender und sein zweiter Sohn Harald Quandt Aufsichtsratsvorsitzender.
Wertvolle Hintergrundinformationen finden sich im WSWS-Artikel „Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien“.