Nach dem Ausverkauf des Clarios-Streiks prahlt UAW-Präsident Shawn Fain mit „massiven Gewinnen“ für die Arbeiter

Streikende Clarios-Arbeiter vor ihrem Werk in Holland (Ohio), 14. Mai 2023

Am Freitag setzten die UAW-Ortsgruppe Local 12 und die UAW-Zentrale einen unternehmensfreundlichen Tarifvertrag bei Clarios, dem weltweit größten Hersteller von Autobatterien, durch. Zuvor hatten sie rund 500 Arbeiter in dem bestreikten Werk in Holland (Ohio) fast sechs Wochen lang ausgehungert und isoliert.

Der vorläufige Vertrag, den die UAW-Funktionäre den Arbeitern am Freitag vorlegten, war fast identisch mit den Vereinbarungen, die sie bereits zweimal mit überwältigender Mehrheit abgelehnt hatten. Diese Abstimmungen ergaben am 27. April 98 Prozent Nein-Stimmen und am 22. Mai 75 Prozent Nein-Stimmen. Der Vertrag sieht nur eine jährliche Lohnerhöhung von 3 Prozent vor, was angesichts der Inflation eine beträchtliche Reallohnkürzung darstellt. Er ermöglicht künftig einen zermürbenden „2-2-3“-Schichtplan mit 12-Stundenschichten, ohne dass nach acht Stunden Überstundenzuschläge bezahlt werden.

Clarios-Arbeiter, die am Wochenende mit der World Socialist Web Site  sprachen, betonten ihre Abscheu und Wut über den Ausverkauf ihres Kampfes durch die UAW. Viele Arbeiter hatten jedoch das Gefühl, dass ihnen nichts übrig geblieben sei als dem Vertrag zuzustimmen, weil ihr Streik systematisch durch den UAW-Apparat isoliert worden war, und weil die Not wegen der armseligen gewerkschaftlichen Streikgelder überhandnahm.

„Sie wollten nie, dass wir streiken. Sie wollten nur, dass wir uns ergeben und ihre Lösung akzeptieren“, erklärte ein Arbeiter. „Die Gewerkschaftsbürokratie hat uns gedrängt, wieder zur Arbeit zu gehen. Sie haben uns ausgehungert, bis wir zurückgehen mussten. Keiner kann von 500 Dollar pro Woche leben. Wir haben alle ein Zuhause.“

Er fuhr fort: „Wir hatten eine falsche Führung. Sie haben nichts unternommen, um uns zu unterstützen. Vor zwanzig Jahren hätten sie es nicht zugelassen, dass von Streikbrechern produzierte Batterien bei Jeep und anderen Fabriken verarbeitet werden. Aber sie haben nichts getan, um dies zu verhindern. Die Gewerkschaft sagt uns: ‚Wartet ab, in drei Jahren bekommen wir das große Geld für euch.‘ Das ist Blödsinn. Wenn wir es jetzt nicht erhalten haben, werden wir es auch in drei Jahren nicht bekommen.“

Ein ganz anderes Bild vom Vorgehen der UAW wurde am Freitag in einer Facebook-Live-Ansprache von Präsident Shawn Fain präsentiert. Zu Beginn der Veranstaltung verwies Fain kurz auf vorläufige Vereinbarungen, die in Clarios und anderswo „gesichert“ seien. Er sagte: „Diejenigen von euch, die da draußen die Stellung halten, sollen wissen, dass eure Gewerkschaftszentrale zu 100 Prozent hinter euch steht.“

UAW-Präsident Shawn Fain während seiner Facebook-Live-Ansprache am 16. Juni 2023 [Photo: UAW]

Später ging Fain so weit zu behaupten, dass die UAW „Erfolge“ und sogar „massive Gewinne“ für die Arbeiter bei Clarios, Constellium, der University of Washington und anderswo errungen habe, und er erklärte: „Wisst ihr, wir ändern das Narrativ.“

Hinter Fains „Narrativ“ verbirgt sich die Tatsache, dass der UAW-Apparat innerhalb weniger Tage eine Reihe bedeutender Streiks beendet hat und Verträge zu den Bedingungen der Unternehmensleitung durchsetzt.

  • Am Freitag beendete die UAW auch den einmonatigen Streik der 160 Arbeiter von Constellium Aluminium Parts in Van Buren Township (Michigan). Ein Constellium-Beschäftigter erklärte gegenüber der WSWS, dass die Vereinbarung Lohnerhöhungen von 6 Prozent, 5 Prozent und 4 Prozent in den drei Jahren der Vertragslaufzeit vorsehe, was kaum über der aktuellen Inflationsrate liegt und die Löhne der Arbeiter bestenfalls stagnieren lässt. Etwa ein Drittel der Arbeiter habe gegen den Vertrag gestimmt, sagte der Arbeiter, und viele seien der Meinung, „dass wir aufgrund der Inflationskosten mehr Geld hätten bekommen sollen“.
  • Am 15. Juni beendete die UAW einen Streik von 2.400 Akademikern – Doktoranden, Forschern und Ingenieuren – an der Universität von Washington, nachdem vorläufige Tarifvereinbarungen der Verhandlungskommissionen angekündigt wurden. Die Arbeiter hatten überhaupt keine Möglichkeit, zuvor über den Vertrag abzustimmen. Die Abstimmung über die Verträge begann erst jetzt am Sonntag.
  • In den letzten Wochen hat die UAW auch Verträge für die Arbeiter des Farbenherstellers Sherwin-Williams in Maryland durchgesetzt, wo 30 Arbeiter seit November letzten Jahres gestreikt hatten, sowie für die Arbeiter des Autoteileherstellers Faurecia in Saline (Michigan).

Die Erfahrungen der Faurecia-Arbeiter sind ebenso wie die der Clarios-Arbeiter besonders aufschlussreich für den Widerspruch zwischen der kämpferisch klingenden Rhetorik des UAW-Vorstands unter Fain und der Realität ihrer antidemokratischen, konzernfreundlichen Handlungen.

Die Arbeiter des Faurecia-Werks, die Kunststoffteile für die Innenausstattung der großen Automobilhersteller produzieren, stimmten am 11. Mai zunächst mit 80 Prozent gegen einen vorläufigen UAW-Tarifvertrag. Das Unternehmen und die Gewerkschaftsbürokratie reagierten auf diese Herausforderung mit einer Kürzung der Akzeptanzprämie von 3.500 Dollar auf 2.500 Dollar bei der zweiten vorläufigen Tarifvereinbarung, wie ein Faurecia-Arbeiter der WSWS berichtete. Dadurch sollten die Arbeiter eingeschüchtert werden, damit sie den Tarifvorschlag akzeptierten. Der zweite Tarifvorschlag wurde Berichten zufolge mit einer fragwürdigen Marge von 51,72 Prozent Zustimmung und 48,28 Prozent Gegenstimmen angenommen.

„Das Narrativ ändern“

Es hat weniger als drei Monate gedauert, bis UAW-Präsident Shawn Fain und seine Verwaltung nach ihrer Vereidigung im Amt klargestellt haben, wo sie stehen: nämlich auf der Seite der Konzerne und gegen die Interessen der Arbeiter, die sie angeblich vertreten.

Nach jahrzehntelangen Zugeständnissen und Arbeitsplatzabbau, die die UAW-Führung durchgesetzt hatte, wachsen die Unruhe und der Widerstand unter den einfachen Arbeitern. Immer häufiger kommt es zu Streiks, um größere Verbesserungen von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu erreichen.

In diesem Zusammenhang setzen Fain und die Gruppe der United All Workers for Democracy (UAWD), die jetzt an der Spitze des Gewerkschaftsapparats steht, die Methoden ihrer Vorgänger fort: Isolierung von Streiks, Streikgelder auf Armutsniveau, Erzwingen von Urabstimmungen, bei denen nur ausgewählte „Highlights“ der Verträge veröffentlicht werden, und der allgemeine Einsatz von Lügen und Einschüchterung durch lokale, regionale und nationale Gewerkschaftsfunktionäre.

Die Aufgabe von Fain und der UAWD bestand darin, dem diskreditierten UAW-Apparat nach einem jahrelangen, weitreichenden Korruptionsskandal, der zwei ehemalige UAW-Präsidenten und etwa ein Dutzend andere Spitzenfunktionäre ins Gefängnis brachte, ein neues Gesicht zu verpassen. Eine stärkere Kontrolle der UAW-Mitglieder ist sowohl für die Autokonzerne als auch für die herrschende Klasse insgesamt ein zwingendes Gebot, da im September die Tarifverträge für 150.000 Ford-, General-Motors- und Stellantis-Arbeiter sowie von 20.000 Arbeitern der drei großen Autokonzerne in Kanada auslaufen.

In den letzten Wochen hat der Vorstand unter Fain, zu dem auch pseudolinke Funktionäre der Demokratischen Partei wie Jonah Furman, neuer UAW-Pressesprecher, gehören, eine PR-Kampagne gestartet, mit aufwendig produzierten Videos, in denen die UAW-Führung erklärt, sie sei „zurück im Kampf“ und wolle einen „gerechten Übergang“ zu Elektrofahrzeugen für die Arbeiter erreichen. Die Konzernmedien wiederholen ihrerseits Fains Behauptungen, er führe eine drastische Überholung des UAW-Apparats durch und bereite eine kämpferische Machtprobe mit den drei großen Automobilherstellern vor.

„Wir sind dabei, die Kultur dieser Gewerkschaft zu verändern, von einer reaktionären, defensiven Gewerkschaft zu einer aggressiven und offensiv ausgerichteten Gewerkschaft“, erklärte Fain in seiner Facebook-Live-Ansprache und erklärte, dass die UAW „Tarifvertragskampagnen“ durchführen werde, um die Belegschaft auf einen entscheidenden Kampf gegen die drei großen Automobilhersteller vorzubereiten.

Die von Fain & Co. durchgeführten Änderungen sind jedoch im Wesentlichen kosmetischer und rhetorischer Natur. In einem durchgesickerten Memo vom März warnte Fains Netzwerk, dass man den Arbeitern „unrealistische Erwartungen“ hinsichtlich wesentlicher Erhöhungen von Lohn und Sondervergütungen abgewöhnen müsse.

Das aufschlussreichste Signal von Fains Facebook-Veranstaltung war seine feindselige Antwort auf eine Reihe von Fragen, die Will Lehman, ein Arbeiter von Mack Trucks, der letztes Jahr für das Amt des UAW-Präsidenten kandidiert hatte, stellte. Lehman fragte in den Kommentaren des Streams:

Warum untergraben UAW-Vertreter den Streik der Clarios-Beschäftigten, indem sie Arbeiter in anderen von der UAW vertretenen Betrieben dazu zwingen, von Streikbrechern hergestellte Batterien zu verarbeiten? Warum weitet die UAW den Streik nicht aus? Die Clarios-Arbeiter müssen während ihres Streiks voll bezahlt werden. Sie könnten aus unsern Beiträgen mehr als 5.000 Dollar pro Woche erhalten, während sie, um zu kämpfen, mit 500 Dollar pro Woche auskommen müssen.

Fain versuchte zunächst, der Frage auszuweichen, warum die Arbeiter nur 500 Dollar pro Woche aus dem Streikfonds der Gewerkschaft in Höhe von 825 Millionen Dollar erhalten. Er sagte:

Wenn wir über Streiks sprechen, gibt es natürlich diese Debatte über Streikgeld und darüber, wie viel Geld wir im Streikfonds haben und über Streiks im Allgemeinen. Und wie ich bereits sagte, wird das von den Unternehmen abhängen und davon, wie sie reagieren. Ich meine, so profitabel diese Unternehmen auch waren, es gibt keine Entschuldigung dafür, dass wir uns als Arbeiter weiter rückwärts bewegen. Am Ende des Tages müssen wir tun, was wir tun müssen, um unser Ziel zu erreichen. Und es wird auf den Willen dieser Mitglieder und dieser Führung ankommen.

Kurz darauf wechselte Fain den Kurs und unterstellte auf groteske Weise, dass Arbeiter, die die Unangemessenheit der Streikgelder der UAW in Frage stellten, im Grunde genommen gierig seien, indem er sagte: „Schaut euch die Gründer dieser Gewerkschaft an, als diese Gewerkschaft gegründet wurde. Sie haben sich keine Sorgen um Streikgeld gemacht. Ihr wisst, dass die Bedingungen schlecht waren. Sie haben getan, was immer sie tun mussten, um ihr Ziel zu erreichen.“

Aus dem Munde eines Mannes, der im Laufe seiner Karriere mehr als eine Million Dollar aus den Mitgliedsbeiträgen erhalten hat und heute ein Jahresgehalt von rund einer Viertelmillion bezieht, sind solche Aussagen vollkommen heuchlerisch.

Der Ausverkauf des Clarios-Streiks unter der neuen UAW-Führung ist eine wichtige Lehre und eine Warnung für alle Autoarbeiter. Die UAW-Bürokratie unter Fain behält ihren wesentlichen wirtschaftsfreundlichen und nationalistischen Charakter bei. Sie arbeitet daran, die Forderungen der Unternehmen durchzusetzen und den Widerstand der Arbeiter zu brechen. Kein noch so großer „Druck“ auf diesen massiven Apparat wird an diesen Tatsachen etwas ändern.

Die dringende Aufgabe besteht darin, das Netzwerk kämpferischer Arbeiterorganisationen – die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees – aufzubauen und zu erweitern, um die gesamte Macht und Entscheidungsfindung aus den Händen der Bürokratie in die Hände der Arbeiter in jeder Fabrik und an jedem Arbeitsplatz zu verlagern.

„Wir sind zu den Bedingungen des Managements an die Arbeit zurückgegangen, nicht zu unseren“, sagte der Clarios-Arbeiter gegenüber der WSWS. „Aber dies ist ein nicht endender Kampf. Die Konzerne schließen sich zusammen und versuchen, uns zu zermalmen. Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, ist, dass wir uns alle zusammentun und alles dicht machen.“

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