Die Bundesregierung verfolgt das erklärte Ziel, Deutschland zur europäischen Führungsmacht und die Bundeswehr zur stärksten Streitkraft Europas zu machen. Das – und nicht die Sorge um Freiheit und Demokratie – ist der Grund, weshalb sie den Ukrainekrieg anheizt und 100 zusätzliche Milliarden in die Aufrüstung steckt. Die deutsche Kriegspolitik beschränkt sich nicht auf die Ukraine, sie setzt auch den Balkan wieder in Brand.
Im Dezember standen Serbien und das Kosovo kurz vor einem militärischen Konflikt, der das Potential zu einem Flächenbrand hatte. Ein Versuch der albanisch dominierten kosovarischen Regierung, ihre Autorität im serbisch besiedelten Norden durchzusetzen, hatte heftige Proteste ausgelöst. Zehn Parlamentsabgeordnete, 500 Polizisten sowie zahlreiche Richter und Lokalpolitiker der serbischen Minderheit legten aus Protest ihre Ämter nieder. Demonstranten errichteten Straßenblockaden und lieferten sich Schusswechsel mit der kosovarischen Polizei.
Die Regierung des Kosovo schloss die Grenzübergänge nach Serbien und Regierungschef Albin Kurti forderte die Nato auf, mehr Truppen ins Land zu schicken und die Kfor-Mission aufzustocken, die seit 1999 im Kosovo im Einsatz ist und derzeit aus 3800 Einsatzkräften aus 28 Ländern besteht. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić versetzte seinerseits die serbischen Streitkräfte in Alarmbereitschaft und ersuchte die Nato um Erlaubnis, eigene Truppen in das Gebiet zu entsenden. Laut Igor Simić, dem ehemaligen Vizepräsidenten des kosovarischen Parlaments, war es die „explosivste Situation seit dem Kriegsende vor gut zwanzig Jahren“.
Mittlerweile hat sich die Lage wieder etwas entspannt. Aber Beobachter gehen davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Konflikt erneut aufflammt.
Hintergründe des Konflikts
Die westliche Propaganda ignoriert wie üblich die Hintergründe des Konflikts. Sie hat einen allein verantwortlichen Bösewicht ausgemacht: Aleksandar Vučić, den Präsidenten Serbiens, das unter den Balkanstaaten über die engsten Verbindungen nach Russland verfügt. Serbien bemüht sich zwar wie alle anderen Balkanstaaten um die Aufnahme in die Europäische Union und hat das militärische Vorgehen Russlands gegen die Ukraine verurteilt. Es hat seine Beziehungen zu Russland aber bisher nicht abgebrochen und weigert sich, die Sanktionen der Europäischen Union mitzutragen.
Tatsächlich ist die erneute Eskalation des Kosovokonflikts das Ergebnis des aggressiven Vorpreschens der Europäischen Union, die den Ukrainekrieg nutzt, um ihre politische und wirtschaftliche Dominanz über den Westbalkan zu zementieren. Deutschland spielt dabei die führende Rolle.
Seit die Europäische Union und die USA in den 1990er Jahren die Zerschlagung Jugoslawiens in sieben Kleinstaaten politisch und militärisch unterstützten, hat die EU zwei dieser Staaten, Slowenien und Kroatien, aufgenommen. Die Aufnahme der restlichen fünf sowie Albaniens wurde zwar anvisiert, aber immer wieder hinausgezögert.
Vor allem Frankreich widersetzte sich einer Aufnahme, da es fürchtete, die weitere Expansion der 27 Mitglieder umfassenden EU werde sie außenpolitisch handlungsunfähig machen und das Gewicht Deutschlands weiter stärken. 2019 legte Präsident Emmanuel Macron sein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien ein, was zu schweren Verstimmungen zwischen Berlin und Paris führte.
Mit dem Ukrainekrieg hat sich die Haltung der EU geändert. Vor allem Berlin setzt nun alle Hebel in Bewegung, um die Integration der Westbalkanstaaten in die EU zu beschleunigen.
Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte im Juni vergangenen Jahres das Kosovo, Serbien und Nordmazedonien. Anfang November lud er die Regierungschefs dieser drei Länder sowie Bosnien-Herzegowinas, Montenegros und Albaniens zu einem Westbalkangipfel nach Berlin ein, an dem auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teilnahm. Am 6. Dezember fand dann erstmals ein EU-Westbalkan-Gipfel in Albanien statt, zu dem sämtliche Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitglieder und die Spitzen der EU nach Tirana reisten.
Ziel beider Gipfel war es, die Eingliederung des Westbalkans in die EU zu forcieren. Es wurden mehrere Abkommen zur Erleichterung des Waren- und Personenverkehrs und zur Beschleunigung der Beitrittsverhandlungen vereinbart. Bosnien-Herzegowina erhielt den Status eines Beitrittskandidaten.
Deutschland und die EU wollen damit mehrere Ziele erreichen.
Außenpolitisch soll der Westbalkan fest in die Kriegsfront gegen Russland eingebunden, wirtschaftlich vom Einfluss Russlands und Chinas abgeschnitten werden. China hat in der Region zahlreiche Infrastrukturprojekte finanziert und bemüht sich, über den Hafen im griechischen Piräus besseren Zugang nach Europa zu erhalten.
„Eine EU-Erweiterung gen Osten stellt im Hinblick auf unsere geopolitischen Interessen einen klaren Gewinn dar“, heißt es in einem Positionspapier des Seeheimer Kreises, dem 91 Bundestagsabgeordnete der SPD von Bundeskanzler Scholz angehören. Vor allem Serbien, das im vergangenen Sommer einen dreijährigen Gasliefervertrag mit Russland und im September ein Abkommen über außenpolitische Konsultationen mit Moskau vereinbarte, gilt dabei als Hindernis.
Die Aufnahme der Westbalkanstaaten in die EU, die teilweise seit Jahren einen Kandidatenstatus haben, soll auch die Voraussetzung für die Aufnahme der Republik Moldau und der Ukraine schaffen, die die EU aus geopolitischen Gründen anstrebt.
Ein weiteres Motiv der EU ist die Abschottung der Balkanroute, über die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten im Nahen und Mittleren Osten nach Europa gelangen. So erlauben Serbien und Albanien den Angehörigen mehrerer Länder bisher die visafreie Einreise, die dann versuchen, in den Schengenraum zu gelangen.
Die Aufnahme in die EU ist mit einem umfangreichen Verfahren verbunden, das die Kandidaten unter anderem auf eine strikte Haushaltsdisziplin verpflichtet, die sich nur durch massive Einsparung zulasten der ohnehin verarmten Arbeiterklasse erreichen lässt. Zu diesem Zweck arbeiten Brüssel und Berlin – wie schon bei der Zerschlagung Jugoslawiens – eng mit den Eliten der Balkanstaaten zusammen und spielen die verschiedenen Nationalitäten nach dem Motto „teile und herrsche“ gegeneinander aus.
Der Kosovo-Konflikt
Das Kosovo spielt dabei eine Schlüsselrolle. Es lieferte bereits 1999 den Vorwand für den Krieg gegen Serbien, das den Plänen Deutschlands und der USA im Wege stand. Unter dem konstruierten Vorwand, es begehe im Kosovo einen Völkermord, griff die Nato Serbien damals ohne Legitimation der UNO militärisch an und erzwang die Abspaltung des Kosovo.
Obwohl die Provinz mit ihren knapp 1,8 Millionen Einwohnern völkerrechtlich eindeutig zu Serbien gehörte, stellten die Großmächte das Kosovo unter internationale Verwaltung. 2008 erklärte es seine Unabhängigkeit und 2013 wurde es von den USA, Deutschland und den meisten europäischen Mächten als selbständiger Staat anerkannt.
Washington und Berlin arbeiteten dabei mit Elementen zusammen, die brutale Kriegsverbrechen begingen und enge Verbindungen zum organisierten Verbrechen unterhielten. Mehrere Kommandeure der kosovarischen Befreiungsarmee UCK sind seither von einem Sondergericht in Den Haag zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Hashim Thaçi, der den Außenministern Madeleine Albright (USA) und Joschka Fischer (Deutschland) als Kronzeuge zur Rechtfertgung des Kriegs diente und später Regierungschef und Präsident des Kosovo wurde, steht inzwischen ebenfalls wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Den Haag vor Gericht.
Die Unantastbarkeit staatlicher Grenzen, die seit der russischen Annexion der Krim als heiliges Prinzip beschworen wird, galt im Fall des Kosovo nicht.
Die Parallelen zwischen Kosovo und Krim sind derart offensichtlich, dass sich fünf EU-Mitglieder bis heute weigern, die Selbständigkeit des Kosovo anzuerkennen. Dazu gehören Spanien, Zypern und Griechenland, die befürchten, damit separatistische Bewegungen im eigenen Land zu legitimieren. Auch die Ukraine hat das Kosovo aus diesem Grund bisher nicht offiziell anerkannt, obwohl das Kosovo zu den eifrigsten Unterstützern der Ukraine im Krieg gegen Russland zählt.
Für die deutsche Außenpolitik spielen solche Doppelstandards keine Rolle. 1999 diente ihr der Nato-Krieg gegen Serbien als willkommener Anlass, die durch die Nazi-Verbrechen erzwungene militärische Abstinenz zu durchbrechen und sich erstmals seit 1945 wieder an einem imperialistischen Krieg zu beteiligen. Nun nutzt sie das Regime in Pristina, um Serbien unter Druck zu setzen und ihren Einfluss auf dem Balkan zu erhöhen.
Berlin hat Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti mit seinem jüngsten Vorpreschen ermutigt, seinen Anspruch auf den serbisch besiedelten Norden des Landes zu bekräftigen. Serbien, das das Kosovo weiterhin als Bestandteil seines Staatsgebiets betrachtet, hatte 2013 auf Druck der EU ein Abkommen über die Normalisierung der Beziehungen abgeschlossen, das weitgehende Selbstverwaltungsrechte für serbische Mehrheitsgemeinden vorsah. Im Gegenzug respektierte Serbien die kosovarischen Institutionen.
Während Serbien das Abkommen weitgehend erfüllte, tat die kosovarische Seite dies nur zum Teil. So wurde das Gesetz über serbische Mehrheitsgemeinden zwar verabschiedet, aber nie in Kraft gesetzt. Faktisch herrschte ein labiles Gleichgewicht. Die serbische Minderheit, deren Zahl je nach Quelle mit 100.000 bis 200.000 angegeben wird, verwaltete sich weitgehend selbst und unterhielt enge Beziehungen zu Serbien, während sich Belgrad und Pristina notdürftig arrangierten.
Mit seiner Entscheidung, im serbisch besiedelten Norden des Kosovo ab ersten November keine serbischen Autonummernschilder mehr zu tolerieren brachte Kurti diesen Status Quo gezielt zum Einsturz. Es war eine Provokation, die die serbischen Mehrheitsgemeinden dem Diktat Pristinas unterwerfen sollte – und wurde auch als solche verstanden.
Kurti hatte dabei Rückendeckung aus Berlin. Am 11. Dezember, als der Konflikt immer weiter eskalierte, stellte sich Außenministerin Annalena Baerbock demonstrativ hinter ihn. Sie erklärte auf Twitter, der Kosovo habe die Spannungen reduziert, Serbien dagegen bewirke mit seiner Rhetorik das Gegenteil. Der Vorschlag Serbiens, eigene Truppen in den Kosovo zu entsenden, sei „völlig inakzeptabel“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das stellte die Wirklichkeit auf den Kopf. Selbst die F.A.Z., die sonst die aggressive Außenpolitik der Bundesregierung unterstützt, musste zugeben, in Brüssel sei „aufmerksam vermerkt worden, dass der Serbe [Vučić] sich im jüngsten Streit über Nummernschilder konstruktiv verhielt, während Prishtina mit dem Kopf durch die Wand wollte“.
Mit welcher Überheblichkeit Deutschland gegen Serbien und andere Länder vorgeht, die seinen geopolitischen Interessen im Wege stehen, zeigt auch ein Kommentar, der am 4. Januar in der Zeit erschien. In einer Sprache, die an die berüchtigte „Hunnenrede“ von Kaiser Wilhelm II und die Kriegsrhetorik von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels erinnert, heißt es dort:
Serbien bestrafen, das klingt natürlich hart und arg imperialistisch. Aber die EU hat besonders im vergangenen Jahr eher unfreiwillig gelernt, dass sie nur ernst genommen wird, wenn sie auch hart sein kann und bereit ist, anderen Schmerzen zuzufügen. Härte gegen Russland, Härte gegen China und auch Härte gegenüber dem EU-Mitglied Ungarn, das ist Teil des nötigen geopolitischen Erwachsenwerdens der Union. Und Härte gegenüber Serbien ist überfällig.
Auf den Spuren des Nazi-Regimes
Wie im Ukrainekrieg, wo sich Berlin mit Verehrern von Nazi-Kollaborateuren wie Stepan Bandera gegen Russland verbündet hat, folgt es auch auf dem Balkan den verbrecherischen Spuren des Nazi-Regimes. Dessen wichtigster Verbündeter auf dem Balkan war die faschistische Ustascha-Diktatur von Ante Pavelić in Kroatien. Sie ermordete nahezu eine Million Serben, Juden, Roma und antifaschistische Kroaten, unterhielt in Jasenovac ein eigenes Todeslager und ließ Männer, Frauen und Kinder bei lebendigem Leibe verbrennen.
Die jugoslawischen Partisanen organisierten sich unter Führung der Kommunistischen Partei Josip Titos, um gegen diese Barbarei und die deutsche Besatzung zu kämpfen. Sie wurden deshalb von der deutschen Wehrmacht mit unbeschreiblicher Brutalität verfolgt. Die Stärke der Partisanenbewegung beruhte darauf, dass sie alle Unterdrückten Jugoslawiens unabhängig von ihrem nationalen und ethnischen Hintergrund in einem gemeinsamen Kampf zusammenschlossen. Aus diesem vereinten Kampf ging der jugoslawische Staat nach dem Zweiten Weltkrieg hervor, der in der Arbeiterklasse große Unterstützung genoss.
Tito hatte allerdings nie mit den politischen Konzeptionen seiner stalinistischen Vergangenheit gebrochen. Er verband die Zukunft Jugoslawiens nicht mit der internationalen Ausdehnung der proletarischen Revolution, sondern versuchte, einen Mittelkurs zwischen Moskau und Washington zu finden. Auf die wachsenden ökonomischen und sozialen Probleme reagierte er mit der Stärkung nationalistischer Strömungen in den einzelnen Landesteilen.
Die Vertreter der Ustascha, die mit Unterstützung des Vatikans im westlichen Ausland Zuflucht gefunden hatten, gewannen wieder an Einfluss. Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND entwickelte schon in den 1970er Jahren enge Verbindungen zu kroatischen Nationalisten. Als Jugoslawien 1991 auseinanderbrach, anerkannte die Regierung von Helmut Kohl (CDU) die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens in einem Tempo, das selbst bei den amerikanischen, französischen und britischen Verbündeten auf Vorbehalte stieß.
Das deutsche Vorpreschen setzte das nationalistische Wüten in Gang, das dann in Bosnien-Herzegowina auch von den USA und anderen europäischen Mächten unterstützt wurde. Hunderttausende Serben, bosnische Muslime und Angehörige anderer Minderheiten lebten plötzlich in einem Staat, in dem sie keine Rechte hatten. Deutschland selbst arbeitete eng mit dem Regime von Franjo Tuđman in Kroatien zusammen, das die Traditionen der Ustascha wieder aufleben ließ.
Mit der Eskalation des Stellvertreterkriegs der Nato gegen Russland in der Ukraine brechen auch die Kriege auf dem Balkan und im Nahen Osten wieder auf, die die USA und ihre europäischen Mächte in den vergangenen Jahrzehnten geführt haben.
Das bestätigt, dass es bei diesen Kriegen nie um „Terrorismus“, „Massenvernichtungswaffen“, „Freiheit“ oder „Demokratie“ ging, wie die offiziellen Propagandalügen behaupteten. Es sind – wie der Erste und der Zweite Weltkrieg – imperialistische Kriege um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten, die zur nuklearen Zerstörung der Welt führen, wenn sie nicht durch die Intervention der Arbeiterklasse gestoppt werden.
Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre Schwesterparteien in der Vierten Internationale (IKVI) bauen eine sozialistische Massenbewegung der Jugend und der Arbeiterklasse gegen Krieg auf, die den Sturz des Kapitalismus, seiner Ursache, anstrebt. Dieses Ziel steht auch im Mittelpunkt des Wahlkampfs der SGP in Berlin.