Am Freitag haben sich rund 5000 Lufthansa-Pilotinnen und Piloten an einem 24-Stunden-Streik beteiligt. Zu Dutzenden blieben die Maschinen der Kernmarke Lufthansa und von Lufthansa Cargo am Boden. An den Flughäfen Frankfurt und München wurden etwa 800 Flüge annulliert, rund 130.000 Passagiere waren laut Konzernangaben betroffen.
Alle Versuche, mit Lufthansa einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln, seien gescheitert, so die offizielle Erklärung der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC). Die Gewerkschaft fordert Gehaltssteigerungen von 5,5 Prozent im laufenden Jahr (bei einer Inflation von mittlerweile 8,5 Prozent!) sowie einen automatisierten Inflationsausgleich ab dem kommenden Jahr. Dagegen behauptet das Management, ein „sehr gutes und sozial ausgewogenes Angebot“ gemacht und zuletzt 900 Euro mehr pro Kopf und Monat angeboten zu haben. „Uns fehlt jedes Verständnis für den Streikaufruf der VC“, schimpfte Lufthansa-Personalvorstand Michael Niggemann vor der Presse.
Das vergiftete Angebot von 900 Euro mehr pro Kopf und Monat, das 18 Monate lang gelten soll, dient vor allem zweierlei: Nach dem Stellenabbau aus dem Corona-Lockdown fehlen dem Konzern viele Piloten, die er damit anlocken möchte. Und zweitens will Lufthansa damit dem geforderten automatischen Inflationsausgleich und einer verpflichtenden Garantie für die Arbeitsplätze aus dem Weg gehen.
Denn in Wirklichkeit geht es um sehr wesentliche Fragen: Die tariflich abgesicherten Arbeitsplätze im Lufthansa-Cockpit geraten immer stärker unter Druck. Vorstandschef Carsten Spohr ist dabei, immer mehr Flüge über die neuen, tariflich ungebundenen Fluglinien Eurowings Discover und CityLine2 zu führen. Diese fliegen im Rahmen der Lufthansa, aber ihre Crews werden wesentlich schlechter bezahlt. Der seit 30 Jahren bestehende, schon stark durchlöcherte Konzerntarifvertrag (KTV) wird immer stärker unterhöhlt.
Dagegen setzt die Pilotengewerkschaft die Forderung, dass der Vorstand eine Mindestanzahl an Maschinen der Kernmarke Lufthansa, die den Konzerntarifvertrag respektieren, garantiert aufrechterhalten müsse. Selbst die wirtschaftsnahe FAZ räumte ein, dass das Feilschen um Prozente in diesem Tarifkonflikt nur ein formaler Aufhänger sei: „Tatsächlich geht es den Piloten mit ihrer Forderung nach einer Mindest-Flottengröße für die Kernmarke Lufthansa um die langfristige Sicherheit ihrer Arbeitsplätze.“
Der Pilotenberuf hatte sich schon vor der Pandemie stark gewandelt. Mit der Globalisierung wurde im Luftverkehr ein scharfer Wettbewerb geschaffen, und der Lufthansa-Vorstand griff systematisch Gehälter, Renten und Übergangsbedingungen der Beschäftigten an, um Konkurrenten wie Ryanair standzuhalten. Bei den Billig-Airlines, die Piloten mehr und mehr prekär beschäftigen, hat sich der Pilotenberuf vom Traumjob zum Albtraum verwandelt.
Als die Corona-Pandemie ausbrach, nutzte der LH-Vorstand – wie auch die Vorstände von Fraport, WISAG, etc. – den erzwungenen Lockdown als Chance. Mit Hilfe der Gewerkschaften setzte er beispiellose Angriffe auf Lohnstrukturen und Arbeitsplätze durch. Allein bei Lufthansa wurden 32.000 Stellen abgebaut und insgesamt eine Summe von 1,4 Milliarden an Löhnen, Zusatzleistungen und Rentengeldern eingespart.
Diese Angriffe erfolgten auf Druck der Aktionäre. Durchgesetzt wurden sie in Kooperation mit den Betriebsräten und Flughafengewerkschaften. Tatsächlich wäre ein solcher Kahlschlag ohne die tätige Mithilfe von Verdi, UFO, VC und IGL niemals möglich gewesen.
So hat jeder Lufthansa-Beschäftigte in der Corona-Zeit ein beträchtliches Gehaltsminus angesammelt. Hinzu kommt seither noch die Inflation, die seit Beginn des Ukrainekriegs immer mehr angeheizt wird. Die offizielle Inflation, die 8,5 Prozent beträgt, ist noch bedeutend höher in Teilbereichen wie Lebensmitteln und Benzin. Gerade am Tag vor dem Streik sind die Benzinpreise exorbitant hochgeschnellt, so dass zum Beispiel ein Liter Diesel nicht mehr 1,80 Euro, sondern 2,35 Euro kostet. In den Lufthansa-Standorten Frankfurt und München steigen auch die Mieten ständig an.
Um gegen den Streik zu hetzen, führen bürgerliche Medien derzeit immer wieder die vergleichsweise hohe Bezahlung der Piloten ins Feld. Aber sie verschweigen, dass Piloten heute im Regelfall die ganze Ausbildung, die etwa 100.000 Euro kostet, selbst bezahlen müssen und also mit einem Schuldenberg beladen an den Start gehen.
Hinzu kommt, dass der Pilotenberuf mit Dauerstress, ständiger Zeitverschiebung, Klimawechsel und permanent wechselnden Arbeitszeiten einhergeht. Infolgedessen üben nur die wenigsten Piloten ihn bis zum Rentenalter aus. Auf eine Frühverrentung, wie vor wenigen Jahren noch üblich, können indes nur noch sehr wenige Pilotinnen und Piloten hoffen.
Der Streik ist Bestandteil einer wachsenden Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse. Allerdings ist der sehr berechtigte Pilotenstreik um die Sicherheit von Arbeitsplatz und Einkommen nicht zu gewinnen, solange er der Vereinigung Cockpit (VC) überlassen bleibt. Die VC-Funktionäre fürchten eine gemeinsame Klassenoffensive, die allein zum Sieg führen könnte. Sie isolieren die LH-Piloten von ihren Kolleginnen und Kollegen in den anderen Bereichen.
Bestreikt wurden am Freitag ausschließlich die Lufthansa-Kerngesellschaft und Lufthansa Cargo, während die LH-Tochtergesellschaften Eurowings, Eurowings Discover, CityLine, Swiss, Austrian und Brussels alle planmäßig abheben konnten. Auch hat die Vereinigung Cockpit während des Streiks keinerlei Kundgebung oder Demonstration an den Flughäfen organisiert und keine Flyer herausgegeben, um sich an andere Beschäftigte des Konzerns, der Flughäfen oder der Luftfahrt insgesamt zu wenden. Für Außenstehende war es damit praktisch unmöglich, mit streikenden Pilotinnen und Piloten zu sprechen.
Dabei sind auch die Pilotinnen und Piloten von Eurowings streikbereit, wie nur wenige Stunden vor Streikbeginn bekannt wurde. Sie hatten sich in einer weiteren Urabstimmung der VC mit 97 Prozent für Streikmaßnahmen im Tarifkampf ausgesprochen. Auf die Frage der WSWS, warum VC den Arbeitskampf von Lufthansa und Eurowings nicht gemeinsam führe, antwortete VC-Pressesprecher Matthias Baier, es handle sich um ganz verschiedene Tarifauseinandersetzungen, die nichts miteinander zu tun hätten und nur zufällig zeitlich zusammenfielen.
Das Gegenteil ist der Fall: Gerade die Faktoren, die die Lufthansa-Pilotinnen und Piloten am meisten umtreiben – die Inflation, Arbeitsplatzunsicherheit, Unsicherheit der Pandemie und des Kriegs – betreffen auch alle anderen Beschäftigten. Die Unruhe wächst, und mit ihr die Kampfbereitschaft. Dies betrifft nicht nur Kolleginnen und Kollegen in den anderen Fluggesellschaften und an den anderen Flughäfen, sondern auch an den Häfen, im Nah- und Fernverkehr, in der Pflege, der Logistik und an den Schulen. Und dieser Widerstand ist ein durch und durch internationales Phänomen.
Damit er bewusst organisiert werden kann, ist es notwendig, Aktionskomitees aufzubauen, die von Gewerkschaften wie VC unabhängig arbeiten und diesen den Kampf aus der Hand nehmen. Nur so ist es möglich, die Errungenschaften zu verteidigen und den Kampf gegen Teuerung, Corona und Krieg international gemeinsam zu führen.