Im Flugverkehr herrscht große und wachsende Streikbereitschaft. Bei Eurowings endete eine Urabstimmung der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) am gestrigen Mittwoch mit dem überwältigenden Votum von 97,7 Prozent für Kampfmaßnahmen.
Eurowings ist die LH-Tochter, die Ferienflüge und Kurz- und Mittelstrecken zu niedrigeren Kosten als die eigentliche Kernmarke Lufthansa fliegt. Den Preis dafür bezahlt das Personal in den Cockpits, Kabinen und am Boden in Form von deutlich schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen.
Aber auch die rund 5000 Piloten der Kernmarke sind streikbereit. Das hatte schon Ende Juli eine Urabstimmung gezeigt. Sie ergab bei der Lufthansa Frankfurt und München eine Zustimmung zu Streiks von 97,6 Prozent. Bei der Lufthansa-Cargo waren es sogar 99,3 Prozent. Für den morgigen Freitag hat die VC einen 24-Stunden-Streik der Pilotinnen und Piloten von Lufthansa und Lufthansa-Cargo angekündigt.
Die Unzufriedenheit hat sehr reale Gründe. Zu dem aufgehäuften Gehaltsminus aus der Corona-Zeit kommt seit Beginn des Nato-Stellvertreterkriegs gegen Russland in der Ukraine eine grassierende Inflation hinzu. Sie beläuft sich bereits auf 8,5 Prozent, fällt bei Benzin und Lebensmitteln noch deutlich höher aus und bedroht in wachsendem Maß die Löhne und Gehälter.
Schon seit Anfang der Corona-Zeit verzichten die Lufthansa-Beschäftigten auf große Teile ihres Einkommens und der Altersversorgung. Dem hatte die Vereinigung Cockpit 2020 ausdrücklich zugestimmt und die Opfer teilweise selbst vorgeschlagen. Die Beschäftigten mussten lange Zeit Kurzarbeit fahren und verzeichneten Gehaltsreduktionen von bis zu 50 Prozent.
Auch die anderen Lufthansa-Gewerkschaften Verdi, UFO, TGL-IGL und die österreichische ACA boten damals weitgehende Zugeständnisse an – Streichung der Urlaubs- und Weihnachtsgelder, ein Lohnstopp und der Verzicht auf Zulagen –, die sich für die Lufthansa-Belegschaften auf einen Einkommensverzicht von sage und schreibe 1,3 Milliarden Euro summierten. Gleichzeitig baute Lufthansa 32.000 Stellen ab, viele auch bei den Piloten.
Dasselbe spielte sich am gesamten Flughafen, bei Fraport, WISAG und in den anderen Betrieben ab. Nicht selten wurden, wie bei WISAG, gerade die langjährigen und erfahrenen Flughafenarbeiter entlassen. Als nun zum Sommeranfang der Flugbetrieb wieder anlief, entstand an den Flughäfen ein beispielloses Chaos. Maschinen konnten nicht abgefertigt werden, vor der Security bildeten sich stundenlange Schlangen, und die Koffer blieben zu Hunderten liegen.
Das Chaos betraf den Frankfurter Flughafen in besonderem Maße. Im Juli stieg hier die Zahl der Fluggäste erstmals seit der Pandemie wieder über fünf Millionen. Doch um einen Kollaps zu verhindern, sah sich Lufthansa gezwungen, mehr als 3000 Flüge zu streichen.
Bis heute lastet auf den Crews und Bodenarbeitern ein großer und wachsender Arbeitsdruck, und die Überstunden häufen sich. Überall fehlt es an Personal, und der Krankenstand ist hoch und wird infolge von Corona-Infektionen erneut ansteigen.
Wie sehr es brodelt, zeigte am 27. Juli der 24-stündige Warnstreik, an dem sich mehr als 20.000 Bodenbeschäftigte der Lufthansa beteiligten. Nur eine Woche später sorgte Verdi, die eigentliche Hausgewerkschaft des Flughafens, für einen üblen Ausverkauf. Verdi unterzeichnete einen neuen Vertrag, der effektiv Reallohnverlust bedeutet, und der mit einer Laufzeit von 18 Monaten den Tariffrieden auf dem Rollfeld sichern soll.
Wirtschaftlich hat sich der Konzern von der Corona-Krise weitgehend wieder erholt. Aber der Vorstand ist entschlossen, die Einsparungen aus der Pandemie im Interesse seiner Aktionäre und auf Kosten der Beschäftigten zur Norm zu machen.
„Die teils drastischen Maßnahmen [haben] funktioniert“, jubelte die FAZ am 31. August. Die Wirtschaft könne „Zuversicht“ daraus schöpfen, „dass die Gruppe im zweiten Quartal trotz aller nicht erheblichen Widrigkeiten in die Gewinnzone zurückkehren konnte. Der Konzern baut die Verschuldung ab, erhöht die Kapitalquote, und die Beteiligung des Staates liegt den Angaben zufolge bei unter zehn Prozent.“ Lufthansa bewege sich „wieder in die richtige Richtung“.
Auch die Vereinigung Cockpit fühlt sich in erster Linie dem Wohl des Konzerns und seiner Aktionäre verpflichtet. Der VC-Vorstand verwendet das Wort „Streik“ in seiner Pressemitteilung vom Mittwoch, die das Ergebnis der Urabstimmung bekanntgibt, nur ein einziges Mal, nämlich da, wo er dem Vorstand versichert, dass auch die VC keinen Streik wolle. Dort heißt es: „Um es deutlich zu sagen: Das Ergebnis ist kein Streikbeschluss! Es ist das verschärfte Signal, quasi die gelbe Karte an Eurowings.“
Für die Lufthansa-Piloten verhandelt VC seit Wochen mit dem Konzern hinter verschlossenen Türen. Am Dienstag fand bereits die siebte Verhandlungsrunde statt. Die Gewerkschaft tut was sie kann, um einen Arbeitskampf entweder ganz zu vermeiden oder zu isolieren und von den anderen Berufszweigen, Branchen und Betrieben getrennt zu führen.
Trotz der Inflation von über acht Prozent fordert die VC für dieses Jahr von vorneherein nur einen Lohnzuwachs von 5,5 Prozent, was auf eine faktische Reallohnsenkung hinausläuft. Einen „automatischen Inflationsausgleich“ fordert sie erst ab dem nächsten Jahr.
Eine ursprüngliche Forderung nach „einheitlichen Lohnstrukturen in allen Lufthansa-Betrieben“ hat VC niemals ernstlich in dem Sinne vertreten, dass die Spitzenlöhne der langjährigen Lufthansa-Beschäftigten für alle gelten sollten.
Stattdessen hat Cockpit sich die Zahl von 325 Flugzeugen garantieren lassen, die ausschließlich unter Bedingungen des Konzerntarifvertrags geflogen werden. Gleichzeitig arbeitet der Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr daran, die LH-Tochter CityLine2 als sogenannten Low Cost Carrier im Europaverkehr auszubauen, um Billigflieger wie Ryanair vom Markt zu verdrängen. Die neue Eurowings Discover (die ehemalige „Ocean“) fliegt noch immer ganz ohne Tarifvertrag und ist ein weiterer Versuch, die Errungenschaften der Crews zu unterlaufen.
Die Lufthansa Group ist ein kompliziertes Konstrukt mit zahlreichen Tochterfirmen, die für Piloten und Flugbegleiter immer schlechtere Lohnstrukturen und Bedingungen aufweisen. Bei Germanwings wurde zum Beispiel der Flugbetrieb vor zwei Jahren eingestellt, und die Beschäftigten wurden entweder entlassen oder von Eurowings zu schlechteren Konditionen übernommen. Weitere Töchter sind Austrian Airlines, Air Dolomiti und Swiss.
Bei der Swiss, die nach der Swissair-Pleite im Jahr 2003 von Lufthansa übernommen wurde, bahnt sich ebenfalls ein Arbeitskampf an. Dort arbeiten Pilotinnen und Piloten schon seit April 2022 ohne Gesamtarbeitsvertrag. Ende Juli haben die Swiss-Piloten einen neuen Vertragsentwurf, den ihre Gewerkschaft Aeropers akzeptierte und zur Abstimmung vorlegte, mit einem krachenden Nein-Votum von 80,5 Prozent abgelehnt. Aeropers vertritt rund 1150 Swiss-Pilotinnen und -Piloten; die Beteiligung an der Abstimmung lag bei 94,7 Prozent.
Überall zeigt sich die große Kampfbereitschaft, und sie richtet sich wie bei Swiss zunehmend auch gegen die wirtschaftsfreundlichen Gewerkschaften. Nicht nur am Flughafen, auch in der Pflege, im Nah- und Fernverkehr und an den Häfen wächst die Wut über die unhaltbaren Zustände. Vor kurzem haben die Hafenarbeiter gestreikt, und wie schon die LH-Bodenarbeiter haben sie gezeigt, welche Macht die Arbeiterklasse entfalten könnte, wenn sie ihre Kämpfe vereinen würde.
Gerade im Flugbetrieb müssen die Kämpfe nicht nur über die Grenzen der Teilbereiche und Konzerne, sondern auch über die nationalen Grenzen hinweg gemeinsam geführt werden. Dafür braucht es die Bildung von unabhängigen Aktionskomitees, und am Flughafen müssen sie sich auch gegen Verdi, UFO und Vereinigung Cockpit richten.
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