Kriegsfinanzierung durch Sozialkürzungen

Krankenkassenbeiträge steigen auf Rekordhöhe

Ein Defizit der Krankenkassen von mindestens 17 Milliarden Euro will Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im nächsten Jahr durch Beitragserhöhungen und die Plünderung der Kassenrücklagen auffangen, nicht jedoch durch eine Fortsetzung der staatlichen Zuschüsse. Ausdrücklich bezog sich der Minister dabei auf den Ukrainekrieg.

Vor zwei Monaten hatte die WSWS den Bundeshaushalt eine „Kriegserklärung an die Bevölkerung“ genannt, als das Kabinett Scholz beschlossen hatte, die Bundeswehr mit einem „Sondervermögen“ über 100 Milliarden Euro auszustatten und insgesamt die Ausgaben fürs Militär zu verdreifachen. Wir schrieben: „Die Kosten für die Aufrüstung wird in jeder Hinsicht die Arbeiterklasse tragen.“

Das bestätigt sich jetzt. Lauterbach will das Defizit nicht länger durch einen staatlichen Zuschuss ausgleichen, wie das bisher geschah. Stattdessen sollen vor allem die Beiträge der großen Bevölkerungsmehrheit steigen, die sich keine private Kasse leisten können. Dabei beruft sich der Gesundheitsminister ausdrücklich auf das gemeinsame Ziel der Ampel-Koalition, im Bundeshaushalt 2023 die Schuldenbremse einzuhalten.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) während einer Pressekonferenz am 14. Januar 2022 (AP Photo/Michael Sohn)

Als Lauterbach am Dienstag, 28. Juni, vor die Presse trat, bedankte er sich bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) ausdrücklich und mehrfach für „die gute Zusammenarbeit und das einvernehmliche Ergebnis“. Er berichtete, der Finanzminister habe darauf geachtet, „dass wir nicht zu Vorschlägen kommen, die die Schuldenbremse verletzen, die Steuererhöhungen notwendig machen oder einen Nachtragshaushalt benötigen würden (…) Ich teile alle drei Ziele des Bundesfinanzministers ausdrücklich.“

Die 17 Milliarden Euro, die als Krankenkassen-Defizit im nächsten Jahr erwarten werden, sind voraussichtlich noch nicht alles. Andere Prognosen gehen von 25 Milliarden aus. Die BILD-Zeitung publizierte diese Zahl des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG) in München zusammen mit dessen Erklärung, in der Schätzung der 17 Milliarden seien „der Krieg in der Ukraine und die Folgen noch nicht eingepreist“. Gleichzeitig wird auch bei der Arbeitslosenkasse und der Pflegeversicherung ein Milliardendefizit erwartet.

Um das Finanzloch bei den Krankenkassen zu stopfen, sollen die Beitragserhöhungen bei Arbeitern und Angestellten fünf Milliarden Euro aufbringen. Auch werden die Rücklagen geplündert. Lauterbach erklärte, die Krankenkassen und ihr gemeinsamer Gesundheitsfonds hätten zusammen 6,4 Milliarden an eigenen Reserven, die zur Deckung des Defizits herhalten könnten. „Wir sind im Ukrainekrieg“, betonte der Minister. „Alle Reserven in den Kassen müssen herangezogen werden.“

Bisher, und auch noch in diesem Jahr, wurde das Defizit durch einen zusätzlichen Bundeszuschuss aufgefangen, der zuletzt 14 Milliarden Euro betrug. Aber „nicht für das nächste Jahr!“, so der Minister. Ihm zufolge soll es nur noch einen Steuerzuschuss in Höhe von zwei Milliarden Euro und ein Bundesdarlehen über eine Milliarde geben. Weitere drei Milliarden Euro will der Minister aus „Effizienzverbesserungen“ heben, die er nicht näher erläuterte.

Lauterbachs Resümee: „Es wird ein schwerer Herbst werden. Pandemiebedingt. Wir werden mit dem Ukrainekrieg kämpfen müssen. Wir werden Schwierigkeiten haben, die Steuermittel zur Verfügung zu stellen, die wir in anderen Bereichen benötigen.“ Auf eine Journalistenfrage, ob es wohl bei dieser Beitragserhöhung bleiben werde, oder ob da noch mehr Kürzungen kämen, sagte Lauterbach: „Es wird sehr viel davon abhängen, wie der Ukrainekrieg weitergeht.“

Mit den erhöhten Beitragssätzen steigen die Krankenkassenbeiträge auf eine einmalige Rekordhöhe. Die GKV haben rund 57 Millionen Mitglieder und versichern im Ganzen etwa 73 Millionen Menschen: Arbeiter, Angestellte, Familienangehörige, Rentner und Arbeitslose. Der Zusatzbeitrag liegt derzeit bei 1,3 Prozent. Er wird zunächst um 0,3 Prozent auf 1,6 Prozent erhöht. Er wird, wie der Name sagt, zusätzlich zum allgemeinen Krankenkassenbeitrag, maximal 14,6 Prozent, erhoben.

Mit künftig 16,2 Prozent wird der Betrag so hoch sein wie nie zuvor. Zwar trägt der jeweilige Arbeitgeber die Versicherung anteilig mit. Dennoch können schon heute insgesamt die Abgaben für Steuern und Versicherungen je nach Steuerklasse bis zu 40 Prozent betragen. Das bedeutet, dass von einem Bruttolohn von 2.000 Euro netto noch eine Summe 1.200 Euro zum Leben übrig bleibt.

Am Dienstag kündigte Lauterbach an, er werde von der Pharmaindustrie, „die in der Pandemie viel verdient hat“, eine einmalige „Solidarabgabe“ erheben und damit eine weitere Milliarde aufbringen. Auch behauptete der Minister, mit ihm werde es „keine Leistungskürzungen in der Versorgung“ geben. Diese Versuche, den Anschein sozialer Ausgewogenheit zu erwecken, sind lachhaft und vollkommen unglaubwürdig.

In Wirklichkeit herrscht seit langem ein entsetzlicher Pflegenotstand. Wie auf der ganzen Welt, kämpfen auch hierzulande Pflegekräfte und andere Beschäftigte des Gesundheitswesens gegen krasse Überlastung, erschöpfende Arbeitsbedingungen, Corona-Gefahr und dem durch Inflation bedingten Absinken des Lebensstandards. Ein unbefristeter Streik an den Unikliniken in Nordrhein-Westfalen dauert schon mehr als zwei Monate an. In dieser Situation kommt das ministerielle Versprechen, die Leistungen würden nicht noch schlechter werden (wenn es denn wahr wäre!) einer Ohrfeige für die Pflegekräfte gleich.

Keine Woche zuvor hatte Lauterbach am Mittwoch, 22. 6. während der Gesundheitsministerkonferenz protestierenden Pflegekräften versprochen, dass ein neues Pflegeentlastungsgesetz „noch vor der Sommerpause“ kommen werde. „Das verspreche ich von dieser Stelle aus …“, so Lauterbach in Magdeburg. Das Gesetz werde durch Mindestanforderungen in den Abteilungen „die Finanznot in den Krankenhäusern beenden“, beteuerte auch Petra Grimm-Benne, Gesundheitsministerin Sachsen-Anhalts, derzeit Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz und wie Lauterbach SPD-Mitglied. Dazu jubelte das Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler, man sei „einen großen Schritt weitergekommen“.

Das Gegenteil ist der Fall. Lauterbach handelt einfach nach dem Motto: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“ Wie die WSWS schon bei seinem Amtsantritt feststellte, geben bei Lauterbach „die Profitinteressen des Kapitals im Zweifelsfall stets den Ausschlag gegenüber seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen“, bzw. seinem geheuchelten sozialen Engagement.

In der Corona-Frage ist bezeichnend, dass die erste Entscheidung der Ampel-Koalition bei Lauterbachs Eintritt darin bestand, die „Epidemische Notlage nationaler Tragweite“ abzuschaffen. Lauterbach hatte ausdrücklich für diese Entscheidung gestimmt, die das Ende der pandemiebedingten Lockdowns verordnete und zum Wiederaufleben massenhafter Infektionen führte.

Schon in den Jahren der rot-grünen Bundesregierung und danach spielte Lauterbach eine wichtige Rolle bei der Zerschlagung der paritätischen Sozialsysteme und der Privatisierung der Krankenhäuser. Er war an der Ausarbeitung des Fallpauschalen-Systems beteiligt, gegen welches die Pflegekräfte heute Sturm laufen. Er saß zwölf Jahre lang im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG, die durch miserable Behandlung des Pflegepersonals Schlagzeilen machte. Als die Bertelsmann-Stiftung massenhafte Krankenhaus-Schließungen forderte, twitterte Lauterbach im Juni 2019: „Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten.“

Erst vor wenigen Tagen hat Lauterbach angeordnet, die kostenlosen Bürgertests abzuschaffen. Dies, obwohl er gleichzeitig dem Journalisten Eckart von Hirschhausen gegenüber in einer ARD-Dokumentation bestätigte, dass Long Covid organische Schäden verursache und einer „unbehandelten Volkskrankheit“ gleichkomme.

Mit seiner Ankündigung, die Regierung werde das Defizit der Krankenkassen kriegsbedingt nicht mehr bezahlen, macht der Gesundheitsminister sehr klar, warum die Beschäftigten im Gesundheitsbereich, in ihrem Kampf für angemessene Arbeitsbedingungen und gute Pflege Verdi das Verhandlungsmandat entziehen und sich in unabhängigen Aktionskomitees international zusammenschließen schließen müssen.

Verdi, wie auch alle anderen Gewerkschaften stehen uneingeschränkt auf der Seite der Regierung. Ihre Funktionäre sind Teil der Regierungsparteien und unterstützen die offizielle Politik, die grundsätzlich den Profiten Vorrang vor der Gesundheit gibt. Deshalb waren die Bedingungen in der Pflege auch schon vor der Corona-Pandemie unerträglich. Und wie das Aktionskomitee Pflege in seinem Aufruf zum Streik in NRW schreibt, machen „die privaten oder öffentlichen Krankenhausunternehmen mit dieser unerträglichen Situation auch noch Gewinn! Jede unterbesetzte Schicht, jeder psychische und physische Zusammenbruch von Kolleginnen und Kollegen wegen Überarbeitung und jeder unterversorgte Patient lässt die Kasse der Unternehmen klingeln.“

Das Aktionskomitee fordert ein milliardenschweres Investitionsprogramm und die Umstrukturierung der Krankenhäuser entlang den Bedürfnissen der Beschäftigten und der Patienten. Dazu ist es nötig, dass Pflegekräfte ihren Kampf ausweiten, sich an die Arbeiterklasse wenden und die Streiks über Branchen und Ländergrenzen hinweg gemeinsam führen.

Die World Socialist Web Site unterstützt den Aufbau von Aktionskomitees in jeder Klinik und an jedem Arbeitsplatz! Nehmt mit dem Aktionskomitee Pflege Kontakt auf über die WhatsApp Nummer: +49 1520 3521345 und beteiligt euch daran, die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) aufzubauen!

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