Die den Grünen nahestehende Tageszeitung taz hat zum Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus einen Artikel veröffentlicht, für den die Bezeichnung „Nazi-Propaganda“ eine Untertreibung wäre.
Die russische Journalistin und Schriftstellerin Julia Latynina vertritt darin den Standpunkt, dass nicht Hitler, sondern Stalin für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich sei. „Die tatsächliche Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist, dass Stalin diesen Krieg geplant hatte, der die ganze Welt erfassen und erst enden sollte, wenn auch noch die letzte argentinische Sowjetrepublik ein Teil der UdSSR geworden sein würde,“ behauptet sie. „Er hatte diesen Krieg geplant – lange bevor Hitler an die Macht kam.“
Der 1800 Worte lange Artikel reiht derart viele Fälschungen, Lügen und Verleumdungen aneinander, dass selbst gestandene Neonazi-Blätter Mühe hätten, sie in einer Ausgabe unterzubringen. Latynina beschimpft die Rote Armee, beleidigt Millionen Sowjetbürger, die im Kampf gegen den Terror der Nazis ihr Leben gaben oder Angehörige verloren, und stellt Hitlers Generäle Guderian und Rommel als leuchtende Vorbilder dar.
Über die Verbrechen der Nazis, die den Krieg gegen die Sowjetunion minuziös als „Vernichtungskrieg“ planten und fast 30 Millionen Juden, Kommunisten, Soldaten und Zivilisten umbrachten, verliert Latynina keine Silbe.
Stattdessen denunziert sie die Soldaten der Roten Armee, die die Hauptlast des Kampfs gegen die Nazis trugen, als „entrechtete Masse“, die „zu Abertausenden in den Tod geschickt“ wurden und mordend, brandschatzend und vergewaltigend durch die Länder zogen, aus denen sie die Wehrmacht vertrieben hatten. „Auf diesem Fundament aus Knochen, Blut und Fleisch baut Putin seinen Kult des 9. Mai auf – den Kult des Großen Vaterländischen Krieges,“ schreibt sie.
Als Kronzeuge für „die Massenvergewaltigungen und -morde, die die Stalin’schen ‚Befreier‘ auf dem Gebiet Rumäniens begangen haben“, zitierte sie den Schriftsteller Constantin Virgil Gheorghiu, der während des Kriegs als Diplomat für den faschistischen Diktator Ion Antonescu arbeitete. Antonescu war mit Hitler verbündet und für die Ermordung von 400.000 Juden verantwortlich.
Die sowjetischen Partisanen, die gegen die Nazis kämpften, denunziert Latynina als Terroristen, deren „Terror sich in erster Linie nicht gegen die Deutschen, sondern gegen die örtliche Bevölkerung“ richtete. Im selben Atemzug beschuldigt sie die „chinesischen Kommunisten und Kämpfer des Vietcongs“, sie hätten die Grundprinzipien dieses „äußerst grausamen und wirksamen Terrors“ später übernommen.
Besonders abstoßend sind Latyninas Bemerkungen über die Belagerung Leningrads. Hitlers Wehrmacht hatte die Millionenstadt 28 Monate lang bombardiert und ausgehungert. 470.000 Zivilisten kamen dabei ums Leben, ohne dass es der Wehrmacht gelang, die Stadt einzunehmen. Doch Latyninas Hass gilt nicht den Belagerern, sondern den Verteidigern. Sowjetische Soldaten, die bei der Verteidigung der Stadt gefallen sind, bezeichnet sie als Opfer des Stalinismus.
Schließlich denunziert Latynina den russischen Präsident Putin als „zweiten Stalin“ und fordert die „freie Welt“ auf, nicht den Fehler aus dem Zweiten Weltkrieg zu wiederholen, als sie „die Augen davor verschloss, wer Stalin war“. Putin verkörpere „sowohl Hitler als auch Stalin gleichzeitig“, deshalb helfe die „freie Welt“ jetzt der Ukraine, und „niemand wird mehr wegsehen“.
Latynias Rechtsextremismus
Der Abdruck dieses faschistischen Schmutzes in der taz zeigt, wie weit das grüne Milieu, mit dem die Zeitung seit ihrer Gründung vor 43 Jahren eng verbunden ist, nach rechts gerückt ist.
Latyninas Tirade erschien sowohl in der Online-Ausgabe der taz als auch in einer gedruckten Sonderbeilage, die sie am 9. Mai der russischen Zeitung Novaya Gazeta zur Verfügung stellte. Die Novaya Gazeta hat ihr Erscheinen in Russland wegen der Zensur eingestellt. Latynina schreibt regelmäßig für das Blatt, das als Stimme der „liberalen“ Opposition gilt, aber offenbar keine Probleme hat, mit Rechtsextremen zusammenzuarbeiten.
Die taz selbst wusste sehr genau, wem sie eine Plattform bot. Sie hatte bereits vor dreieinhalb Jahren einen Artikel über Latynina veröffentlicht, die sich damals auf einer Lesereise durch Deutschland befand. Darin wurde sie eindeutig als Rechtsextreme identifiziert.
Sie führe „einen Kreuzzug gegen Linke, Migranten, Menschenrechtler und das allgemeine Wahlrecht“, berichtete die taz, warne ständig „vor den Gefahren des Islam“, halte den Klimawandel für „eine Erfindung der globalen Bürokratie und der Wissenschaftsfunktionäre“, bewundere Thilo Sarrazin und das südafrikanische Apartheid-Regime und zeige Verständnis für den norwegischen Massenmörder Anders Breivik. Inzwischen habe sich Latynina „zu einer Adeptin von Ayn Rands Libertarismus“ entwickelt. Sie kritisiere das allgemeine Wahlrecht „als eine Gefahr für die Demokratie, weil dadurch die Steuerzahler einer Tyrannei der Wohlfahrtempfänger ausgeliefert seien“.
Latynina vertritt seit langem solche rechtsextremen Positionen. Bereits 2010 hatte sie die Wahl von Wiktor Janukowytsch zum ukrainischen Präsidenten in einem Editorial der Moscow Times mit den Worten verurteilt: „Leider sind nur wohlhabende Menschen wirklich in der Lage, ihre Politiker verantwortungsvoll zu wählen. Arme Menschen wählen Politiker wie Janukowitsch oder den venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez.” Vier Jahre später wurde Janukowytsch durch einen rechten, von den USA und Deutschland unterstützten Putsch gestürzt.
Die rechte Autorin ist mit zahlreichen internationalen Ehrungen überhäuft worden. So überreichte ihr US-Außenministerin Condoleezza Rice, eine der Hauptverantwortlichen für den Irakkrieg, 2008 den „Freedom Defenders Award“ des US-Außenministeriums.
Die taz verteidigt Latyninas Hetzartikel
Obwohl die Redaktion der taz die rechtsextreme Gesinnung Latyninas kannte, publizierte sie ihren geschichtsrevisionistischen Artikel ohne jeden Kommentar. Erst als sich auf sozialen Medien Protest äußerte, schrieb Stefan Reinecke, der Leiter des Meinungsressorts der taz, eine „Replik“ – die den Artikel im Wesentlichen rechtfertigt!
Reinecke wirft Latynina zwar vor, sie gehe zu weit. Mit ihrer „Vorliebe für schrille Meinungen“ segle sie in „trübem Fahrwasser“. Ihre These, Stalin habe den Zweiten Weltkrieg geplant, bevor Hitler an die Macht kam, siedle „nah an der Propagandalüge, dass Hitler 1941 einen Präventivkrieg gegen Stalin geführt habe“. Diese „von deutschen Rechtsextremisten gepflegte Lüge“ verkleinere Hitlers Verbrechen und stülpe „die Rolle des Menschheitsfeindes“ dem Bolschewismus über.
Trotzdem wertet Reinecke Latyninas neonazistische Tirade als legitimen und notwendigen Beitrag zur Revision der deutschen Erinnerungskultur. „Der allzu freundliche deutsche Blick auf Moskau hatte auch etwas mit einem historischen Schuldbewusstsein gegenüber Russland zu tun,“ schreibt er. „Nirgends war der NS-Vernichtungskrieg so grausam wie in der Sowjetunion, deren Rechtsnachfolger Russland ist.“
„Den national getönten Erinnerungsinszenierungen von Kiew bis Warschau“ – gemeint ist die öffentliche Verehrung von Nazi-Kollaborateuren und Diktatoren wie Stepan Bandera und Józef Piłsudski – „schaute man im Westen indes mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Desinteresse zu.“ Dies, so der taz-Redakteur, müsse sich ändern: „Müssen wir die Geschichte, die Begriffe neu bewerten? In Teilen, ja.“
Die deutsche Erinnerungskultur sei „auf manchmal selbstbezügliche Art auf den Holocaust zentriert,“ klagt Reinecke. „Schon Fragen nach dem Vergleich von Nationalsozialismus und Stalinismus reflexhaft als Relativierungsversuche zurückzuweisen“, sei „eine unproduktive Haltung“.
Notwendig sei ein „dialogisches Erinnern“, „in dem die Gewaltgeschichte der anderen nicht als zweitrangig abqualifiziert wird und andere Opfernarrative mit einem Mindestmaß an Empathie betrachtet werden“. Das sei „anstrengend, aber die einzige Möglichkeit, abgekapselte Erinnerungskulturen durchzulüften“.
Man muss sich die Dimension der Verbrechen der Nazis vor Augen halten, um die Ungeheuerlichkeit zu begreifen, die Reinecke hier im Namen der taz-Redaktion vorschlägt. Die industrielle Ermordung von sechs Millionen Juden, die Vernichtung der Bevölkerung ganzer Landstriche, die Erschießung von Hunderttausenden ohne Gerichtsurteil, die Versklavung von Millionen Zwangsarbeitern und die Tötung von drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen soll auf eine Stufe mit den „Opfernarrativen“ der Täter und Kollaborateure gestellt werden!
Stepan Bandera, dessen „Opfernarrativ“ heute Bestandteil der offiziellen ukrainischen Staatsideologie ist, kollaborierte als Führer der faschistisch-terroristischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) mit der deutschen Wehrmacht und war mitverantwortlich für die Ermordung von 800.000 Juden und 100.000 Polen in der heutigen Westukraine.
Laut Reinecke hat die Überarbeitung der Geschichte dort ihre Grenzen, wo „revisionistische Legenden … NS-Parolen ähneln“. Aber genau dorthin führt seine Forderung, „andere Opfernarrative mit einem Mindestmaß an Empathie“ zu betrachten. Das „Durchlüften der abgekapselten Erinnerungskulturen“ erweist sich bei näherem Hinsehen als Rehabilitierung der Nazi-Ideologie, wie sie Latynina in ihrem taz-Artikel betreibt.
taz und Kriegspropaganda
Die Rehabilitierung rechtsextremer Ideologie durch die taz hat eine lange Vorgeschichte. Spätestens seit die Grünen 1998 erstmals in die Bundesregierung eintraten, wurde die Zeitung, die seit ihrer Gründung eng mit der Partei verbunden war, zu einer treibenden Kraft des deutschen Militarismus. Sie stand an vorderster Front, wenn es darum ging, die deutschen Kriege gegen Serbien und Afghanistan unter Berufung auf Menschenrechte und sogar „Auschwitz“ zu rechtfertigen. Später griff sie die Merkel-Regierung von rechts an, weil sie nicht aggressiv genug in Libyen, Syrien und der Ukraine eingreife.
Im März 2018 widmete die Sonntagsausgabe der taz eine dreiseitige Titelstory der Verteidigung des rechtsextremen Historikers Jörg Baberowski. Sie griff die trotzkistische Jugendorganisation IYSSE massiv an, weil sie Baberowski öffentlich kritisiert hatte.
Baberowski vertritt hinsichtlich des Zweiten Weltkriegs ähnliche Auffassungen wie Latynina. Bereits 2007 hatte er behauptet, der Vernichtungskrieg sei der Wehrmacht von Stalin und seinen Generälen „aufgezwungen“ worden. 2014 stellte er sich dann im Spiegel offen hinter Ernst Nolte, der 1986 mit der These, der Nationalsozialismus sei lediglich eine letztlich berechtigte Reaktion auf den Bolschewismus gewesen, den Historikerstreit ausgelöst hatte. Baberowski selbst fügte hinzu: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“
Nur die IYSSE und die Sozialistische Gleichheitspartei kritisierten diese empörende Verharmlosung Hitlers. In Artikeln, Flugblättern und Versammlungen zeigten sie den Zusammenhang zur Rückkehr des deutschen Militarismus auf. „Die Wiederbelebung des deutschen Militarismus erfordert eine neue Interpretation der Geschichte, die die Verbrechen der Nazizeit verharmlost,“ erklärten sie.
Im selben Monat, in dem der Spiegel-Artikel erschien, verkündeten führende Vertreter der Bundesregierung auf der Münchener Sicherheitskonferenz das Ende der militärischen Zurückhaltung: Deutschland werde in Europa und in der Welt wieder eine Rolle spielen, die seiner Größe und seinem Einfluss tatsächlich entspreche. Wenige Tage später unterstützte die Bundesregierung in Kiew den rechten Putsch, der ein pro-westliches Regime an die Macht brachte und die Grundlage für den heutigen Krieg legte.
Die IYSSE wurden wegen ihrer Kritik an Baberowski und dem Militarismus von Medien, Politik und Professoren heftig angegriffen, gewannen aber große Unterstützung unter Studierenden und Arbeitern.
Als die taz dann 2018 ihre Breitseite gegen die IYSSE abfeuerte, konnte es an der rechtsextremen Orientierung Baberowskis keinen Zweifel mehr geben. Er war zum Stichwortgeber der Kampagne gegen Flüchtlinge geworden, geiferte auf allen Kanälen gegen das „Gerede von der Willkommenskultur“ und hatte in Berlin ein Netzwerk aufgebaut, das alles umfasste, was in der neurechten Szene Rang und Namen hatte. Gerichte in Köln und Hamburg hatten bestätigt, dass man Baberowski einen „Rechtsextremen“ und „Geschichtsfälscher“ nennen dürfe.
Die WSWS warf damals die Frage auf: „Warum verteidigt die taz den rechtsextremen Ideologen Baberowski?“ Sie erklärte: „Eine ganze Schicht von Politikern, Meinungsmachern und wohlhabenden Kleinbürgern richtet angesichts der Rückkehr des deutschen Militarismus und der wachsenden Klassenspannungen ihren politischen Kompass neu aus.“ Die taz, die 1979 als Zentralorgan jener Teile der 68er Bewegung gegründet worden sei, „die sich in den Grünen gesammelt hatten und für sehr wohlhabende Mittelschichten sprachen“, bewege sich nun wie die grüne Partei rasch nach rechts.
Der Ukrainekrieg hat diese Einschätzung bestätigt. Die offizielle Propaganda, die Nato verteidige Freiheit und Demokratie gegen einen autoritären Aggressor, ist eine durchsichtige Lüge. Der Konflikt wurde von der Nato über Jahre angezettelt und dann massiv eskaliert, um Russland als bedeutende Militärmacht zu zerstören, seine Regierung zu stürzen und Zugang zu seinen gewaltigen Rohstoffen zu bekommen. Die reaktionäre und kurzsichtige Entscheidung von Präsident Putin, die Ukraine militärisch anzugreifen, diente dabei als willkommener Vorwand. Die Ukraine ist in diesem Konflikt ein Spielball, und ihre Bevölkerung dient als Kanonenfutter.
Allein die USA haben in den letzten drei Monaten 53 Milliarden Dollar für den Krieg bewilligt. Hinzu kommen weitere Milliarden und Unmengen an Waffen aus Deutschland und Europa. Die Kosten trägt die Arbeiterklasse – in Form der Gefahr eines dritten, nuklearen Weltkriegs, steigender Preise Arbeitsplatzverlust und sozialen Kürzungen zur Finanzierung der Rüstungsausgaben. Schon jetzt ist es in Sri Lanka und anderen Ländern zu Generalstreiks und Aufständen gekommen.
Die Grünen und ihr Sprachrohr, die taz, reagieren darauf, indem sie noch weiter nach rechts rücken. Am 30. April unterstützte ein kleiner Parteitag der Grünen mit überwältigender Mehrheit die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und das 100-Milliarden-Rüstungsprogramm der Bundesregierung. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck treten in der Regierung am aggressivsten für eine Eskalation des Kriegs und eine Ausweitung der Sanktionen ein.
Die taz unterstützt diese Kriegshysterie, indem sie die Geschichte umschreibt und Artikel veröffentlicht, die man früher nur in obskuren Neonazi-Blättern gefunden hätte.