Der neue Film „Riefenstahl“ von Andres Veiel über die Nazi Propaganda-Filmerin Leni Riefenstahl (1902 – 2003) stößt auf großes Interesse. Er verzeichnet bereits nach wenigen Tagen für einen Dokumentarfilm außergewöhnlich hohe Besucherzahlen. Die Jugendjury der Filmkunstmesse Leipzig (FKM) hat ihn zu einem der relevantesten Filme erklärt. Er sei eine Warnung vor dem, was kommen könnte. Auf der anderen Seite erhält Veiel rechte Morddrohungen.
Veiel konnte sich als erster Filmemacher auf den umfangreichen Nachlass Riefenstahls stützen. Er enthält Dokumente, Briefe, von ihr aufgezeichnete Gespräche und Telefongespräche sowie massenweise Fotos. Unveröffentlichtes Filmmaterial stammt teilweise aus dem Dokumentarfilm „Die Macht der Bilder“ (1992/93) von Ray Müller, der ersten umfangreichen Filmarbeit über Riefenstahl. Da er unter ihrer Kontrolle stand, waren kritischen Tönen Grenzen gesetzt.
Während Riefenstahl der Nachwelt als eine der Schönheit verpflichtete, unpolitische Künstlerin in Erinnerung bleiben wollte, bekräftigt ihr sichtlich sortierter Nachlass, dass sie eine Karrieristin und überzeugte Nationalsozialistin war und es nach dem Krieg blieb. Im Jahr 1965 erinnert ein Kalendervermerk die 62-Jährige daran, bei der Bundestagswahl die NPD, eine Nachfolgepartei der NSDAP zu wählen.
Erklärungen der NPD aus dem Jahr 1965, als sie mit der Partei sympathisierte, illustrieren Riefenstahl faschistische Kontinuität sehr klar: „Man darf die erzieherische Wirkung der Konzentrationslager nicht vergessen, die aus vielen Rotfrontkämpfern und Marxisten anständige Deutsche gemacht hat.“ (Stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Baden-Württemberg, Peter Stöckicht) „Der Arbeiter muss dort eingesetzt werden können, wo er den deutschen Interessen dient. Es geht nicht an, dass bestimmte Verbände den Arbeiter zu Streiks und Arbeitsplatzwechsel ermutigen. Der Arbeiter muss an seinem Platz dem Vaterland dienen.“ (Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes München, Josef Truxa)
Gleich zu Beginn des Films bekräftigt Riefenstahl, dass ihre ästhetischen Vorstellungen frei von Ideologie seien. Kunst sei für sie das Gegenteil von Politik, ihr Sinn für das Schöne komme aus ihrem tiefsten Innern. Veiel weist nach, dass das es nicht möglich ist, dieses „Innere“ vom Gesellschaftlichen zu trennen.
Dass ihr Ideal vom kraftvollen, idealistischen Menschen, bereit und fähig zu außerordentlichen Entbehrungen, mit Naziidealen kompatibel war, fiel bereits in den 20er Jahren dem berühmten Filmregisseur Carl Mayer auf, als er sie in Gebirgsfilmen sah, wo sie barfuß Felsen erklimmt und sich von Schneelawinen überrollen lässt, wie Riefenstahl im Film einräumt.
Sie bezeichnet den Film „Das blaue Licht“ (1932) als Schlüssel zu ihrem Leben. Sie spielt darin die Hauptrolle, ein schönes Naturkind, dem ein märchenhaft blaues Licht in den Bergen die Kraft gibt, ihr schweres Leben zu ertragen. Sie stirbt, als das Licht eines Tages erlischt. Es verkörpere den Verlust ihrer eigenen Ideale in den Nationalsozialismus, erklärt Riefenstahl.
Am Ende der Weimarer Republik ist sie elektrisiert von Hitlers Enthusiasmus. Auf dem Nazi-Parteitag 1934 sei es um „Frieden und Arbeit“ gegangen, nicht um Antisemitismus, betont sie noch später. Die ganze Welt sei von Hitler begeistert gewesen. Veiel konterkariert dies mit Ausschnitten aus Riefenstahls Parteitagsfilm „Triumph des Willens“, die klarstellen: Der „Frieden“ meint auf Rassismus gestützten „Sieg“.
Veiel geht auch Riefenstahls „tiefstem Innern“ nach. Was hat sie früh geprägt? Auffällig ist ihre Streitsüchtigkeit, die rasch zu Entgleisungen führt. Als sie sich beim Dreh durch Ray Müller unter Druck gesetzt fühlt, schreit sie: „Ich lasse mich nicht vergewaltigen.“ Veiel stößt auf ein Leben, das früh von Gewalt und Demütigung geprägt ist. Ihre Kindheit fällt in das gesellschaftliche Klima vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die junge Tänzerin erlebt das soziale Elend der 20er Jahre.
Ein Foto aus dieser Zeit zeigt sie allein als Frau unter Filmkollegen, alles Weltkriegs-Veteranen, die zum Schluss gekommen sind: Nur die Starken überleben. Auf den Straßen Berlins vegetieren Kriegsversehrte.
Als Soldaten ohne Fahne, die ihnen Hitler zurückgegeben habe, beschreibt der ehemalige Jagdflieger Ernst Udet seinen Freundeskreis. Riefenstahl gehört dazu. In einer Passage aus „Triumph des Willens“ appelliert Hitler an die Bereitschaft der deutschen Jugend, Entbehrungen auf sich zu nehmen ohne zusammenzubrechen für das große Ziel der nationalen Befreiung.
Das erfordert starke, gesunde Körper. In „Olympia“ fasziniert Riefenstahl der des US-Sportlers Jesse Owens, der sich wie eine „Wildkatze“ bewegt. Sie dramatisiert filmisch den Kampf der Marathonläufer gegen Erschöpfung, stilisiert das Turmspringen zum schwerelosen Vogelflug. Was soll daran faschistisch sein, fragt sie? Während einer Talkshow 1976 erklärt sie freimütig, einen Film über Behinderte aus ästhetischen Gründen nicht drehen zu können.
Veiels Film macht das Publikum mit dem in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannten Schicksal von Willy Zielke bekannt. Der talentierte Kameramann war der Schöpfer des Prologs aus Riefenstahls „Olympia“, wo er die Skulptur eines antiken Kämpfers zum Leben erweckt. Zielke erlitt nach den Dreharbeiten einen Nervenzusammenbruch und wurde in der Nervenheilanstalt, die eine angebliche Geisteskrankheit diagnostizierte, nach dem Nazi-Gesetz zwangssterilisiert. Riefenstahl, regelmäßig über seinen Zustand informiert, unternahm nichts.
Veiel spekuliert nicht über Vorsätzlichkeit, er zeigt stattdessen mit einem Zitat, wie sehr ihre Vorstellungen vom Schönen und Gesunden denen Hitlers in „Mein Kampf“ entsprechen. „Olympia“ betrachtet Riefenstahl als Höhepunkt ihres Schaffens. Sie schreibt Hitler begeistert vom Erfolg der internationalen mehrwöchigen Premierentour. Dieser schickt ihr Rosen zum Geburtstag nach Italien, wo ihr Film auf der Biennale von Venedig gezeigt und ausgezeichnet wird.
Riefenstahl ist klar auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, auch bei der Naziführung. Wie real ist das von ihr stets betonte schlechte Verhältnis zu Goebbels? In einem unveröffentlichten Interview-Take mit Ray Müller bezeichnet sie es als mehrere „Affären“. Zu ihren Freunden zählt Hitlers Leibarchitekt und spätere Rüstungsminister Albert Speer. Er sei ihr in künstlerischen Fragen ähnlich, so Riefenstahl: idealistisch, kompromisslos.
Der Krieg ist eine scharfe Zäsur. Er erschwert die Suche der nunmehrigen Kriegsberichterstatterin Riefenstahl nach schönen Bildern. Sie erlebt 1939 die Erschießung von Juden im polnischen Konskie. Das Foto mit ihrem entsetzten Gesicht ist bekannt. Aufschlussreich ist der im Nachlass gefundene Brief eines Augenzeugen, der 1952 schreibt, Riefenstahl habe der Anblick der von Soldaten bewachten Juden gestört, die eine Grube aushoben. Sie habe gerufen, sie sollten aus dem Bild weg, was, als „Juden weg“ verstanden, zu Panik, Flucht und Schüssen geführt habe.
Anschließend beschwerte sie sich beim Militär. Nach Aussagen eines Zeugen beanstandete sie dabei vor allem die Zumutung solch chaotischer Arbeitsbedingungen. Sie ließ sich von weiterer Filmarbeit in Polen entbinden. Der fortschreitende Krieg behindert auch das nächste Filmprojekt, den Spielfilm „Tiefland“ nach Motiven der gleichnamigen Oper von Eugen d´Albert, eine von Hitlers Lieblingsopern. Die Uraufführung erfolgt erst 1954 und ist ein Misserfolg.
Nach dem Krieg wird sie immer wieder mit ihrer Rolle im Dritten Reich konfrontiert und führt zahlreiche erfolgreiche Prozesse wegen „Rufschädigung“. Wie anderen Nazis ist der lediglich als Mitläuferin eingestuften Riefenstahl persönliche Schuld an Verbrechen schwer nachzuweisen. Zurücknehmen muss sie die Lüge, sie hätte die Sinti und Roma, Zwangsarbeiter, die sie als Statisten für „Tiefland“ einsetzte, nach dem Krieg gesund wiedergetroffen. Ein großer Teil, darunter etliche Kinder, wurde nachweislich später in Auschwitz ermordet.
Die Gesellschaft der 60er Jahre ist gespalten. Eine historische Aufnahme zeigt, wie Albert Speer 1966 das Gefängnis verlässt. Wie ein Sieger, hofiert von Medien und winkenden Fans. Drei Jahre vorher hatte unter großer Anteilnahme der 1. Auschwitz-Prozess begonnen.
Speer war in Nürnberg als Nazi-Kriegsverbrecher verurteilt worden. In einem der von Riefenstahl später aufgezeichneten Telefongespräche sucht sie seinen Rat für zukünftige Verlags-Verträge. Sie schreibt an ihrer Autobiografie. Die Autobiografie Speers wurde zu einem internationalen Bestseller. Sie freut sich, zu seinen intimsten Freunden zu gehören.
Im weiteren Verlauf des Films leugnet Riefenstahl am Telefon den Holocaust, zweifelt die Existenz von Gaskammern an. Angesichts der ausländerfeindlichen Anschläge 1992 in Rostock erklärt sie, im Dritten Reich habe es Angriffe auf unschuldige Frauen und Kindern nicht gegeben. (Was so zu verstehen ist, dass im Dritten Reich niemand verfolgt wurde, der nicht schuldig war). Sie bringt ihr generelles Misstrauen gegenüber Verfolgten des Naziregimes zum Ausdruck.
Wie in der Nazizeit nutzt sie skrupellos alle sich bietenden Möglichkeiten, um künstlerisch zu arbeiten und im Gespräch zu bleiben. Sie lässt sich von Firmen unterstützen, macht für sie im Gegenzug Werbung, überlässt ihnen Fotos. Sie tauscht sich mit Freund Speer am Telefon über horrende Interviewhonorare aus, stellt Bedingungen für Fernseheinladungen: der Holocaust soll nicht erwähnt werden.
Bedeutsam ist im Film die bereits erwähnte Talkshow von 1976 „Je später der Abend“. Riefenstahl beschwert sich über die vermeintliche Hexenjagd gegen sie, beteuert ihre Unschuld und erklärt wieder einmal, dass die deutsche Bevölkerung allgemein begeistert von Hitler gewesen sei.
Eingeladen war auch eine ehemalige Hamburger Arbeiterin, Elfriede Kretschmar, die ihr heftig widerspricht. Jeder, der in einer Großstadt lebte, habe gewusst, was Hitler bedeute und was ein KZ sei. (Es lohnt sich die ganze Sendung auf Youtube zu sehen). Kretschmar erwähnt, dass die Hamburger Arbeiter frühzeitig von KZs wussten, weil viele ihre Brutalität als Inhaftierte selbst kennengelernt hatten.
Dass die historische Lüge von der nationalen deutschen Verantwortung zum politischen Kanon jeder bundesdeutschen Regierung gehörte, erleichterte Riefenstahl ihr freches, öffentliches Auftreten ungemein.
Die aktuelle internationale Entwicklung bestätigt erneut, dass der Faschismus dazu dient, die arbeitende Bevölkerung zu unterdrücken. So kriminalisiert der argentinische Präsident Milei, der kürzlich vom deutschen sozialdemokratischen Bundeskanzler Scholz herzlich empfangen wurde, soziale Proteste und verbietet Streiks. In Riefenstahls faschistischem Propagandafilm „Triumph des Willens“ sind Arbeiter keine nationalen Nestbeschmutzer mehr, die die einheimische Wirtschaft bestreiken. Sie treten in Reih und Glied an, um als nationale Rasse „artgerecht“ deutschen Interessen zu dienen.
Der sehenswerte Film macht die gefährlichen Parallelen zwischen der Gegenwart und den Jahren vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sichtbar, als Hitlers Diktatur auf internationale Sympathie stieß.
Im nachfolgenden Publikumsgespräch bekräftigte Andres Veiel die Aktualität seines Films. Riefenstahls Bilder seien inzwischen aus der Popkultur in die Politik zurückgekehrt. Wieder gebe es Bilder von „dressierten Soldaten“. Die Hetze Trumps gegen Migranten, die das amerikanische Blut verseuchten, entspreche klar der rassistischen Nazi-Hetze in „Triumph des Willens“.