Dies ist der zweite und letzte Teil. Der erste Teil der Serie erschien am 22. Januar 2022.
Viele bereits bestehende Flüchtlingslager in Griechenland werden jetzt verstärkt und aufgerüstet. Ein im Mai veröffentlichter Al Jazeera-Artikel enthüllte, dass „graue, drei Meter hohe Mauern um das Flüchtlingslager Ritsona in der Nähe von Athen gebaut werden und es Pläne gibt, Mauern um weitere 24 Lager auf dem griechischen Festland zu errichten“.
Die Journalisten vom Rechercheprojekt „Das neue Moria“ verweisen auf die Vorgabe der EU-Menschenrechtsagentur, dass jedes Lager für Migranten „so geplant werden sollte, dass sich Asylbewerber innerhalb des Lagers frei bewegen und kommen und gehen können (wenn nötig, erleichtert durch öffentliche Verkehrsmittel)“. Sie kommentieren: „Die Realität: Das Lager kann mit einer Chipkarte in der Zeit von 08:00 bis 20:00 Uhr verlassen werden. Jedoch nicht immer. Menschen berichten uns, dass ihnen oft der Weg versperrt werde. Es gäbe zwar einen Bus, doch ist dieser im Vergleich zur monatlichen Unterstützungszahlung sehr kostspielig. Genau: 1,60 Euro pro Fahrt in die nächste Stadt. Die Menschen bekommen jedoch nur 75 Euro pro Monat.“
„Kinder sollten keinen gefängnisähnlichen Zäunen ausgesetzt sein und keine Gewalt miterleben“, erklärt die EU-Agentur weiter, aber wie die Journalisten feststellen: „Die Realität: Spitze Zacken auf dem Maschendraht, der auch um den Spielplatz gespannt ist.“
Die Autoren der Website zählen eine Reihe von Überwachungstechnologien auf, die in den Insellagern eingesetzt werden, darunter „112 Kameras für das Gelände, 55 Drehkreuze mit Chipkarten, 20 Kameras mit Bewegungsanalyse, 94 Kameras für Ein- und Ausgänge“. In einer Tabelle werden die Kameras in der Kategorie „Verhaltensanalyse“ gelistet.
Auf Inseln und Festland befinden sich 473 Kameras des „Perimeter Structure Protection Subsystem“ sowie 473 Lautsprecher.
Die Insellager werden außerdem von sieben Drohnen überwacht, in Nord- und Südgriechenland sind es je 16 – insgesamt 39 Drohnen.
Die „Nationale Migrationsstrategie 2020–21“ Griechenlands wäre vielleicht nie bekannt geworden, wenn nicht ein Journalist sie erhalten und veröffentlicht hätte.
In der PowerPoint-Präsentation wird auch ein anderes System namens „Hyperion“ erwähnt, das ein Zwei-Faktor-Authentifizierungsverfahren zur Kontrolle der Ein- und Ausreise von Lagerinsassen und NGO-Mitarbeitern einsetzt. Aus der Präsentation geht hervor, dass die geschlossenen Hafteinrichtungen auf den Inseln von einem „doppelten Zaun im NATO-Stil“ umgeben sein werden, wobei „jeder einzelne Zaun durch eine sechs Meter breite Straße getrennt ist“.
Im Dezember erschien im Guardian ein Rechercheartikel, der weitere Einzelheiten zur Antiflüchtlingsoffensive der EU und Griechenlands liefert. In dem Artikel „Fortress Europe: the millions spent on military-grade tech to deter refugees“ (Festung Europa: Millionen fließen in militärische Technologie zur Abschreckung von Flüchtlingen) heißt es:
„Griechenland setzt entlang seiner Landgrenze zur Türkei Wärmebildkameras und Sensoren ein und überwacht die Daten von Einsatzzentralen aus, etwa in Nea Vyssa, wo sich die griechische, türkische und bulgarische Grenze kreuzen. Auf der gleichen Strecke setzte Griechenland im Juni eine auf einem Fahrzeug montierte Schallkanone ein, die ohrenbetäubende Knallgeräusche von bis zu 162 Dezibel abgibt, um die Menschen zur Umkehr zu zwingen.“
Einige der raffiniertesten und modernsten Technologien werden eingesetzt, um verzweifelte Menschen, die aus Kriegsgebieten und vor diktatorischen Regimen fliehen, zu überwachen und an der Einreise in die EU zu hindern.
„Flüchtlinge und Migranten, die versuchen, auf dem Land- oder Seeweg in die EU zu gelangen, werden aus der Luft überwacht. Grenzbeamte setzen auf dem Balkan Drohnen und Hubschrauber ein, während Griechenland an seiner Grenze zur Türkei Luftschiffe nutzt. Das teuerste Gerät ist die Langstrecken-Drohne Heron, die über dem Mittelmeer eingesetzt wird.
Frontex vergab im vergangenen Jahr einen 100-Millionen-Euro-Auftragfür die Drohnen Heron und Hermes, die von zwei israelischen Rüstungsunternehmen hergestellt werden und beide vom israelischen Militär im Gazastreifen eingesetzt wurden. Die Drohnen können mehr als 30 Stunden lang in einer Höhe von 10.000 Metern fliegen und senden fast in Echtzeit Daten an die Frontex-Zentrale in Warschau.“
Was gegen Migranten und Flüchtlinge unternommen wird, erinnert an die Polizeistaatsmethoden der Nazis, nur dass die Gestapo fast dilettantisch wirkt, wenn man sie mit der aufwendigen Jagd der EU auf Flüchtlinge vergleicht. Der Guardian berichtet: „Die EU-Luftstreitkräfte werden am Boden von Sensoren und Spezialkameras begleitet, die die Grenzbehörden in ganz Europa einsetzen, um Bewegungen zu erkennen und versteckte Personen aufzuspüren. Dazu gehören mobile Radargeräte und Wärmebildkameras, die an Fahrzeugen angebracht sind, sowie Herzschlagdetektoren und CO2-Monitore, die dazu dienen, Anzeichen von Personen zu erkennen, die sich in Fahrzeugen verstecken.“
Der französische Innenminister Gérald Darmanin besuchte das Lager auf Samos im Oktober 2021 und twitterte danach ein Video, in dem ein massiver Stacheldrahtzaun zu sehen ist. Über dem Eingang steht „Closed Controlled Access Center of Samos“. Darmanin konnte sich nicht zurückhalten und fügte hinzu: „Wir wollen, dass das griechische Modell auch in anderen Mittelmeerländern wie Italien, Spanien und Malta angewandt wird.“ Er schwärmte: „Dieses beeindruckende Lager wurde als Wartezentrum konzipiert und ermöglicht es den Griechen, ihre Grenzen gut zu halten.“
Priti Patel, die Innenministerin der britischen Regierung, die derzeit einige der drakonischsten Anti-Einwanderungsgesetze der Welt durchsetzt, lässt sich ebenfalls von den griechischen EU-Lagern inspirieren. Im August traf Patel während eines zweitägigen Besuchs in Griechenland mit Migrationsbeamten in Athen zusammen und ging mit der Küstenwache vor Samos auf Patrouille, um sich ein Bild von den Methoden zu machen, mit denen kleine Boote an der Überfahrt gehindert werden. Sie besuchte auch das in Kürze in Betrieb gehende Lager auf der Insel. Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis twitterte Fotos vom Besuch von Patel.
Die konservative britische Zeitung Telegraph schrieb in einem Artikel im November: „Priti Patel plant ein hartes Durchgreifen gegen Migranten nach griechischem Vorbild, mit neuen Beschränkungen für Asylbewerber inmitten einer eskalierenden europäischen Krise.
Migranten aus dem Ärmelkanal, die in den neuen Aufnahmezentren des Vereinigten Königreichs untergebracht sind, müssen sich an strenge Regeln halten oder riskieren, ihr Recht auf Asyl zu verlieren.
Die Innenministerin plant, die Zentren nach dem Vorbild der von Griechenland errichteten Asylbewerberlager zu gestalten, in denen die Migranten routinemäßig kontrolliert und Ausgangssperren verhängt werden, um eine Flucht zu verhindern.“
Der Bericht berief sich eine „britische Regierungsquelle“, die sagte: „Wenn sie gegen die Regeln verstoßen, könnte sich das auf ihren Asylantrag auswirken... Man würde ihnen sagen, dass sie zu einer bestimmten Uhrzeit hier sein müssen. Das sind faire Regeln für den Ablauf, wenn man Essen und Unterkunft zur Verfügung stellt. Die Griechen haben so etwas wie Zeitvorgaben.“
In den letzten zehn Jahren wurden an zahlreichen Grenzen Europas unüberwindbare Absperrungen errichtet. In einem weiteren Bericht über die Festung Europa stellte der Telegraph fest: „32 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer sind an Europas Grenzen 1.800 Kilometer Mauern und Zäune errichtet worden oder im Bau. Das entspricht fast 12 neuen Berliner Mauern...“
Riesige finanzielle Mittel werden dafür aufgewendet, um wenige Tausend verzweifelte und schutzbedürftige Menschen fernzuhalten, die aus ihren verwüsteten Heimatländern fliehen. In jahrzehntelangen Kriegen und imperialistischen Interventionen, bei denen die EU-Mächte eine zentrale Rolle gespielt haben, wurde diese Länder zerstört.
Der Telegraph schildert: „Neben den Mauern gibt es auch weitere Verstärkungen für die Festung. Frontex, die EU-Grenzschutzbehörde und Küstenwache, wächst rasant. Frontex wurde 2005 mit einem Budget von 6 Millionen Euro gegründet“, das bis 2027 auf 543 Millionen Euro steigen wird. „Die Zahl der Mitarbeiter wird sich im gleichen Zeitraum versiebenfachen.“
Die ungeheuerliche Verfolgung von Flüchtlingen und Einwanderern in Europa ist ein internationales Phänomen. Die imperialistischen Großmächte leiten überall die Grausamkeiten an. Der globale Charakter dieses Kriegs gegen die schwächsten und ärmsten Teile der internationalen Arbeiterklasse zeigt, dass er ein Produkt der Krise des kapitalistischen Weltsystems ist.
Die griechischen Internierungslager sind ein Verbrechen. Im Zuge des Ausbaus der Festung Europa bilden sie einen wesentlichen Baustein der Polizeistaats- und Überwachungspolitik, die sämtliche Regierungen jeder politischer Couleur in Europa betreiben. Die Technologien werden bereits gegen die Arbeiterklasse eingesetzt und in Zukunft noch öfter und brutaler zur Anwendung kommen.
Die Arbeiterklasse muss ihre kollektive Kraft gegen die diktatorische Agenda der EU und ihrer Regierungen mobilisieren und sich der anhaltenden und unerbittlichen Verfolgung von Flüchtlingen und Migranten entgegenstellen.
Die Aufteilung des Kontinents in konkurrierende Nationalstaaten und die Aufrüstung der Grenzen mit Stacheldrahtzäunen und Betonmauern können nur beendet werden, wenn die Arbeiterklasse die Superreichen, Banken und Konzerne enteignet und die Wirtschaft auf einer sozialistischen Grundlage neu organisiert. Das ist die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa, für die das Internationale Komitee der Vierten Internationale kämpft.