Der sprunghafte Anstieg der Infektionszahlen in Deutschland zeigt, dass die „Omikron-Wand“ von Infektionen jetzt auch in Deutschland angekommen ist. Von 45.690 Infektionen am Dienstag verdoppelte sich die Zahl der Infektionen nahezu auf 80.430 am Mittwoch – der bis dahin höchste Wert in der Pandemie. Am Freitag wurde mit 92.223 Infektionen ein weiterer trauriger Rekord aufgestellt.
Die 7-Tage-Inzidenz hat sich seit Beginn des Jahres ebenfalls mehr als verdoppelt. Lag sie Anfang des Jahres noch bei 207, schnellte sie in weniger als zwei Wochen auf 427 nach oben. In Bremen liegt sie bereits bei 1.427 und in Berlin bei 950.
Tatsächlich liegen die offiziellen Zahlen aber weit unter dem wirklichen Infektionsgeschehen. Bereits Ende letzten Jahres gab Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu Protokoll, dass die tatsächlichen Zahlen zwei bis dreimal so hoch sind, wie die erfassten. Aktuell liegt der Anteil positiv getesteter Personen bei etwa 23 Prozent, was auf eine massive Dunkelziffer hindeutet.
Auch die Testlabore stoßen an ihre Grenzen. Michael Müller, Vorsitzender des Verbands Akkreditierte Labore in der Medizin, erklärte am Donnerstag der Rheinischen Post: „Die hohen Infektionszahlen gehen mit vielen Tests einher. Weil derzeit kaum priorisiert wird bei PCR-Tests, stoßen die Labore in Deutschland zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen.“ Besonders für Kranke und Krankenhäuser sei das kritisch.
Anstatt darauf mit einem Ausbau der Testkapazitäten zu reagieren, plant die Bundesregierung noch eingeschränkter und priorisiert zu testen. Der Leiter des Corona-Krisenstabs der Bundesregierung, Generalmajor Carsten Breuer, sagte am Donnerstag der Süddeutschen Zeitung: „Wir werden mit Sicherheit wie bei allen knappen Ressourcen Kapazitäten bündeln müssen, wo es erforderlich ist. Das gilt auch für Tests.“
Die aktuelle Wand von Corona-Infektionen in ganz Europa wird durch die hoch ansteckende Omikron-Variante beschleunigt, die auch in Deutschland bereits 73 Prozent des Infektionsgeschehens ausmacht – in Bremen sogar 96 Prozent. Aufgrund des Zeitverzugs beim Sequenzieren und der rasanten Ausbreitung von Omikron liegt der tatsächliche Anteil aber deutlich darüber.
Der Infektionsanstieg ist so rasant, dass der Direktor der WHO für Europa Dr. Hans Kluge am Dienstag warnte, „dass sich mehr als 50 Prozent der Bevölkerung der Region in den kommenden sechs bis acht Wochen mit Omikron angesteckt haben werden.“ Das würde eine massive Überflutung der ohnehin bereits überlasteten Krankenhäuser in ganz Europa zur Folge haben und die Todeszahlen noch schneller nach oben treiben.
In Frankreich, wo bereits fast drei Viertel der Bevölkerung zwei Impfungen erhalten haben, sind bereits jetzt 23.371 der 3,4 Millionen aktiven Fälle hospitalisiert und 3.969 benötigen lebenserhaltende Maßnahmen. Auf ganz Europa hochgerechnet würde das in den nächsten zwei Monaten fast drei Millionen Menschen in Krankenhäusern bedeuten, von denen eine halbe Million lebenserhaltende Maßnahmen benötigen würden.
Auch in Deutschland steigt die Zahl der Hospitalisierten und Toten an. Allein in den letzten drei Tagen wurden insgesamt 3.000 Menschen hospitalisiert und 1.000 sind gestorben. Die Zahl der intensiv behandelten Patienten liegt bei 3050, während es weiterhin zu regionalen Kapazitätsengpässen kommt.
Wie die Aussagen der WHO und die Zahlen in Frankreich und weltweit verdeutlichen, drohen die Krankenhäuser unter einer Flut von Hospitalisierungen zusammenzubrechen, wenn nicht sofort weitreichende Lockdown-Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden. Dies lehnen die kapitalistischen Regierungen aller Couleur vehement ab.
In Deutschland setzt die Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen die „Profite vor Leben“-Politik, die bereits zu mehr als 115.000 Toten geführt hat, unbeirrt fort. Das unterstrichen Lauterbachs Rede am Donnerstag im Bundestag und sein gemeinsamer Presse-Auftritt mit RKI-Chef Lothar Wieler und dem Charité-Virologen Christian Drosten am Freitag.
Obwohl Lauterbach jeweils auf die hohen Opferzahlen verwies und vor der Entstehung von noch ansteckenderen Varianten warnte, machte er keinerlei Ankündigungen für wirksame Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Im Wesentlichen bestanden seine Auftritte aus der zynischen Behauptung, Deutschland sei „im Vergleich zu anderen europäischen Ländern... besser durch die Pandemie gekommen“ und dem Appell, sich impfen zu lassen.
Tatsächlich sind Impfungen ein wichtiges Werkzeug zur Bekämpfung der Pandemie und können als Teil einer Strategie zur Ausrottung des Virus bedeutende Erfolge erzielen. Unabhängig von allen anderen notwendigen Maßnahmen – Lockdowns, Massentests und Kontaktverfolgung – kann es jedoch keine nennenswerten Auswirkungen haben, um die Pandemie einzudämmen. Das hat sich mit der Omikron-Mutation weiter bestätigt.
Eine Strategie, die ausschließlich auf das Impfen setzt, beschwört vielmehr die Entstehung neuer, noch ansteckenderer Viren-Mutanten herauf. Bereits bei Omikron ist eine dritte Booster-Impfung und eine Anpassung der Impfstoffe notwendig. Hat das Virus freien Lauf, ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine weitere Mutation den Impfschutz komplett unterläuft.
Lauterbachs Behauptung, das Coronavirus könne „zu einem endemischen Virus mit geringer Sterblichkeit“ werden, entspricht im Wesentlichen der Strategie der „Herdenimmunität“, die bereits zu Beginn der Pandemie ganz offen von der extremen Rechten vertreten wurde. Mittlerweile wird sie von allen Regierungen in Europa – egal ob nominell links oder rechts – umgesetzt.
Gerade die Omikron-Variante zeigt, dass das Virus nicht in Richtung „milderer“ Formen mutiert, sondern im Gegenteil von Mutation zu Mutation noch ansteckender und resistenter gegen Impfstoffe wird. Selbst eine leicht niedrigere Mortalität des Virusstamms hat keine „milden“ Auswirkungen bei einer derart großen Infektiosität.
Lauterbach, Drosten und Wieler erklärten am Freitag zwar, dass es verfrüht sei, „das Virus laufen zu lassen“ (Drosten), aber in Wirklichkeit findet die Durchseuchung der Bevölkerung längst statt. Insgesamt haben sich in Deutschland fast acht Millionen Menschen infiziert – davon etwa drei Millionen in den vergangenen zwei Monaten, seitdem die Ampel-Koalition die Regierungsgeschäfte übernommen hat.
Bereits die erste Maßnahme der Ampelparteien bestand in der Beendigung der „epidemischen Notlage“ und damit der rechtlichen Grundlage für landesweite Lockdowns. Auch Lauterbach stimmte für die Aufhebung und sprach sich seitdem immer wieder gegen die Schließung von Schulen und Betrieben aus. Die jüngste Verkürzung der Quarantäne-Zeit zielt darauf ab, die kapitalistische Profitwirtschaft auch unter Bedingungen der massenhaften Durchseuchung aufrechtzuerhalten.
Die Bundestagsdebatte am Donnerstag und Freitag ließ keinen Zweifel daran, für welche Interessen die Ampel-Koalition über Leichen geht. Finanzminister Christian Lindner (FDP) erklärte, die Regierung arbeite daran, „zum Regelfall der Schuldenbremse des Grundgesetzes zurückzukehren“. Es sei das „Ziel, die deutsche Schuldenquote zu reduzieren“. Mit anderen Worten: die Ampel bereitet heftige soziale Angriffe vor.
Gleichzeitig soll das Militär massiv aufgerüstet werden. „Wir müssen die Verteidigungsausgaben weiter erhöhen. Wir brauchen dieses Geld, um unsere Truppe mit der nötigen Ausrüstung auszustatten“, erklärte die sozialdemokratische Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. „Helikopter, die nicht fliegen, und Geschütze, die ihr Ziel verfehlen“, seien „lange verspottet worden“. Sie wolle „den Einkauf so weit wie möglich modernisieren.“
Gegen die aggressive Politik der sozialen Angriffe und des Militarismus und die Weigerung der Regierungen, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens der Bevölkerung zu ergreifen, wächst weltweit der Widerstand.
In den USA weigern sich zehntausende Lehrer und Schüler, in den Präsenzunterricht zurückzukehren, um ihre Gesundheit und die ihrer Familien zu schützen. In Frankreich legte am Donnerstag eine landesweiter Lehrerstreik das Schulsystem lahm. In Griechenland haben Schüler mehr als 250 Schulen besetzt, um ihrer Forderung nach Sicherheit in der Pandemie Ausdruck zu verleihen. In Deutschland zeigt der Protest der Schülerin Yasmin aus Hagen gegen unsicheren Präsenzunterricht die wachsende Opposition gegen die Durchseuchungspolitik.
Im Kampf gegen die Pandemie stehen die Gewerkschaften auf der anderen Seite der Barrikaden. In Deutschland tritt die GEW vehement für den Präsenzunterricht ein und unterstützt selbst die neuen Quarantäne-Richtlinien von Bund und Ländern. Lehrer sollen der GEW zufolge sogar dann Unterricht erteilen, wenn sie sich in Quarantäne befinden.
„Der Widerstand gegen die Masseninfektion kann nicht durch diese verrotteten Organisationen organisiert werden“, heißt es im aktuellen Aufruf des Netzwerks der Aktionskomitees für sichere Bildung. „Für einen breiteren Kampf gegen unsichere Schulen muss diese unabhängige, internationalistische Bewegung auf die gesamte Arbeiterklasse ausgedehnt werden. Sie muss die Rettung von Menschenleben und nicht die Sicherung von Profiten in den Mittelpunkt stellen.“
Am 18. Januar um 19:00 Uhr findet ein Dringlichkeitstreffen des Netzwerks statt, um auf dieser Grundlage den Widerstand gegen die Durchseuchungspolitik zu organisieren und voranzutreiben. Registriert euch hier für das Treffen und informiert auch Freunde, Kollegen und Bekannte.
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