Profit vor Leben: Bund und Länder verkürzen Quarantänezeit trotz Omikron

Die herrschende Klasse reagiert auf die explosive Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante nicht mit den notwendigen Schutzmaßnahmen, sondern mit einer Verschärfung der Durchseuchungspolitik. Das unterstreichen die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz von Bund und Ländern (MPK) am 7. Januar.

Im Zentrum des Treffens stand die Entscheidung, die Quarantäne-Zeit für infizierte Personen zu verkürzen. Dem offiziellen Beschlusspapier der MPK zufolge sollen Betroffenen bei Infektion oder Kontakt zu einem Infizierten nun nur noch für zehn, sieben oder fünf Tage in Isolation. Zuvor betrug die offizielle Quarantänezeit 14 Tage.

Verfügen Infizierte über einen negativen PCR-Test oder „hochwertigen Antigentest“, können Betroffene schon nach sieben Tagen aus der Quarantäne entlassen werden.

Mitarbeiter in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe dürfen sogar schon nach fünf Tagen aus der Quarantäne oder Isolation entlassen werden, wenn sie einen negativen PCR-Test vorlegen und 48 Stunden symptomfrei waren. Auch Kinder dürfen mit einem negativen Test bereits nach fünf Tagen aus der Quarantäne entlassen werden. Geboosterte müssen nach dem Kontakt zu einer infizierten Person nicht mehr in Quarantäne.

Die Bestimmungen widersprechen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen und werden dazu führen, dass reihenweise kranke, ansteckende Personen zur Arbeit und in die Schule zurückkehren. Es steht fest, dass Infizierte deutlich länger als zehn Tage nach Symptombeginn ansteckend sein können. Genauso ist bekannt, dass Infizierte das Virus auch dann übertragen können, wenn sie keine Symptome zeigen. Auch Geboosterte können sich oder andere bei Impfdurchbrüchen infizieren.

Hinzu kommt, dass PCR-Tests und vor allem Antigentests falsch-negativ sein können. Zudem deutet nichts darauf hin, dass die offiziell vorgesehenen Tests überhaupt konsequent durchgeführt werden. Lehrer und Schüler berichten immer wieder davon, dass positiv Getestete von den Gesundheitsämtern zurück an die Schule geschickt werden.

Die Behauptung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Pressekonferenz nach der MPK, es würden alle „notwendigen Maßnahmen“ gegen die Pandemie ergriffen, ist eine dreiste Lüge. Die einzige – und völlig unzureichende – Einschränkung, die die Ampel-Koalition im Bund und die 16 Landesregierungen gestern auf den Weg brachten, ist eine 2G-plus-Regelung für die Gastronomie ab dem 15. Januar. Einen umfassenden Lockdown, der notwendig wäre, um die Omikron-Welle zu stoppen und die Pandemie insgesamt einzudämmen und zu eliminieren, lehnen alle Regierungsparteien vehement ab.

Die getroffenen Maßnahmen zielen explizit darauf ab, die Schulen und Betriebe unter allen Bedingungen offen zu halten. Bereits am Tag vor der MPK hatten die Kultusminister der Länder in einem Papier „eine Überarbeitung der Quarantäneregeln für Schülerinnen und Schüler und das schulische Personal“ gefordert. „Die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs“ sei „systemrelevant und darüber hinaus eine Grundlage für die Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit anderer Kritischer Infrastrukturen.“

Auf der Pressekonferenz mit Scholz äußerte sich die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), ähnlich. Man habe sich „dazu bekannt, die Schulen offen zu halten, um die Versorgung in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Menschen brauchen gute Kinderbetreuung, damit sie ihrer Arbeit nachgehen können, und deswegen ist es wichtig, dass wir hier den Schulbetrieb aufrechterhalten“.

Giffey sprach offen aus, dass der mörderische Durchseuchungskurs von allen Regierungsparteien – SPD, Grüne, FDP, CDU/CSU und Linkspartei – unterstützt wird. Die Frage der Schulschließungen habe im Beschluss „gar nicht mehr zur Debatte“ gestanden, „weil es eine Selbstverständlichkeit ist, dass wir uns an dieser Stelle verständigt haben“, erklärte sie.

Die Rückkehr in die unsicheren Schulen nach den Weihnachtsferien wird auch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt. Am Tag vor der MPK signalisierte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern in einem Tweet ihre Unterstützung für die Quarantäne-Pläne der Bundesregierung. Wenn dies der Expertenrat der Bundesregierung empfehle, könne die GEW „das mittragen“.

In seiner Dreikönigsrede am 6. Januar brachte Finanzminister Christian Lindner (FDP) den im Kern faschistischen Charakter der Politik der herrschenden Klasse auf den Punkt: „Der Schutz der Gesundheit“ sei „ein hohes Gut, aber das höchste Gut unserer Verfassung, das ist und bleibt die Freiheit“, erklärte er im Stil der rechtsextremen AfD.

Es klar, von welcher Freiheit Lindner spricht. Der Freiheit der Banken und Großkonzerne, sich am Tod und Leiden von Millionen von Arbeitern und ihren Familien zu bereichern. Für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Profitmaximierung geht die herrschende Klasse seit Ausbruch der Pandemie über Leichen. Bereits jetzt sind weltweit offiziell etwa 5,5 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben – davon mehr als 1,5 Millionen in Europa und über 113.000 in Deutschland. In der gleichen Zeit sind die Aktienkurse und die Vermögen der Superreichen regelrecht explodiert.

Die Ampel-Koalition war von Anfang gewillt, diese Klassenkriegspolitik fortzusetzen. Ihre erste Amtshandlung bestand darin, die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ zu beenden und damit die rechtliche Grundlage für einheitliche landesweite Schutzmaßnahmen zu beseitigen. Damit beschwört sie eine immer größere Katastrophe herauf.

Der Covid-19-Expertenrat der Bundesregierung warnt in seiner zweiten Stellungnahme vom 6. Januar vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems:

Ein hohes Patientenaufkommen kombiniert mit akutem Personalmangel kann innerhalb von kurzer Zeit die allgemeine medizinische Versorgung in Deutschland gefährden. Alle medizinischen und pflegerischen Versorgungseinrichtungen müssen sich für die kommenden Wochen auf eine erhebliche Belastungssituation einstellen.

Das Papier weist darauf hin, dass die vermeintlich „milderen Krankheitsverläufe“ von Omikron-Infektionen gegenüber der Delta-Variante durch die „starke Infektionsdynamik und die damit verbundene hohe Zahl von parallel auftretenden Erkrankungen“ aufgewogen würden. Die „sehr hohen Fallzahlen in einzelnen europäischen Staaten und in den USA“ führten „derzeit zu einem deutlichen Anstieg der Krankenhausaufnahmen“.

Tatsächlich ist die Situation in den USA und vielen europäischen Nachbarländern völlig außer Kontrolle. In den Vereinigten Staaten gibt es seit einer Woche durchschnittlich mehr als 600.000 Neuinfektionen, die Krankenhäuser stehen vor dem Kollaps. Besonders besorgniserregend ist der rapide Anstieg der Hospitalisierungen unter Kindern. Gleichzeitig entwickelt sich der Widerstand. In zahlreichen Schulbezirken – darunter die Millionenmetropole Chicago – weigern sich Lehrer, in den Präsenzunterricht zurückzukehren, um ihre Gesundheit und die ihrer Schüler und Familien zu schützen.

Wie explosiv sich Omikron ausbreitet, zeigt auch die Entwicklung in West- und Südeuropa und in Skandinavien. In Dänemark beträgt die 7-Tage-Inzidenz aktuell 2334, in Großbritannien 1865. In Frankreich, wo sich Omikron über die Feiertage zur vorherrschenden Variante entwickelte, liegt die Inzidenz mittlerweile bei 2142. Am Freitag meldete Paris einen neuen Rekordwert mit 262.787 Neuinfektionen.

Ähnlich dramatisch ist die Entwicklung in Italien. Dort hat sich die 7-Tage-Inzidenz innerhalb einer Woche mehr als verdoppelt. Am Freitag meldete das Oberste Gesundheitsinstitut ISS in Rom durchschnittlich 1646 Coronafälle je 100.000 Einwohner. In der Vorwoche hatte der Wert noch bei 780 gelegen.

Auch in Deutschland breitet sich Omikron rasant aus. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts gehen im Bundesschnitt mittlerweile 44,3 aller Neuinfektionen auf Omikron zurück. In acht Bundesländern in Nord- und Westdeutschland ist die Variante bereits dominant. Im rot-rot-grün regierten Bremen, wo Omikron bereits 85,5 aller Ansteckungen ausmacht, liegt auch die 7-Tage-Inzidenz mit knapp 800 am höchsten. Bundesweit meldete das RKI am Freitag 56.335 Neuinfektionen und einen Anstieg der 7-Tage-Inzidenz auf 303.

Die wirklichen Zahlen liegen bereits jetzt um ein Vielfaches höher. Zwischen den Jahren erklärte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), dass die tatsächlichen Daten „derzeit vermutlich zwei bis drei Mal so hoch [sind] wie die Inzidenz, die wir erfassen“.

Um die Omikron-Welle zu stoppen und die Entstehung noch gefährlicher Varianten zu verhindern, muss die Arbeiterklasse ins politische Geschehen eingreifen. Sie muss sich in unabhängigen Aktionskomitees organisieren und einen Kampf für die Beendigung der Pandemie aufnehmen, der auf den Grundsätzen beruht, die die Sozialistische Gleichheitspartei in ihrem Offenen Brief an die Arbeiterklasse formuliert hat:

  1. Die derzeitige Politik der „Herdenimmunität“, die eine grenzenlose Ausbreitung von Covid-19 in der Bevölkerung zulässt, muss abgelehnt werden. Stattdessen ist die Umsetzung einer neuen Strategie erforderlich, die auf die Eliminierung und Ausrottung von SARS-CoV-2 ausgerichtet ist.
  2. Die Eindämmungsmaßnahmen müssen sich an den Erfordernissen der öffentlichen Gesundheit orientieren. Der Schutz des menschlichen Lebens und die Sicherheit der Bevölkerung müssen absoluten und unbedingten Vorrang vor allen finanziellen Interessen der Unternehmen haben. Die Kosten der Pandemiebekämpfung – einschließlich der Zahlung von Löhnen und Gehältern, der Entschädigung von Kleinunternehmern, der umfassenden medizinischen Versorgung der Erkrankten und der Zahlungen an die Hinterbliebenen – müssen von den Unternehmen getragen werden. Außerdem braucht es eine 100-prozentige Steuer auf die Pandemiegewinne, die Großinvestoren durch den Anstieg der Aktienkurse erzielt haben.
  3. Der Kampf gegen die Pandemie muss auf globaler Ebene geführt werden. Die Pandemie kann nur gestoppt werden, wenn SARS-CoV-2 in allen Ländern eliminiert wird. Arbeiter in Deutschland und ganz Europa müssen fordern, dass ihren Kollegen in den weniger entwickelten Ländern die erforderlichen Impfstoffe kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

Die Umsetzung dieses Programms erfordert einen Kampf gegen das kapitalistische Profitsystem und eine klare internationale sozialistische Strategie und Perspektive.

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