Streik an Berliner Vivantes-Klinik: Kluft zwischen Beschäftigten und Berliner Senatsparteien wächst

Mehrere Hundert Beschäftigte der Tochterunternehmen des Berliner Klinikunternehmens Vivantes streikten am Freitag erneut für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen.

Seit Jahren wächst der Arbeitsdruck in den Berliner Kliniken bis ins Unerträgliche. Die Wut über diese Zustände kam auf der Streikkundgebung deutlich zum Ausdruck. Die Teilnehmer unterbrachen die Reden der um Besänftigung bemühten Vertreter der Senatsparteien (SPD, Linke und Grüne) immer wieder durch kritische Zwischenrufe.

Die Gewerkschaft Verdi setzt alles daran, dem Ärger und der Kampfbereitschaft durch Protestaktionen ein Ventil zu geben und gleichzeitig jede Eigeninitiative zu unterbinden, indem sie die Beschäftigten mit Versprechungen und wohlfeilen Parolen auf Verhandlungen zwischen Geschäftsführung und Gewerkschaft vertröstet.

Gewerkschaftssekretär Ivo Garbe eröffnete die Kundgebung mit einem Verweis auf die Verhandlungen zwischen Geschäftsführung, Betriebsrat und Verdi am kommenden Donnerstag. Er forderte eine klare Zusage vom Berliner Senat zur Refinanzierung des Klinikums, falls die Kosten der Lohnerhöhung nicht durch das Unternehmen getragen werden könnten.

„Finden wir keine Einigung, keine Lösung, dann gehen wir, wie es aussieht, in den unbefristeten Streik“, verkündete Garbe unter dem Jubel der Demonstranten, die so ihre Kampfbereitschaft unterstrichen.

Vivantes wurde im Jahr 2001 gegründet und befindet sich zu 100 Prozent im Besitz des Landes Berlin, wird aber nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen, also profitorientiert, geleitet. Nach der Wiedervereinigung der Stadt hatte der Berliner Senat das Gesundheitswesen des Landes als „überversorgt“ eingestuft, Krankenhäuser geschlossen und in den Folgejahren über 4000 Beschäftigte entlassen.

Der rot-rote Senat von SPD und Linkspartei (damals noch PDS) sorgte dafür, dass ab dem Jahr 2002 ganze Bereiche in Tochtergesellschaften ausgegliedert wurden, deren Beschäftigte nicht mehr nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt werden. Betroffen waren unter anderem die Versorgung mit Speisen, Wäsche und andere Servicearbeiten, einschließlich der Rehabilitation von Patienten.

Die Beschäftigten der Tochterunternehmen sind bestens vertraut mit der Geschichte dieses „Sanierungskonzepts“, das auf ihrem Rücken ausgetragen wurde. Im damaligen Sanierungstarifvertrag „TV Zukunft“ wurden Gehaltssteigerungen, Weihnachts- und Urlaubsgeld gestrichen. Dafür wurde der Verzicht auf „betriebsbedingte Kündigungen“ versprochen.

Als der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, auf der Kundgebung das Wort ergriff, wurde er mehrmals von Zwischenrufen unterbrochen. Saleh beschwor die Streikenden, er wolle mit ihnen gemeinsam gehen. Die SPD werde es nicht zulassen, dass man ihnen auf der Nase herumtanze. „Aber das tut ihr doch seit Jahren!“, riefen mehrere Streikende.

Auch seine Behauptung, die SPD fordere „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ und wolle, dass der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) für alle gelte, wurde mit dem höhnischen Zwischenruf beantwortet: „Seit zwölf Jahren warten wir darauf!“

Als Saleh dann einen Gehaltszettel hochhielt und seine Entrüstung über den Netto-Monatslohn von 1226 Euro vorspielte, kam der Zuruf: „Daran ist doch deine Partei schuld!“ Seine unwirsche Reaktion auf den Zwischenruf zeigt die zynische und heuchlerische Arroganz der SPD, die das Profitsystem auf Kosten der Arbeiter erhalten will. „Hört auf zu meckern“, herrschte er die Zwischenrufer an. „Ich bin doch auf eurer Seite, Mensch! Wir müssen gemeinsam an einem Strang ziehen.“

Er richte keine Bitte an die Geschäftsführung von Vivantes, behauptete Saleh, das sei ein „Auftrag“. Wenn das Unternehmen die gleiche Entlohnung von gleicher Arbeit aus privatwirtschaftlichen Gründen nicht leisten könne, dann müsse Vivantes aus einer GmbH eben in eine Anstalt des öffentlichen Rechts verwandelt werden. „Wie die BVG“, setzte er hinzu.

Jeder Busfahrer kann der Vivantes-Belegschaft erklären, dass die Arbeitsbedingungen bei dieser „Anstalt des öffentlichen Rechts“ ähnlich miserabel sind und keine Garantie für ein besseres Lohnniveau bedeuten.

Und dann gab Saleh zu verstehen, was er mit „gleicher Bezahlung“ eigentlich meint: die „schrittweise“ Anhebung des Entgelts auf das Niveau des öffentlichen Dienstes, das auch keine angemessene Entlohnung für die harte Arbeit bedeutet.

Ivo Garbe bezifferte die Kosten für eine sofortige Anhebung des Entgelts auf TVöD-Niveau mit etwa 35 Millionen Euro pro Jahr, um dann sofort die Bereitschaft der Gewerkschaft zu bekunden, „dafür einen Stufenplan aufzustellen“, der den TVöD bis Ende 2023 – also in zweieinhalb Jahren – vollumfänglich für alle Beschäftigten einführen solle.

Dieser Trick, den Streikenden als Ziel die Erreichung des TVöD-Niveaus vorzugaukeln, in Wirklichkeit aber nichts anderes als stufenweise kleine Nominallohnerhöhungen auszuhandeln, soll die Kampfkraft der Belegschaft schwächen.

Was von solchen Stufenplänen zu halten ist, zeigt auch die Charité Tochter CFM, wo die Beschäftigten für dasselbe Ziel gestreikt haben. Tobias Schulze von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, der bei diesem Arbeitskampf dabei war, erklärte, man habe nach zehn Jahren Kampf einen Tarifvertrag bekommen, der „in Richtung TVöD weist“.

Saleh, Schulze und der Vertreter der Grünen, Andreas Audretsch, nutzten die Kundgebung lediglich, um Wahlwerbung für ihre Parteien zu machen. Am 26. September wird in der Hauptstadt nicht nur der Bundestag, sondern auch das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Ihre Versprechen, sich bei den Verhandlungen persönlich für eine gute Lösung einzusetzen, sind schneller verflogen, als ihre Reden verhallt sind.

„Alle Senatsparteien schieben sich die Schuld für die miserable Situation von uns Beschäftigten gegenseitig zu. Keiner will das verantworten“, kommentierte ein Streikender der SVL Speiseversorgung und -logistik die Reden gegenüber der WSWS.

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